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ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von AI. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
Karl Weinhold.
Sechster Jahrgan;
1896.
Mit einer Tafel und mehreren Abbildunge
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BERLIN.
Verlag von A. As her & Co.
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I n halt.
Abhandlungen.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. Von G. Kossiuna 1
Volkskundliches vom Thüringer Walde. Aus P. Möbiua Chronik herausgegeben von
F. Kunze 14. 17")
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole. Von Stanislaus Prato (Schluss). . 24
Der Wechselbalg. Zur Volksmedizin von M. Höfler 52
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. Aus dein Nach-
lasse R. Köhlers herausgegeben von J. Bolte 5s. 161
Die Drostin von Haferungen. Von E. Beichhardt Ts
Der Kirchtag in Stubai (Tirol). Von P. R. Greussing 8?»
Vier neuirische Zaubersprüche. Von Fr. N. Finck
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. Von G. Amalfi 115
Volkssprüche aus dem Ennsthal. Von K. Reiterer 129
Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel. Von B. Königsberger 140
Aus dem deutschen Volks- und Rechtsleben in Alt-Steiermark. Von Th. Unger 184. 284. 424
Folklore. Von G. Kossinna 1>S
Zu den neuirischen Zaubersprüchen. Von H. Pedersen 192
Abzählreime aus dem Posenschen. Von E. Boerschel 196
Die adelichen Bauern von Turopol. Von M. Kosch 199
Setz deinen Fuss auf meinen! Von J. Bolte 204
Kulturgeschichtliches aus Island. Von M. Lehmann-Filhes 285. 373. 438
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren. Von Fr. Piger 251. 407
Aus dem Volkstum der Berber. Von M. Hartmann 265
Italienische Volksrätsel. Von J. Tschiedel 276
Kinderreime aus dem Marchfelde. Von H. Schukowitz 290
Zum Volkslied, Spruch und Kinderreim. Von A. Englert 296
Das Leben in der Auffassung der Gossensasser. Von M. Rehsener . . . . 304. 395
Die Gerichtslinde von Basdorf in der Herrschaft Itter. Von E. Schröder 347
Volkskundliches aus dem Boldecker und Knesebecker Laude. Von R. Andrec . . . 354
Volksrätsel, besonders aus Schleswig-Holstein. Von H. Carstens 412
Zur Volkskunde aus Anhalt. Von 0. Härtung 429
Kleine Mitteilungen.
Die Königslösung. Von K. Maurer 92
Vom Spuken. Von W. Schwartz 94
Kärntner Liedein. Von E. Schatzmayr 96
Nochmals das Kinderlied vom Herrn von Ninive. Von .1. Bolte 98
Bastlösereime. Von K. E. Haase 99
Plan einer Ethnographical Survey über Britannien EM
Abzählreime aus Steiermark. Von Fr. Ilwof 101
Zu Zeitschrift III, 452. Von H. Ullrich 102
IV [nhalt.
Seite
Zum Bahrgericht. Von K. Lehmann 208
Zum Verwunderungsliede. Von E. Bernheim 209
Der Tod der isl ein grober Mann 21*
richer Rechtssprichwörter. Von C. Dirkscn 211
Beschwörung des Alps. Von K. Weinhold 2J3
Krankheitsheschwörungon aus Inhalt. Von 0. Härtung ,• • • ■ 215
Märchen vom Hahnreiter. Von tlwof and Weinhold 320
Steirische Sagen vom Schrate] 322
Kleine [liedein aus dem Kainachthal
Bin Pakl mil dem Teufel. Von H. F. Feilberg 326
Del m.'.tt wol sön ollel Herkomn sin. Von W. Schwartz 328
Die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde 329
Geschichten aus Bayern. Von II. Raff 439
Die Geistermesse zu Köln. Von Bethany und Weinhold 441
1 Um isl dicker als Wasser. Von M. Hartmann 442
Die bestimmten Familien zugeschriebene Heilkraft. Von K. Maurer 443
Der Wettkampf des Zauberers mil dem Lehrling. Von demselben 444
Miscellen. Von W. Schwartz 444
Wirtschaftsverse von E. Lohmeyer 446
Gegen Bücherdiebe. Klosterinschrift. Von k\ W 446
Fritz Staub. Von K. Weinhold 447
Bücheranzeigen.
Cox, M. R., An introduetion to Folklore 103
Hartland, E. S., The legend of Perseus 103. 451
The Voyage ofBran, edited by K. Meyer. With an essay by A. Nutt 104
Böhme, F. M., Volktümliche Lieder der Deutschen. Von J. Bolte 104
Lübke, H, Neugriechische Volks- und Liebeslieder 106
Brenner und Hartmann, Bayerns Mundarten 106
Drechsler. P., Wencel Scherffer und die Sprache der Schlesier. Von K. Weinhold 106
Larsen, K., Dansk Soldatensprog 107
Fabricius, W., Die akademische Deposition. Von E. Schmidt 107
Menöik, F., Velikonocne hry. Von A. Brückner 108
Cesky Lid. IV. V. Von demselben 109. 229
Lud. Organ towarszystwa ludozn. w Lwowie. Von demselben 109. 230
Beiträge zur Volkskunde — herausgegeben von Fr. Vogt 110
Festschrift zur 50jähr. Doktorfeier von K. Weinhold, herausgegeben von
P. Pietsch HO
Festgabe an K. Weinhold von der Gesellschaft für deutsche Philologie in Berlin 111
Golther, W., Handbuch der germanischen Philologie. Von 0. Jiriczek 218
Barlaam and .7 0 saphat, edit. and induced by J. Jacobs 223
Vlaamsche Wonder-Sprookjes. Von J. Bolte 223
Zschiesche, Heidnische Kultusstätten in Thüringen. Von M. Roediger 225
Schweizerisches Idiotikon. Bd. III 226
Bremer, 0., Beiträge zur Geographie der deutschen Mundarten. — Wencker und
Wrede, Der Sprachatlas des deutschen Reichs. Von R. M. Meyer 226
Pf äff, Fr., Deutsche Ortsnamen 227
Cutrera, A., I Riccatori 228
Hellmann, G., Die Bauernpraktik. 1508. Von K. W 228
Lang, A., Mytlies Cultes et Religion. Traduit par L. Mariliier 329
Henry, V., Vedica. Von K. Bruchmann 330
Faulisi, M., II Folklore in Orazio 330
Reiser, K., Sagen, Gebräuche, Sprichwörter des Allgäus 331
Knötel, Aug. Aus der Franzosenzeit. Von R. M. Meyer 331
Inhalt. \
Lau Im-. ii.. Volkstümliche Überlieferungen an- Teplitz
Lincke, A.. Die neuesten Rübezahlforschungen Von K. \\ 332
Bergen, F. !>.. Current superstitions 832
Zanne, J. V. Proverbe Romänilor. Von Jarni] 333
Schneller, Chr Beiträge zur Ortsnamenkunde Tirols III. Von Fr. Stolz. . . . 335
Pitre, 'i.. Medicina in.iM.larr Siciliana. Von M. Bartels 337
Pedersen, IL. libanesische Texte. Von Jarnik 338
Jacob, G., Das Leben der vorislamischen Araber. Von M. Hartmann :;4<»
Bahama Songs and Stories . . bj i h. Edwards 341
Mielke, R., Volkskunst. Von K. Weinhold 332
Bunker, J. 1.'.. Das Bauernhaus in der Heanzerei 342
Katalog der v. Lipperheidischen Sammlung für Kostümwissenschaft III. 343
v. Hellwald, Die Erde und ihre Völker 34:'.. 162
Grosse, E.. Die Können der Familie und der Wirtschaft. Von R M. Meyer . . . 44s
Loewe, R., Die Reste der Germanen am Schwarzen Meere. Vom i,. Kossinna. . . 449
Saxo Grammaticus I— IX, translated by 0. Elton. With considerations l>y Fr.
Y. Powell. Von M. Roediger 452
Islenzkar pjödsögur, safnad hetir 0. Davidsson. Von K. Maurer 453
Andree, R, Braunschweiger Volkskunde. Von K. Weinhold 453
Rügensche Sagen und Märchen. 2. A. von A. Haas 454
Schröder, Edw., Die Tänzer von Kölbigk. Von K. Weinhold 455
Bielenstein, Studien aus dem Gebiete der lettischen Archäologie, Ethnographie und
Mythologie. Vou demselben 456
Kaindl, R. Fr., Der Festkalender der Rusnaken und Huzulen 457
Jahresbericht II, III des rumänischen Seminars in Leipzig von G. Weigand.
Von J. U. Jarnik 457
Maury, A., Croyances et Legendes du moyen äge. Von Ch. Marelle 459
Trebury, S., La Chanson populaire en Vendee. Von demselben 459
Trombatore, J. A., Folklore Catanese. Von K. Weinhold 459
Stumme, H., Neue Tunisische Sammlungen. Von M. Hartmann 460
Nagl, W., Deutsche Mundarten. Zeitschrift. I, 1 Von K. Weinhold 461
Auszüge aus den Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. Von Max
Roediger 111. 230. 343
Register 463
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen
in Deutschland.1)
Von Gustaf Kossinna.
Wenn ich den Versuch wage, die vaterländische Archäologie mit der
Geschichte in Verbindung zu bringen und .den durch die Arbeit unseres
Jahrhunderts aufgesammelten reichen Funden aus heimischem Boden
gleichsam ihre Subjektlosigkeit zu nehmen, so hat mich dazu nicht zum
mindesten der Umstand veranlasst, dass die Archäologen der Keltenfrage,
die wie alle ethnographischen Fragen und Ausdeutungen in ihren Kreisen
ein Vierteljahrhundert geflissentlich und mit gutem Grunde beiseite gesetzt
worden war, sich neuerdings wieder energischer zuwenden. Die Rückseite
der Keltenfrage ist für Deutschland die Germanenfrage. Wir fragen darum
allgemeiner: Wo haben wir es im heutigen Deutschland in vorgeschicht-
licher Zeit mit Germanen, wo mit Nichtgermanen zu thun?
Gleich bei Begründung der vorgeschichtlichen Archäologie als Wissen-
schaft, da man sie noch kurzsichtig in das Prokrustesbett der litterarisch
überlieferten Geschichte einzwängte, wies man jeder der drei geschichtlich
bezeugten Nationen Deutschlands, Kelten, Germanen, Slawen, ihre bestimmte
Kultur zu, sei es die Steinzeit oder die Bronze- oder die Eisenzeit, wobei
die mannigfachsten Kombinationen aufgestellt werden konnten und auch
aufgestellt wurden. Es war dies das berüchtigte Spektakelstück in drei
Aufzügen, wie es Hostmann einmal zutreffend bezeichnet hat. Und damit
auch das Zwischenspiel nicht fehle, verpflanzte man noch die Römer sogar
bis in den äussersten Nordosten unseres Landes. So stand es noch zu
Anfang der siebziger Jahre bei uns und in noch höherem Masse in
Skandinavien, dem Mutterlande der Archäologie: ich nenne nur die Namen
Worsaae und Hildebrand. Gegen diese voreilig historisierende Richtung
trat dann die streng auf Beobachtung des Thatsächlichen sich beschränkende
naturwissenschaftliche Betrachtungsweise auf und gewann das Feld. Gleich-
1) Dieser Vortrag wurde am 9. August 1895 bei der Authropologenversammlmm zu
Kassel gehalten und hat hier nur geringe Änderungen und Zusätze erfahren.
Zeitscbr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. 1
2 Kossinna:
zeitig wurde der Gedanke, Kulturwechsel bedeute ohne weiteres Be-
völkerungswechsel, überhaupt verworfen, zuerst von dem Pfahlbauten-
forscher Ferdinand Keller, dann auch von einigen Skandinaviern.
Montelius und Zinck erwiesen für Schweden und Dänemark den ganz
allmählichen Übergang vom Stein- zum Bronzealter, Vedel und Montelius
denjenigen vom Bronze- zum Eisenalter. Für Deutschland geschah dasselbe
namentlich durch Undset, für Mecklenburg insbesondere später durch
Beltz. Zusammenfassend hat dann Montelius die Einwanderungs- und
Bevölkerungsfrage behandelt und gezeigt, dass Vorfahren der Skandinavier,
also Germanen, bereits zu Beginn der neolithischen Zeit in Skandinavien
gesessen haben müssen. Und mit diesem Resultat stimmen auch die
Ergebnisse der anthropologischen Untersuchung der vorzeitlichen Schädel
und Skelettreste Skandinaviens wenigstens insofern überein, als der indo-
germanische Typus mit Sicherheit nachgewiesen wurde.
Montelius hatte aber gleichzeitig den Fehlschluss gethan, die mit der
nordischen doch nur entfernter verwandte ungarische Bronzekultur für
südgermanisch auszugeben. Nicht gerade infolge dieses Fehlschlusses, aber
doch zeitlich hier beginnend bildete sich ein Misstrauen aus, wie früher
gegen die ethnographische Aufteilung verschiedener sich ablösender Kultur-
perioden eines Landes, so jetzt gegen die ethnographische Verwertung der
räumlichen Ausdehnung einer einzelnen Kultur.
Man sagte: Vorgeschichtliche Kulturen wären das Ergebnis von Kultur-
strömungen, also geographisch, nicht ethnographisch bedingt. Man vergass
dabei nur, dass auch die Völkerbildungen der Urzeit geographisch bedingt
sind, jener scheinbare Gegensatz also wieder aufgehoben wird. Man ver-
wies dann auf die Tene-Kultur, die Kelten und Germanen gleicherweise
angehöre. Und doch ist diese Kulturperiode bei Kelten und Germanen
durchaus nicht dasselbe. Die Tene-Kultur wurde Eigentum der Kelten wohl
erst im Norden der Balkanhalbinsel, der zu Anfang des vierten Jahrhunderts
v. Chr. von ihnen erreicht wurde. Bei den Germanen aber erscheint sie
nicht nur im Ganzen später, sondern auch weit weniger glänzend und
stets mit dem älteren Grabgebrauch des Leichenbrandes, während bei
Kelten damals Skelettgräber herrschend sind und erst im letzten Jahr-
hundert der Tene-Zeit der Leichenbrand üblich wird.
Schlagende Beispiele aber von ethnographisch streng umgrenzten
Kulturen sind die germanische Kultur der Völkerwanderung, d. h. des
fünften und sechsten Jahrhunderts, und die slawische Kultur des siebenten
und der folgenden Jahrhunderte. Ja, die Hinterlassenschaft dieser beiden
Kulturen ist das einzige Mittel, das uns helfen kann: einmal die durchaus
verschwommenen Nachrichten über die Auswanderung der ostelbischen
Germanen zu ergänzen und zu berichtigen, dann auch über die räumliche
Ausdehnung der späteren slawischen Besiedlung in Ostdeutschland und
Österreich ins Reine zu kommen.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland.
Mit Unroclii verschanzen daher Philologen and Geschichtsforscher ihre
Nichtachtung der Prähistorie hinter methodische Bedenken. Auch Eduard
Meyer macht sich in seiner mit Recht berühmten „Geschichte des Alter-
tums" die Rechtfertigung dieses Standpunktes zu leicht. Ei sagt: wie ein
Wechsel der Kultur nicht einen Wechsel der Bevölkerung bedeute, so Bei
auch bei völlig sprungloser Entwicklung, also innerhalb einer and derselben
Kultur, oft Bevölkerungswechsel anzunehmen. Diese Sätze kann ich trotz
ihrer Allgemeinheit nur bedingt anerkennen. Denn nicht jeder Kultur-
wechsel, sondern nur der in allen Stücken ganz allmählich sich vollziehende
zeigt Dauer der Bevölkerung au. Andererseits ist innerhalb einer ge-
schlossenen Kulturperiode nur ein Wechsel kulturell völlig identischer
Völker denkbar, d. h. nur ein Wechsel von Teilen eines grösseren ethno-
graphischen Ganzen, von Stämmen eines und desselben Volkes.
Ganz abzuweisen ist Meyers Hinweis auf die Geschichte Italiens und
namentlich der italienischen Baustile. Meyer fragt, woran man in Italien
die germanischen Eindringlinge archäologisch erkennen solle? Nun, jeder
Archäologe kennt die sogenannten merowingischen Altertümer Italiens.
Und jedermann weiss auch, dass die Kunststile in Italien sich ganz allmählich
ablösen und dass dieselben Stile zwar in ganz Europa verbreitet, aber
überall national geschieden sind. Sie würden also in die Vorzeit versetzt
weder für Italien einen Wechsel der Bevölkerung noch für ganz Europa
ein einheitliches Volk erweisen, sondern beide Male das Gegenteil. Die
historischen Parallelen Meyers sprechen also nicht für, sondern gegen ihn.
Immerhin gehört zur Verbindung von Archäologie und Geschichte das
höchste Mass kritischer Vorsicht, wie es z. B. Bertrands neues Buch über
die „Kelten an Po und Donau" nur zu sehr vermissen lässt. Dieser
Forscher findet „Galater" sogar in Mecklenburg, Holstein, Jütland, ohne
auch nur den Schatten eines Beweises, am wenigsten eines archäologischen
hierfür zu erbringen. Ebenso dachten übrigens zwei historische Forscher,
Wilhelm Arnold und Albert Duncker, beides Hessen. Sie Hessen die
Kelten etwa im sechsten, die Germanen im vierten Jahrhundert direkt von
Asien nach Norddeutschland und Hessen gelangen.
Damit kommen wir auf die unglückselige Hypothese von der Ein-
wanderung der Indogermanen aus Asien. Sie verdankt ihr Dasein der
unklaren Vermischung zweier Fragen: erstens, wo stammt die europäische
Kultur her? zweitens, wo stammen die Völker Europas her? Stützen der
asiatischen Hypothese waren weiter zwei schwere Grundirrtümer: erstens,
dass Sanskrit die älteste, wo nicht gar die Mutter der indogermanischen
Sprachen sei; zweitens, dass alle Völker die drei aristotelischen Wirtschafts-
stufen des Jägers, Nomaden und Ackerbauers durchgemacht hätten und
dass die ürindogermanen im besonderen auf der Stufe der Nomaden ge-
standen hätten. Für dies angebliche Nomadentum lieferte aber gerade
Asien die schönsten Beispiele, bis auf den heutigen Tag.
1*
4 Kossinna:
Zwar nicht mehr die asiatische Hypothese, aber die Nomadentheorie
findet sich noch in Otto Schraders bekanntem Buche „Sprachvergleichung
und Urgeschichte". Schrader ist der Hauptvertreter der sogenannten indo-
germanischen Altertumskunde, jener Wissenschaft, welche die Sprach-
vergleichung zur Ermittelung der Urzeit verwendet. Sie nennt ihr Ver-
fahren, kokettierend mit den Naturwissenschaften, das einer „linguistischen
Paläontologie". Dieser Wissenschaft bringe ich das all ertiefste Misstrauen
entgegen. Wie ist denn ihre Methode?
Findet sich in den beiden asiatischen Sprachen oder in einer von
ihnen ein Wort, das auch in einer oder besser in mehreren europäischen,
namentlich süd- oder westeuropäischen Sprachen, erscheint, so gehört dies
Wort und der dadurch ausgedrückte Begriff der als einheitliches Ganze
angenommenen indogermanischen Urkultur an. Gegen diese Art Aufstellung
von Wörterstammbäumen lassen sich allgemein kulturgeschichtliche und
besondere sprachgeschichtliche Bedenken schwerster Art geltend machen.
Kulturgeschichtliche: erstens stehen sich die indogermanischen Einzelvölker
in historischer Zeit kulturell schon viel zu fern, als dass ihr Sprachgut
ohne weiteres verglichen werden könnte. Zweitens vollziehen sich die
Kulturfortschritte der Völker fast nie in geraden Linien, die staminbaum-
artig auf einen Punkt zurückweisen, sondern es giebt da stets unzählige
kreuzende Linien, kreuzende Kulturfaktoren. Drittens liegt die Urzeit
viel zu weit zurück hinter den frühesten geschichtlichen Überlieferungen,
selbst bei Griechen und Indern mehrere Jahrtausende, und die Zwischen-
stufen sind gänzlich unbekannt.
Parallel mit diesen kulturgeschichtlichen gehen die sprachgeschicht-
lichen Bedenken. Zunächst können wir nie mit einiger Sicherheit fest-
stellen, was ein Wort in der Urzeit bedeutet haben mag, da doch die
Begriffe sich oft so schnell und so stark verändern. Ein Beispiel ist die
Unsicherheit der Bedeutung der Metallnamen sogar noch in den ältesten
Litteraturdenkmälern: bedeutet hier ein Wort1) Metall schlechtweg oder
Kupfer oder schon Bronze oder gar Eisen? Jede Veränderung der Kultur-
verhältnisse eines Volkes gestaltet auch den Inhalt seines Wortschatzes um.
Ganz besonders wird bei der Auswanderung in fremde Gebiete mit anderen
Lebensbedingungen eine Umdeutung vieler Worte eintreten. Dieselbe
Umdeutung können andererseits Worte erleiden, die von einem Volke zu
einem anderen wandern. Beispiele hierfür sind die gotischen Wörter
ulbandus und peikabagms. Ulbandus entspricht lateinischem ele-
phantus, bedeutet aber nicht Elephant, sondern Kameel; peika-bagms
entspricht lateinischem ficus, bedeutet aber nicht Feigen-, sondern Palm-
baum. Im letzteren Falle ist der Übergang von der ersten Bedeutung zu
der anderen wohl durch das Zwischenglied „Dattelpalme" vermittelt worden.
1) Ich denke hierbei an skr. ayas und griech. yaXxös.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. 5
Hier wissen wir nun, dass wir es mit Lehnworten zu thun haben. Sobald
wir aber zu älteren Zeiträumen hinaufsteigen, für das Germanische etwa
zu dem Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr., eine Zeit, deren Kultur-
zustand durch die Archäologie völlig klar gelegt worden ist, so fehlt uns
bis jetzt jede Möglichkeit, Lehnworte dieser Zeit mit den Mitteln der
Sprachforschung als solche zu erkennen. Wir kommen so zu der zweiten
Frage: Ist ein scheinbar urindogermanisches Wort nicht vielmehr ein
Eigentum nur einer der indogermanischen Einzelsprachen und in den
anderen ein späteres, wenn auch immer noch vorhistorisches Lehnwort?
In solchem Falle entfällt natürlich die Berechtigung, es der Urzeit zuzu-
schreiben. Wir müssen uns aber ebenso wohl hüten, zu viel Worte in
die Urzeit hinaufzurücken, als zu wenig, und damit kommen wir zu dem
dritten sprachgeschichtlichen Bedenken, das sich darauf gründet, dass wir
keine Ahnung von dem Umfange des zweifellos sehr grossen Verlustes
haben, den der urzeitliche Sprachschatz innerhalb jeder Einzelsprache
erlitten hat. Jede aus der Fremde eingeführte, vielleicht recht unwesent-
liche Veränderung eines Gegenstandes konnte ein Urwort zum Aussterben
bringen und ein Fremdwort dafür einführen. Dieses Fremdwort nimmt
dann der „linguistische Paläontologe" zum Beweise einer Lücke im vor-
aufliegenden Kulturleben, während es thatsächlich nicht in eine Lücke
getreten ist, sondern heimisches Gut verdrängt hat. So sind die Worte
„Kupfer" und „Pferd" spätrömische Lehnworte. Pferde gab es aber als
Haustiere bei den Germanen nachweislich schon in der jüngeren Steinzeit,
und das Kupfer wurde ihnen bereits am Ende der Steinzeit bekannt. Für
die sogenannte indogermanische Urzeit aber versagt naturgemäss das
Kontrollmittel der vorgeschichtlichen Archäologie.
Alle diese Bedenken füren mit Notwendigkeit zu dem Schlüsse: die
linguistische Paläontologie ist für die Konstruktion der Urgeschichte so
gut wie unbrauchbar.
Seit O. Schrader ist es nun bei den Sprachvergleichern Brauch, ihre
blassen, kurzlebigen Urgeschichtskonstruktionen mit der blühenden Farbe
der archäologischen Realitäten aufzufrischen. Schrader selbst ist dabei
nichts weniger als glücklich gewesen. Er zeigt sich vielmehr als völliger
Laie, wenn er noch neuestens mit Viktor Hehn die Steinzeit der Schweizer-
Pfahlbauten ins sechste Jahrhundert verlegt, während sie bereits mehr als
ein Jahrtausend früher ihren Abschluss erreicht hatte, oder wenn er noch
immer in Lindenschmits Anschauungen über die Unmöglichkeit einer nord-
europäischen Bronzekultur befangen ist, und dies nicht etwa aus archäo-
logischen Gründen, sondern aus — sprachlichen Erwägungen über die Ver-
wendung der Metallbezeichnungen bei Bildung der germanischen Personen-
namen! Auch seine Gleichstellung der Kultur der rätischen, also nicht-
indogermanischen Steinzeitpfahlbauer mit der urindogermanischen Kultur
ist etwas durchaus künstlich Gemachtes, indem die Pfahlbauer einfach das
6 Kossinna:
Muster sind, wonach sich die Urindogermanen zu richten haben1). Eine
solche Verwertung der Archäologie ist durchaus unzulässig. Die Sprach-
vergleichung kann oben aus sich heraus in der Urgeschichte
nichts entscheiden, sie kann hier nur lernen. Im Gegensatz zur
Sprachvergleichung mit ihren unfruchtbaren Wörterstammbäumen steht die
Geschichte der Einzelsprachen, die zwar nicht für die Urzeit, wohl
aber für den Übergang von der Vorgeschichte zur Geschichte
von allerhöchstem Werte wird, wenn sie mit Hilfe von alten Völker-,
Gebirgs- und Flussnamen vorhistorische Lautübergänge chronologisch und
lokal derart festzulegen vermag, dass ethnographische Schlüsse gezogen
werden können.
Dies ist der Fall bei einigen der ältesten keltischen Namen in
Deutschland, die vor der sogenannten germanischen Lautverschiebung von
den Germanen an ganz bestimmten Orten übernommen wurden und dem-
nach die Anwesenheit der Kelten und die Nachbarschaft der Germanen an
jenen Orten für die genannte Zeit erweisen. Nachdem die germanische
Sprache Jahrtausende lang in ihrem Konsonantensystem sich nicht sehr
erheblich von den anderen indogermanischen Sprachen unterschieden hatte 2),
erfuhr sie im Laufe des vierten Jahrhunderts vor Chr., offenbar infolge
der starken Ausbreitung über anderssprachige Nachbargebiete, die während
des sechsten und fünften Jahrhunderts namentlich in Ostdeutschland, während
des vierten ebenso in Westdeutschland erfolgt war, eine durchgreifende
Änderung in ihrem konsonantischen Lautstande, ähnlich wie später nach
Abschluss der Völkerwanderung die zweite, sogenannte hochdeutsche Laut-
verschiebung eintrat. Bis dahin hatte der in unserem „Dach" und „Decke"
enthaltene urgermanische Stamm genau wie im griechischen und lateinischen
teg gelautet: im 4. Jahrhundert wurde daraus pek (thek); ebenso wurde
urgermanisch podus „Fuss" = griech. nod-, lat. ped- damals zu fotus,
urgermanisch dekum „zehn" = griech. dexa, lat. decem damals zu
techum. Es wurde also unter anderem t zu p, p zu f, k zu h (/); ruhte
aber der Accent des Wortes auf der diesen Konsonanten folgenden Silbe
und waren sie nicht mit s oder t verbunden (hs, ht; fs, ft), so wurden
die neuen p, f, h weiter zu den tönenden Spiranten 3, ü, g erweicht. So
musste also der Name *Perküuia, womit die Kelten den Hauptzug der
deutschen Mittelgebirge, namentlich aber die böhmischen Randgebirge
bezeichneten, im Germanischen zu Fergünia werden. Da nun die Kelten
1) Dieser Vorwurf trifft besonders die erste Auflage des Werkes, während die zweite,
je strenger sie allein auf sprachlicher Grundlage die Urkultur aufbaut, desto weniger mit
den gesicherten Ergebnissen der Prähistorie und Ethnologie in Einklang zu bringen ist.
2) Die Germanisten pflegen die der Lautverschiebung voraufliegende Zeit „vor-
germanisch" zu nennen und lassen die germanische Sprache mit dem Vollzug der Laut-
verschiebung aus der indogermanischen Ursprache gleichsam erst geboren werden: eine
gänzlich falsche Anschauung.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. 7
spätestens im fünften Jahrhundert die aus der Urzeit ererbten p verloren
haben, wodurch Perkunia zu Erkunia ('Eqxvvux, Hercynia) wurde,
die germanische Entlehnung aber nicht nur vor der Lautverschiebung statt-
fand, sondern auch vor dem Verluste der keltischen p (germanisch f aus
urgermanisch p = keltisch p), so sind spätestens im fünften Jahrhundert
vor Chr. Germanen und Kelten am Erzgebirge Nachbarn gewesen. Ebenso
erweist der Name Walchen, der in allen germanischen Sprachen die
Verschiebung von k zu ch aufweist, dass die mährischen Volken (Volcae),
denen die Germanen die Bezeichnung für die Gesamtheit der Keltenstämme
entlehnten, spätestens um 400 vor Chr. sich mit den Germanen an den
Sudeten berührt haben müssen. Umgekehrt können wir mit Sicherheit
behaupten, dass die Gegenden, wo keltische Namen im Germanischen
unverändert geblieben sind, erst nach Abschluss der germanischen Laut-
verschiebung germanische Bevölkerung bekommen haben können. Die
bis heute uoch unverschobenen niederdeutschen Flussnamen, die auf -p
auslauten, dem Reste der ehemaligen keltischen Endung -apa (= lat.
aqua, gotisch ahva), und im Verein mit den im hochdeutschen Gebiete
auf -f auslautenden gleichen Flussnamen etwa von der Leine aus südwärts
bis zum Main, westwärts bis über den Rhein sich erstrecken, bezeugen
neben manchen anderen Anzeichen das spätere Eindringen der Germanen
in Westdeutschland.
Soviel zur Erläuterung des Wertes der Sprachgeschichte, deren Er-
gebnisse wir dort, wo uns die Archäologie, sei es aus Mangel an Material,
wie namentlich in Westdeutschland, sei es aus sonstigen Gründen, keine
klare Antwort auf ethnographische Fragen giebt, zu Rate ziehen müssen.
Die Fehlerquellen, die, wie wir gesehen haben, die Methode der
Sprachvergleichung bei der Ermittelung der sogeuannten Urzeit so unzuver-
lässig machen, fliessen nun nirgends reichlicher als bei den uns hier am
meisten angehenden Versuchen, die Urheimat der Indogermanen zu ermitteln.
In dieser Frage ist die linguistische Paläontologie über ein Herumraten
bisher nicht hinausgekommen. Selbst ein Schwärmer für Asien, wie Max
Müller, verzweifelt an der Möglichkeit sprachvergleichender Beweise.
Ähnlich Johannes Schmidt, doch war dieser es gleichzeitig, der, gestützt
auf Beobachtungen über das Zahlsystem, den unglücklichen Gedanken hatte,
Babylonien oder seine Nachbarschaft als Urheimat zu empfehlen. Ebenso
wrenig kann uns Schraders südosteuropäisches Steppenland, Hirts südöstliche
Ostseeküstenländer, oder gar Penkas Skandinavien annehmbar erscheinen.
Wenn wir uns überhaupt auf die Ermittelung der indogermanischen
Urheimat einlassen wollen, können wir das nur als Kulturhistoriker thun.
Die früheste zu ermittelnde Verbreitung der Indogermanen zeigt ihre Haupt-
masse im östlichen Mitteleuropa. An der mittleren Donau war also viel-
leicht ihre Urheimat, von der aus sie sich baumkronenartig nach allen
Richtungen verzweigten, als durch die Einführung der Viehzucht und die
8 Kosshma:
Verwendung des Zugstieres beim Ackerbau unzählige bisher beim Hackbau
verwendete Menschenkräfte frei wurden. Es erfolgte offenbar ruckweise
das Ausschwärmen einerseits der Kelten die Donau aufwärts und den
Rhein abwärts, andererseits der Slawen nach den Gegenden des oberen
Dniestr und der oberen und mittleren Weichsel. Inmitten beider Schwärme
gingen die Germanen zwischen Oder und Elbe abwärts. Spätestens zu
Beginn des dritten Jahrtausends v. Chr. sassen Germanen in Südschweden,
Dänemark, Schleswig.-Holstein, Mecklenburg.
Hier setzt nun die Archäologie ein.
Wir gehen jedoch nicht von dieser Urzeit aus vorwärts, sondern als
richtige Seiler lieber rückwärts, indem wir den Faden möglichst an die
Enden der Geschichte und Sprachforschung anknüpfen.
Die geschichtlich frühesten Sitze der Germanen kennen wir durch die
Forschungen des letzten Jahrzehnts, namentlich durch Müllenhoffs, Rudolf
Muchs und meiue eigenen Arbeiten. Danach sind zur Zeit des Kimbern-
kriegs Germanen über den Main gezogen und haben in Süddeutschland
die Sitze eingenommen, die im zweiten Jahrhundert vor Chr. Helvetier
und Bojer inne hatten: erstere zwischen Main und Bodensee, letztere öst-
licher nach Böhmen hin und in Böhmen selbst. Diese, Süddeutschland
besetzenden Germanen, die den Namen Markomannen erhielten, waren
eine Ausscheidung der nördlich des Mains sitzenden Mainsweben, gegen
die später Cäsar seine Rheinübergänge richtete. Um 90 v. Chr., also
bereits vor Ariovist, wurde auch die Rheinpfalz und das Elsass von Ger-
manen besetzt, während in der linksrheinischen Rheinprovinz und in Ost-
belgien Germanen schon um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahr-
hunderts eingedrungen waren Westlich des unteren Rheins haben wir
also in der mittleren und späten Tenezeit eine germanisch-gallische Misch-
bevölkerung und Mischkultur, in Süddeutschland aber ist erst die jüngste
Tene-Zeit germanisch. Rechtsrheinisch sassen in Nassau die Ubier bis
zum Jahre 38 v. Chr.: ihnen, und nicht den Chatten, wie Tischler meinte,
gehören die reichen Nauheimer Spät-Tenefunde an. Die Chatten wohnten
damals noch um die obere Eder, Ruhr und Lippe, also nördlich von den
Ubiern, während als Ostnachbarn der Ubier längs des Mains die erwähnten
Mainsweben sassen, ein Spross der märkischen Ursweben, die sich Sem-
nonen nannten. Von diesen Semnonen aus hatten sich die Mainsweben
über Thüringen allmählich bis zu deu Ubiern ausgebreitet, zogen dann
aber samt den Markomannen um 9 v. Chr. von der römischen Grenze
uud dem Rheine ostwärts fort bis nach Böhmen und Mähren, welche
Länder damit zuerst germanisch wurden. Ob die Anfänge der berühmten
vorgeschichtlichen Station auf dem Burgstall zu Stradonic, die bis in die
jüngste Tene-Zeit zurückreichen, noch keltisch oder bereits germanisch
sind, bleibt also zweifelhaft.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. 9
In Norddeutschland unterhalb des Gebirges, das für Undset Kelten-
und Germanengrenze bedeutete, sollen nach Tischler nur mittlere und
späte Tene-Formen erscheinen. Man könnte also weiter schliessen, dass
wo die reine Eisenzeit erst mit der mittleren Tene-Kultur eindringt, ger-
manische Bewohner anzunehmen sind. Allein diese Aufstellung ist nicht
richtig, denn in sicher germanischen Gegenden, wie Hannover, Branden-
burg, Provinz und Königreich Sachsen, Schlesien zeigt sich auch Früh-
Tene. Für die Tene-Zeit müssen wir daher neben der Archäologie noch
die germanisch-keltische Sprachgeschichte zu Rate ziehen.
Dass Nordwestdeutschland zwischen Rhein einerseits und Leine,
Werra, Thüringerwald andererseits seine germanische Bevölkerung erst
seit etwa 300 v. Chr. erhalten hat, habe ich vor kurzem dargelegt1). Eine
Linie von Köln nach Eisenach schneidet die Südwesthälfte dieses Gebietes
ab, in der die keltischen Münzfunde noch für einen Teil der mittleren
Tenezeit, also bis etwa zum Jahre 200 v. Chr., keltische Bevölkerung
bezeugen. Die berühmteste vorhistorische Station dieses Gebietes ist wohl
der kleine Gleichberg bei Römhild, der sich durch seine Skelettgräbcr,
die gläsernen Armringe, die wunderschönen Ringglasperlen, deren Grün
und Blau mit Weiss und Gelb gemischt ist, sowie durch den roten Furchen-
schmelz am Eisengerät als entschieden keltisch erweist. Markomannen
haben diese Bojerburg wohl um Christi Geburt bei ihrer Auswanderung
vom Rhein nach Böhmen zerstört.
Das einst ganz keltische Thüringen wurde, wie ich festgestellt habe,
etwa bis zur Unstrut spätestens um 400 v. Chr., südlich der Unstrut
frühestens um 300 v. Chr. germanisch. Die Tene-Skelettgräber bei Ranis
gehören noch den Kelten au.
Dass auch im Königreiche Sachsen und in Schlesien nördlich des
Gebirgsrandes einst Kelten gesessen haben müssen, zeigt der alte Name
„Fergunna" (Erzgebirge), die lautgesetzliche Weiterbildung von keltisch
Perkunia, sowie der Name „Walchen", eine germanische Weiterbildung
des Namens der mährischen „Volken" (Volcae), eines keltischen Stammes
(s. oben S. 6 f.). Beide Namen zeigen zugleich durch ihre Lautgestalt, dass
spätestens um 400 v. Chr. Germanen am Gebirgsrande gesessen haben
müssen. Aber noch zu Tacitus* Zeiten kennen wir in Oberschlesien den
germanischen Stamm der Narvalen, der einen keltischen Namen trägt, also
einst keltische Nachbarn gehabt haben muss.
Noch weiter östlich an den Weichselquellen müssen seit mindestens
300 v. Chr. germanische Bastarnen gesessen haben, denn bereits um
"200 v. Chr. erscheinen Ausläufer von ihnen an der unteren Donau, sowie
1) Vgl. meine Abhandlung über den ,ürsprung des Germanennamens' (Beiträge zur
Geschichte der deutschen Sprache 20, 297 ff.). — Nur die Meeresküste nördlich einer
Linie von Bremen nach Amsterdam zeigt weit ältere germanische Besiedelung; siehe
auch S. 11.
1() Kossinna:
am schwarzen Meere. Bastarnen waren spätestens um 300 v. Chr. die
Vermittler skythischer Goldsachen bis nach Deutschland hin, wie wir sie
aus dem berühmten Vettersfelder Goldfunde kennen.
Sehen wir von den längs den Karpaten in Galizien wohnhaften
Bastarnen ab, so ist zu Cäsars und Augustus Zeiten die Weichsel die
Ostgrenze für Germaneu und gleichzeitig für die Tene-Kultur. Au der
unteren Weichsel liegen zwar die Tene-Stationen Rondsen und Willenberg
schon rechts des Stromes, aber doch unmittelbar am Ufer. Und wenn
Tischler noch an drei Punkten des archäologisch reichen Samlandes
schwache Tene-Spuren entdeckt hat so zeigt doch der Umstand, dass sie
sich nur in Nachbestattungen am Rande von älteren Hügelgräbern fanden,
nicht aber in Urnenfeldern, wie überall bei den Germanen, dass in Sam-
land damals keine Germanen wohnten.
Zwischen Weichsel und Leine, sowie zwischen Ostsee und Harz,
Unstrut, Erzgebirge und den schlesischen Gebirgen ist also zu Beginn der
Tene-Periode, im 4. Jahrhundert v. Chr., germanischer Boden.
In der Provinz Westpreussen haben wir nun genau dieselbe Ostgrenze
wie für Tene-Kultur, so für die voraufgehende Periode der Gesichtsurnen,
sogar mit denselben beiden Orten rechts der Weichsel, bei Graudenz und
Marienburg. Südwärts reichen die Gesichtsurnen über Posen bis nach
Schlesien; in Posen und Mittelschlesien haben wir gleichzeitig die be-
malten Gefässe. Es besteht kein Gruud, in dieser letzten Periode der
Bronzezeit einen Bevölkerungswechsel anzunehmen.
Doch um für die ganze Bronzezeit den richtigen Standpunkt zu ge-
winnen, müssen wir vor allem das sicher germanische, sogenannte nordische
Bronzegebiet näher betrachten. Ich schliesse mich hier in der Chrono-
logie an Montelius an, mit den für Norddeutschland nötigen Änderungen,
wie sie Beltz uud Lissauer getroffen haben. Danach haben wir 1. eine
frühe (1600—1400 v. Chr.); 2. eine ältere (1400—1000); 3. eine jüngere
(1000—600); 4. eine jüngste Bronzezeit (600—350) zu unterscheiden. Es
gilt jetzt, den Umfang dieses nordischen Bronzegebiets in Norddeutschland
festzulegen.
In der frühen Bronzezeit haben wir im Norden fast gar keine eigenen
Typen; nur der Schwertstab ist rein nordisch, erscheint in Norddeutschland
und Schonen, genügt aber nicht zu einer sicheren Umgrenzung eines
eigeneu Bronzegebietes.
Dagegen bietet die ältere nordische Bronzezeit ganz eigene Typen
in Rand- und Hohlkelten, Schwertern, Messern, Hals- und Brustschmuck,
Hals- und Armringen, Tutuli, Doppelknöpfen, Schmuckdosen. Östlich
dehnt sich dies Bronzegebiet kaum über die Oder aus, westlich überschreitet
es die Elbe nur an ihrer Mündung. Die Südgrenze geht längs der Aller,
der Havelseen und auf einer Linie von Berlin nach Stettin.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. 11
Nach allen Seiten weiter reicht das jüngere nordische Bronzegebiet:
westlich geht es an der Meeresküste bis etwa zur holländischen Grenze1),
östlich über die Oder hinaus bis etwa zum 34° östlich von Ferro, dann
südlich bis an die Netze, hierauf diese und die Warte abwärts, dann auf
einer Linie von Küstrin nach Halle a. S. und über den Harz an die Aller,
schliesslich über die untere Weser zur unteren Ems. Die Ost- und West-
grenze stimmt genau mit der Ost- und Westgrenze der Goldspiralen aus
Doppeldraht, die in Norddeutschland nach Olshausen nur zwischen Aller
und Persante vorkommen.
Für die jüngste nordische Bronzezeit fehlt bei Montelius die Angabe
ihres Gebietes.
Die Ausbreitung der spezifisch nordischen Bronzekultur ist zugleich
die Ausbreitung der Germanen. Ich wende mich nochmals gegen die
Meinung, dass hier lediglich eine Kulturströmung vorliege, da die Bronze
sich von Süden nach Norden und dann nach Osten verbreitet habe. Denn
erstens breitet sich das nordische Bronzegebiet mit seinen ganz eigentüm-
lichen Stilformen auch nach Westen und Süden aus und zweitens fand es
mitten zwischen Elbe und Weser oder gar mitten zwischen Oder und
Weichsel keine geographischen Hindernisse der Weiterverbreitung. Hier
ist nur eine ethnographische Grenze denkbar.
Prüfen wir nun das östlich der Germanengrenze liegende Gebiet links
der Weichsel. In Westpreussen zeigt die ältere Bronzezeit eine recht
spärliche Hinterlassenschaft, dazu keinen einzigen eigenen Typus, keine
Gussform. Es bestand dort also gar keine Bronzeindustrie, nur Einfuhr
von Bronzen, hauptsächlich aus dem westbaltischen, d. h. nordischen Bronze-
gebiet. Unverändert besteht dies Verhältnis auch in der jüngeren Bronze-
zeit. Ganz anders aber in der jüngsten Bronzezeit, füv die wir vorher
bereits Germanen bis zum linken Weichselufer festgestellt haben. Neben
allgemein nordischen oder nur ostdeutschen Typen (wie die Spiral- und
Schwanenhalsnadeln, die Schleifen- und Nierenringe) haben wir nun auch
besondere westpreussische Lokaltypen: die Schieberpincetten, die acht-
kantigen Halsringe, die spiralförmigen Fussringe. die schildförmigen Ohr-
ringe und die Ringhalskragen, letztere beiden Typen auch an den durch-
aus lokalen Gesichtsurnen nachgebildet.
Ganz ähnlich liegen die Dinge in Posen, dessen Norden archäologisch
zu Westpreussen, dessen Süden zu Mittelschlesien gehört.
In Schlesien nun hat die gesamte Bronzezeit nicht einen einzigen
Lokaltypus geschaffen. Die früher „schlesisch" genannte Ösennadel ist
allgemein ostdeutsch und kommt zudem in Ostpreussen häufiger vor als
iruendwo anders. Schlesien zei«t in seinem unbedeutenden Bronzebestande
1) Archäologie und Sprachgeschichte stimmen in dem Erweis dieser Thatsache aufs
schönste überein, vgl. oben S. 9, Anin.
|2 Kossinna:
in der älteren Bronzezeit nordische, in der jüngeren vorwiegend Hallstatt-,
auch ungarische Typen: alles ist Einfuhr. Erst die jüngste Bronzezeit
zeigt auch hier grösseren Reichtum, sogar Gussformen und Schmelzstätten.
Neben südlichem Import, wie ungarische, Doppelspiral-, Schlangen- und
Certosafibeln, sind aber nur die allgemein ostdeutschen Typen, wie
Schwanenhals- und Spiralnadeln hier zu finden. Wir müssen also die
einheimische Bronzeindustrie wie die germanische Besiedelung in Schlesien
noch später ansetzen, als in Westpreussen, etwa in den Beginn des
5. Jahrhunderts.
Die Besiedelung dieser ostdeutschen Lande westlich der Weichsel und
um die obere Oder, deren Bewohner in historischer Zeit in einem Gegensatz
zu den Westgermanen und in naher Verwandtschaft mit den Skandinaviern
stehen, fand zweifellos von Südschweden und Ostdänemark aus statt. Das
zeigen auch die Völkernamen dieser Ostgermanen, die sich entweder in
Jütland oder Südschweden oder Südnorwegen wiederfinden und auf einen
gemeinsamen Ausgangspunkt zurückweisen. Zu diesen Namen gehören
diejenigen der Wandalen, Warinen, Burgundionen, Rügen, Goten. Auch
der von den Slawisten in seinem Ursprung als unslawisch bezeichnete, weil
aus dem Slawischen nicht zu erklärende Name „Danzig" scheint mit dieser
nordischen Einwanderung zusammenzuhängen1).
Vor der Einwanderung der Skandinavier sassen zwischen Weichsel
und Oder im Norden wohl Angehörige der lettischen Sprachfamilie, im
Süden sicher Slawen, wie aus Herodots Nachrichten über diese Gegenden,
die bis ins sechste Jahrhundert hinaufreichen, hervorgeht. Auch der Name
der Weichsel scheint nach allem, was wir wissen, letto-slawischen Ur-
sprunges zu sein. Zwischen 600 und 500 vor Chr. wurden die Letten bis
zur Weichsel von den Germanen überwältigt, die Westslawen aber, die
bei Herodot Neuroi heissen, nach Südosten hin verdrängt. Und die
Germanen stiessen ihrerseits um 400 v. Chr. oder etwas früher am Nord-
rande des Gebirges auf Kelten, die von Südwesten aus hier angelangt
waren.
Ethnographisch schwer bestimmbar sind die Urnenfeld er vom sogenannten
Lausitzer Typus, die von Mittelschlesien bis an die mittlere Saale und über
das südliche Brandenburg sich erstrecken. Die Bronze erscheint auch hier
spät, aber doch schon in der jüngeren Bronzezeit (seit etwa 1000 v. Chr.),
freilich ziemlich ärmlich. Indessen es bestehen doch Verbindungen nach
Süden (Böhmen, Mähren), bald auch nach Norden, zudem ist hier das
Gebiet der glänzendsten Keramik von ganz Nordeuropa. So kann es sich
wohl nur um Germanen oder Kelten handeln. Wo aber hier in der jüngeren
und jüngsten Bronzezeit beide Nationen grenzten, bleibt fraglich.
1) Nähere Ausführungen über die hier ausgesprochenen Behauptungen denke ich in
einer besonderen Schrift zu bringen. Doch will ich gleich hier dem möglichen Missver-
ständnis vorbeugen, als wäre nach meiner Meinung der Name „Danzig" mit dem Namen
„Dänen" in Verbindung zu bringen.
Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. 13
Im Westen fehlt uns noch ein Gebiet zwischen der Leinegrenze vom
Beginn der Tene-Periode und der Allergrenze vom Ausgang der jüngeren
Bronzezeit. Dies Stück zwischen Aller und Leine muss also Erwerb der
jüngsten Bronzezeit sein.
So sehen wir, wenn wir rückwärts gehen, wie das Gebiet der Germanen
sich stetig verengt und nach Norden zurückzieht.
Die der Brouzeperiode voraufgehende Kupferperiode hat nicht lange
genug gewährt, um eine Hinterlassenschaft zu erzeugen, die für unsere
Zwecke neue Aufschlüsse bringen könnte, denn mehr noch als die frühe
Bronzezeit bestellt die nordische Kupferzeit nur durch den Import. Wohl
aber thut dies die Steinzeit, die von Montelius chronologisch eingeteilt,
von Tischler in ihrer lokalen Ausdehnung näher bestimmt worden ist.
Tischler scheidet ein ostbaltisches Steinzeitgebiet vom Ladogasee längs
der Ostseeküste bis an die Oder, und ein westbaltisches von der Oder be-
ginnend in den Ländern südwestlich und nördlich der Ostsee. Leitmotive
für Tischler waren das sogenannte echte Schnurornament1) und der ge-
geschweifte Becher. Beide kommen im Ostbaltikum vor, sowie in Thüringen,
Böhmen, Schweiz, Frankreich,- England, Holland, sollten aber im West-
baltikum fehlen. Später aber zeigte sich, dass der Becher auch in Hannover,
Oldenburg, Schleswig-Holstein und Dänemark vorkomme. Auch die Ver-
breitung des echten Schnurornaments ist zweifelhaft geworden. Tischler
leugnete noch in den letzten Lebensjahren sein Vorkommen im Norden,
obwohl Voss es in Dänemark kenneu wollte und demgemäss mir Nord-
westdeutschland westlich einer Linie Stettin-Dessau als das Gebiet frei-
stehender Dolmen und des vorwiegenden Stichornaments in der Keramik
aussonderte.
Unzweifelhaft bewährt aber hat sich Tischlers Einteilung, wenn wir
den Bernsteinschmuck der Steinzeit betrachten, wobei wir im Westbaltikum
nicht die rohen Arbeiten der Moor- und Erdfunde, wie der ältesten Dülmen,
sondern die kunstvolleren Stinke der jüngeren Ganggräber vergleichen.
Diese haben neben zahlreichen mit dem Ostbaltikum gemeinsamen Typen
als Besonderheit durchbohrte Knöpfe, hammerförmige und amazonenaxt-
förmige (doppelaxtförmige) Perlen; das Ostbaltikum dagegen hat undurch-
bohrte Knöpfe, besondere End- und Mitteillängestücke, sowie massenhafte
Knöpfe mit V oder Winkelbohrung. Letztgenannte Knöpfe kommen zwar
auch im Westbaltikum vor, aber nur sehr vereinzelt und dann bereits in
der ältesten Bronzezeit.
Von hervorragender Bedeutung für die Scheidung von Ost- und West-
baltikum in der Steinzeit sind schliesslich die Megalithgräber, deren älteste
Gestalt die freistehenden Dolmen sind, denen dann
1) Nach dem heutigen Stande der Forschung und der Terminologie muss man
eigentlich sagen: echtes Schnurornament im engeren Sinne.
14 Kunze:
endlich die grossen Steinkammern zunächst mit freier, später aber mit vom
Erdkugel verdeckter Steindecke folgen. Östlich der Oder zeigen sich diese
Megalithgräber, wie Voss im Jahre 1877 nachwies, nur noch unmittelbar
an der Oder im Kreise Kammin. Obwohl man östlich der Oder dasselbe
Geschiebematerial zur Verfügung hatte, erscheinen dort keine westbaltischen
Megalithgräber, sondern die ganz eigenartigen Formen der Trilithen und
der sogenannten cujavischen Gräber, die eine langgezogene dreieckige
Steinsetzung zeigen. Es ist klar, dass hier eine ethnographische Grenze
vorliegt, zumal noch die älteste Bronzezeit an derselben Stelle, der Oder,
gleichfalls eine Volksgrenze aufweist.
Nach Süden und Westen haben wir in der Steinzeit keine archäologisch
erkennbare Volksgrenze. Da wir aber die Germanengrenze bisher stetig
zurückweichen sahen, werden wir nicht fehl gehen, wenn wir ihre älteste
Heimat in Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Jütland, den dänischen Inseln
und Südschweden erkennen. Dieser Urzustand der germanischen Verbreitung
reicht bis in den Anfang des dritten Jahrtausends v. Chr. hinauf. Sehen
wir die Inder im Pendschab um 1500 v. Chr. ihre Veden dichten, weisen
Homers Gesänge auf die mykenische Kultur etwa derselben Zeit zurück,
sind also diese Völker nicht etwa als Indogermanen, sondern als volle
Inder und Griechen 1500 Jahre v. Chr. in ihren historischen Sitzen ge-
wissermassen litterarisch bezeugt, so haben wir nicht den geringsten Grund
uns zu wundern, dass Germanen ein Jahrtausend vor dieser Zeit an der
Ostsee wohnten.
Deutsches Volkstum und deutsche Kultur haben in ihrer kraftvollen
Überlegenheit es nicht nötig, zur Stütze weiterer Ausdehnung oder gar zur
Sicherung ihres Bestandes auf die Besitztitel vorgeschichtlicher Jahrtausende
zurückzugreifen, wie das andere Nationen nicht ohne Vergewaltigung der
geschichtlichen Thatsachen gethan haben. Uns Deutsche und mit uns alle
anderen Glieder germanischen Stammes kann es aber nur mit Stolz erfüllen
und bewundern müssen wir die Kraft des kleinen nordischen Urvolkes,
wenn wir sehen, wie seine Söhne in Urzeit und Altertum ganz Skandinavien
und Deutschland erobern und im Mittelalter über Europa, in der Neuzeit
über ferne Erdteile sich ausbreiten.
Volkskundliches vom Thüringer Walde.
Aus der Wiedersbacher Chronik des Pfarrer Möbius
herausgegeben von F. Kunze.
Im südlichen Teile des auf dem Thüringer Walde gelegenen Kreises
Schleusingen (Regierungsbezirk Erfurt, Provinz Sachsen) führt ein Kirch-
dorf den Namen Wiedersbach. Es gehörte ehemals zu dem fränkischen
Volkskundliches vom Thüringer Walde. 15
Gau Grabfeld, aus welchem sich später die Grafschaft Henneberg bildete,
die bekanntlich von 1583—1815 dem Hause Sachsen unterthan war und
nach Beendigung- der Freiheitskriege an Preussen fiel.
Im Pfarrarchive dieses friedlichen Dörfchens Wiedersbach, welches
urkundlich zuerst unterm Jahre 1311 erwähnt wird, befindet sich eine
ausführliche handschriftliche Ortschronik, die Anno 1842 von dem damaligen
Pfarrer Möbius mit grossem Fleisse verfasst worden ist. Auch des benach-
barten Filialdorfs Gerhardsgereuth. das 1181 als „ Gerhard isgirute" vor-
kommt, ist in diesem Foliobande gedacht. Ein volkskundliches Interesse
hat besonders der Abschnitt: „Gebräuche in Wiedersbach und
Gerhardsgereuth", weshalb ich denselben nachstehend mit geringen
Änderungen folgen lasse.
„Betrachtet man den Parochianer (den zum Kirchspiel gehörigen
Bauer) in seinem Hause, so findet man denselben mit bedecktem Haupte
auch im schwülsten Sommer, und in der heissesten Stube im Winter mit
der Pelzmütze auf dem Kopfe. Auch im Sommer heizt er ein, denn er
kocht, da er kein Kasseroi hat, das ganze Jahr im Stubenofen uud es ist
oft zum Umsinken heiss, wenn man aus der Sonnenhitze des Sommers in
die von Millionen Fliegen angefüllte Stube desselben eintritt. Es sind nur
wenige Ausnahmen, wo man im Sommer auf dein Herde feuert. In allen
Haushaltungen füttern die Männer das Vieh. „Willkommen!" ruft man
dem Eintretenden entgegen und reicht ihm die Hand; dem Weggehenden
sagt man: „Komm bald wieder!", worauf dieser spricht: „Es kann wohl
geschehen!" Eigentümlich ist die Art und Weise, wie die Frau wäscht.
Abends vorher wird die Wäsche in kaltem Wasser eingeweicht, am Morgen
ausgerungen oder auf den Tisch gebreitet, dass sie abläuft. Einige, jedoch
wenige, seifen dieselbe dann ein. aber auch sehr wenig stecken sie in den
Kessel, um sie in Lauge zu kochen. Hierauf trägt man sie entweder in
der Butte oder in einem Fasse ans Fliesswasser oder an einen Brunnen
(an welchem deshalb zwei Tröge sich vorfinden, dass das Trinkwasser
durch die Wäsche nicht verunreinigt werde) und schlägt mit kurzen
hölzernen Keulen (Bläuein)1) auf die Wäsche, spült sie am frischen W^asser
aus („flöht"2) in Wiedersbach, „lühet" in Gerhardsgereuth), „patscht" sie
wieder, lühet sie, ringt sie aus, brüht sie zur Winterszeit noch einmal,
während man sie im Sommer auf die Bleiche legt. Seife wird natürlich
sehr wenig gebraucht, aber die Wäsche ist auch nicht weiss.
Die Bibel, ein Tisch und zwei Stühle bleiben beim Verkauf des Hauses
Inventarium.
Das Gebet wird hier nicht so viel vernachlässigt, wie in anderen
Gegenden, wenn es auch hier und da nur gewo hnheitsmässig geschehen
1) Bläuel von bläuen = mhd. bliuwen schlagen, prügeln (Grimm, D. Wb. II. 111).
2) Flöhen (aus flauen, fleuen entstanden) und lühen, bedeuten beide die Wäsche im
Wasser auschwenken oder schweifen, Grimm, D. Wb. III. 1735. VI, 1286.
16 Kunze:
sollte. An jedem Morgen, Mittage und Abende mahnt, früh und abends
die mittlere, nachmittags die grosse Glocke die Gemeinde zum Gebet.
Jeder lässt da seine Arbeit stehen, faltet die Hände in stiller Andacht,
spricht ein Vaterunser oder ein anderes Gebet und wünscht dann den
Anwesenden einen „guten Abend!" Höchst ergreifend, wenn, während die
Glocke melancholisch dazwischen tönt, die ganze Familie entweder in
stiller Andacht mit entblösstem Haupte betet oder ein Kind der Familie
ein Gebet laut vorspricht. ') 0 dasss es nur überall so recht von Herzen
käme oder zu Harzen ginge! Ebenso beten die Daheimgebliebenen, wenn
wärend des Vaterunsers in der Kirche am Sonn- und Festtage angeschlagen
wird, ein Vaterunser. Auch ist keine Familie, die nicht vor Tische ein
Gebet spräche; z. B.:
„Trank und Speis' und jede Gabe, Preist mein dankbares Gemüte;
Die ich jetzt empfangen habe, Noch mehr wirst Du mir einst geben
Leib und Seele, Gut und Leben Dort in jenem Freudenleben.
Hast Du mir, mein Gott, gegeben. Mache Du mich selbst bereit
Diese Deine milde Güte Zum Genuss der Seeligkeit." —
Braucht der Parochianer einen Dienstboten, so dingt er ihn vor Weih-
nachten; denn Petri Stuhlfeier, 22. Februar2), zieht derselbe an. Der
Lohn an Geld ist gering, aber sie bekommen 10 — 14 Ellen Band, ein Paar
Schuhe, einen Hut, ein paar Pfund Wolle, einen „Flickert" 3) Leder, ausser
Jahrmarkt und Weihnachten. Sind die Dienstboten dem Herrn nicht recht,
so braucht er ihnen den Dienst nicht aufzukündigen, denn wenn der Herr
seine Dienstboten nicht fragt, ob sie bleiben wollen, so versteht es sich
von selbst, dass sie abziehen. Unangenehm ist es freilich, diese Sitte, den
Dienstboten zu fragen, festzuhalten, zumal dem Dienstboten ein gewisses
Übergewicht dadurch gestattet wird. Auch erhält derselbe jedes Jahr
Dinggeld. Verlässt ein Bursche seinen Dienst und giebt er in seiner Licht-
stube einen „Scheideweck" (Bier; Schnaps; auch wohl Musik), so erhält
er von den Mädchen der Lichtstube ein schönes seidenes Tuch, steckt
dasselbe beim Abzüge an den Hut oder an die Mütze, muss aber dann
auch, während die übrigen Mitglieder der Lichtstubengesellschaft seine
Sachen fortschaffen und ihn unter Schiessen begleiten, beim Abzüge aus
dem alten und beim Einzüge in das neue Dorf jeden Bewohner, der aus
dem Fenster sieht, aus einer Schnapsflasche, die er trägt, trinken lassen.
Auch die Mädchen werden von den Burschen ihrer Lichtstube begleitet,
es müsste denn sein, dass sie sich übel aufgefürt oder sich Feindschaft
1) War ehemals Sitte, besonders beim Läuten der mittäglichen Betglocke (cfr. Freybe,
Das deutsche Haus und seine Sitte 1892, S. 127).
2) Heute noch wird in fränkischen Gauen, überhaupt in Süddeutschland zum Peters-
tage, dagegen im Norden zu Martini von den Dienstboten die Herrschaft gewechselt.
3) „Flicket": ein Flicket Leder, so viel man zum Besohlen eines Schuhes oder Stiefels
nötig hat, Spiess, Henneb. Idiotikon, S. 63.
Volkskuudliches vom Thüringer Walde. 17
zugezogen hätten, wo sie dann nicht nur nicht Geleit erhalten, sondern
sogar unter trommeln auf Giesskannen bis ans Ende des Dorfes geführt
werden. Bis zum neuen Herrn begleitet die Lichtstube ihre verziehenden
Glieder, und dieser trägt ihnen von der Mittagskost auf. Zieht ein Dienst-
bote an, so erhält er von der Herrschaft einen Laib Brot, einen „Riemen"
Fleisch, auch wohl Kochspeise. Dieses geschieht wohl in der Absicht,
dass der Dienstbote bis zum nächsten Fleischtage nach Petri, an welchem
sie erst auszuziehen pflegen, Unterhalt haben könne.
In geselligen Kreisen ist das Gespräch des Bauern einförmig, der
Viehhandel ist Hauptgegenstand desselben. Er hört gern von Weltbegeben-
heiten, aber keiner hält selbst oder in Gesellschaft mit mehreren eine
Zeitung. Nur das Missionsblatt wird seit einigen Jahren von fünf Personen
gehalten. Allemal im Winter ist bei ihm Krieg in der Welt; „wenn der
Bauer in den Acker fährt, ist's Friede". Die Lichtstuben, die man Bauern-
kasinos nennen könnte, sind nicht wohl Bedürfnis, sondern für Ärmere,
die Holz und Licht sparen wollen, notwendig. Dahin geht man an den
Winterabenden zu einander, unterhält sich über Getreide- und Yiehpreise
oder spielt auch wohl Karten, während die Weiber, in einem Halbkreise
um das Licht herum sitzend, spinnen. Oft aber ist auch die Lichtstube
eine wahre Schlafgesellschaft. Talglichte („Gollichte")1) werden wenig-
gebrannt, sondern lange Kiefernspüne. die entweder durch eiserne, auf
Klötzen befestigte Scheren oder durch besonders dazu gemachte hölzerne
Leuchter, die man hoch und niedrig schieben kann, gehalten werden.
Die Lichtstuben sind in der Art, wie sie bestehen, ein wahres Gift. Die
anzüglichsten Reden und Lieder sind darin gang und gebe, und je toller
es hergeht, desto schöner ist den Besuchern die Liditstube. Am tollsten
geht es in der Lichtstube der 14— IS jährigen Leute her, welche polizeilich
unter keiner Bedingung geduldet werden sollte.
Das schändlichste Manöver ist hier der sogenannte „Fleischhaufen".
Dabei stellt ein Bursche einem Mädchen einen Fuss, so dass das Mädchen
fällt. Auf sie stürzt sich der Bursche, und unter wildem Geschrei folgen
sämtliche Mädchen und Burschen der Lichtstube durcheinander nach, Ins
sie alle auf einem Haufen liegen. So tummeln sie sich eine Zeitlang
unter wildem Geschrei auf den Dielen herum. Manches wohlerzogene
Kind ist schon in diesen Lichtstuben durch und durch verdorben worden.
Die „Lichtfrau", auch wohl noch der „Lichtherr", erhält von der Licht-
stubengesellschaft alljährlich ein Geschenk, ein Tuch, eine Schürze oder
dergleichen für die Aufnahme, die sie ihr gewährt, und die Mädchen sind
verbunden, wöchentlich abwechselnd ihrer Lichtfrau die Stube scheuern
1) Gölicht = Talglicht (Rcinwald I, 52; Schleicher, Volkstüml. aus Sonneberg, S. 67.
Schindler P, 893. Schmid, Schwab. Wörterb., S. 237. Vilmar, Hess Idiotikon, S. 119)
erklärt sich wohl aus der im Schlesischen erhaltenen Form Goklicht, Gokellicht: Licht im
Leuchter, womit man herumgokeln (hin und her lauten kann.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1S96.
18 Kunze:
zu helfen. — Silvester und Fastnacht sind die Hauptfreudentage der Licht-
stube. Da wird Kuchen gebacken, Kaffee gekocht, auch wohl Suppe,
Klösse und Fleisch angerichtet. Die Kosten tragen die Weibspersonen.
Die Männer oder Burschen sorgen für Bier, Schnaps und Musik. Hier
wird nun bis früh, Fastnacht sogar bis Mittwoch Abend geschwärmt.
Oftmals wird den ganzen Winter über nicht soviel zusammengesponnen,
als an diesen Abenden verzehrt wird, und manches arme Mädchen giebt
für die Lichtstube die Hälfte ihres Lohnes hin.
Ausserdem giebt es während der Spinnzeit im Winter sogenannte
Rockenstuben1), wozu die besten Freunde eingeladen werden; es ist dies
ein geselliges Vergnügen, recht in der Art der Kaffees in der Stadt. Hier
giebt es Kaffee und Eierkuchen, auch Brotkuchen und Pfannkuchen (Kräpfle),
Brezelsuppe, Kraut und Fleisch. Eine Brezel erhält jede Spinnerin beim
Nachhausegehen ans Rad. Bei diesen Festen sucht eine Frau die andere
in den Gerichten zu übertreffen. Auch die Schlachtschüsseln (Eisbän,
Eisbeine) sind ähnliche Gesellschaften; nur bekommt man hier Suppe
(Reis, Nudeln, Graupen mit Safran gefärbt; Gemüse, Meerrettig, Kohl)
und Rindfleisch, Sauerbraten und Klösse und zuletzt Sauerkraut und
Schweinfleisch; später, um 9 oder 10 Uhr abends, kommt noch frische
Wurst auf den Tisch. Überall wird nach üblicher Sitte die ganze Wurst
der Länge nach in zwei Hälften durchschnitten.1')
Neujahrsheiligabend werden „Talken"3) gebacken, wobei gekochtes
Obst zu einem Brei gequirlt, Anis und Pfeffer dazu gethan, das Ganze
dünn aufgetrieben und mittels Formen mit Figuren bedruckt wird; zuletzt
wird noch Runkelsaft darauf gestrichen.
Zu den öffentlichen Gebräuchen gehört folgendes: Am Neujahrsmorgen,
gleich nach 12 Uhr mitternachts, wünscht der Wächter auf seinen Ruforten
ein glückliches Neujahr, und bald darauf singt der Schullehrer mit seinem
Chor an vier Orten des Dorfes, zuerst am Pfarrhause, einen Gesang und
schliesst mit dem Liede: „Nun danket alle Gott". Dafür bekommen die
Sänger aus der Gemeinde 12 Batzen4) oder für dieses Geld Bier. — In
der Nacht zum ersten Pfingsttage setzt man dem Pfarrer, dem Schulzen,
dem Schullehrer, ingleichen jeder Bräutigam seiner Braut, zwei junge
Birken vor das Haus, und man kann daraus fast bestimmt vorher wissen,
welches Mädchen sich in diesem Jahre verheiratet. Auch wird in dieser
Nacht die ganze Kirche mit jungen Birken geschmückt (Psalm 118, 27).
Allemal am Klausmarkte in Eisfeld, der am Montag nach Nikolaus
(6. Dezember) fällt, maskiert sich das junge Volk, d. h. sie wickeln sich
1) Nach dem Spinnrocken (cfr. Vilmar s. v. Wocken, S. 457) so genannt.
2) Diese Sitte ist auch bei den Landbewohnern Nordthüringens noch lebeudig.
3) Talk ist eine süddeutsche Bezeichnung für eine teigige Masse aus Mehl, Lehm etc.
(Reinwald 1, 161; Schindler II2, 314; Schöpf 731).
4) 1 Batzen galt im Hennebergischen 5 Kreuzer Südd. W.
Volkskimdliches vom Thüringer Walde. 19
in Erbsenstroh mit einer selbstgefertigten Larve und einer Narrenmütze
von Stroh, oder man kleidet sich von oben bis unten wie Papageno in
Federn, in Troddeln von Leinenband oder in Schroten von Tuch mit einer
Narrenmütze von Pappe. Sie hängen ein Schellengeläute um sich und
springen so unter Klatschen mit Peitschen und Juch-Schreien aus einer
Lichtstube in die andere,' lassen dort die Mädchen oder in anderen Häusern
die Kinder beten, teilen Äpfel und Nüsse aus, nehmen aber auch überall
Geschenke an. Kehren sie in ein Haus ein, so klopfen sie artig an —
und Rupperich und Nikolaus1) treten ein: N. Ruppert, Ruppert, Herr
Ruppert, 's ist warm dahier! — R.: Ja, beim Ofen, Nikolaus, das glaub
ich dir. — N. Ruppert, Ruppert, die Leute sehn uns an. — R. Ich danke
Gott, dass wir beim Ofen stahn. — N. Hans Flederwisch, komm auch
herein. — Fl. Ja, wenns die Leut' zufrieden sein. — N. Wollten sie's
nicht zufrieden sein, so schlagen wir ihnen die Fenster ein. — Fl. tritt
ein und spricht: „Ich bin der Hans von Flederwisch, kann die Kinder
schon erwischen hinterm Tisch, vor dem Tisch, in den Ecken, wo sie
stecken, und schreien sie alle mordjo, so rufen wir doch nur ho! ho!"
1. Lebensart der Bewohner.
Die meisten Bauern leben sehr einfach: der Gerichte sind wenige und
den wesentlichen Teil derselben machen die Kartoffeln aus, die man hier
reichlich und von recht gutem Geschmack baut. Wollte man den Küchen-
zettel für den Mittag der ganzen Woche entwerfen, so würde er mutatis
mutandis additisque addendis sein: 0 Klösse aus rohen Kartoffeln, ]) die-
selben aufgewärmt, oder Erbsen, d* Kartoffelsuppe und Kuchen („Tätscher"),
¥ Dulch, Zammete, 4 Klösse wie O, $ Kartoffelkuchen und Kraut, t Linsen.
Zum Frühstück werden entweder rohe Kartoffeln von einander geschnitten
und in den an allen Öfen befindlichen blechernen Röhren, linksum an-
geklebt, gebraten, oder* die Kartoffeln werden in der Schale gekocht, und
aufs blosse Tischtuch geschüttet und entweder (und zwar meist) mit Salz
gegessen oder auch mit Preisseibeeren („Hölperle, Musjucken")2), rohem
Kraut, geronnener Milch, grünem Salat oder auch mit den Überbleibseln
vom Mittagsessen genossen. Man geniesst auch die sogenannten gesalzenen
Erdäpfel: es werden die geschälten Kartoffeln mit Salz und etwas Kümmel
gekocht, und etwas braune Butter oder gebratener Speck darüber gegossen.
Statt des Kaffees trinkt man Runkelrübenbrühe.
Zu den bemerkenswerten Speisen gehört vor allem die Lieblingskost
der Henneberger überhaupt und der hiesigen Bewohner insbesondere, die
1) Der „HeiTsc-hei-upperich'' (der herrisch und anmassend auftretende (?) Knecht
Ruprecht) ist mit dem „Herrschekloas", im Fränkischen identisch.
2) Vgl. Reinwald I, 211. Schleicher G7; Vilmar 175 und Schmeller P, 1083.
2*
'20 Kunze:
Klösse aus rohen Kartoffeln1). Die Kartoffeln werden roh geschält, gerieben,
abgewässert, ausgepresst, Salz darauf gestreut, dann mit Wasser oder Milch,
oder Kartoffelbrei oder Hirsebrei gebrüht, gemengt und, nachdem Semmel-
brocken in die Mitte gelegt sind, geformt, dann in sprudelnden Brunnen
gethan, wo sie eine Stunde kochen müssen. Sobald sie herausgethan sind,
müssen sie gleich gegessen werden, sonst sind sie so fest wie Kanonen-
kugeln. Merkwürdig, dass die Eingeborenen diese Klösse leidenschaftlich
essen, während sie jeden Eingewanderten anwidern.
Ausserdem kennt man gebackene Klösse, Stärkemehlklösse und
Schüttelklösse. Als Brühe zu den Klössen benutzt man die Bratenbrühe,
Wiesenkohl, Schwämme, Petersilie und Porree, Milchbrühe, Schnittlauch
und Petersilie.
Tätscher2): eine Art Kuchen aus rohen Kartoffeln (gerieben, gepresst,
gebrüht wie die Klösse); mau legt diesen Teig in eine mit Fett oder
Butter versehene Pfanne von Blech.
Leberkuchen: die Leber wird gewiegt, mit Salz und Pfeffer, sowie
mit in Milch geweichter Semmel gemengt, dann in Fett mit Zwiebeln fest
gebraten. Ähnlich wird die Küchelwurst bereitet, wozu man statt der
Leber Blut verwendet. Ein nahrhaftes Gericht sind saure Runkelrüben-
stiele. Hier wird der Stiel des Runkelblattes in ganz kurze Stückchen
geschnitten, einigemal abgekocht und abgeseiht und darüber eine saure
Eierbrühe gegossen. Besondere Kompositionen sind: Kraut und Dulch
oder Zammete, Klösse mit Salat, Kartoffelmus und Salat. — Im Sommer
gemessen sie sehr oft Schwämme, welche in der Nähe wachsen, z. B.
Ilirschschwämme, Ellerschwämme, Eier-, Milch- und Butterschwämme, die
verschieden zubereitet werden. Da die Leute in der sommerlichen Arbeits-
zeit kein Fleisch mehr haben (nach ihrem Grundsätze: der Bauer muss
das Fleisch im Winter essen, damit er im Sommer Kraft hat), so suchen
sie dasselbe durch Kuchen zu ersetzen. Man geniesst Suppe, dann ge-
backenes Obst („Schnitze") oder saures Kraut oder Hirsebrei und dann
jedesmal Kuchen; wer Fleisch hat, auch Klösse und Fleisch.
Bei Kindtaufen und Hochzeiten erhält jeder Gast 1/4 Kuchen auf
den Teller; auch giebt es Reissuppe, Gemüse und Fleisch (Klösse und
Braten), Sauerkraut und Schweinefleisch (oder Bratwurst), wieder Braten
(Gänse, Schöps), Hirsebrei und Zwetschen. Auf dem Hirsebrei befinden
sich grüne Zuckerplätzchen und kleine Rosinen. So oft der Hirsebrei
ohne Butter ist, muss er wieder geschmälzt werden. Hat man gegessen,
so werden jedem zwei Viertel Kuchen (ein Schmalzviertel und ein trockenes),
hernach ein grosser Pfannkuchen oder eine Bretzel oder eine „zerrissene
1) Im Henneberg. „Hutes" genannt. Das Wort ist dunkler Herkunft ; Reinwald I, ('.'.).
II, 62. Schneller, I2, 1191; Spiess, Volkstüml. aus dem Fränk.-Henneb. 1869, S. 16.
2) Dätscher oder Deitscher ist. ein auf dem Blech oder in der Pfanne gebackentr
Kuchen aus vermengtem Weizen- und Kartoffelmehl (Reinwald IT, 125. Vilmar 163).
Volkskundliches vom Thüringer Walde. 21
Hose" (eine Art Gebäck aus Weizenteig) aufgelegt; nach Beendigung der
Mahlzeit wird noch das Lied gesungen: „Nun danket alle Gott". Abends
um 10 bis 11 Uhr giebt es nochmals Kaffee und Kuchen.
2. Kleidung.
Die Sonntagskleidimg der alten Männer besteht gewöhnlich aus einem
grossen runden Kamme, welcher das lange Haar ringsum zusammenhält
(bis in die letzten Jahrzehnte war dies die Tracht der Gerhardsgereuther.
wesshalb sie die „Schüttelköpf" genannt werden); einem schwarzen seidenen
Halstuche, unter dem noch ein gebundenes weisses sich befindet; aus einer
schwarzen mit rotem Futter verzierten und mit Knopflöchern bis über
die Knie versehenen Oberweste („Motze"1) oder aus einem blauen Rocke
mit übersponnenen und metallenen thalergrossen Knöpfen oder einer
langen tüllenen Weste („Buselappe") mit metallenen Knöpfen; einer kurzen,
bis über die Knie reichenden bocksledernen Hose; weissen Strümpfen und
Schuhen mit grossen, silbernen Schnallen. Unter der Weste tragen sie
einen oder zwei Lätze. Die schwarzen Röcke, die sie zum Abendmahl
und Leichentragen anziehen, sind ihre Bräutigamsröcke. Unter dem drei-
eckigen Hute tragen sie eine mit Pelz verbrämte Sammetmütze, die früher
mit Goldtressen besetzt war.
Die Alltags- oder Werkeltagskleidung ist gewöhnlich zusammengesetzt
aus einem dreieckigen Hute, dessen Krempen man in der Sonnenhitze und
im Regen herunterschlägt; einer langen, ledernen, manchesternen odei
schwarzen (bei jungen Burschen auch roten) Weste und einer kurzen
ledernen oder auch weisslinnenen Hose.
In Gerhardsgereuth gehen die Bewohner meist barfuss, in Wiedersbach
sind sie dagegen angethan mit langen, weissen Strümpfen, grossen Schuhen
oder langen Stiefeln; in Wiedersbach aus einem langen, sonst weissen,
(seit zehn Jahren aber blauen) Staubhemde, in Gerhardsgereuth aus einem
von weisser Leinwand, gemachten Rocke („Motzekittel"). Zuhause und
auf dem Felde setzen sie im Sommer und Winter eine grüne Pelzmütze
auf, deren schmales Gebräm sie vorn, das breite hinten tragen. Holz-
schuhe sind ziemlich im Gebrauche; die Jacken nennen sie „Koller".
Die Weiber tragen an Sonn- und Festtagen Hauben mit schönen ge-
stickten Haubenfleckchen, die in Gerhardsgereuth und Neuendambach, wo
die Deckel der Haube bunt und wie im Zählbrett geformt sind, vollständig,
dagegen hier in Wiedersbach, wo das Fleckchen in einer Erhöhung der
Haube versteckt liegt, nur wenig gesehen werden. Ein schönes seidenes
Tuch befestigt die Haube auf dem Kopfe. Am Halse tragen sie Perlen
von verschiedener Farbe (schwarz, blau. grün, weiss) von Glas oder
1 Motze, Mutze = Mannesrock; heute im Kreise Schleusingen weniger gebräuchlich.
22 Kunze:
Steinen (Nüster, Patterle1). Das Mieder oder Leibchen ist eine Art Ober-
Jäckchen, doch auf besondere Art gearbeitet, einst von rotem Tuch, jetzt
aus Manchester. Über dieses ziehen sie nicht selten ein Oberjäckchen,
meist von blauer Leinwand (Schapp, Schäpper8). Ein langer, vielfältiger
schwarzer, grüner oder blauer Rock deckt den übrigen Teil des Körpers.
Früher war ein Büffelrock mit scharlachnem Mieder die grösste Pracht.
Die gebrämte und gewürfelte oder gestreifte Schürze heisst Schurzlappen.
Sie tragen meist graue oder blaue Strümpfe mit Zwickeln. Da ein Teil
der Weiber gegen ein leinenes Schnupftuch (Hader, Hadel) sich von
herumziehenden Haarhändlern die Haare abschneiden lässt und ein anderer
Teil zu bequem ist, die Haare an jedem Morgen auszukämmen, so sehen
sie sich zu diesem Kopftuch genötigt. Es sieht erschrecklich aus, wenn
unter diesem Hadel die ungekämmten Haare hervorsehen, und ich habe
es darum in der Schule bei Strafe verboten, diese Hadel aufzustocken,
weil sie nur ein Beförderungsmittel der Unreinlichkeit und des Ungeziefers
sind. — Auf dem Wege nach der Stadt sieht man ebenso wie bei der
Feldarbeit einen Strohhut mit schwarzem Bande oder einen sogenannten
„Pferdekopf" mit bunten Bändern oder Strohblumen verziert, auf dein
Kopfe der Weiber und Mädchen.
Eine besondere Tracht bildet die Hochzeitskleidung, welche auch
bei anderen Feierlichkeiten (Kirchweihen, Kindtaufen, Jubiläen u. s. w.)
üblich ist. Dem Bräutigam wird an der rechten Seite des Kopfes ein
Kränzchen befestigt, welches unten mit einem roten Bande eingefasst ist.
Aus der Mitte des Kränzchens ragen verschiedene Blumen hervor, deren
Gestalt in messingenen Plättchen eingeschlagen ist. Auch sind Eicheln,
Sterne, Sonne und Mond in diese Plättchen eingeschlagen. Solche
Kränze („Flämmerleskränz") tragen nur die (sogenannten) Junggesellen.
Der Bräutigam trägt noch einen mit schimmernden Bändern geschmückten
Strauss an der linken Seite seiner Brust oder auch am Arm. Die Braut
hat ein gleiches Kränzchen auf dem Kopfe, und zwar auf der Mitte, wo
alle Haare aufgestreift zusammenlaufen, so dass man eine gekrönte Pyra-
mide vor sich zu sehen glaubt. Unterhalb des Kranzes ist ein etwa drei
Quadrat-Zoll grosses, aus zusammengelegtem roten Bande mit vielen Steck-
nadeln durchstochenes viereckiges Stück (Klitsch3) befestigt und unterhalb
des Nackens an ein Perlenband gebunden, welches auch Nüsterband heisst.
1) Nüster f., plur. = Perle, Glasperle, Perlenschnur als Halsschmuck für Frauen.
Dasselbe wird auch durch „Paterlich" bezeichnet. (Beide Worte stammen von Paternoster,
dem Rosenkranz ab. Cf. Reinwald I. 111, II. 92; Schleicher 65; Schmerler I8 17G8;
Vilmar 288; Stalder II. 244: Schöpf 477.)
2) Schaper, Schäpper = Spenser, Janker: Schindler II2 436.
3) Klitsch = roter Bänderaufsatz in Pyramidenform auf dem Haupte der Braut (daher
in Schleusingen der Ausdruck „Klitschebraut"), gleichbedeutend mit „Schappcl". Cf.
Firmenich, Völkerstimmen II. 155.
Volkskunrllichcs vom Thüringer Walde. 23
Reine Jungfrauen allein sollen diesen Schmuck tragen, aber!! — Zu be-
merken ist noch das sogenannte Feiertagshemd, welches oben mit feineu
Spitzen besetzt ist. Die Ärmel desselben werden nicht eingenäht, sondern
eingehängt. Der übrige Teil, der den Busen und Leib umgiebt, ist wie
ein gewöhnlicher Weiberrock oder Kleid gearbeitet und in viel Falten
gelegt; man braucht zu demselben fast ebensoviel Leinwand als zu einem
gewöhnlichen Rocke oder Oberkleide. Bei Begräbnissen tragen die Weiber
schwarze Mäntel, Tücher und Hauben und die Träger haben ebenfalls
schwarze Kleidung.
3. Wohnung.
Die Wohnungen haben einerlei Beschaffenheit: die Giebelseite des
Hauses sieht auf die Strasse uud hat nicht viele Fenster. In der Lang-
seite befindet sich die Hausthüre. Die Stube ist ziemlich geräumig, hat
meist vier Fenster und an sie stösst die Kammer, jedoch ohne Zwischen-
schied, meist durch einen Bretterverschtag, öfter nur durch Vorhänge ge-
trennt. Beim Eintritte ins Haus befindet man sich der Küchenthür gegen-
über. Die Küche, den Herd eingerechnet, sieht keineswegs einer Küche
ähnlich: weder ein Küchentisch noch ein Kuchenbrett ist anzutreffen und
nur ein ganz kleines Fenster erleuchtet sie. Der Stubeuthür gegenüber
ist die Treppe, welche in das kleine Oberstübchen führt und an deren
Fusse vorbei der Weg in den Viehstall geht. Aus dem Hausflure gelangt
man überall durch einen Gang zwischen dem vorderen und hinteren Stalle
(oft auch durch eine Kammer) in den hinteren Hof, so dass kein Haus-
bewohner, der in den Hofraum gehen will, einen Fuss nass zu machen
braucht. Die Wohnungen, in denen bloss eine Familie wohnt, sind be-
quem. Durch die doppelten, ja dreifachen Haushaltungen unter einem Dach,
besonders wenn viele Kinder da sind, werden die Stuben beengt; sie würden
aber doch noch geräumig genug sein, wenn nicht die Ungeheuer von
Öfen einen grossen 'Platz einnähmen. Trotzdem herrscht aber hier wie
auf dem ganzen Walde eine ausserordentliche Reinlichkeit, die jedem
Fremden wohlthut. Die Dielen, die wöchentlich wenigstens einmal ge-
scheuert werden, sind sehr weiss und die Fussdecken von Leinwand, die
man auch in den ärmsten Wohnungen antrifft, erhalten dieselben. Sand
wird nicht eingestreut. Zum Abtreten der Füsse an der Stubenthüre findet
man Strohbüschel oder Streureisig. Doch sind die Wohnungen sehr
feucht, teils durch die grossen im Ofen befindlichen Blasen (eiserne,
unten abgerundete Töpfe), noch mehr durch das stete Brühen in der
Stube. Vom Fensteröffnen weiss man nicht viel; bei furchtbarer Hitze
lässt man nur ein kleines Spältchen offen. Die Stube war sonst ganz
getäfelt, jetzt ist sie es oft nur noch halb. Man hat dieses Täfelwerk ab-
reissen müssen, weil seit etwa 1816 sich ein Ungeziefer (Russen genannt,
24
Prato:
blatta orientalis) unter demselben einnistete. In den Stuben findet man
ein Kannenbrett, auf welchem zinnerne Flaschen, Gläser, auch wohl Teller
stehen; unter diesem Kannenbrett ist das Bett aufgestellt. Dem Ofen
gegenüber in der anderen Ecke steht der grosse Tisch und um denselben
an zwei Seiten die an der Wand befestigten Bänke; in einigen Häusern
findet man auch ein Kanapee von Holz, ohne Polster, einer Gartenbank
nicht unähnlich. Ausser einigen hölzernen Stühlen am und zwei finger-
starken Stangen um den Ofen, auf denen Sonnabends die Wäsche getrocknet
wird, findet man nichts weiter in den Stuben.
Die Scheune („Stadel") ist ganz von Holz, ringsum mit Brettern zu-
geschlagen, unten zu Heu, oben zu dem wenigen Stroh. Einen Hof giebt
es in Wiedersbach bei den wenigsten Häusern, dagegen in Gerhardsgereuth
bei den meisten.
(Schluss folgt.)
Sonne, Mond und Sterne als SckönlieitssymMe
in Volksmärchen und -Liedern.
Ein kritischer Beitrag zur vergleichenden Völkerpsychologie
von Dr. Stanislaus Prato.
(Fortsetzung von Zeitschrift V, 363-383.)
In den germanischen und vor allen Dingen in den slavischen Volks-
märchen1) bilden der Morgenstern2) und die Morgenröte, die in wunderbar
poetischer Weise personifiziert erscheinen, ein häufiges Motiv und sie
werden daselbst in symbolische Beziehungen zu einander gebracht. Der
Morgenstern Lucifer, mit dem oft die Schönheit irgend einer anmutigen
Jungfrau verglichen wird, tritt in einer Volkssage der Ojibwas in Nord-
amerika als persönliches Wesen entgegen; dort verliebt sich ein junges
Mädchen in die Schönheit der Aurora3), sie verzehrt sich in Sehnsucht
nach dieser und ergeht sich unaufhörlich, aber umsonst in verzückten
Betrachtungen; endlich erbarmen sich die vier Winde des Himmels ihrer,
sie entführen sie und tragen sie zum fernen Horizont, wo die Morgenröte
glänzt, deren ewige Gefährtin sie nun als Morgenstern wird. Ein rührendes
1) In diesem Abschnitt, in denen nach Volksmärchen verschiedener Länder selten
schöne Mädchen im Schmucke der Sonne, des Mondes und der Sterne geschildert werden
benutzte ich die vergleichenden Anmerkungen zu No. 1 der Indian Fairy Tales von
Maive Stokes, § 1-3 und etwas von § 4, SS. 240-242.
2) In einem serbischen Volkslied ist der Morgenstern ein Jüngling, der sich in die
Morgenröte verliebt hat.
3) Dante nennt die Venus, die wie eine Verliebte der Sonne, des Abends als Hesperus,
nachfolgt und des Morgens als Lucifer vorangeht im 8. Ges. des Paradieses: La Stella |
Che il sol vagheggia or da coppa or da ciglio, d. h. den Stern, der bald sich nach dem
Sonnenlichte von vorn, bald in ihrem Rücken sehnt.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 25
estlmisches Volksmärchen lautet1): Wänna-Issi (Altvater) hatte zwei
unsterbliche Diener, einen Jüngling und ein Mädchen. Zu diesem, das
Ämmarik (Abendröte) heisst, spricht er: Töchterchen, dir vertraue ich
die Sonne, lösche sie aus und verbirg das Feuer, dass kein Schade geschehe.
Dann zu Koit (Morgenröte): Söhnchen, dein Amt ist die Leuchte zu neuem
Lauf wieder anzuzünden. — Keinen Tag fehlt die Leuchte am Himmelsbogen;
Am Winter hat sie lange Rast, im Sommer nur kurze Ruhezeit, und Ämmarik
übergiebt die erlöschende unmittelbar den Händen Koits, der sie alsbald
zu neuem Leben anfacht. Zu einer solchen Zeit sehen beide einmal sich
zu tief in die braunen Augen, ihre Hände fassen einander, ihre Lippen
berühren sich. Altvater sieht es und spricht: Seid glücklich als Mann
und Weib. Sie antworten : Alter, störe unsere Freude nicht, lass uns ewig
Braut und Bräutigam bleiben, so ist die Liebe immer jung und neu. Nur
einmal im Jahr, vier Wochen lang, kommen beide zur Mitternachtszeit
zusammen. Dann legt Ämmarik die erlöschende Sonne in die Hand Koits,
ein Händedruck und ein Kuss beseligt sie. Die Wange der Ämmarik
errötet und spiegelt sich rosenrot am Himmel, bis Koit die Leuchte wieder
anzündet. Weilt Ämmarik zu lange, so ruft ihr die Nachtigal scherzend
zu: Säumiges Mädchen, die Nacht wird zu lang.
Bei Dante heisst es von der persönlich gefassten Morgenröte im
Purg. II, 7 ff.:
. . . Le bianche c le vermiglic guancie
La dove io era, dclla bell'aurora
Per troppa etate divcnivan rance.
Ariost ferner sagt im Orlando Furioso XXIII, 52:
Poichc l'altro mattin la bell'Aurora
L'aer seren fe' bianco e rosso e giallo.
Und Torquato Tasso in seiner Gerusalemme liberata III, 1 Str.:
Giä l'aura messaggiera erasi desta
A«nunziar, che se ne vien l' Aurora;
Ella intanto s'adorna e l'aurea testa
Di rose colte in paradiso infiora.2)
So häufig, wie in den Volksmärchen das Bild der Sonne, des Mondes
und der Sterne zur Bezeichnung weiblicher wie männlicher Schönheit ver-
wendet ist, begegnet es nun auch in den Volksliedern und ebenso in der
Kunstpoesie verschiedener Länder; beliebter noch als die Sonne war aber
bei den Orientalen, wie wir gesehen haben, der Mond3) als Symbol
1) Vgl. für dasselhe Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Göttingen, 1856,
III, Bruchstücke, 385.
2) Auch die Griechen nannten die Morgenröte "Ecog {joöoddy.ndo? (die rosenfingrige).
Vgl. F. Petrarca, Oanzoniere, Bd. I, S. 187: Due rose fresche e colte in paradiso.
3) Hier fallen mir die folgenden beiden Verse eines deutschen Dichters ein:
Wo Mondschein die duftige Primel umlebt,
Da werde der luftige Reihen gewebt,
26 Prato:
besonders der weiblichen Schönheit. Die persischen Rhetoren nennen
diese Figur ighräb (Absonderlichkeit). In einem Verse von Saadi heisst
es so: Nie habe ich einen Mond mit gelocktem Haar und nie eine Cypresse1)
(einen zart gebauten Wuchs) in einem Gewände erblickt (nur du wärest
beides). In gleichet Weise sagt ein anderer persischer Dichter El Mokhtäri:
Ein Mond wäre es, hätte der Mond den Wuchs der Cypresse; eine Cypresse,
hätte die Cypresse den Busen des Mondes. Ein Nachkomme von Khosrou
Anouchirvän (Chosroe dem Grossen), der Dichter Medj Ed din Hamgar,
hat dasselbe Gleichnis gebraucht; er sagt: Wenn wirklich jemand einmal
einen funkelnden Mond auf dem Gipfel einer schlanken Cypresse gesehen
hat, war jener dann nicht dein Antlitz und diese nicht deine Gestalt?
(Vgl. Garcin de Tassy, Rhetorique et prosodie des langues de
TOrient musulman, S. 36; Huart, Anis ET Ochchäq, S. 95— 9G).
Rudeghi, ein anderer persischer Dichter, schrieb, um in dem Fürsten die
Lust zu erwecken in Buckhära zu wohnen, ein lyrisches Gedicht, das
folgende Stelle enthält: Der König ist der Mond und Buckhära der Himmel,
und geht nicht allzeit am Himmel der Mond auf! Der König ist eine
Cypresse und Buckhära ein Garten, und kommt die Cypresse nicht allzeit
dem Garten zu!2)
Beiläufig sei hier auf die Bemerkung De Gubernatis' zur Personifizierung
des Mondes hingewiesen, dass die Mondfrau die Wohlthäterin des Prinzen
Sonne und der Prinzessin Morgenröte ist, wenn der Zauberer, der Popanz,
die Hexe oder die Finsternis der Nacht sie verfolgt. Er erinnert daran,
dass in den Vedenhymnen der Mond am Abend vor dem Vollmonde
Anumati oder die gnädige, bei Vollmond Räkä, die glänzende, und an
den beiden Neumonden Sinivali und Kuhn oder Gufgu heisst. Der
junge Mond zu Neumond wird als subahü, kleinarmig, und svanguri,
schönfingrig, gepriesen. Von Sinivali heisst es auch, sie bereite den
jungen Keim, lege den zeugenden Keim an. Der weibliche Charakter der
Räkä tritt deutlich zu Tage, wenn sie im Rigveda emsig an der strahlenden
Arbeit mit unzerbrechlicher Nadel näht; es ist dies der goldene Schleier,
Auch die folgenden:
Diese Erd' ist so schön, wann der Lenz sie beblümt
Und der silberne Mond hinter dem Walde steht,
Ist ein irdischer Himmel,
Gleicht den Thalen der Seligen.
Sowie:
Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält.
Wundervolle Märchenwelt,
Steig' auf in der alten Pracht. (Tieck, Octavianus, Prolog.)
1) Ein Lieblingsbild der persischen Dichter.
2) Italo Pizzi, Manuale di letteratura persiana, Milano, U. Hoepli, 188'
Cap. III, 1, Seite 80.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 27
das Gewand, das Kleid oder das Hemd, das zur Hochzeit der jungen
Sonne bestimmt ist, das Tuch, das Penelope für ihren umherirrenden
Gatten Odysseus unablässig webt. Gleich nachdem von der Arbeit die
Kode gewesen, welche Eäkä, die strahlende Mondfrau, zu nähen hat, ergeht
in dem Vedahymuus an diese die Aufforderung, den Heros mit den hundert
Gaben, der gefeiert zu werden verdiene, den jungen Sonnengott, zu er-
schaffen. Später sind diese Worte eine religiöse Formel geworden, die in
das häusliche Glaub ensceremoniell überging, und immer, wenn die Geburt
eines Kindes bevorstand, griff man zu ihr, um Glück auf dasselbe herab-
zuflehen. Die Verwunderung aber, die die Vorstellung erregen könnte,
dass die Mondfrau, wenn sie das Gewand nähe, ein Kind ans Licht bringe,
wenn man an die Wahrscheinlichkeit eines Doppelsinnes in der Sprache
denkt, den die Sanskritwurzeln siv, syu, su, nähen (daher das vedische
süci, Nadel, das was näht; daher auch das indische Wort sütra, Faden,
und das lat. suere, nähen, sowie sutor, der Schuhnäher) und die Wurzel
su, erzeugen (daher die Sanskritwörter süta, sunu, Sohn) hervorgerufen
haben mögen.1)
Um wieder zu unserem Gegenstande zurückzukehren, so singt der
amerikanische Dichter Longfellow von einer Frau: Du hast wie die Sonne
so goldiges Haar. Der Sanskritdichter Bratrihari richtet an eine Geliebte
die Verse: Was nützen mir Sonne, Mond und Sterne, was nützen mir
Fackeln? Finsternis umgiebt mich, wenn meine Herrin fern von mir
weilt. Auch Kalidasa singt im Meghadüta: Jedesmal, wenn ich das helle
Antlitz des Mondes habe schauen müssen, gedachte ich des Glanzes, den
ich so oft aus deinem Angesicht habe strahlen sehen. 2
Wenn mau über die Verschiedenheit hinwegsieht, die in der Ver-
tauschung des Mondes mit dem Morgenstern liegt, so findet man ein ähn-
liches Bild auch in der hebräischen Poesie, nur dass es hier mehr die
Bedeutung einer einfachen Metapher, als diejenige eines Mythus besitzt,
ebenso wie in einigten oben berührten Volksmärchen, in denen auf den
Morgenstern angespielt wird. So ruft der Prophet Jesaia (XIV, 12) aus:
Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern (Sohn der
Morgenröte)? In einem arabischen Volksliede liest man: In ihren Augen
habe ich den Vollmond glänzen sehen. In einem anderen: Eine Licht-
woge ist sie, und ihre Zähne gleichen dank ihrem Glänze dem Vollmonde
wahrlich, der soeben im Osten aufging. In einem khecinischen oder quechuea
1) Mitologia comparata di Angelo de Gubernatis, Milano, U. Hoepli, 1880,
Lettura quarta: II sole, la In na, le stelle, S. 92; daher tragen Kinder, die unter der
Herrschaft des Mondes geboren wurden, bisweilen dieses Gestirn als Schmuck an ihrem
Leibe.
2) Derselbe Dichter singt, als er von der Lotusblume spricht: Wenn die Scheibe des
Mondes (wörtlich des Mondgottes) verschwindet, schliesst sich, traurig wie die Gattin ist,
deren Gemahl sich entfernt, die Lutusblume der Nacht.
28 Prato:
Volkslied begegnet dasselbe Bild: Schimmernd ist ihre Stirn wie der Mond,
wenn er am Horizont hoch aufgestiegen ist und all sein Licht nun von
dort ausgiesst.
Man trifft unser Bild auch in der Revue des langues romanes
1889, 1. Heft (Poesies inedites, S. 116):
Com del solheih, qu'es mot clars et luzens,
Hern per sos rais enluminat sa jos,
E jes nol pot corrompre locx brumos,
Tot enayshi, Dona pros avinens,
Vostra beautat(z) los aymans esclarsish,
Don so joyos, menan vida pompoza;
Mas jes per so vostre pretz nos delish,
Can mal vos ditz Favols gens envejoza.
In den Cantos populäres do Brazil, colligidos pelo Dr. Sylvio
Romero, Lisboa, 1883, Bd. II, S. 51 — 52 liest man:
A mais linda bizarria Resplandece corao o sol,
Isto näo vai o major, Ah! meus Dens, näo abrazar,
E tao claro como ') o dia, Adeus, minha linda rosa,
Resplandece como o sol. Adeus, querida e amada.
Ebendaselbst S. 27 ferner: und S. 47:
Se as estrellinas brilhassem A estrella que no ceo gira,
Todas juntas de uma vez, Näo tem brilho, näo tem luz,
Näo dariam uma idea Como esses olhos, menina,
D'esses teus olhos crueis. Meu martyrio, minha cruz.
In den Cantos populäres do Archipelago Aporiano, publicados
e anotados por Theophilo Braga, Porto 1869, S. 30 findet sich folgendes
Bild, das von der Farbe des Himmels ausgeht und zum Preise der blauen
Augen einer Geliebten dient:
Oh olhos azues garridos
En campo de azul Celeste
Lembra te que eu que fui tua
0 tempo que tu quizeste.
Mit den vorhergehenden verknüpfen sich durchaus auch die weiteren
Bilder auf S. 97:
A vossa testa e espelho
Onde, o sol se vae mirar,
Onde vae tomar altura
Dos rajos que hade botar.
auf S. 98:
Vossas mäcas do rosto
Como a rosa alexandria
Däo tanta luz de noute
Como o proprio claro dia.
1) Como für come war auch dem altitalienischen eigentümlich, und Beispiele für
seinen Gebrauch finden sich bei Dante Alighieri, Dante da Majano und Francesco da Barberino,
vgl. auch sicil. comu.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 29
und auf S. 100:
Os vossos cabellos, secia,
E que vos däo toda a graea,
Parecern meadas de ouro,
Aonde o sol se embaraca.
In der Biblioteca de las tradiciones populäres espanolas, Bd. V,
S. 86—87 liest man folgende Verse:
Tienes los ojos azules, Tus cejas son medias lunas,
Ojos de color de cielo, Tus ojos son dus luceros,
Yal cielo le daras cuenta Que alumbran de noche y dia,
Del mal que hiciste con ellos. Siendo mas que los dol cielo.
Ein andalusisches Volkslied lautet:
En fronte el sol saliente
Tiene mi nina el balcon,
Säle el sol, sale mi nina.
Sälen mi nina e el sol.
Diese anmutigen Bilder, zu denen der Himmel und die Himmels-
körper, also die Sonne, der Mond oder die Sterne, begeistert haben um
die Schönheit geliebter Frauen, freilich durchaus hyperbolisch, zu
schildern, sind aber bei keinem Volke so häufig wie bei den Griechen,
den Humanen1) und den Italicnern: ich werde zunächst eine Auswahl
1) In den Liedern aus dem Dimbovitzathal, aus dem Volksmunde ge-
sammelt von Helene Vacaresco, ins Deutsche übertragen von Carmen Sylva, Bonn,
Strauss, 1889 (eine italienische Übersetzung rührt her von der Contessa Anna Miliani
Vallemani, Cittä di Castello, S. Lapi, 1891) stösst man auf einige verwandte Bilder, vgl.
folgende Lieder:
Zigeunerlied (S. 73; Ital. Übers. S. 121).
Und pochst du des Morgens ans Fensterlein,
Rasch mach' ich es auf, dass hereinweht dein Hauch,
Danu gucken zwei Sonnen ins Zimmer hinein —
Sprich, Himmel: hast du zwei Sonnen auch?
Dann lacht der Himmel in guter Ruh,
Er weiss, wen ich liebe, und der bist du.
Wenn der Audere abends ans Fenster tritt,
Dann wird ganz geschwiud es ihm zugemacht,
Doch bringt er immer zwei Nächte mit.
Hilf Himmel! hast du denn zweimal Nacht?
Dann macht der Himmel ein schlau Gesicht.
Er weiss es ja: den da, den lieb ich nicht.
Das Kupfer am Halsband, das lieb' ich sehr,
Es glänzt so goldig im Sonnenglauz.
Mein Liebster glänzt mir im Herzen mehr,
Ich seh' ihn leuchten wie Strahlen ganz
Und wandern wir morgen, spriesst Blütenwelt
Dort, wo gestanden bei Nacht seiu Zelt.
30 Krato:
griechischer, sodann italienischer Volkslieder geben, in denen sie entgegen-
treten. Bei Nicolo Tommaseo, Canti popolari italiani, corsi, illirici,
Und singt er beim sterbenden Feuer, gleich
Aufflammt es von neuem in starker Glut.
Es fällt, was er trifft, bei dem ersten Streich,
Und -an seinem Messer nicht schwarz wird's Blut.
Sein Hass macht welken wie Sonnenbrand,
Sein Lieben giebt Leben wie Bronnenrand.
Sein Liebchen wird schöner, ihr Singen klingt,
Uir kupfernes Halsband hat Sonnenglanz,
Das sterbende Feuer wird hell, wenn er singt
Er steht mir im Herzen mit Strahlenglanz
Und wandern wir morgen, spriesst Blütenwelt
Dort, wo gestanden bei Nacht sein Zelt.
Und pochst du des Morgens ans Fensterlein,
Rasch schliess' ich auf, dass hereinweht dein Hauch,
Dann gucken zwei Sonnen ins Zimmer herein,
Sprich, Himmel: hast du zwei Sonnen auch?
Dann lacht der Himmel in guter Ruh;
Er weiss, wen ich liebe, und der bist du!
Der Mond (S. 106, Itäl. Übers. S. 165).
Im Hofe steht mir ein grüuer Baum, Den Wäldern das Grünen.
Den liebt die Sonne, den wiegt der Wind; Mir hat sie verraten, warum
Doch fällt der Schnee, so vergisst der Baum, So bleich ist der Mond.
Dass dereinst es April gewesen. Der Mond, der ist eines Mägdleins Herz
Sehr fürchtet der Mond den Sonnenschein; Die Liebe, die wohnte darinnen;
Denn es weiss die Sonne, warum Zu jener Zeit war des Mägdleins Herz
So bleich ist des Mondes Glanz. Ein Sonnenschein.
Der Mond will nicht, dass der Sonnenschein Doch als die Liebe gegangen war,
Erzählt sein Geheimnis. Ward bleich der Jungfrau Herz.
Der Mond verbirgt sich, wenn Sonne kommt, Da nahm der Himmel es auf. Doch stets
Auf dass die Sonne vergisst. Sieht's traurig zur Erde hinab,
Doch ich, ich bin der Bruder der Sonne, Wo Liebe gewohnt hat,
Mir sagt sie jeglich Geheimnis, Und bleicher wird es davon.
Wie sie den Vöglein das Singen gelehrt, — — — — — —
Der Feldfrucht das Gelbsein,
Die Flüsse sagen, sobald er (der Mond) erscheint:
0, Mägdleins bleiches Herz,
Komm, ruh' in uns! Und die Vöglein sagen
Im Schlaf: Komm, schlaf in dem Nest mit uns!
Das Grab, das spricht: Mach' bleicher mich,
Du bleiches Jungfrauenherz,
Und alles wandelt in Schlummer sich,
Auf dass das Herze schlafe.
Doch es sieht sie schlummern und nickt nicht ein,
Und steht und bewacht den Schlaf.
,Des Soldaten Zelt' (S. 121, Ital. Ausg. S. 187), das in zwei Versionen gedruckt ist,
enthält folgendes seltsame, aber hübsche Bild: der Mond tritt (beidemal) in das Zelt des
schlafenden Soldaten und spricht zu ihm. er sei seines Bräutleins Blick (auch das zweit«'
Mal: er sei der Bück seiner Braut).
Sonne, Mond und Sterne als Sehönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 31
greci (Venezia, G. Tusso. 1842, 2 Bände) Band 2 (Canti greci), S. 268
liest man:
*Eob ~oai öiajLiavrojterga, xal ij/uog xf\g fjfiEQag,
Eloai (peyydgi1) rfjg vvxrbg, T)~]g evjuogqpiäg ro regag.
Du bist ein Demant und die Sonne des Tages,
Bist der Mond in der Nacht und ein Wunder von Schönheit.
S. 267: Herrin in goldenem Gewände am Sonntag, in silbernem am Montag,
Wenn du dich anschickst dich zu schmücken vom Morgen bis zum Mittag.
Machst du zur Sonne das Antlitz und zum Monde die Brust.
S. 268: ügößale, <pe£rj r ovgavov, xal 'oogijoi2) rov xoojliov.
Tritt hervor, Leuchte des Himmels und Sehmuck der Welt.
"Eyeig rov fjÄlov ev[J.OQ<paug, rov cpeyyagiov dongdötg.
Du hast die Schönheit der Sonne, das blendende Weiss des Mondes.
S. 343: AdfiTiEi 6 fjhog, Xd/xjiei 'od jragtiivgia oov.
Es glänzt die Sonne, sie glänzt an deinen Penstern.
'AyyeÄoi oloogioave öfov 'oo (peyyagdy.i3),
K'fyirr]g noTigi] xal Xa/JJir] 'öd jiiagyagtTandyj.
Die Engel malten dich im freien Mondeslieht.
Und weiss und blendend wie eine Perle gingest du hervor.
In einem anderen Liede, S. 212, wäscht eine Mutter ihre Tochter im
Dunkeln, aber im Mondschein kämmt sie ihr das Haar, denn jenes milde
Licht spricht einzige Dinge zum Herzen.
Von einem Jüngling heisst es anderswo: Er hatte des Mondes weissen
Glanz im Antlitz.
S. 207: 'Eg' eloai trag fjhog, peyydgi lafiTigb
M(hi')(jni.-T(')otg Wy ßXetprj, xal dt '/lukoqöj yd idd>.
Du bist eine Sonne, ein Mond voll Glanz,
Du hast mir die Augen geblendet, dass ich nicht sehen kann.
'0 fjkiog 'ßyaivsi trjv avyr], od oi'jiJia oov nqoßaivEi,
Ki ömoai dato t£>) nhuaig oov ndei xal ßaaiXevsi.
Die Sonne tritt hervor, wenn der Morgen dämmert, über deinem Busen
geht sie auf,
Und hinter deinen Schultern verbirgt sie sich.
S. 437: 'Eov 'oat t' ovgavov, tov Ilagaöeioov ßovla*),
Na oe yagi] fj narov/.a oov 'rro? otyn iiovayovka.
Du bist des Himmels Schlüssel, des Paradieses Siegel,
An dir erfreut sich die sanfte Mutter, die nur dich besitzt.
1) $fyyos, Mondlicht mit Antonomasie, Licht, Glanz, daher <psyyaqi, der Mond: be-
kanntlich bedeutet tpiyyeiv glänzen.
2) Das o entspricht im Neugriech. hier dem or.
3) In einem anderen Liede an eine Mutter heisst es: Und du legtest ihr den Gürtel
um draussen im Mondschein.
4) Wörtlich Siegel, nimmt es hier, wo es elliptisch auch auf ovoavov bezogen ist.
auch die Bedeutung Schlüssel an.
32 Prato :
S. 449: 2v eloa ijliog xrjg fjfugag \ Kai (peyydoi rfjg vvxxog,
Tijg xagdiäg /uov xgvög degag \ Kai xc5v öpi/mriwi' /uov cpdjg.
Du bist das Licht des Tages und der Mond der Nacht,
Meines Herzens frischer Hauch und meiner Augen Glanz.
AvTixova /uov ?]Q£g xlxaxt,zg, 'oeb' fjfoog, 'oa (pe.yydgi.
Du erschienest und sassest mir gegenüber wie die Sonne, wie der Mond.
8. 245: Ava) doxegyia XafiJirjgd ehai xd ovo) oov /xdxta,
'Uov ojioiov KVXxä$ovv, tfjv xagdtd xov xdvovv ovo) xojujudria.
Zwei leuchtende Sterne sind deine Augen1),
Die jedem, den sie anschauen, das Herz entzweibrechen.
'Ati ovXa rov jtooocojiov oov, ru fidria oov jiidgeoa,
riaxl eyovv xov avyegivö, xal xö (peyydgi jueoa.
Von allem in deinem Antlitz gefielen mir deine Augen zuhöchst,
Denn sie haben den Glanz der Diana2) und des Mondes an sich.
Emile Legrand, Chansons populaires grecques, Paris, Maison-
neuve, 1873, 7e Partie, Distiques amoureux, No. 4 bietet folgende Verse:
AvavagaXig'w xal dwgtio, r doxgo jiov XdjmiEi m shai,
K)) äjidva) oxb xecpdXi juov xal oxljv t,wt}v jhov £o' ehai.
Ich schaue auf und sehe, der Stern, der funkelt, bist du,
Du stehst über meinem Haupte, stehst über meinem Leben.
No. 14: "Aoxgo fxöx xrjv dvaxoXij, cpeyydgi, ju'öx x>p> dvoi,
Kai ng vd na vd xoi/LU]&fj, xal xig vd yahp'io/j;
Stern des Morgens, Mond des Abends,
Wer könnte schlafen (neben dir) und ruhig bleiben V3)
Italienische Volkslieder — sicilianische Lieder.
Giuseppe Pitre bemerkt in seiner kritischen Studie über die Volks-
lieder, die sein treffliches Werk Canti popolari siciliani, Palermo,
L. Pedone-Lauriel, 1870—71, einleitet, Bd. I, S. 48 zu dem uns beschäfti-
o-enden Bild sinnreich: Die Sonne schmerzt es tief, dass der Glanz des
bezaubernden Weibes, das in der Volkspoesie gefeiert wird, den ihrigen
herabmindere, der Glanz eines Weibes, dessen Erscheinen am Fenster
bewirkt, dass die Blumen in den Töpfen (grasti) aufblühen und der
1) Ariost sagt von den Augen der Fee Alcina, sie seien zwei helle Sonnen (due
chiari soli); ebenso sagt Marino von der Magdalene: due soli i lumi.
2) Der Morgenstern, Lucifer.
3) In der erwähnten Sammlung von N. Tommaseo, II, 449 kann ein Jüngling seine
schlafende Geliebte nur damit ermuntern, dass er ihr zuruft: Komm ans Fenster und schau
wie am Himmel der Mond mit dem Morgenstern tändelt. Dies ist eine zwiefache glück-
liche Personifizierung, die in einigen Volksmärchen und -liedein beobachtet worden ist.
In der oben namhaft gemachten Sammlung von Legrand, No. 109 wählt ein Mädchen, um
in strahlenderem Schmuck zu erscheinen, die Sonne als Antlitz, den Mond als Hals-
geschmeide und den Morgenstern als Demantring.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern* 33
umwölkte Himmel sich klärt. ') . . . Was Wunder daher, weuu ein Vergleich
zwischen dem Monde und der sicilianischen Schönen dahin ausfällt, dass
diese über den Mond, aber auch nicht unter die Sonne gestellt wird, (vgl.
die schon mitgeteilte Strophe: La luna e bianca e vu' brunetta siti, etc.).
. . . Eine mächtige Sonne ist sie, vielmehr eine Sonne, die die Erde in
ihren Grundfesten erschüttert, die Berge in Ebenen verwandelt und die
Toten wieder lebendig macht (Bd. II).
Canzuni e Ciuri (Fiori), S. 204.
Kap. I. Schönheit der Geliebten.
No. 40 (Ficarazzi):
Bedda (bella) comu vui (voi) nu (non) nni (ne) truvati (trovate),
Ca2) (che, im Sinn von perche) di tutti 'i (di tutte le) bdlizzi (bellezze)
adorna siti (siete);
Cchiu (piii) bedda di li stiddi (le stelle) vu' (voi) brillati (brillate),
Cchiü lustru (luce) di la luna nni faciti (fate);
Li (i) raggi di lu (del) suli (sole) vu' oscurati (voi oscuvate),
Quannu (quando) ssi biunni (queste bionde) trizzi (treccit;) vi faciti;
Chi (che) cumparennu (comparendo) "mmenzu (in mezzo) di li strati (delle
strade)
'Nnamurari (innamorare) di tutti vi viditi (vedete).
No. 41 (Castelbuono) :
Quannu t'affacci tu cara, cuscina (cugina),
S'oscuranu li stiddi (le stelle) cu la (con la) luna3).
No. 42: Lu suli t'annuto (ccncesse) lo so' (suo) splenduri (Alimena).
Kap. V. Liebeserklärung, Gelöbnis, Standhaftigkeit.
No. 210: Nesci (esce) lu suli in punta di la trizza (treccia):
Giuvana, ca di tia (te) mi 'nnamurai (innamorai);
Si' (sei) tutta mela (miele), si' tutta ducizza (dolcezza);
Comu la nivi (neve) squagnari (squagliare) mi fai.
Nascisti bella e' cu la tua grannizza (grandezza),
A lu suli cci (ci) lievi (levi) li so' rai4) (raggi). (Ein oft in den Liedern
wiederkehrender Gedanke).
1) Ein Zug, der bereits in Sonett 26, 27 und 28, Bd. I, Canzoniere von Petrarca
und in einem arabischen Volksmärchen v. Spitta-Bey begegnete; vgl. an den betreffenden
Stellen und die 3. Anm. auf dieser Seite.
2) Vgl. das griechische ydg und französische car.
3) In den Documents pour servir ä l'etude des dialectes roumains,
recueillis et publies par Emile Picot (s. Revue de linguistique et philologie
comparee, Bd. VI, 3. Heft liest man Chants populaires, No. XXVI:
Oelui qui soupire apres le jour,
Sait quand la lune se couche;
Celui qui soupire apres la nuit (eig. sous le soleil),
Sait quand la lune se leve.
4) In einem unedierten umbrischen Volksliede finde ich folgendes analoge Bild :
Bella, che sete nata per rubare, | Te Thai rubati li raggi a lo sole,
A lo pavone l'bai rubate Pale, | All' alberi li frutti, a nie lo core.
Zeitsclir. ii. Vereins f. Volkskunde. 1S96. 3
34 Prato:
Kap. XXI. Lieder verschiedenen Inhalts (während der Arbeit gesammelt).
No. 629: Stidda Diana (Stella Venere al mattino o Lucifero), 'ntra (entro) l'aria batti,
Traluci d'ogni parti (parte) e d'ogni via
Li to7 (le tue) biddizzi (bellezze) lu suli cumbatti,
Trema la terra, quando vidi (vede) tia (te).
Canti popolari siciliani in aggiunta a quelli del Vigo, rac-
colti e annotati da Salvatore Salomone-Marino, Palermo, Francesco
Giliberti, 1867, No. 36:
Bedda, quannu (quando) tu affaeci all' alba, pari
La stidda ch' a li tri (tre) Re cci (ci) appariu (appari):
Venari (Venere) nun ti potti (puö) 'nnavanzari (avanzare),
B^inu a li setti (sette) ninft (ninfe) spussidiu (levo il possesso)
(Borgetto e Carini).
No. 39: Siti (siete) cchiü (piü) bianca assai di la (della) quacina (calcina).
Chi si metti(mette) 'nta (dentro) l'aequa e allura(allora) addumaa(si accende);
Siti comu 'na parma (palma)1) grattulina (che fa i dätteri),
La vostra facci (faccia) e lu suli e la luna ....
No. 75: Quannu cadisti (cadesti) 'mmanu (in mano) a la mammana (levatrice),
Ca (qua) t'aduraru (adorarono) lu suli e la luna.
No. 45: Lu suli cu la luna vannu e vennu (vengono),
Puru (pure) li stiddi (stelle) chi 'ncelu (in cielo) si stamm.
Ed a vddiri (vedere) a vui (voi), signura, vennu,
Vi guardanu ssu (questo) visu e si nni (se ne) vannu
'Na bedda comu vui nun cc' (c') e 'm Palermu (in Palermo),
Ne maneu a Murriali (Monreale) cci (ce) nni (ne) stannu
Si mori (se muore) la rigina di lu Regnu (del Regno)
Pri (per) li biddizzi (le bellezze) a vui rigina fannu.2)
No. 44: Lu suli e forti (forte per fortemente) allagnatu (lagnato) di tia (te),
Li to' biddizzi (le tue bellezze) 'nn (non) lu (lo) fannu (fanno) affacciari.
No. 77: La to' biddizza lu suli eunfunni (confonde).
No. 76: L'occhi su' stiddi
Lu pettu e Falba, la facci (faccia) e lu suli.
J. Caselli, Chants populaires de l'Italie, Paris, A. Lacroix Ver-
hoeckhoven, 1865, S. 157:
Guarda lu suli che straluci (straluce) tantu,
E la vostra biddizza (bellezza) luci (luce) chiui (piü); • • •
Ein picenisches Lied sagt:
Bella, la sole ti farä citare
Dice gli avete tolto lo splendore.
Anclie lo hma ce (ci) vuo' (vuole) ragionare;
Gli avete tolto due stelle d'amore.
1) Vgl. den biblischen Vers: Quasi palma exaltata sum in Cades . . . : grattulina
für dattulina.
2) Salvatore-Marino bemerkt zu diesem herrlichen Liede : Könnte man all die Schön-
heiten und Vorzüge dieser acht Verse angeben? Und Tommaseo fügt hinzu > Es wäre
überflüssig auf die Schönheiten hinzuweisen, wenn man sie genug würdigen kann, und
nutzlos, wenn man sie nicht spürt.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 35
S. 161: Quannu (quando) ti vitti (vidi) non sapia (sapeva) chi (che) diri (dire),
Setti (stetti) alluccatu (stordito) e non sapia chi fari;
Mi pareva 'na stidda di scupriri,
0 la luna chi nesci (esce) di lu mari.
Siti (siete), scanciu (in cambio) di luna suli e stilli. J)
Vu' siti la rigina di li (le) beddi (belle),
E di li beddi n'avanzati middi (mille),
E quannu (quando) v'adurnati li circeddi-') (i riccioli),
Luci la luna, lu suli e li stiddi.3)
S. 159: L'occhi du' stiddi su' (sono) tutti allegria ....
S. 158: Lu suli si lamenta assai di tia (te),
Quantu si' bedda (bella), ca lu (lo) fai ammucciari (nascondere).
S. 170: Stiddi, pianeti, e suli con la luna,
Faciti fari vui l'aria sirena (serena);
Mi fu addimannata 'na cansuna (canzone),
Di quattro zittiduzzi (zitellucie) stamatina;
E tutti quattro su' comu la luna,
La menu bedda e cornu l'aura fina.
Cui (chi) ti ha misu (messo) a tia (te) ssu (questo) nomu (noine) Ana (Anna),
Cui ti lu (lo) misi ssu nomu d'amuri?
Mi porti lu galofaru (garofano) a la banda,
Di centu migghia (miglia) si senti l'uduri (odore);
Dammilo e poi to' (tua) mamma m'addimanna 4) (domanda)
Di quali grasta5) (vasi) cugghisti (cogliesti) 'stu (questo) ciuri (höre)?
„L'haju (ho) cogghiutu (colto) 'ntra (dentro) In (il) pettu d'Anna,
Unn' (dove) abita la luna cu' (col) lu suli. ")
Tu fosti scritta a la banca di l'oru (oro),
Unni (dove) tredici re munita fanu (fanno),
Tu, quannu sparmi (sciogli) ssi (questi) trizzuua (treccione) d'oru,
A menzanotti (*mezzanotte) pari journo (giorno) chiaro,
Quannu cammini tu, scarpisi (scalpicci, calpesti) l'oru,
Ti ciaranu (chiariscono, vedono) li muschi di luntanu,
Quanno ti'ntuzzi (intrecci) ssi (questi) calami d'oru (cioö le chiome),
La notte fai pariri journo chiaro. (Pitre, Canti pop. sie. 1, 197.)
1) Pitre, Canti pop. sie, Bd. I, S. 189.
2) Vgl. das Wort: Cirro (bei Dante, Paradiso, VI. Gesang, V. 46) für Kopfhaare.
3) Lionardo Vigo, Canti popolari siciliani, Catania, 1870—74, S. 122.
4) Für addimanda; das Wort (für domanda) ist auch in Dante (Parad. XII. 94)
und Boccaccio, Dekameron, Tag II, No. 5, 3.
5) Vgl. das griechische ydaroa für metathesis, Boccaccio, Dekameron, Tag III,
No. 5, 12; Qual esso lo mal Cristiano Che mi furo la grasta Del basilico mio sclemontano
(altsicilianisches Volkslied).
6) Tigri, Canti popolari toscani, Firenze, Barbera, S. 41:
Bella ragazza che vi chiamate Anna „Dove fu colto codesto bei fiore?" —
Quanto mi piace lo vostro bei nome! „Io l'ho colto nel bei giardin d'amore,
Voi portate un garofano da banda, Dove si leva la spera dcl sole:
Dali' altra parte un gelsomin d'amore, Dove si leva, dove si riposa,
Se arriva il vostro amore e vi domanda: Voltati veiso nie vermiglia rosa."
3*
36 Prato:
Lieder aus den Marken.1)
Quant' e bella la luna, quando e pina2) (piena)!
Quant' e belle Vince (Vincenzo) quando cammina!
Quant' e bella la luna. quanno (quando) e tonna (tonda)!
Vedo la luna, e non la vedo tonda3)
Tutta la vita nie sento tremare;
Un giovinetto dalla faccia bionda
Un' ora non me lascia riposare;
E non me lascia riposare un' ora
Questo e lo spasso di chi s'innamora;
E non me lascia riposa' un momento
Questo e il piacer dell' innamoramento.
Toskanische Volkslieder4).
Sete piü chiara dell' acqua di fönte,
Sete piü dolce della malvagia,
II sole s'alza e vi si specchia in fronte;
Sete piü bella che Kachele e Lia5)
Quando vi vedo quella Stella in fronte,
Voglio piü bene a voi, che a mamma mia.
g 20 Cupido v' insegno tirar i cori:
Quanto risplende quel viso gentile! Cupido v' insegno tirar le freccie,
Quanto un fuoco di notte, un sol d'aprile. M'innaraoraron le vostre bellezze.
Quanto risplende quel viso giocondo! S. 32.
Quanto un fuoco di notte, un sol di Alla mattina, quando vi levate,
giorno. H sol dalle montagne fate uscire;
g 29 E quando vi vestite e vi calzate,
Quando nasceste voi, nacque bellezza'); L'Angel di Dio vi viene giü a seryire
II sol, la luna vi venne a adorare, S. 34.
La neve vi donö la sua bianchezza, Rizzatevi da letto e uscite fora,
La rosa vi donö il suo bei colore, Venite a vede' "1 cielo quant' e bello!
La Maddalena la sua bionda trezza II vostro viso al lume della luna
(treccia); Pare un angelo fatto col pennello.
1) Canti popolari inarchigiani, raccolti e annotati dal prof. Antonio
Gianandrea, 1875; L'innamorato, S. 14, No. 10.
2) „Una virtü d'amor si pina." (Dante Rimario, Son. 16.)
3) Eine venetianische vilota (d.i. canto di villa, ländliches Lied) beginnt folgender-
massen (Angelo Dal Medico, Canti popolari veneti, p. 14): Vedo la luna e no' la vedo
tutta. — Tonda steht auch bei Dante: E gia' ier notte fu la luna tonda. (Inferno XX, 127.)
4) J. Caselli, Chants populaires de l'Italie, S. 19.
5) Vgl. folgende Verse des Purgatoriums (XXVII. Gesang, Vers 100—109) :
Sappia qualunque il mio noine dimanda Dal suo miraglio e siede tutto il giorno.
Ch'io mi son Lia e vo movendo intorno Ell' e de' suoi begli occhi veder vaga,
Le belle mani a farmi una ghirlanda Com1 io dell' adernarmi con le mani:
Per piacermi allo specchio qui m'adorno; Lei lo vedere e me l'ovrare appaga.
Ma mia suora Rachel mai non si smaga
(Symbole des thätigen und des beschaulichen Lebens.)
6) Vgl. die schon oben von mir ausgesprochene Andeutung über diese und ähnliche
Lieder als Nachklänge des kosinogonischen Mythus von der Liebe.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern.
37
S. 43.
Guarda la luna come la cammina,
Che va per Paria e non si ferma mai:
Cosi fa '1 cuor di vui, bella barnbina.
S. 23.
Bella, che fra le belle bella sei,
'L mondo veniste con gran maraviglia:
Della bella Diana sete sorella
S. 25.
Quando tu passi dalla casa rnia,
Mi par che passi la spera del sole.
Illuminar tu fai tutta la via.
Quando tu passi, lasci lo splendore:
Ma lo splendor, che lasci per la via,
E sempre meno della fiamma mia;
Ma lo splendore che lasci, scema e cala;
L'amor mio durera fino alla bara.
S. 30.
Dove passate voi, l'aria si ferma,
Voi siete del giardin la vaga Stella.
S. 31.
Bella c' hai tolte le bellezze al sole1)
Hai fatto in terra un nuovo paradiso:
E hai tolto alla luna lo splendore,
Agli angeli del ciel l'incanto e il riso:
A me m' hai tolto la libertä e '1 core,
Cosi all' altre non posso porre amore.
S. 33.
Vattene bella, vattene a dormire:
II letto ti sia fatto di vi'ole2):
AI capezzale ci possa venire
Dodici stelle e tre raggi di sole.
E ti possa venir la luna in fronte:
Ricordati di me, figlia d'un conte.
E ti possa venir la luna in capo:
Ricordati di me, giglio incarnato.
E ti possa venir la Stella a' piedi;
Ricordati di me, quando ti levi.
Avete gli occhi neri e sete bella,
A guisa d'un falcon che in alto mira:
Voi rilucete come chiara Stella3).
Patti vedere, o Stella rilucente4)
S. 43.
Siete piü bello il lunedi mattina,
Massimamente martedi vegnente,
Mercoledi una Stella brillantina,
II giovedi uno specchio rilucente,
II venerdi un mandorlo fiorito,
II sabato piii bello che non dico.
S'arriva alla domenica mattina:
Mi parete figliol d'una regina.
S. 50.
Quando ti vidi a quel canto apparire,
T'assomigliai alla spera del sole;
Abbassai gli occhi e non seppi che dire . . •
S. 62.
A pie' d'un faggio in sull' erba fiorita
Aspetto, aspetto, che giu cada il sole,
Perche, quando sara l'aria imbrunita,
Appunto allor vedrö spuntare il sole;
Levarsi quel bei sol che m' ha ferita,
Che m' ha ferita e che guarir mi vuolc:
E questo sol, ch'io dico, e il mio bei
damo (amante),
Che sempre io gli riprico (replico): „lo
t'amo, io t'amo",
E questo sol e il giovinetto bello,
Che a ferragosto ä) mi dara l'anello.
1) Man ersieht hieraus, wie sich der toskanische Ausdruck ,Occhio di sole' erklärt,
der eine schöne Frau bezeichnet, wie wir bereits an einer früheren Stelle unseres Aufsatzes
angemerkt haben.
2) Dieses Bild findet sich auch in folgenden toskanischen Volksliedern:
Fate la nanna, la nanna farai | Questo bimbo si possa addormentare
II letto gli sia fatta di viole | Questo bimbo si possa addormentare.
3) N. Tommaseo, Canti popolari toscani, I, 72.
4) Giuseppe Tigri, Canti pop. tose, No. 268.
5) , Ferragosto, das aus feriae Augusti abgeleitet ist, heisst der erste Tag im
Monat August, weil zu dieser Zeit im Altertum das Fest des Augustus mit grossem Jubel
gefeiert wurde. Dasselbe ist noch heute in unserem Volke heimisch und besteht in Banketten
und Freudenfeuern, als ob es ein Festtag wäre, und in zahlreichen Geschenken Höher-
stehender an Untergebene.' Giuseppe Manuzzi. Vocabolario della lingua italiana,
Buchst. F.
38
Prato:
S. 82. 0 sol, che te ne vai, che te ne vai,
0 sol, che te ne vai su per quei poggi,
Fammelo un piacer, se tu potrai,
Salutami lo mio amor, non l'ho vist' oggi;
0 sol, che te ne vai su per quei peri,
Salutameli un po1 quegli occhi neri:
0 sol, che te ne vai su per gli ornelli (o-rni),
Salutameli un po' quegli occhi belli.
S. 47.
Bella, che delle belle sei la bella,
E delle belle sei la capitana;
Degli uccellini sei la rondinella;
Delle fontane sei quella piü chiara:
Riluci piü che in ciel la Diana stella,
E piü che in terra la fönte leggiadra,
Bella che delle belle siete una,
lo sono il sole e tu sarai la luna.
Bella, che delle belle siete quella,
lo sarö il sole e voi la Diana stella
S. 75.
0 casa buja, o vedova finestm,
Dov' e quei sol che ci soleva dare?
E' ci soleva ridere e far festa:
Ora vedo le pietre lagrimare,
Ora vedo le pietre stare in pena,
0 casa buja, o finestra serena!
S. 82.
Quando iersera tramontava il sole,
Pensavo a te che sei lontano tanto:
E mi pareva udir le tue parole,
Ma eran dolorose come pianto;
E sospirar sentia sommessamente,
E afflitta in volto mi parea la gentc.
Ohime, ben mio, di te che cos' e questa?
Ah! Tora del tramonto e un' ora mesta! ')
Ah! quella del tramonto e una inest' ora:
E tu, ben mio, perche non torni ancora?
S. 107. Ritornelle:
Quanto nosceste voi, nacque un bei fiore
La luna si fermö nel camminare,
La stelle si cangiaron di colore.
Alzando gli occhi al ciel, veggo una stella:
E non sapendo a chi rassomiglialla,
La rassomiglio a voi, ragazza bella.
1) Dieser und der folgende Vers erinnern an die so anziehenden pathetischen Verse
Dantes, Purgatorio, VIII, 1—6: Era giä Tora che volge il desio | A'naviganti e intene-
risce il core | Lo di c'hau detto a' dolei amici addio; | E che lo novo peregrin d'amorc |
Punge se ode squilla di lontano | Che paja il giorno pianger che si muore. — Vincenzo
Monti ahmte das in der Bassvilliana (I, V. 251-52) meisterhaft nach: Le nubi immote e
rnbiconde a scra | Par che piangano il di che va mancando. — Ein anderer Dichter
schildert die untergehende Sonne ebenso schwermütig: Da (die Sonne) un pio saluto alle
campagne e ai monti, E in mistico linguaggio Sembra annunziare che ogni cosse interno
E nasce e muor con l'armonia del giorno. — Auch Andrea Maffei dichtete über den
Untergang der Sonne die ergreifenden Verse:
L'occhio immoto ed immoto il pensiero,
lo contemplo la striscia lucente,
Che mi vien dal sereno oeeidente
La qm'ete solcando del mar.
E desio di quell'aureo sentiero
Avv'iarmi sull'orma infinita
Quasi debba la mesta mia vita
Ad im porto di calma guidar.
Ein schwermütiges livornisches Volkslied sagt gleichfalls: Vorrei morir, quando tramonta
il sole, Quando sul prato spuntan le v'iole, | A noi faria dal mar l'alba ritorno | Di primavera
in sull morir del giomo.
Arno Tora del giorno che muore
Quando il sole giä stanco dechina,
E nell' onda di queta marina
Veggio il raggio supremo languir.
In queH'ora mi torna nel core
Un' etä piü felice di questa,
In queH'ora doleissima e mesta
Volgo a te, cara donna, il sospir.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 39
S. 114. E lo mio amore gli e lontan le miglia;
Lo mando a salutar per una Stella1):
Le genti se ne fanno maraviglia.
Volkslieder aus den luccheser Bergen.2)
Güte und Schönheit des Weibes.
0 bella bella,
Sul vostro petto la luna ci balla,
E il sole vi ci fa la tarantella.
Volkslieder aus Latium.
S. 117 (der Sammlung von Caselli).
Tu Nena sei vestita di splendore!
Di tutte le creature la piü bella.
La faccia tua per lo bianco colore
Riluce come mattutina stella.
La faccia tua per lo colore fino
Riluce come stella del mattino.
S. 122. Lucentissima stella mattutina,
Vaga ninfa d' amore, dea serena,
Non ci passa ne sera, ne mattina,
Che non rimiri la bellezza tena (tua),
Chi la rimira sa (questa) faccia divina.
L'aria, se ce (ci) va nuvola, serena, (si ra serena)
Quando esce lo (il) sole, a lei s'inchina,
Credendo che ce sia la Maddalena.
Picenische Lieder (S. 139).
Voi siete quella stella piü serena
Che la notte sen va presso la luna.
Voi siete quella, che mi date pena,
Che giorno e notte lo mio cor consuma.
S. 115. S. 129 n. 63. Luna ed uccelli.
0 luna, o sole! Sole, va sotto, ma piü non tardare,
0 Stella Diana, non mi abbandonare Non aspettare la tüa sorella,
Fammi rifar la pace col mi' amore. Perche si leva in sulla mezzanotte,
Non si vuol fä' vede1 ch' e tanto bella;
S. 116. E' tanto bella, che rende splendore:
II fuoco3) d'amor e fuoco d'inferno, ?erö si chiama sorella del sole;
Chi v' entra una sol volta, arde in eterno. E? tanto bella, che splendore rende:
Pero si chiama sorella di stelle.
1) Dieses Bild findet sich in mancherlei anderen Volksliedern von Toskana und des
Auslandes.
2) Gesammelt und mit Anmerkungen versehen von Giovanni Giannini, S. 10, No. 52.
3) Dieses Bild der Volkspoesie beweist nicht nur, dass ich das Richtige getroffen
habe, sondern auch, dass das Volk selbst durchaus davon durchdrungen ist, was denn
auch als die Ursache des häufigen Heranziehens von Licht, Wärme und Feuer in seinen
Liedern zu gelten hat.
40 Prato :
S. 119; Tanti saluti, o bella mia, te manno (mando)
Per quanti fili d'erba in prato sono,
Per quante goccie d'aequa in mare stanno,
Per quante arene 11 stanno d'intorno,
Per quanti uccelli su per l'aria vanno,
Per quante miglia fa lo sole il giorno,
Par quanti flor carica Aprile e Maggio,
Altrettanti i saluti e d'avvantaggio (e anche di piü).
S. 129. Ritornelle:
Fiore dell' orno
Luce la luna la meta dell' anno!
Voi, bellina, lucete notte e giorno.
Umbrische Lieder (S. 130).
Oh quanto siete bella Marianna!
Oh Dio! ti sei calata da una Stella:
Pa peccato mortale chi t' inganna.
S. 140: Porti lo stendardo dell' amore:
Porti 'na (una) treccia e par la Maddalena,
Gli occhi nerelli assomigliano al sole l).
S. 140: Quando che leva il sole, leva a basso.
E piü s'innalza e piü getta splendore,
E cos'i fa la donna, quando nasce,
Piü se (si) fa grande, e piü se fa galante.
Co nie la rosa fra le verdi branche;
Piü se fa grande e piü se fa gentile,
Come la rosa fra le verdi spine.
S. 142: Ancor non e levata quella Stella,
La stella, ch'era solita a levare,
E n' e levata una e mi par quella;
Lo cor me se (mi si) comincia a rallegrare:
Me se comincia a rallegrar lo core,
Che s' e levata la stella d'amore.
Corsische Lieder (S. 273).
Ninna — nanna. Str. oa.
Quando poi nascesti vui, . L'aria riturnö serena
Vi portonu (portarono) a battezzani, Tutta piena di splendori!
La cumari fu la luna, Anche li sette pianeti
E lu suli lu cumpari, Vhanno infusu li so' odori (sie),
I stelli, ch'erano in cielu, Ottu di fecero festa
D'oru avianu li cullani (collane), Tutti quanti li pastori.
1) Wir haben gesehen, dass Ariost und Marino gleichfalls dies Bild gebrauchen und
Dante von den Augen der Beatrice sagt: Lucevan gli occhi suoi piü che la stella (die Sonne):
in einem anderen Liede heisst es: Ti rassomigli alla stella d' Amore.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 41
Istrische Volkslieder aus Rovigno.1)
No. 17, S. 35-36.
Oh quante vuolte (volte) ch' i' t' (io) e veisto (visto), biela (bella)!
T'ho veisto a la finestra in camiciola!
E li tu' carne toüte tralusiva! (le tue carni tutte tralucevano)
Gira de nuoto e de guiorno pariva; (Era di notte e di giorno pareva)
E li tu' carne tanto li brilava (le brillavano)!
Gira de nuoto e de guiorno pariva! (Era di notte e di giorno pareva.)
Eine andere Variante derselben Stelle findet sich bei Bernoni, Pun-
tata IV, 8. 7 seiner Sammlung Canti popolari veneziani.
Genuesische Lieder (S. 133).
Vettela (vedila) la quella lucente stella,
Che, dund' (dove) a posa i pe' (piedi), nasce 'na (una stella):
E dund'a pos (posa) r (le) man, u j (vi) nasce un fiure,
Vettela la quel bei pumin (pomino) d'ainure.
A mi xi deito (rni si e detto) che ti nomi (nomini) Ana (Anna)
0 Deio, quanto me piase (piace) el (il) tu' (tuo) biel (bei) nomc!
Ti porti du garufuli (garofani) a la banda
E in raiezo (raezzo) al pito (petto) due freschite (freschette) viule (violc).
E se qualcofm (qualcun) per suorto (sorte, caso) te (ti) domanda:
„Duv' astu priso quile frische viule?" (Dove hai tu preso quelle fresche violc ?J
„L'6 (ho) prise in nel (nel) giardein (giardino) de la Diana,
Duve che la miteina (mattina) liva (leva) el sule (il sole)-)-
Var. v. V. 3—6.
E li tu' carne tanto splenduriva (splendevano)!
Gira de nuoto e de biel dei pariva (di bei di pareva)
E li tu' carne tanto li brilava
Gira de nuoto e de biel dei parava (pareva).
Venezianische Variante bei A. Dal Medico, S. 31 seiner Sammlung:
Mi gera (io era) in orto che colgea fenochi (cogliea finocchi);
Alzo la testa e vedo do bei ochi (belli occhi);
E tanto che sti (questi) ochi me luseva (mi rilucevano);
Note che gera, zorno (notte che era, giorno) me (mi) pareva.
Verwandter mit dem rovignesischen Liede ist die veronesische Variante,
herausgegeben von Righi, S. 13 in seiner Sammlung:
La prima volta che t'o visto bela,
T" 6 visto a despojarte (spogliarti) in camarela (camerctta).
E te gavevi (tu, avevi) la carne che sluzeva (riluceva);
L'era de note e giorno me pareva.
1) Von Antonio Ive in der Sammlung Comparetti-D'Ancona.
2) Vgl. zwei schon vorher mitgeteilte Varianten dieses Liedes, eine siciliauische und
eine toskanische.
42 Prato :
S. 43, No. 24:
La nie (mia) murusa xi (e) de (di) quile (quelle) biele (belle),
De quile che lavura in nel telaro:
La gia (ha) dui (due) uoci (occhi) che parc dui stile (stelle),
De quile de (del) lo mise de Genaro (mese di Gennajo):
Genaro eun Febraro (con Febbrajo) se (si) lamenta
Che ghe (gli) manca dui stile in quil biel mise,
'Na (una) pouta (putta, fanciulla) biela avia (avea) dui uoci in tiesta.
Douti disiva che li fuozzo quile. (Tutti dicevano che fossero quelle.)
Var. v. V. 7: Ragazza biela ecc.
Venezianische Variante, veröffentlicht von A. Dal Medico, S. 14 seiner
Sammlung:
La mia morosa (amorosa) xe (e) de quele bele,
De quele bele che sta nel piagiaro (stanno nel pagliajo).
La ga' do' ochi che le par do' stele (ella ha due occhi che pajono due stelle),
Come le gate (gatte) el mese de Genaro.
Für den zweiten Teil des rovignesischen Liedes vgl. eine andere
venezianische Variante, die S. 30 der Sammlung' Dal Medico bekannt
gemacht ist, eine weitere zudem bei Bernoni, Punt. VI, S. 24; eine
toskanisclie Variante steht bei Tomaseo, Bd. I, S. 51 und bei Tigri S. 21 :
La luna s'e venuta a lamentare ecc; vgl. auch die andere toskanisclie
Variante bei Tigri S. 13: lo Tho sentita a lamentar la luna.
Umbrische Variante, veröffentlicht von Marcoaldi S. 67 seiner Sammlung:
La luna sta su in cielo e s'allamenta (si lamenta),
E dice che glie (le) mancano le stelle,
Le stelle che glie mancano so' (sono) due,
So' gli belli occhi che portate voi.
Eine weitere picenische Variante, in derselben Sammlung, S. 118:
Guarda su in cielo mancano du' (due) stelle;
Quelle che mancan le portate voi,
E le portate in sti (questi) occhietti belli,
E le portate su sti occhi gentili:
Senza le stelle il sol non puö partire,
E le portate su sti occhi galanti,
Senza le stelle il sol non va piü avanti,
Ein höchst liebliches, wenn auch etwas hyperbolisches Bild; aber der
hohe Schwung der Phantasie erklärt sich hier aus der Lebhaftigkeit der
Empfindung.
Toskanisclie Variante, veröffentlicht von Tommaseo, I, 150 in seiner
Sammlung:
'Ndetti (andai) nel giardin cogliere un ftore,
E vidi lo mio amor fra le viole,
Che rassembrava una spera di sole.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 43
Variante der Provinz Marittima und Carapagna, herausgegeben von
Visconti, s. die Sammlung seiner Lieder, S. 15:
Stella non vidi mai si rilucente,
Che simigliante fosse al tuo sembiante,
La luna stessa se (si) riduce a niente,
Che non appare bella in ogni istante;
Splende negli occhi tuoi 'na fiamma ardente,
La notte oscura ancor rni sei presente,
Tanto la tua bellezza e penetrante!
Vgl. oben unter den sicilianischen Liedern eine sicilische Variante
dieses Liedes; eine Variante aus Saponara wird von V. Imbriani in einer
Anmerkung zu No. XXI der Lieder aus Spinoso (Basilicata) zitiert, s. die
Canti delle provincie meridionali von Casetti und Imbriani
(Sammlung Comparetti-D'Ancona, Bd. III) S. 84.
Volkslieder aus dem Süden Italiens.
Palazze aute che sse mura (palazzo alto con queste mura),
Ce (ci) voglie (voglio) amare chi detite (dentro) ce sta.
Dente ce stanno la luna e Iu sole,
Le stelle de lu ciele tutte quante.
Fe1 sse (per queste) bellizze toje (tue) j' ce (io ci) more (muojo),
0 puramente nie fa' muri dannate (dannato).
Lu sole va pe' terr' (per terra) e tu lu ciele (Io ccli),
La luna va pe' aria e tu la cruope (copri).1)
T' ha misu (rnesso) 'na curuna de brillanti,
Pari cchiü (piü) bella e' (che) 'na rigina assai:
Quannu (quando) tu mini (meni) 'ssu (questo) peduzzu (pieduccio) avanti,
'1 petri (Le pietre) de la via mövari 'i (muovere le) fai.
Tu'tieni dua bell' uocchi joculanti (hai due belli occhi giocosi)
Cchiü belli de lu suli troppu (troppo) l'hai . . .
Acula, che d'argentu porti l'ali,
Ti fruscianu li pinni quannu vuli,
Pe" duve passi, l'aria fa' (fai) "nchiarari (risehiarare).
E cadinu de "ncielu rose e ghiuri (flori),
La tua billizza nun si pö (puo) pittari (pitturare),
Mancu (manco, nemmeno) si viegnu (se vengono) 1' (gli) antichi pitturi,
Ca li billizzi tua su' cosa rara (che le bellezze tue sono),
Chi scurano li speri de lu suli (che oscurano le spere del sole).
Tanti billizzi a tia (te) chi ti 1' ä dati?
Pari nivi sopr' arbori (sopra alberi) caduta.
Quannu 'quando) camini (cammini), rni pari 'na (una) fata,
1) Rivista delle tradizioni popolari, diretta da A. De Gubematis,
IL Jahrg., Heft V; L. D'Amato, Tradizioni popolari di Campochiaro, Molise.
Buch I, Canti, Abteilung I, Canti amorosi, No. 52—53.
44 Prato:
'U cielo cculla (colla) terra ti saluta.
Mi criu (credo) ca 'mparavisu (che in paradiso) ci si (sii) stata,
Si no, nun fussi de stilli vestuta1) (Se no, non fossi per saresti di ste
vestita).
Volkslieder aus der Sammlung von A. Casetti e V. Imbriani, S. 20
uwd 21; Bd. II Variante von No. XII Gessopalena, Abruzzo Citeriore.
Variante des nächstfolgenden calabresischen Liedes, das im Principato
Citeriore häufig ist und in Neapel mit denselben beiden Versen beginnt:
Capille d'oro e capille anellate!
Cielo che bionne (bionde) tiezze (treccic) ca vo' (che voi) avite (avete)!
Ve mmeritate (vi meritate) d'essere 'ncoronata
De prete (pietre) preziose e calarnita,
Quanno a la fenesta v'affacciate
Li ragge (i raggi) de lu sole intrattenite.
Quanno jäte (ite, andate) a lu lietto a reposare
"A (la) luna canta 'a nonna (ninna nanna) e voi dormite.
Bisweilen ist das letzte Wort des ersten Verses aonnate und lautet
der zweite Vers: Cielo, che bella trezza voi che avite!
Stilluzza, chi (che) te (ti) lievi (levi) la matina (mattina)
D'oru e d'argientu carricata (caricata) vai . . .
Tu si cumu (sei come) la rosa a llu jardinu (al giardino),
Chi cchiü (che piü) te (ti) crisci (cresci), cchiü bella te (ti) fai.
Bella, ecu 'ssi (con questi) capilli (capelli) 'nnanellati (inanellati),
Treme (trema) la terra, quandu li sciunditi (li scendete, fate seendere):
Vene la festa e ve li pettinati,
'Ncapu 'sta 'janca (in capo questa bianca) faccia li teniti (l'avete).
Vene la sira (sera), quandu ve curcäti (coricate)
A (la) luna fa la ninna e vui (la ninna-nanna e voi) dormiti;
Vene lu juornu (il giorno) quandu ve susiti (vi alzate)
A (La) spera de lu sule tratteniti (tratte riete).-)
Variante aus Lecce und Caballino (Terra d'Otranto).
Capiddhi d'oru, capiddhi biundati (biondati),
O'Ddio (Dio) ci (che) beddhe (belle) trezze ci tenite,
Sse (siij mmeritanu sianu 'neurunate
De prete preziuse e calamite.
Quandu 'sciata (andata) allu liettu ripusati,
Mia nave (?) gira "nturnu e bui (voi) dormiti:
Quandu mmane (di mattina) per tiempu (tempo) v' ausati (alzate),
De vi' (voi) 'ndorano Taria de li liti;
Quandu de la finestra v' 'nfacciati,
Li rasci (raggi) de lu sule ntratteniti.
1) Vgl. in der obengenannten Zeitschrift: Antonio Julia, Canti popolari di Acri
(Provinz Cosenza), S. 381—83; vestuta für vestita gebraucht auch Dante in dem Sonett:
Tanto gentile e tanto onesta pare etc. So auch ferute für ferite im 1. Gesänge
der Hölle, Vers 108.
2) In derselben Zeitschrift: Canti popolari d'Ajello (Oalabria,), S. 385.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 45
Yigo giebt in seinen Canti popol. sicil. vier Varianten aus Sicilien
davon.
Gessopalena, Abruzzo citeriore. S. 36, Varianten von No. XXI.
Neapolitanische Variante.
Jesce (esce) la luna e nun fa luce tanta,
Jesce lu sule, quanno fa bon tiempo.
Dant' a stu pietto vuosto 'ne e' tanto 'janco (dentro a questo petto vostro
c'e tanto bianco),
'Mmiezo nee (in mezzo ci) stanno doje pome d'argiento (due pomi d'argento);
Chi nee sse mmira (chi vi si mira) deventa (diventa) 'nu (un) santo,
Chi nee sse corca (chi vi si corica), e felice e contente.
S. 74, 75, 76, Lied XL. Gessopalena (Abruzzo Citeriore).
So' tutt' d'or' 'ssi (sono tutti d'oro questi) brun* capill';
Chiss' bell' occh' mai pate 'nu fall' (Questi begli occhi mai patiscono
alcun fallo).
Chiss' billezz' nun sacce chi rassumijj (Queste bellezze non so chi rasso-
miglino) ;
Quand' cumper' (conipari) tu, lu saul' sball1) (il sole si copre); . . .
Variante aus Arnesano, herausgegeben von De Simone.
Li zziti cu le zzite2) fannu festa;
Lu sule cu la luna mi euntrasta:
Quandu te 'nfacci tu de la fenestra,
Mename (mandami) nu (un) suspiro, ca mme (nie) basta.
Variante aus Paracorio (Calabria Ultra).
Donna cu 'ssi (con questi) capilli ananellati
\a 'ntrizzatura (una intrec.ciatura) d'oro nci (ce ne) faciti.
Veni la festa e ve li pettinati,
Trema la terra, quando gli (li) sciogghiti (sciogliete).
Veni la sira, (|iiando vi curcati,
Lu luna prendurija e vui durmiti (Per la luna vi si prenderebbe) ;
E la mattina, quando vi levati.
Li raggi di lu suli tratteniti.
Variante aus Öturno (Principato Ulteriore).
Capilli junni (biondi), capilli aunnati (aondati, cio(; ondati)
O'Ddio che belle treccie che tenite!
Vo" meritate d'esse' (essere) 'ncoronata,
Ue prete preziose e calamite
Co' (con) la scaletta lu cielo nchianate (al cielo salite):
Parlati cu' li (con i) Santi e po' (poi) scennito (scendete).
1) Ein ähnliches Bild haben wir oben schon Petrarca in einem Sonett gehrauchen
sehen, als er von Madonna Laura spricht.
2) Die Bräutigame mit den Bräuten.
46 Prato:
Variante aus Baculi.
Luce la luna, ma non luce tanto,
Quanno lu sole mo' che fa bon tiempo (ora dal lat. modo);
Luce lu petto a Nenna e luce tanto,
Addo' li porta doje pome d'argiento;
Chi ei beve arrasso (una volta), nee (ei si) s' incanta;
Chi ci mmaneja (rimane), resta contiento.
Variante aus Lecce und Caballino.
Luce la luna, ma 'nu luce tantu,
Quantu luce lu sule 'nu (un) gran tiempu.
Luceno l'uecchi (occhi) toi (tuoi) 'nu veru lampu ....
Ein Rispetto aus Monteroni in Lecce sagt am Schlüsse:
Mo' si te ('nfacci tie de la fenescia (ora se ti affacci tu alla finestra),
Se ne trase (parte) lu sule e tantu basta!
Variante aus Lecce und Caballino.
Quando te 'nfacci tie (tu) de la finestra,
Lu sule culla luna sse euntrasta;
Die zwei anderen Verse sind genau ähnlich den zwei letzten des vor-
herigen Liedes.
Canti popolari meridionali von A. Casetti und V. Imbriani. Chieti,
Abruzzo Citeriore. No. VI, S. 6:
Com' vo' fa' lu ciel? Ha pers' lu sol?
(Come vuol fare il cielo? Ha perso il sole)
Sse (se) l'ha retruvat' chella (ritrovato quella) donna bell' (bella).
Sse l'ha post' sopr' alla su' cann',
(Se l'ha posto sopra la sua canna, s'intende della gola)
Sse l'ha legat' nche din fil' d'or' (Se l'ha legato con un filo d'oro).
Vid' che abeltä tien' la donn'! (Vedi che beltä ha la donna!)
Tien' legat' lu sol' al sue comann'. (Tiene legato il sole al suo comando.)
Pietracastaguara o Pietrastornina, Principato Ulteriore, No. II, S. 205:
L'aggio (ho) perduta la Stella lucente
Quella che rnme (mi) luceva ppe' (per) davante:
„Stella lucente mia, Stella lucente,
Pe' voi nee vanno sperte doje ammante. (Per voi ci vanno spersi due amanti.)
Uno e d'oru e l'auto (l'altro) e' d'argiento;
Dimmelo, bello mio quäle va innante?"
— „Chillo (quello) d'oro lo tengo alla mente,
E chillo d'argiento mme (mi) pe' 'nnante (innanzi)."
No. XV, S. 75, Spinoso, Basilicata:
Pallazzo, ca (che) sei alto qualtro miglia,
Abassati 'nn (un), poco quanto io saglia (salga);
Dinta mi (c' e) la mamma co' la figlia,
Ca di bellezze lu sole commoglia (eclissa).
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 47
No. V, S. 171, Carpignano Salentino. Variante auch aus Carpignano:
La luna, qnandu e noa (nuova), cchiu (piii) pare bella;
Quantu cchiü all' autu (in alto), vae (va), cchiu bella pare;
Poti 'scire (puö uscire) cchiu all' autu di 'na Stella;
Ma de le manu mei (mani mie) no' po' scappare ....
S. 361 Analoges Lied:
Spunta lu suli e spunta 'na bandera,
Facia, ca spunta e no' spuntava mai,
Ora spuntasti, o Limpia (o Olimpia) serena,
L'oru sopra li trizzi t'affacciai (ti vidi).
Sii comu l'olivara a primavera,
Chi fogghia cangia, ma euluri mai.
E se lu suli perdi la so 'sfera
Chissa bellizza non si perdi mai.
Analoges Lied aus Paracorio:
ü luna d'oru, carricati (caricata) na vi
Ca cu 'nu sguardo toi fermau lu suli!
(Che con un tuo squardo fermö il sole!)
Ssi capilli mi fannu pacciari,
Quannu veni lu ventu e ti li movi.
No. 1, S. 57, Grottaminarda, Principato Ulteriore:
Stella regale, quanno comparistc,
La luna co' lo sole commannaste (comandaste);
Co' 'no cortiello (con un coltello) a mme (me) lo coro apriste,
Quello che dinto (dentro) c'era tc pigliaste.
No. X, S. 161, Variante aus Paracorio:
Stilla lucenti chi a lu celu jisti (andasti),
E a 'nu momentu lu mundu girasti,
E chiddhu (quello) ch'era d'intru, ti pigghiasti (pigliasti).
Variante aus Latronico (Basilicata) :
Chiange lu cielu, ch' ha persu lu sole,
'Na ronna (una donna) si lu tene al sui (suo) cumann' (comando).
Ligatu l'ave (ha) chi (con) dui (due) fili d'ore (oro),
Puosto si l'ave a la sui (Posto se l*ha alla sua) bianca canna;
Tene1) l'ammante e sse lu va vantanno (Ha Pamante e se lo va vantando):
— „Aggio 'na ronna che lu sole cumanna."
(Ho una donna che comanda il sole.)
No. VIII, S. 159, Latronico, Basilicata:
(Rosa) Tu di billizzi (bellezze) sei la luce chiara,
E di lu sole sei li raggi fini.
No. IX, S. 160:
Stilluccia di lu cielo, quanto si' (sei) bella
1) Teuere für uvere, eine spanische Redensart.
48 Prato:
No. XXVI, S. 360, Paracorio, Calabria Ultra la:
0 luna cinti di petri e rubini,
Bellizza stra form ata di 'stu (trasformata di questo) cori.
No. XXVIII:
Spunta lu soli cu la matinata,
Tutti l'acelli (uccelli), cantaru 'mpartita (cantarono da parte).
E spunta cu' 'na bona matinata,
E l'angellini chi fannu 'mpartita;
Si mentino (mettono), mu (ora) cantanu (cantano) a lu zitu (al fidanzato),
Di'na figghiola ch'eu aju (d'una figliuola ch'io ho) chiamata.
No. XIX, S. 432, Lecce und Caballino, Terra d'Otranto:
Nun c' e tant' acqua alli mari a Gaeta,
Qantu la 'ucca (bocca) tua 'llemicca1) (stilla) manna;
Nu' luce tantu 'na Stella planeta,
Quantu te luce lu piettu e la canna (il petto e la gola),
Lucenu li capelli toi de seta,
Dannu sprendore (splendore) a tutta la campagna.
S. 433:
Quanno sse corca non ge vo' lumera (Quando si corica non ci vuole lume)
Ra l'aria re (DaH'aria le) cale (cala) lo sbiannore (splendore)
Tene re (Ha le) treccie de la Maddalena,
Pare che fosse figlia re (del) barone.
Analoges Lied aus Lecce und Caballino.
Sule ci si patrunu (sei padrone) de la spera,
Sempre 'ngerando (aggirandoti) vai per la campagna;
Nu' caccia (non produce) tanti frutti primavera
Quanti saluti 'stu core te manda;
Nu' luce tantu 'na Stella planeta,
Quanto luceno a tia l'occhiu e la canna (gola),
Nun hae tant' acqua lu mare de Siena (sie),
Quantu la bocca tua 'llemicca (stilla) manna.
Splendore deiramata. Analoges Lied aus Bagnoli-Irpino.
Voglio canuV (cantare) accanto a 'sta (questa) cantonera (cantonata),
Poco distante ra (da) la ca casa mmia.
G'e 'na figliola che pare valena,
Lo porta lo stennardo re (de) lo sole.
Analoges Lied.
Spunta lu suli la matina a Gioja
Spunta pe' adornari 'ssa bellizza!
Spunta da parti a parti e ss'arriposa,
Guardando 'ssa bellizza ss'arriprisa (si riprende. si rianima).
1) Vgl. das toskanische Wort gemica für stilla; vgl. aucli das italienische gerne.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 49
Xo. XXI, S. 394, Napoli (Provincia di Napoli).
Palazzo fabbrecato da li inasti (maestri muratori),
'I prete (le pietre) a fila, a fila stanno poste.
So' (sono) 'mpostate de zucchero c latte:
De 'mostaccioli (paste dolci) so' porte e fmeste:
Quanno la nenna (ragazza) mia ssi uce affaccia,
Schiara la luna (de la mezzanotte).
Analoges Lied aus Paracorio.
Lima, chi luci pe' tutta la notti;
Stidha (stella), chi nasci a l'arba alla raatina.
Quandu cumpari avanti a chissi porti,
Mi pari allura 'n 'acula (aquila) divina.
E quando veni chi (che) cali di notti,
Risplendinu li scogghi (scogli) a la marina: ,
Mbiatu cu avi chidha bona sorti (Beato chi ha quella buona sorte)
Pe' mu adurä' 'sta rosa carmusina (Per odorarmi questa rosa cremesina).
Anhang.
Nachdem wir bislier über das Sternenlicht als Symbol der Schönheit
gehandelt haben, bleibt noch übrig, flüchtig von dem vermeintlichen Einflüsse
der Gestirne auf das sittliche Leben der Welt zu sprechen. Dante vereinigt
im 8. Gesänge des Paradieses die göttliche Vorsehung mit der himm-
lischen Einwirkung der Planeten auf die Menschen und im 16. Gesänge
des Purgatoriums, Y. G7 — 78, sucht er diese mit der menschlichen Willens-
freiheit zu vereinigen. Petrarca sagt ferner in dem Sonette: La gola e il
sonno e l'oz'iose piume etc.: Ed e si spento ogni benigno lume
Del ciel, per cui s'informa umana yita, Che ...; der Dichter schreibt
somit den Mangel der Tugend in der W'elt dem Unistande zu, dass ge-
wisse Sterne, die dieselbe in den Menschen zu wecken pflegten, vom
Himmel verschwunden siud. Dass ferner bestimmte Gestirne einen guten,
andere wiederum einen schädlichen Einfluss ausüben, sagt er uns in einem
anderen Sonett, indem er die Einwirkung des Jupiter sanfter (gütiger)
nennt als die des Mars. Auf eine derartige Vorstellung stützt sich Dantes
Sonderung der verschiedenen Seligen in den sieben ersten Himmeln seines
Paradieses, die je nach der Natur der Sterne, nach denen die letzteren
benannt sind, erfolgt. In den 1. Himmel, den des Mondes, versetzt er so
diejenigen, die gegen Gelübde gefehlt haben, und zwar im Hinblick auf
die Mondflecken (vgl. die Flecken der Seele als Wirkung solcher Über-
tretungen); im 2., dem des Merkur, der an den gleichnamigen Gott der
Beredsamkeit, die dem Menschen Ruhm einbringt, erinnert, hat er die aus
Liebe zum Ruhm Thätigen untergebracht; im 3. Himmel, dem der Venus,
der an die Göttin der Liebe gemahnt, die liebenden Geister; im 4., dem
der Sonne, die Gottesgelehrten (von dem Motiv hierzu ist bereits die Rede
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. 4
50 Prato:
gewesen); im .">., dem des Mars, der auf den Gott des Krieges weist, die
streitbaren Geister, die Märtyrer der Religion Christi; im 6. Himmel, dem
des Jupiter, der einstmals Gott des Himmels, Vater der Menschen und
Götter und König der Könige gewesen und dem der Adler, der König der
Vögel, heilig ist, die Könige, Fürsten und Feldherrn, die sich in der Auf-
rechterhaltung der Gerechtigkeit auf Erden hervorgethan haben; im
7., dem des Saturn, dem Vater des Jupiter, zu dessen Zeit das sogenannte
goldene Zeitalter, das Zeitalter der Glückseligkeit herrschte, die be-
trachtenden Seligen; besitzt doch der Mensch einen unwiderstehlichen
Hang nach der Glückseligkeit, um so mehr, wenn sie entrückt ist, da
eine versagte Frucht das Verlangen nach ihrem Besitze nur noch stärker
entfacht. Schon Dante schrieb daher im 5. Gesänge der Hölle: . . . Nessun
maggior dolore Che ricordarsi del tempo felice Nella miseria ....
Diese Bemerkungen werden durch die Worte bekräftigt, die Dante
den Brunetto Latine im 15. Gesänge der Hölle an ihn, den Dichter, richten
lässt: . . . Se tu segui tua Stella (dem Sternbilde der Zwillinge, unter
dem du geboren bist), Non puoi fallire a glor'ioso porto, Se ben
in accorsi nella vita bella (als ich dir auf Bitten deiner Mutter das
Horoscop gestellt habe). Und im 22. Gesänge des Paradieses richtete er
au das erwähnte Sternbild folgende Verse (112 — 117): 0 glor'iose stelle,
o lume pregno Di g'ran virtii, dal quäle io riconosco Tutto quäl
che si sia, il mio ingegno. Con voi nasceva e s'ascondeva vosco
(= con voi) Quegli clr e padre d'ogni mortal vita (d.i. die Sonne,
die deshalb das Symbol des Lebensspenders oder Schöpfers, Gottes, ist),
Quando io senti" dapprima l'aer tosco (d. h. als ich in Toscana
geboren wurde). Es sei auch an das französiche Wort erinnert, das den
Wahlspruch des Königs Karl Albert von Sardinien, des Vaters Victor
Immanuels II. bildete: Je suis mon astre, Ich folge meinem Sterne.
Zusätze.
In der Erzählung von Nur eddin Ali und Bedreddin Hassan,
dem 93. der arabischen Märchen von 1001 Nacht, bedeutet, wie man be-
merken kann, der erste von diesen beiden Namen, mit dem ein Vezir aus
Kairo gemeint ist, nach Gallaud Licht des Glaubens und der zweite,
der Name von dessen Sohne, Vollmond des Glaubens. Der ältere
Bruder Nureddins heisst Schemseddin, was soviel ist wie Sonne des
Glaubens.
Die 186. Nacht enthält die Geschichte von Abulhassan Eli Ebn
Becar und Schemseluchar, der Geliebten des Khalifen Harun -al-
Baschid; es sei darauf hingewiesen, dass der Name der letzteren im
Arabischen Sonne des Mittags bedeutet.
In der Erzählung von Ganem, dem Sohne des Abu Aibu, mit dem
Beinamen Liebessklave, begegnen als Namen zweier hübscher junger
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymoole in Volksmärchen und -Liedern. 51
Sklavinnen: Nuronnihar (Licht des Tages) und Nagematossobi (Stern
des Morgens).
In der Erzählung von dem wiedererwachten Langschläfer trifft
man in ähnlicher Weise als Namen zweier ebenso hübscher Sklavinnen
am Hofe des Sultans Harun-al-Raschid: Mondesantlitz und Sonnen-
glanz. In der Geschichte von Aladdin und der Wunderlampe kommt
die Prinzessin Badrulbudur (Vollmond oder Vollmonde), die Tochter
eines Sultans, vor.
Der 111. Tag in den persischen Märchen von 1001 Tag, die Geschichte
von Mal eh und der Prinzessin Schiri na, enthält den Namen Mah-
pe'iker (Mondesgestalt), den eine schöne junge Sklavin im Dienste der
Prinzessin Schirina, der Tochter des Königs Bahaman von Gozna trägt.
In der ( reschichte des 120. Tages von Hormoz. dem Könige von
Damaskus, mit dem Beinamen kummerloser König hat dessen be-
zauberndes Weib zwei Augen, die, wie es dort heisst, zwei Sonnen gleichen;
an einer späteren Stelle derselben Erzählung sagt ein Narr, der die Pveize
seiner Geliebten in Versen preist, ihre blonden Flechten seien die Wohn-
stätte der Sonne (sie): ein anderer Narr besingt seine Geliebte folgender-
massen: 0 du. deren Schönheit der Sonne das Lichl leiht, das sie in
Palästen wie in Hütten verbreitet, wisse, o bezaubernde Prinzessin, dass
ich den Lichtstrahl, mit dem es dir gefallen sollte, meine traurige kleine
Kammer zu erhellen, gar liebreich empfangen werde.
Aus dem 458. Tage, der Erzählung von der Liebe des Maugraby
und der Planetenschwester, der Tochter des Königs von Ägypten, sei
der merkwürdige, in ihrer Schönheit begründete Name dieser Prinzessin
hervorgehoben, der im Arabischen Areheta-il-Kuakib lautet.
In einem unedirten türkischen Märchen, der Sänger, das in dem
Buche La fleur Lascive Orientale, contes libres inedits, tradnits
dn mongol, de l'arabe, du japonais, de 1" in dien, du chinois, du
persan, du malai, du tamoul etc., Oxford, imprime par les presse* de
la Bibliomaniac Society, exclusivement pour les membres, 1882, p. 89
heisst es von der lieblichen Frau eines Droguenhändlers, die sich an
einem Fenster zeigt: schön wie der Mond (das Schönheitsideal im Orient)
tauchte ihr Antlitz auf.
In dem persischen Märchen: die unbesiegliche Prinzessin,
S. 1G0, findet man über diese, wie sie mit den Mägden in den Galten
geht den Ausspruch: sie gleicht dem Monde, der von den Sternen um-
geben ist.
In dem Heiligen Buch der Liebe, S. 147, liest man, der König
des Hochgebirges, der einen blitzenden vel (Wurfspiess) trägt, erblickte
ein liebliches Mädchen und eine Liane schien sie ihm, wachsend wie das
Antlitz des Mondes, und auf S. 155 wird der Schoss eines hübschen
.Mielchens mit einem Halbmonde verglichen.
52 Höfler:
In dem imedirten hindostanischen Märchen von der unerbittlichen
Buhlerin, S. 171, wird diese folgendermassen beschrieben: ihr Angesicht
glich dem Aussehen des Mondes nach vierzehn Nächten (in Livorno würde
man sagen: der luna in quintadecima1), d. h. dem Vollmonde.
In der letzten Erzählung des Buches, die aus dem Arabischen über-
tragen ist, wird der Jüngling, der nicht weiss, zu welchem Ge-
schle chte er gehört, S. 181, gleich im Anfange als schön wie der Mond
geschildert.
Man sehe noch ähnliche Bilder des indischen Dichters Ksemendra:
„Die weisse schlafende Gestalt lag über ein Blumenbett gestreckt, ganz
keusch, ohne anderen Schleier als ihre Schönheit, die der Mondgöttin glich,
wenn sie von ihrem Strahlenwege sich verirrt hat; die schwarzen Haare
schienen zu leuchten."
Neapel.
Der Wechselbalg.
Beitrag aus der Volksmedizin von Dr. 31. Höfler.
I. Begriffe.
Wechselbalg ist eine dem Wasserbalge ähnliche, ihm formell an-
geglichene Missgeburt bei Mensch oder Tier, verursacht a) durch den
Einfluss des Mondes oder b) durch Auswechselung von Seiten dämonischer
Wesen (Alp, Butz, Teufel, Kobold, Hexen etc.), c) durch widernatürliche
Erzeugung, d) durch den bösen Blick oder das Versehen. Sein Haupt-
charakteristikum ist seine Erscheinung mitten unter sonst normalen Ge-
burten, bezw. Generationen; die Ähnlichkeit, mit einem prall gefüllten
Wasserbalge, die Verbindung mit dem Kröpfe, das häufige Abgestorbensein
der entartetsten Formen, die zwerghafte Verkümmerung im weiteren
WTachstume, sein Vorkommen bei Mensch und Haustier (Rind), seine
grössere Häufigkeit in gebirgigen Gegenden.
Der Name Wechselbalg wird für menschliche Wesen gebraucht;
Wasserkalb für tierische und menschliche Missgeburten. Letzterer Name
ist keine Übertragung eines pathologischen Begriffes (vitulus hydropicus),
sondern blosser Vergleich mit dem ursprünglichsten Gefässe des wandernden
Nomaden, dem Wasserbehälter desselben, der Kalbshaut oder dem Büttling
(Butte, Bottich), dem Vorläufer des durch ergänzende Reparaturen aus-
gebildeten oder entwickelten Holzbottiches. Wie sonst sehr oft, so wurde
auch hier ein Hausgerät zum Vorbilde bei der Bezeichnung eines Körper-
1) Man vergleiche den bekannten toskanischen Rispetto auf ein schönes Mädchen:
Siete piü bella che non e la luna,
Qnando che in quintadecima si leva.
Der Wechselbalg. 53
teiles, bezw. einer Leibesfrucht. Von dem prall und schwellend mit Wasser
gefüllten Büttling aus Kalbshaut stehen stummeiförmig die vier Extremitäten-
Stümpfe ab. Diese abgestreifte Kalbhaut, die vernäht und verklebt oder
mit Schilf, Bast, Rinde etc. verstopft wurde, diente in ihrer gefüllten Form
als Wasserbutte zum Vergleiche mit dem körperlich ähnlichen Wechsel-
balge1), der damit den Namen „Wasserbalg" erhielt. Wasserkalb ist wohl
der ältere Name für das Wesen; die Versuche, seine Herkunft und Ent-
stehung zu erklären, führten dann zu den übrigen Namen, worunter
Wechselbalg, WTechselkind, Mondkind. Mondkalb die bevorzugteren sind;
diese Namen werden in den Kapiteln: Aetiologie und Krankheitwesen ihre
Begründung erhalten. Andererseits wurden auch die ursprünglicheren Namen
für eine Reihe von anderen Missgeburten und Muttergewächsen verall-
gemeinert.
IL Aetiologie.
1. Alle Völker glauben, dass der Mond auf die Fruchtbarkeit und
auf die Frucht Einfluss hat: der cyklische Verlauf der weiblichen Monatzeit,
der Eintritt der Geburt nach zehn .Mondzeiten, das dem Monde eigene
Wachsen und Abnehmen seines Lichtumfanges (Mondwechsel), Ebbe und
Flut etc. beweisen dem Volke (nicht aber den modernen Schulärzten),
dass nicht umsonst im Monde das Bild des fruchtbaren Hasen, der alljährlich
sein Geschlecht „wechselt", zu sehen ist. Die Erzeugung der Frucht wird
vom Monde beeinflusst, das sagen alle Völker; darum ist der Mond und
die Mondzeit Ursache der Missgeburt des Weohselbalges, der Erzeugung
des Kropfes, der cyklisch verlaufenden Fall-(Mond-)Sucht; Kropf und
Epilepsie begleiten oft genug den Wechselbalg durchs Leben. Schwängerung
im Mondenscheine giebt mondsüchtige Kinder und der coitus in mensibus
erzeugt den Wechselbalg (Grimm, D. W. 2486. 2504. 2508. A. v. Haller,
Onomatol. I, 1018.). Kleinen, aufwachsenden Kindern darf man darum
nicht den Mond mit den Fingern zeigen, sonst schauen sie in den Mond
hinein und bekommen den Kropf. Ist die weibliche Mondzeit (menses)
verhalten, dann kommt es unter diesem widrigen Einflüsse des Mondes
zur Missgeburt in Gestalt des Wasserbalges oder Wechselbalges, nicht bloss
beim menschlichen Weibe, sondern auch beim Haustiere; es bildet sich
eine widernatürliche Frucht, eine böse Bürde, ein Mondkind, ein miss-
gestaltetes Mondkalb aus. ein monstrum per fabricam alienam.
2. Die Widernatürlichkeit der Erzeugung ist aber nicht bloss Folge
des Mondeinflusses, sondern auch Folge von übernatürlicher geschlechtlicher
Vermischung. Durch den Glauben vieler Völker zieht sich die Vorstellung
der Möglichkeit geschlechtlicher Verbindung von göttlichen oder dämonischen
1) Das Wort wehselbalc kommt seit dem 13. Jahrli. vor (Lexer, Mhd. Wb. III, 732)
und ist gewiss älter, aber im Althochd. nicht belegt, wo sich im 10./11. Jahrh. wihselinc
für untergeschobener Sohn findet.
54 Höfler:
Wesen mit den Menschen. Im deutschen Volksglauben sind es besonders
die elbischen Geister, die nach «lern Verkehr mit menschlichen Weibern
trachten. Die Volkssage berichtet, dass der Alp schlafenden Weibern sich
geselle, so dass diese ein „Alperkalb" als Frucht gebären. Oft versteckt
sich auch ein Alp in dem Leibe der schwangeren Mutter und aus dem
mit der in der Geburt gestorbenen Mutter mitbegrabenen ungeborenen
Fötus wird dann wieder ein Alp: quod de foetu, qui sepelitnr cum matre,
hat Alp, qui illudit feminis (Schmeller, Bayr. Wörterb. I2, 64). Dieser
Alp-Kobold, der stets zeugend, Böses nur gebärt, erzeugt dann mit mensch-
lichen Weibern wieder einen Kobold oder Wechselbalg. Dieser wächst
sich in der Gebärmutter (der Kröten) der Weiber zum Wechselbalge aus,
der dann ganz „verkrottet" ist. Das als Schelte vorkommende Krotolf
(Lexer, Mhd. Wb. I, 1752) scheint ursprünglich eine Benennung desselben.
Ja sogar Kühe versehen sich nach der Volksmeinung an einer Kröte und
werfen dann Wasserkälber.
Wie vom Alp, so wird auch von den Wassermännern in Sage und
Lied berichtet, dass sie nach Menschenmädchen trachteten, sie ins Wasser
zogen und mit ihnen Bastarde in Form von „Wasserkindern" zeugten, die
man wegen ihres alten Gesichtes die „alten Leute" der Nixe in Nieder-
deutschland nannte. W^enn sich Menschen in sodomitischer Weise mit
Tieren vermischen, gebären diese ein Wasserkalb, „halb Mensch, hall)
Tier". Je eher, je lieber muss man ein solches missbrauchtes Tier mit
Haut und Haaren vergraben.
Aus dem Teufels- und Hexenwahn ist bekannt, dass der Teufel die
Hexen missbraucht. Die so erzeugte Teufelsbrut kommt als Wechselbalg
zum Vorschein; es ist ein am Körper schwarzhaariges, scheussliches Kind.
Auch gebiert der Teufel eine solche Missgeburt (Schandbalg), wenn er in
Gestalt eines Weibes (als succubus) das sperma virile empfängt.
3. Die Eiben waren früher den Menschen auch wohlgesinnt; das wird
namentlich von den Wichtein oder Zwergen erzählt, die mit ihren Weibern
auch Kinder erzeugten, die natürlich nach Art der Eltern waren und ganz
„verzwergelt" blieben. Vielleicht um diese zu kräftigen, raubten sie den
Menschen gerade die schönsten Kinder und legten den säugenden mensch-
lichen Müttern in listiger Weise, namentlich in der Zeit des Hervorsegnens,
wenn die Mutter aus dem Hause war (Wuttke, Deutscher Volksaberglaube,
§ 584), ihre kielkröpfigen, verkrüppelten, verhütteten Kinder in die Wiege
unter; das sind dann die Wechselinge, Wechselkinder, Wechselbutte,
Butte oder Büttlinge, Dickköpfe, die fast immer, auch wenn sie am Leben
sich halten, im Wachstume zurückbleiben.
4. Die elbischen Erd- und AVassergeister, denen sich die Hexen hierin
gesellten, können aber auch ein gesund geborenes Menschenkind durch
Zauber, üble Meinung, bösen Blick, „versehen" und in einen Wechselbalg
verwandeln. Ein solches ganz alt aussehendes Vermeintkind oder Ver-
Der Wechselbalg. 55
neidkind, bleibt immer klein und bekommt einen Kielkropf, (Kolkropf,
Kehl-, Kelchkropf, der kugeligrund auf der Kehle (chiel = chela, branchia,
Graft' IV, 387) aufsitzt. Es ist zwar auch vermutet, worden (R. Hildebrand
im Deutschen Wörterbuch V, 681), dass man diese Missgeschöpfe nach
ihrer Wasserheimat in dem Quell (kiel) und nach den Quellgeräuschen
Kielkröpfe genannt habe; aber unsere Weiber denken nicht an Nixen beim
Anblick eines solchen Kielkropfes oder Kielkopfes. Wer solche Miss-
geburten in Abbildung sehen will,, wie man sie im Mittelalter als Monstrosi-
täten von Ort zu Ort zur Erbauung des neugierigen Volkes herumführte,
sehe sich dieselben in Kleinpauls Mittelalter S. 287 und 610 an. Wir
liefern S. 56 den Lesern zwei Bilder von wirklichen Wasserkälbern, das
eine von einer Kuh, das andere von einer menschlichen Mutter, und gehen
über zum Kapitel:
III. Wesen der Krankheit,
wie die früheren Beobachter und späteren Gelehrten es darlegen. Die
einen halten das Wasserkalb, Mondkalb für ein lebloses, bein- und ein-
geweideloses, angeformtes Stück Fleisch, das unterweilen in der Gebär-
mutter wächst und zwei bis drei Jahre in der Gebärmutter bleiben kann.
Es soll sogar Krötengestalt zeigen; auch froschleichartige Gebilde hat man
schon als solche Missgeburten beobachtet. Andere sagen, dass diese Krebs-,
Vögel-, Bären-Gliedmassen an dem Leibe tragen oder ein affenartiges
Zerrbild eines Menschen, keine eigentlichen Menschen seien; viele kämen
tot auf die Welt als Schürfung, wie wenn sie die Haut abgeschürft hätten;
auch die Wasserkälber der Kühe kämen haarlos wie eine abgesstreifte,
abgeschabte Lederhaut zur Welt; die meisten Wechselbälge oder Wasser-
kälber seien auffallend klein, plump, wie ein mit Wasser gefüllter Leder-
schlauch (Wasserbutte) und dickköpfig. So ein Wesen mache seine Augen
nicht auf vor lauter Augengeschwulst, wie der Auterbutz (Schindler, Bayr.
Wh. I". 37. 316), der auch seine Wangen und Lippen nicht zum Saugen
bewegt; fast alle hätten einen unförmlichen Kropf am Halse und „eine
erwachsene, alte Haut über einem verkümmerten Skelete" bringe die ganze
Abscheulichkeit dieser Monstrosität (in extremis) hervor. Abstufungen
dieser bis zu den leichtesten Formen haben auch die neueren Schulärzte
nachgewiesen: die lebensfähigen Wechselbälge bleiben späterhin meist
taubstumm, verkrüppelt, klein, blond, epileptisch, unreinlich und wider-
wärtig; meist aber erlagen sie bislang der schlechten Pflege schon sehr früh.
Das Wasserkalb der Kuh (s. Fig. 1) zeigt einen kleinen Kopf,
der in einem wulstig angeschwollenen Halse steckt; die Ohren sind klein;
der Rumpf hat zu beiden Seiten stark vorspringende Wülste, ähnlich den
Poschen am Pferde-Dickdarm; der Körper ist von oben und unten ab-
geplattet, das scrotum ist stark durch Flüssigkeit ausgedehnt; die kleinen
Füsse sind tief zwischen den Geschwülsten der Hautbedeckung versteckt.
56
Höfler:
Diese poschenartigen Geschwülste sind mit einer lymphatischen bernstein-
klaren, gelben Flüssigkeit (Myxoedem) erfüllt (Speckkalb), die auch die
Bauch-, meist auch die Brusthöhle ausfüllt; das Skelet ist meist rhachitisch (?)
entartet (nach Frank. Handbuch der tierärztlichen Geburtshilfe, S. 387
(1887).
i
Fig. 1. Nach Frank, Handbuch der tierärztlichen Geburtshilfe, S. 387.
ZT&*
Fig. 2. Nach J. Ranke, Der Mensch II, 349 (Leipzig 1887).
Der menschliche Wechselbalg (Wasserbalg, Mondkalb) (s. Fig. 2)
zeigt ausserordentlich dicke Glieder, die durch eine monströse Entwickelung
des Unterhautzellgewebes (Myxoedem) grosse Wulste oder Poschen bilden,
die durch querverlaufende Furchen getrennt sind. Die geschwellte Haut
hat nicht Raum genug auf dem zu kurzen Rumpfe und Leibe und bildet
daher, wie beim Kalbe, auch solche Poschen; die Röhrenknochen sind zu
kurz und dünn, aber sehr hart und dicht; die grossen und wulstigen Lider
bedecken das Auge fast ganz: die Lippen sind dick und aufgeworfen, der
weit geöffnete Mund ist, wie beim Kalbe, von einer übermässig grossen
Zunge erfüllt, welche den Kieferrand um 6 mm überragt (nach Yirchow).
Die Forschung der modernen Schulärzte hat nun ergeben, dass das Wesen
der Krankheit, die den Kretinismus erzeugende sogenannte con-
genitale oder foetale Rachitis (nicht zu verwechseln mit der wahren
Rhachitis post partum) ist, worüber die medizinischen Lehrbücher weiteren
Aufschluss geben können.
Der Wechselbalg. 57
Zu bemerken ist, dass früher und späterhin auch jede nicht lebens-
fähige Fötusbildung- von etwas entstellter Form, jede Degeneration des
Mutterkuchens (Blasenmole, froschleichähnliche Traubenmole z. B.), das
Cystovarium, Lithopaedion, Uterusmyom und der Hydrops (asoites) als
Wasserkalb x), Aberkalb u. s. w. bezeichnet zu werden pflegte. „Wem der
Bauch fest gebläht war, dem wollte das Wasserkalb wachsen"; dies war
IV. die Diagnose in der Volksmedizin;
dieselbe kennt aber auch
V. eine Prognose.
Die Wechselbälge werden nicht alt, meist nur bis zu sieben Jahren.
Es kann gelingen durch die Therapie, den Balg zu vertreiben; dann kann
das ausgewechselte Kind wieder erscheinen (ein Fingerzeig dafür, dass
Kretinismus sich durch Pflege verbessern lässt, was auch Forscher wie
Knapp, Bircher etc. bestätigen); „das zurückgegebene Kind hat dann
freilich viel vom Wassermenschen angenommen" (A. Wuttke, Der deutsche
Volksaberglaube, § 585).
VI. Die Therapie der Volksmedizin
beim Wechselbalge ist vorwiegend eine prophylaktische: zum Teil ist die-
selbe in der Aetiologie schon besprochen, zum anderen Teil ist auf Ad.
Wuttke, Der deutsche A^olksaberglaube der Gegenwart. § 588 ff. zu ver-
weisen, wo die diesbezüglichen Vorschriften nach dem Volksglauben der
verschiedenen Länder eingehend angeführt sind. Zumeist sind es dämonen-
vertreibende Mittel zu gewissen Kultzeiten, das hochheilige Salz, die Vor-
taufe und die eigentliche Taufe, christliche Kultgegenstände, Sicherung
des Kindes vor dem Berufen und Vermeinen der Wöchnerin vor alten
Weibern. Die eigentliche Therapie sind Schläge mit der hochheiligen
Haselgerte oder der Birkenrute, um den Alp, Kobold u. s. w. aus dem
Körper (Balg) hinauszuprügeln, wenn nötig unter Drohworten. Besprechungs-
formeln, eigentliche Bannworte sind dafür nicht üblich.
Toelz in Oberbayern.
1) (wazarkalb, hydrops, Gl. des 9. Jahrhunderts, Graff IV, 391.)
58 Köhler-Bolte:
Zu den von Laura Gonzenback gesammelten
sicilianischen Märchen.
Nachträge aus dem Nachlasse Reinhold Kühlers, herausgegeben von J. Bolte.
Gerade 25 Jahre sind verflossen, seit die von Fräulein Laura Gonzen-
bach1) in Messina und Catania aus dem Munde der sicilianischen Land-
bevölkerung aufgezeichneten und verdeutschten Volksmärchen, von Otto
Hartwig, einem gründlichen Kenner der sicilischen Geschichte, eingeleitet und
von Reinhold Köhler mit vergleichenden Anmerkungen ausgestattet, im
Druck erschienen.2) Das 92 Nummern enthaltende zweibändige Werk bot die
umfangreichste Lese italienischer Märchen, die bis dahin veröffentlicht war,
und vermochte einem grösseren Leserkreise zu offenbaren, wie anmutig
sich natürliche Darstellungsgabe und heitere Phantastik in diesen Erzählungen
des südländischen Volkes vereinigten. Und wie einst deutsche Dichter,
Wilhelm Müller, August Kopisch, Paul Heyse, mit Eifer und Glück auf
die Schätze des italienischen Volksliedes hingewiesen hatten, so forderte
Hartwig in seinem Vorworte ausdrücklich die Freunde der Volkspoesie in
Italien auf, sich ihrer Volksmärchen mehr, als es seit den Tagen Straparolas
und Basiles geschehen, anzunehmen, während Köhler mit intimer Kenntnis
die Fäden aufzeigte, die diese Erzeugnisse mit der Novellistik ferner
Völker und Zeiten verknüpften.
Seitdem haben zahlreiche italienische Gelehrte mit rühmlichem Eifer
an der Erforschung ihres Volkstums in Lied und Spruch, Märchen und
Sitte gearbeitet; in Sicilien insbesondere hat Giuseppe Pitre eine staunens-
werte, fruchtbringende Thätigkeit entfaltet. Der stille Weimarer Gelehrte
aber verfolgte dies rege Schaffen und Treiben mit steter Freude uud führte
mit unermüdeter Treue Buch über jede neue Märchensammlung, die ihm
weitere Belege für die unverwüstliche Lebenskraft alter poetischer Motive
lieferte. Daher erschien es nach Köhlers Tode als eine Ehrenpflicht gegen
den Verstorbenen, die hinterlassenen Nachträge zu den Anmerkungen über
die sicilianischen Märchen nicht ungenutzt liegen zu lassen; wird doch
ohnedies die hilfbereite Güte, mit der er aus seinem reichen Wissen und
seinen sorgsamen Kollektaneen jedem Frager Auskunft spendete, von vielen
schmerzlich vermisst.
Diese Nachträge, die mir die Schwestern Elise und Mathilde Köhler
zur Veröffentlichung anvertraut haben, bestehen teils in Randnotizen, die
1) Sic starb als Gattin des Obersten La Racine am IG. Juli 1878 zu Messina,
2) Leipzig, Engelmann 1870, 2 Bde. — Besprochen wurde das Buch in der Augs-
burger Allgem. Zeitung 1S70, No. 11 (G. G.), im Litterar. Centralblatt 1870, No. 21.
S. 598 (E. K.), in der Rivista bolognese 4, 2 und in The Academy 1870, p. 170.
Zu den von Laura Gonzenhach gesammelten sicüianischen Märchen. 59
Köhler seinem Handexemplare mit Bleistift beigeschrieben hat, teils in
ausführlichen Bemerkungen auf besonderen Zetteln. Meine Aufgabe bestand
darin, die häufig ungeordneten Citate in übersichtlicher Weise zum Abdruck
zu bringen und die meist nur durch den Autornamen oder ein Stichwort (wie
ditmarsische, ossetische Märchen) bezeichneten Werke genau kenntlich zu
machen1), bisweilen auch eine fehlende Seitenzahl oder Nummer zu er-
gänzen. Hinzugefügt und in eckige Klammern eingeschlossen habe ich
einige Hinweise auf spätere Veröffentlichungen Köhlers und ein paar eigene
Notizen, natürlich ohne jede Absicht der Vollständigkeit; namentlich das
ausgezeichnete Buch von Crane „Italian populär tales" (Boston 1889)
glaubte ich regelmässig berücksichtigen zu müssen. Auch Kadens Ver-
deutschung italienischer Volksmärchen aus den Sammlungen von Pitre,
Comparetti und Imbriani habe ich angeführt, obwohl der Übersetzer, wie
Köhler im Litterarischen Centralblatt 1881. S. 337 dargethan, unter falscher
Flagge segelt, indem er, seine Quellen verschweigend, sich als den eigent-
lichen Sammler geriert.
1. Die kluge Bauerntochter.
Zerlegung des Huhns: Et. Köhler, Germania 21, 18 [Zur Magussaga,
Kap. 1; vgl. Germ. 20, 27."). Köhler, Anzeiger f. deutsches Altert. '.). 406
zu Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestomathie S. 128. Hans Sachs, Schwanke
No. 215 ed. Goetze]. Bernoni, Tradizioni popolari veneziani 1875, p. 54—58.
Corazzini, I componimenti tninori della letteratura pop. italiana 1877,
p. 432—435. Pinamore, Tradizioni popolari abbruzzesi 1882, No. 7.
NeoeMrjvixä 'Aväkexta 1 (Athen 1870) S. 29—34 No. 6 [7/ ßaoihooa mcu 6
(uvh)js. Misotakis, Ausgewählte griech. Volksmärchen. Berlin 1882, S. 32].
Köhler, Rivista di letteratura popolare 1. 216 (1878). — NeoeMqv. Aval. 1.
25—29, No. 5 (Tä xonuximiyA). Comparetti. Novelline popolari italiane
1875, No. 43 [= Crane, Italian populär tales 1889, Xu. l(»s, dazu p. 382J.
Imbriani. 'A 'Ndriana Fata. eunto pomiglianese 1875, p. 4. Pinamore
No. 36. De Nino, Usi e costumi abbruzzesi 1879. Xo. 67. Giambattista
Basile 4, 4 Romania 11. 415 (Conte mentonais). Braga, Contos tradi-
cionaes do povo portuguez 1883, No. 59. [Child, English and scottish
populär ballads 1, 6 „The Elfin Knight".]
Der Läufer bestellt die Worte des Mädchens, die seine Diebe-
reien verraten: Pitre. Fiabe novelle e raeconti pop. siciliane 1875, No. 198:
Canti popolari siciliani 2 (1871) No. 847. Comparetti, No. 43. V>of/./jyr.
'Aval. 1. 25. Xo. 5. Sakellarios. Ta KvnQiaxd 2, 314, No. 4 (1891)= Jahr-
buch f. rom. Phil. 11, 360. Schiefner. Ossetische Märchen, No. 2 (Melanges
asiatiques tires du Bulletin de l'academie des sciences de St. Petersbourg
5. 703. 1868). Spitta-Bey. Contes arabes modernes 1883. No. 3.
1) Hierbei hat mich Herr Hofrat Dr. H. Wernekke in Weimar durch Nachweise aus
Köhlers hintcrlassener Bibliothek gütigst unterstützt.
6Q Köhler Bolte:
2. Maria, die Löse Stiefmutter und die sieben Räuber.
3. Maruzzecla. 4. Von der schönen Anna.
Pitre No. 57 (Spiegel in No. 38). Pitre, Novelle pop. toscane 1885,
No. 9 „La scatola di cristallo" = Crane, Italian populär tales 1889, p. 326,
No. 21. Tuscan Fairy Tales 1880, No. 9. De Nino No. 50. Corazzini
p. 435 (Sonne). Coronedi-Berti, Novelle popolari bolognesi (1874. Pro-
pugnatore 7) No. 13. Nerucci, Novelle pop. montalesi 1880, No. 6 (Strolaga
statt Spiegel). Yisentini, Fiabe mantovane 1879, No 28 (Spiegel). De
Gubernatis, Novelline di S. Stefano di Calcinaia 1870, No. 11. [Imbriani,
Novellaja fiorentina 1877, No. 17, p. 154 und No. 15. p. 147. Archivio
10, 322.] Consiglieri-Pedroso, Portuguese Folk-Tales (Folk-Lore Society 9)
No. 1 (Mädchen und Kämraerling). Coelho, Contos populäres portuguezes
1879, No. 35 (auch Contos nacionales No. 20). Maspons y Labros, Cuentos
populars catalans 1885, 2, No. 20 (Spiegel). Cerquand, Legendes du pays
basque 1875. No. 106. Riviere, Contes pop. de la Kabylie 1882, p. 215
(Mond). Buchon, La Grece continentale et la Moree 1843, p. 263 (Rodia)
|= Legrand, Contes populaires grecs 1881, p. 140. Deutsche Rundschau
28, 129. 1881. Misotakis, Ausgew. griech. Volksmärchen 1882, S. 04
„Rodia".J. D'Estournelles de Constant La vie de province en Grece p. 260
(Sonne). B. Schmidt, Griechische Märchen 1877, No. 17. Dozon. Contes
albanais 1881, No. 1 (Sonne). — Sebillot, Contes pop. de la Haute-Bretagne
1880, No. 21. [Andrews, Contes ligures 1892, No. 18. 19. 58. Carnoy et
Nicolaides, Traditions pop. de l'Asie Mineure 1889, No. 5. Jones and
Kropf, Folk-Tales of the Magyars 1889, No. 35.] Mailath, Magyarische
Sagen, Märchen und Erzählungen 1, 183. Poestion, Isländische Märchen
1884, No. 19. Berntsen, Folke-Aeventyr 1873—83, 2, No. 16. Janson,
Folke-Eventyr 1878, No. 1. Yang, Gamla Sagner fraa Valdris 1871, S. 63.
Zu Gonzenbach 4 vgl. Imbriani, Conti poiniglianesi 1876, No. 2.
Ein Kleid mit Glöckchen erscheint auch bei Pitre No. 43, p. 383
(2, 53). De Gubernatis No. 3. De Nino No. 29. 49. Nerucci No. 11.
Comparetti p. 99, No. 23. Maspons 1, No. 20. — Pandora 1787, S. 28.
Vulpius, Kuriositäten 3, 212. Rosenkranz, Neue Zeitschr. d. thür. sächs.
Geschichtsvereins 1, 1, 13. Förstemann, Kl. Schriften zur Gesch. Nord-
hausens 1, 153. Engl. Studien 3, 104 (Sattel, Zügel). Child, English
Ballads 2, 320.
5. Die verstossene Königin und ihre beiden ausgesetzten Kinder.
Lies Pröhle, Kindermärchen No. 3 [statt 5]. Ferner Frommanns Zeit-
schrift Die deutschen Mundarten 4, 263. . Bechstein, Märchenbuch 1845,
S. 250. [Köhler, Melusine 1, 213 und bei Schiefner, Awar. Texte 1873,
No. 12. Pitre No. 36 = Crane No. 4, p. 325, 10. 355, 9. Prato, Novelline
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. 61
popolari livornesi 1880, No. 2 „Le tre ragazze". Comparetti No. 6. 30.
Coronedi-Berti No. 5. Visentini No. 46. Imbriani, Nov. fior. No. 8, p. 69
und No. 6, p. 40. De Gubernatis No. 16. Cosquin. Contes pop. de la
Lorraine No. 17. Maspons y Labros, Rondallayre No. 14. 29. NeosMrjvixa
"Aval. 1, 1, No. 4. Zigeunermärchen im Ausland 1881, 746. Prym-Sociu,
Dialekt des Tür Abdin 1881, No. 35. 1001 Nacht, 103 der Breslauer Ausg.
Stokes, Indian fairy tales 1880, p. 242. 247.]
6. Von Joseph, der auszog sein Glück zu suchen.
Pitre, Fiabe No. 50 [= Kaden, Unter den Olivenbäumen 1880, S. 107.
Vgl. Crane p. 77 und 344, 26. Cosquin 2, 16 zu No. 32. — Köhler, Archiv
f. slav. Phil. 5, 461]. Finamore No. 19. Consiglieri-Pedroso No. 8. Coelho,
Contos nac. No. 18. NeoeXX. 'AvdXexra 1, 56, No. 11. Radioff, Volkslitteratur
der türk. Stämme Südsibiriens 4, 318. 1001 Nacht 4, 120 Weil.
Zu der Einnähung des Helden in eine Tierhaut, die von Vögeln
auf einen hohen Berg getragen wird, vgl. J. Grimm, Kleinere Schriften
4, 40 (Hüon). Spiller. Ztschr. f. d. Altert. 27, 175 f. Goedeke, Reinfrit
von Braunschweig 1849, S. 107 [ed. Bartsch 1871], Pitre No. 50. Academy
1891, March 21, p. 284.
7. Die beiden Fürstenkinder von Monteleoue.
Lope de Rueda, Eufemia. Seine Komödien, übersetzt von A. Germond
de Lavigne. [Rapp, Spanisches Theater 1, 1S7 — 241. 1868. | A. de Latour,
Etudes sur l'Espagne 2, 33. Perd. Wolf, Studien 607. Prutz' Litt. hist.
Taschenbuch 1, 231. Moratin, Origenes del teatro esp. Lemeke, Hand-
buch. Klein, Gesch. d. span. Dramas. Papanti, Catalogo dei novellieri
italiani 2, p. VII— XXIV (1871). Batacchi, Novelle 2, 17 „La Pianella".
Pitre No. 75. Imbriani, Novellaja fiorentiua No. 31. De Gubernatis No. 10.
Finamore No. 36. Giamb. Basile 4, 3. Romania 11, 415 f. (conte mentonais).
Simrock, Märchen No. 51 und Quellen des Shakespeare12 1, 276. Madsen,
Folkeminder fra Hanved Sogn 1870, S. 33. [R. Köhler, Gott. Gel. Au/.
1871, 1411 und Littbl. f. germ. u. rom. Phil. 1883, 270 über Rochs, über
den Veilchenroman, Halle 1882. Kalff, Gescliiedenis der nederl. letterkunde
in de XVI. eeuw 1889, 1, 387. Lanehams Letter ed. by Furnivall 1890,
p. XXV. Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestom. S. 421. j — Auf ähnliche
Weise, sagt Grimm (Altd. Wälder 1, 67), schwätzt der rote Ritter in dem
dänischen Volksbuche Lyckens Tumle-Klode [Köhler besass einen Kopen-
hagener Druck von Nissen von c. 1857, 24 S. 8] der Amme das heimliche
Mal der Königstochter ab. in welcher Geschichte jedoch alles andere von
Grund aus abweicht.
Der Bruder will das Blut der vermeintlich schuldigen
Schwester trinken: Pitre 1, 89. 212. 214, Anm. Webster 23.
62 Köliler-Bolte:
8. Bauer Wahrhaft.
Pitre No. 78 (Lu zu Viritati) und 4, 391. Le tre maruzze. Imbriani,
Conti pomigl. No. 1. [= Graue No. 48, dazu p. 360.] Coelho No. 56.
Braga No-. 58. Azeveclo, Romanceiro tlo archipelago da Madeira 1880,
p. -11?). Vgl. auch Keller, Fastnachtspiele 1, 351, No. 4(5. [Oesterley zu
Gesta Rom. lll.J
[Zu dem Aufpflanzen des Stockes und dem Gespräch mit ihm vgl.
Bolte, Das Danziger Theater im 16. u. 17. Jahrhundert, 1895, S. 175]
9. Zafarana.
Zum Teil vgl. Pitre No. 39. [Krauss 1, 281,]
Über das Lausen des Kopfes durch das Mädchen (S. 49) vgl.
No. 23 (S. 145). Grimm, Märchen No. 29. 92 [auch 3, 116 zu No. 65].
Cosquin, Contes pop. de Lorraine No. 23. Dozou, Chansons pop. bulgares
p. 1741. 339. Halm, Griech. u. albanes. Märchen 1864, Register s. v. Lausen.
Bibl. de las tradiz. pop. esp. 1, 110 (y yo le buscare un piojito). Folk-
lore andaluz 1882, S. 310. 403. Romero, Contos populäres de Brazil 1885,
p. 40. 51. Wuk, Volksmärchen der Serben No. 31, S. 185 (Krauen des
Kopfes;. Janson No. 10. Hylten - Cavallius, Schwed. Volkssagen 1848,
No. 4. Kamp, Danske Folkeäventyr 1879, No. 190 (Lysk mig, lysk mig).
Poestion. Lappl. Märchen, S. 150. 167. 175. Child, Ballads 1, 27 b. 32 a.
37 b. 49 a. Tobler, Schweizer. Volkslieder 2, 171. Remisch, Die Bilin-
s]»rache 1883, 1, 173. [Erk-Böhme, Liederhort No. 41 a „Ulinger", Str. 10.
No. 42 a, Str. 5. No. 195, Str. 5. U. Jahn, Volksmärchen aus Pommern
I, 23 No. 3.]
10. Die jüngste kluge Kaufmanustochter.
Pitre No. 22. 23. Imbriaui No. 22. 23. Nerucci No. 2. 47. Comparetti
No. 18. 1. Giamb. Basile 1885, 8. Sakellarios No. 1 [= Jahrb. f. roman.
Litt. 11, 355. Misotakis S. 124.]. B. Müller, Aus Davos S. &2. Kamp 54.
— Zum Teil E. Meier, Volksmärchen aus Schwaben 1852, No. 63 | Grimm
No. 40].
Zu dem Schlafzettel vgl. Pitre No. 22. 21. De Gubernatis, Zoologicnl
Mythology 1870, 2, 36. Giamb. Basile 2, 53. Wright, Latin stories 126,
mit Anm.
[Zu dem silbernen Adler, in dem sich der Räuber versteckt, vgl.
unten zu No. 68.]
II. Der böse Schulmeister und die wandernde Königstochter.
Dozon, Contes albauais No. 7. AeXriov T>~jg iotoq. xai ethoA. haigias Ti~h~
cEXXddog 1, 345. Pitre No. 66 zum Teil. Imbriani, Le sette mane-mozze
1877. Consiglieri-Pedroso No. 15 u. 29. Braga No. 35. Perle d'esperance.
Riviere 204. De Nino No. 73. [Archivio 10, 311.]
Zu den von Laura Gonzenbaeli gesammelten sicilianischen Märchen. 63
Zum Eingänge vgl. Bernoni No. 15; zum weiteren Verlaufe Visentini
No. 14.
[Über die märchenhafte Zeitbestimmung (7 Jahre, 7 Monate. 7 Tage)
vgl. Köhler bei Sarnelli, Posilecheata ed. Imbriani 1885. p. 168.]
12. Von der Königstochter und dem König Chicchereddu.
Zum Eingange vgl. Giamb. Basile 1883, No. 10. Archivio 3, 535. —
Comparetti No. 33. Melusine 1, H6. [Pitre No. 287. |
Die Hemmung der Entbindung durch eine Zauberin auch bei
Pitre No. 18. Liebrecht, Zur Volkskunde 1879, S. 322. Lammert, Volks-
medizin, S. 165. [Child, English populär ballads 1, 84.]
13. Die Schöne mit den sieben Schleiern.
Pitre 1, 119, No. 13. 4, 285; Otto fiabe No. 2 (1873. Propugnatore ('.).
Coronedi-Berti 11. Consiglieri-Pedroso No. 3 (2). Nerucci No. 14. Com-
paretti No. 11. Busk, Folklore of Ilome 1S74, p. 15. De Gubernatis
No. 5. 4; Zoolog. Myth. 2, 242. Imbriani. Nov. fior. No. 1(.»: Novellaja
milanese 1872, No. 7, Anm. Rondallayre 1875. 1, No. 18. 2, Xu. 11.
Deulin. Contes du roi Cambrinus 1874, |». UM. B. Schmidt Xo. 5. \sXriov
1, 158. Asbjörnsen, Norske folke-eventyr No. 66. [Archivio 10. 305].
Sieben Schleier (2. 211**) auch in No. 2!». S. 190; sieben Decken
No. 21. S. 133. Comparetti X«». 11. p. 153. Bernoni p. 84. Pitre 1, 343.
2,42. 113. B. Schmidt No. 13. De Nino p. 203. Fünf Schleier B Schmidt
No. 4. — Vgl. auch Rot, weiss und schwarz Cab. des Fees 31. Kletke,
Märchensaal 1, 181. Busk p. 427.
Zum Eingange vgl. Pitre No. 13. 13. he. Fiabe pop. rovignesi 1N79.
No. 1 [= Crane No. 24, p. 338]. Prato No. 1 (La bella dei sette cedri).
Mourier, Contes et legendes du Caucase 1888, No. 4.
Auf- und zuschlagende Thür festgehakt: Comparetti 10. Ive,
Fiabe 1. Kristensen, Aeventyr fra Jylland 1881 — 84, 2. No. 50. Grundt-
vig, Danske Folkeaeventyr 1876, No. 16. Ralston, Uussian folk-tales 1*73.
139. Goldschmi.lt. Russ. Märchen 1883, S. 162 f. Berntsen 2, Xo. 12.
De Nino No. 12. Imbriani No. 12. Prato 71. 121. De Gubernatis Xo. 2
(cardini stridenti). Visentini No. 10 Cosquin zu No. 65.
Löwe und Esel streiten sich um Heu und Knochen: \f.Xtiov 1. 149.
Prym 228. Enciclopedia 25. Okt. 187!). Pogatschnigg No. 9 [in Carinthia
1865, 438].
Schlechte Feigen und bittres Wasser gelobt: Prato a. a. 0. Pitre
No. 18. B Schmidt zu No. 6. Ausland 1881, S. 798 (Zigeunermärchen).
Mir Knüppeln statt mit Besen kehren: Köhler. Archiv f. slav. Phil.
2, 628 (Südslav. M. Xo. 27). Prato a. a. 0. Comparetti 10. 33. Ive 1.
Grargiolli, Novelline pop. delle Marche 1878, No. 2. Enciclopedia 25. Okt.
64 Köhler-Bolte:
1879. Grundtvig No. 16. [De Gubernatis No. 2. Imbriani, Nov. fior.2
No. 16.]
Die Riesin geht, ihre Zähne zu wetzen: Anm. zu Hahn No. 65
(nicht 15). Basile, Pentamerone 2, 100 Liebrecht. Ralston p. 142.
B. Schmidt No. 5.
Braut vergessen infolge eines Kusses der Mutter: De Gubernatis
No. 5. [Crane p. 344 oben.]
Rot wie Blut, weiss wie Schnee (Marmor, Käse), schwarz wie
Rabe: De Gubernatis No. 5. Busk p. 15. [R. Köhler, Aufsätze über
Märchen und Volkslieder 1894, S. 29 3.] La tavola ritonda, o l'Istoria di
Tristano ed. Polidori 1864, 1, 94. Stokes und Windisch, Irische Texte 2,
2, 113. K. Zimmer, Keltische Studien 2, 200. Revue celtique 5, 232.
Dozon No. 24, p. 178. Godin. Berntsen 2, No. 16. Comparetti No. 11.
Yisentini No. 9 (weiss wie Marmor, rot wie Blut), No. 42 (weiss wie Schnee,
rot wie Blut). Corazzini No. 10 (weiss wie Ricotta, rot wie Blut). Grön-
borg, Optegnelser pä Vendelbomäl 1884, S. 103. Berntsen 1, 239, No. 30.
Finamore p. 216 (rot und weiss wie ein Apfel). Poestion, Isl. Märchen,
S. 239. J. J. Schmidt, Gesch. der Ostmongolen 1829, S. 139 (Elbek schiesst
einen Hasen und sieht sein Blut im Schnee).
Reime: „Cuoco de la cocina, Che fa lo re co la Saracina?" Basile,
Pentam. V, 9. Finamore No. 50. Coronedi-Berti No. 11. Corazzini p. 469.
Busk p. 18. 19. 25. Ive a. a. O. Pitre 1, 118. Imbriani a. a. O. Prato
p. 77 zu No. 1.
Die Sklavin spricht sich selbst ihr Urteil: Imbriani, Nov. fior.
p. 312 u. XIII. B. Schmidt No. 5. Aehiov a. a. 0.
Eine Hässliche sieht im Wasser den Schatten einer Schönen
(1, 81): Basile, Pentam. V, 9 = 2, 240 Liebrecht. Corazzini p. 468.
Nerucci No. 14. Prato 26. 27. Aefaiw 1, 162 f. Wolf-Mila 41. Rondallayre
3, 147. Bibliot. de las tradic. pop. esp. 1, 109. Consiglieri-Pedroso No. 2. 3.
Coelho, Contos nac. No. 22. Romero No. 14. Antananarivo Ann. No. 3,
p. 110 = Folk-lore Journal 1, 236. 2, 135 (madagaskisch). Campbell 1,
34. 56. Köhler, Revue celtique 3, 378. Schott, Walach. M. S. 250. Hylten-
Cavallius No. 14. B. Djurklou S. 77. Ayrer, Sidea [4, 2205 ed. Keller
= Tittmann, Schauspiele des 16. Jahrb. 2, 277J. Simrock, Märchen S. 369.
Zeitschr. f. d. Mythologie 4, 321. — Bei Stier 86 und Hahn 1, 271 fehlt
das Wegwerfen oder Zerbrechen des Kruges. Entstellt ist Zingerle 1,
No. 11.
Verwandlung in Taube durch eingestochene Nadel (1, 82):
Stokes, Indian fairy tales S. 254. [Cosquin 1, 235.]
14. Von der schönen Nzentola.
Consiglieri-Pedroso No. 4. Folklore Journal 1, 316. Luzel, Veillees
bretoimes 1879, p. 11. Bartsch, Sagen aus Mecklenburg 1879, 1, 477, No. 3.
Zu den von Laura Gronzenbach gesammelten sicilianischeu Märchen. 65
Über die vergessene Braut vgl. Köhler, Revue celt. 3, 376. [Pitre
No. 13 = Crane No. 15, p. 343 Kaden 8. 122.] Finamore No. 4. 40. 41.
Nerucci No. 18. Busk p. 3 „Filagranata". Djurklou, Sagor och äfventyr
1883. S. 71. Grundtvig No. 5. Pröhle, Kiuder- und Yolksmärchen 1853,
No. 8. Webster, Basque legends 1877, S. 120. Miklosick, Mundarten der
Zigeuner 1874, Märchen No. 15. Ralston p. 120. [Cosquin No. 32. Rua,
Novelle del Mambriano 1889, p. 86. Lemke, Volkstümliches in Ostpreussen
2, 139. 156.]
Redender Speichel: Leger, Contes pop. slaves 1882, No. 8. Ralston
142. Webster 125.
Verwandlungen auf der Flucht: No. 32 Cosquin No. 9. Pitre
No. 15 (21, p. 194. 199). De Gubernatis No. 5. 6. Consiglieri - Pedroso
No. 4. Finamore. Nerucci No. 18. Corazzini No 10. Ortoli, Contes pop.
de Corse 1883, p. 27. Rivista 1, 84. Archivio 1,525. Maspons y Labros
2, No. 4. 1, No. 19. Braga No. 32. Coelho No. 14. Carnoy, Litt, orale
de la Picardie 1883, No. 2. Janson No. 6. Sebillot, Contes pop. Leger
No. 8. Ralston a. a. O. Miklosich a. a. 0. Krauss 1, No. 48. G. Zeynek,
Ein Beitrag zur Sammlung des Volkstüml. im temescher Banat (Ausschnitt).
S. 343. Bartsch No. 3 (Rosenstock u Rose, Karoussel u. Besitzer, See u.
Ente). Berntsen 1, No. 25 Cerquand No. 99.
Kuss als Ursache des Vergessens: Pitre 1, 122. Busk p. 3 „Fila-
granata". Coronedi - Berti 11. Finamore 12. 41 Nerucci. Consiglieri-
Pedroso. De Gubernatis No. 5. Archivio 1, 523. 530. 2, 73. Rivista 1, 84.
B. Schmidt No. 5. 12. Carnoy No. 2. Webster 127. Ralston 131.
[Andrews No. 8.]
Wiedererweckung der Erinnerung durch zwo i Taub en : Pitre
Xo. 13. 15. Finamore No. 12. De Gubernatis No. 5. Rivista l, 85 (ent-
stellt). Busk. Coronedi-Berti. Nerucci. Luzel, 5. rapport sur uue mission
en Bretagne p. 28 (in Archives des missions sciontifiques et litteraires
3. ser., vol. 1. 1873). Coelho No. 14. Leger No. 8. Ralston 131.
Djurklou. Berntsen. [Andrews Xo. 8. U. Jahn. Volksmärchen aus
Pommern 1, No. l.J
15. Der König Stieglitz.
De Gubernatis, Zoolog. Mythol. 2, 286. Pitre No. 18. Var. De Nino
No. 13. Archivio 1, 424. 2, 166. Coelho No. 44. Fleury S. 135. Kamp,
Danske Folkeminder No. 914. Grundtvig No. 16. Vang, Gamla Regio
1850, No. 1 - [H. Ross,] Ein Soge-Bundel 1869, 19. Bergh, Nye Folke-
Eventyr fra Valders 1879, S. 1. Godin, Poln. Volksmärchen, S. 119.
Pitre, Nuovo Saggio 1873, No. 5 (Namen wissen wollen); Fiabe No. 1
[= Kaden S. 89] (sehr abweichend), 18 (Namen wissen wollen - Crane
Xo. 1). Eigentümlich entstellt ist Sebillot No. 28. Ungar. Revue 1888,
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. 5
gg Köhler-Borte:
S. 438. [R. Köhler, Aufsätze 1 894. S. 198. Blade, Contes rec. en Agenais
p. 145. Crane p. 321. Romania 10, 133.]
Das Mädchen beleuchtet den schlafenden Jüngling und lässt
einen Tropfen Wachs auf seine Stirn fallen (1, 95): Basile, Pentam. II, 9
V, 4. Pitre No. 18, Var. De Ghibernatis, Zoolog. Mythol. 2, 286. De Ninö
No. 13. Archivio 1, 424. 2, 166. Coelho No. 44. Braga No. 2 und 14.
Bibliot. de las trad. pop. esp. 1, 129 (Schwefelhölzchen; ein Funke fällt
dem Jüngling ins Gesicht). Fleury 135. Kristensen 2, No. 52 (drei Talg-
tropfen). Bergh 3. 3 (desgl.). Berntsen 1, No. 20 (da dryppede Lyset ned
paa hans Ansigt); 1, No. 29 (Jüngling schlägt Feuer an, Königstöchter
erwacht). Grundtvig 1, 100 (Frau des weissen Hundes zündet Licht an,
drei Talgtropfen fallen auf seine Brust). Kamp, Danske Fm. No. 914
(Frau des Prinzen Weissbär, drei Talgtropfen auf seinen Hals). Yang,
(iamla Regio 1 = Sagabundel 19 (ein Talgtropfen auf die Achsel des Yyl-
ritters). Bergh, Sogur 7 (Frau des Eichhorns, drei Tropfen); NFE. No. 1
(Frau des Königs Weissbär lässt drei Harztropfen vom Span auf seinen
Arm fallen). Asbjörnsen No. 41. Hylten-Cavallins No. 19. Grrundtvig
No. 16 (Frau des Wolfprinzen zündet Licht an und küsst ihn). Godin
S. 119 (Frau des Drachenprinzen, Fünkchen von der Kerze).
Zum Schwüre der alten Hexe vgl. Hahn 2, 294, Anm. Basile,
Pentam. IV, 8 (2, 109 Liebrecht). Pitre No. 18. Comparetti No. 33.
Zum Kästchen, das die Frau nicht öffnen darf, vgl. Pitre, Saggio
No. 5; Fiabe No. 18. Imbriani No. 16. Comparetti 33 (10). Yisentini
No. 20. Enciclop. 25. Okt. 1879, p. 344. Cosquin zu No. 65. Wigström
in Svenska Landsmälen 5, 1, S. 35 (1884). Kristensen 2, No. 50. Grundtvig
No. 16. Bergh, NFE. S. 11 (Brautschmuck ans der Hölle holen).
Thür, Strom, Hund und Esel: Pitre No. 18. Wigström in Svenska
Landsmälen 5, 1, S. 29. 33. Kristensen a. a. 0. Bergh, NFE. S. 12.
Kerze in der Hochzeitsnacht halten (S. 101): Pitre No. 17—18
[= Crane No. 1, p. 6]. Comparetti No. 33. Grundtvig No. 16. Bergh 19.
Kristensen 2, No. 50. Sv. Landsm. 5, 1, S. 36.
16. Die Geschichte von dem Kanfmannssohne Peppino.
Pitre No. 82 |'= Kaden S. 211]. Comparetti No. 27. Nerucci No. 33.
Maspons 1, No. 1, p. 15 u. No. 16, p. 76. De Gubernatis No. 23. Webster
82. Ralston S. 100. 108. 113. Brueyre, Contes pop. de la Grande-Bretagne
1875, p. 81 ff. Radioff 4, 505. [Crane p. 7. 324. J
Lebenskraft eines Riesen an ein Ei geknüpft: Pitre No. 81. Yar.
u. 82. Imbriani p. 10. 194. [Cosquin 1, 173. Leskien-Brugman zu No. 20.
Andrews No. 46. Jahn, Ym. aus Pommern 1, 348.] — Das auf S. 216
zweimal vorkommende Citat „Asbjörnsen 4" ist in „Asbjörnsen 36" ab-
zuändern.
Zu den von Laura G-onzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. Q7
17. Von dem klugen Mädchen.
Pitre, Nov. pop. tose. No. 14. Comparetti No. 21 [= Kaden S. 205].
Imbriani, Nov. fior. No. 37 = Nerucci No. 29. Prato, Romania 13, 160
= Gli ult. lavori 28.
Proben eines als Mann verkleideten Mädchens: Leskien-Brugman,
Litauische Volkslieder und Märchen 1882, No. 19 und Anm. 8. 562. De
Nino No. 55. Comparetti No. 17. Archivio 3, 365. Romero No. 32.
Yinson p. 73. Janson No. 5. [Lemke 2, 141.]
18. Die gedemiitigte Königstochter.
Pitre No. 105. Coronedi-Berti No. 15 = Crane p. 110, No. 29. Nerucci
No. 22. [Gradi, La vigilia di pasqua di Ceppo 1860, p. 97. | Coelho No. 43.
Cosquin No. 44. Sebillot No. 23. Kennedy p. 114. [Lemke, Volkstüm-
liches in Ostpreussen 2, 101. Jahn, Volksmärchen aus Pommern 1, No. 12.
Ralston, Tibetan Tales 1882, p. LVI1I. Cederschiöld, Clarus-Saga (Lund
1879 mit Köhlers Anmerkung auf S. I) und Svenska Landsmalen 5, 6, 98.]
Wigström, Svenska Landsmälen 5, 1, 38. [Bergström och Nordlander
ebenda 5, 2, 6. Nyrop ebenda 2, CIV, No 24. Bugge, Studier over de
nordiske gude- og heltesagne oprindelse 1, 136. 1882.] Bondeson, Svenska
folksagor 1882, No. 24. Madsen 65. Kristenseu 1. No. 13. 14.
Über die Novelle Alamannis vgl. Passano, Novellieri italiani in prosa
2. ediz 2, 5. [In einein Referate über E. Gigas' Vortrag ,Et eventyrs
vandringer' in Kort udsigt over det philologisk-historiske sainfunds virk-
somhed 21—22 (1874-76), S. 18 wird auf eine dieser Novelle ähnliche
spanische Romanze ,La infantina de Francia' in Durans Romancero general
1, 163, No. 308—316 hingewiesen; ferner auf 1001 Nacht 15, 57. 216, auf
Alamanni, Basile, Gonzenbaeh, Grimm, Asbjörnsen, endlich auf Grundtvigs
Folkeminder 3. 1 und Andersens Märchen ,Svinedrengen'.]
19. Gevatter Tod.
[Pitre No. 109. Crane p. 369, 26. Bolte, Das Märchen vom Gevatter
Tod, in dieser Zeitschrift 4, 34; dazu Zeitschr. f. vgl. Littgesch. 7, 450,
Anm. Jahn, Volkssagen aus Pommern 1886, No. 43; Volksmärchen aus
Pommern 1, No. 9. 10. Am Dresdener Hofe wurde 1677 das Possenspiel
vom Gevatter Tod und Teufel (wohl nach Ayrer) aufgeführt; vgl. E. Vehse,
Geschichte der deutschen Höfe 31. 69. 1854. Ein Nachspiel ,Tod und
Teufel' erscheint auch im Repertoire der Laufner Schiff leute; vgl. R. M.
Werner, Der Laufner Don Juan 1891, S. 60. Blanches schwedische Be-
arbeitung von Haffners Volksstück wurde von E. Bluhme unter dem Titel
.Der Tod als Pate- ins Deutsche zurückübersetzt und im November 1894
auf dem Berliner Nationaltheater gespielt. H. Steinhausen, Gevatter Tod,
Barmen 1884. C6opHHfCb otb 6b;irapcKn Hapo$nn yMOTBopemiH 2, 1, 185, No. 12
und 494, No. 276; Sofia 1892—94.]
5*
68 Köhler-Boltc:
[Eine Höhle mit Lebenslichtern, in der ein Mädchen von seiner
verstorbenen Patin herumgeführt wird, bei Zingerle. Sitten. Bräuche und
Meinungen des Tiroler Volkes, 2. Aufl. 1871, S. ICO.]
20. Von dem Patenkind des hl. Franz von Paula.
Comparetti No. 38. Bernoni No. 15. Finamore No. 49. Cosquin
No. 38. Leskien -Brugman No. 44. Rink No. 66. [Crane p. 83. 344.
Pitre No. 114]
Ist es besser, in der Jugend oder im Alter zu leiden? Riviere
201. Pellizzari p. 127. R. Köhler, Ztschr. f. roman. Phil. 3, 276 [Haxt-
hausen, Transkaukasia 1, 334. Tendlau, Fellmeiers Abende 1856. S. 105].
21. Die Geschichte von Caterina und ihrem Schicksal.
[Übersetzt bei Crane No. 28.] Pitre No. 86. [Archivio 10, 311. |
Das Schicksal einer einzelnen Person personifiziert: Pitre No. 12.
29. Giamb. Basile 2, 6. [Köhler, Aufsätze S. 108 „Von Glück und
Unglück".]
[Weinhold, Glücksrad und Lebensrad. Abh. der Berliner Akademie
1892.]
22. Vom Räuber, der einen Hexenkopf hatte.
Pitre No. 21 (ohne die Laus).
Floh- oder Lausfell erraten: Basile, Pentamerone I, 5 (Flohfell).
Pio S. 104 (Lausfell) Schneller No. 31 (Handschuhe aus Lausfell). Cenac
Moncaut, Jahrb. f. roman. Lit. 5, 13 (Kasten mit Wanzenfell überzogen).
Blade, Contes rec, en Agenais 1874, No. 5 (Wanze). Dozon No. 4 (Laus,
die wie ein Bock aussieht). Köhler, Archiv f. Littgesch. 12, 122 zu No. 8.
Krauss 1, Xo. 65. Grimm 3, 267 (Kleid von Lausfell). Grundtvig No. 16
(Lausfell über ein Ladeport). Bergh, Nye Folke-Ev. S. 32 (Schuh aus
Flohfell). Coelho No. 39 (Trommel mit Lausfell bespannt). Caballero 137
(desgl.). Webster 191. Vinson 70. Spitta No. 5 (Lausfell am Thor auf-
gehängt, wie bei Gonzenbach). Neoe/./.tjr. 'AvdXejcta 2, 118. Grimm 3, 87,
Z. 9 (Wolfshaut). | Blade, Contes pop. de la Gascogne 3, 36. Andrews
No. 3 „La peau de puce".]
23. Die Geschichte vom Ohime.
Pitre, Nuovo Sagg. No. 4. Fiabe No. 19 [= Kaden S. 73], 21 u. 22.
De Xino No. 67. Nerucci No. 49. Imbriani. Nov. fior. No. 28. Folklore
andaluz 309; vgl. Bibl. 2, 25. B. Schmidt No. 24. Aekriov 1, 296. Krauss 1,
No. 44.
Ein Riese erscheint, wenn man Ach ruft: Schiefner, Awarische
Texte No. 5 (Ohai). Imbriani, Novell, fior.2 p. 328 (O daj). [Comparetti
No. 63 Kaden S. 175.]
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. 69
Zu den Märchen von den drei Schwestern: Visentini No. 39. Im-
briani, Nov. fior.2 No. 1. 2 (23). Bernoni No. 3. De Gubernatis, Zoolog.
Mythol. 2, 35. Tuscan F. T. No. 7. Bibliot. de las trad. esp. 2, 25.
Rondallayre 3, No. 17. Coelho No. 26. Madsen S. 7. Kristensen No. 37.
Poestion No. 2. — Zum Öffnen der verbotenen Thür vgl. Archivio 3, 368.
[Cox, Cinderella 1893, p. 484.]
24. Von der schönen Wirtstochter.
[Oeuvres poetiques de Philippe de Beaumanoir publ. par H. Suchier
1884 1, XXIII „La Manekine".1)] Grimm No. 31 „Das Mädchen ohne
Hände". Cosquin No. 78. Sebillot No. 15 (II, No. 39). Fleury p. 151.
Archivio 1, 520 (hier werden die Hände zweimal abgehauen). B. Schmidt
No. 17. Leskien-Brugman No. 56. Vgl. auch Nerucci No. 6. 17. 40. 42
(Briefvertauschung). — Imbriani, Nov. fior. p. 158. [A. d'Ancona, Sacre
rappresentazioni 1872, 3, 317. 235. Gonzenbach No. 25. 38. Simrock, D.
Volksbücher 10, 501: Die geduldige Helena. Krauss 2, No. 138.] Seelen-
trost in den D. Mundarten 2, 6 No. 76. 1001 Nacht 4, 41 Weil. Steere,
Swahili Tales 1870, p. 393. [E. Gorra, Studj di critica letteraria 1892,
S. 321 über den Pecorone 10, 1.]
25. Von dem Kinde der Mutter Gottes.
Giamb. Basile 2, 51. Poestion No. 19. Finamore No. 13. Nerucci
No. 51. Halliwell, Chap-books 1882, p. 40 („The golden bull"). Cosquin
No. 28. | Köhler, Ztschr. f. romau. Phil. 2. 351. Sarnelli, Posilecheata ed.
Imbriani 1885, p. 152]
Der König soll einen goldenen Apfel gestohlen haben: Straparola
III, 1. Coelho No. 30. — Silbernen Löffel: Hahn No. 8. Grundtvig 2, 308.
Boudeson No. 7. — Becdier: Schreck, Finnische Märchen No. 8. Troude
et Milin, Le conteur breton 1870, ]>. 337. Comparetti No. 6 (Neidische
Schwestern). Nerucci No. 38. — Orange: Consiglieri - Pedroso No. 17.
Eigentümlich Visentini No. 47.
26. Vom tapferen Königssohn.
Pitre No. 71. Comparetti No. 54. Krauss 1, No. 46.
Zum Märchen von der treulosen Mutter oder Schwester vergl.
Köhler, Jahrb. f. romau. Litt. 7, 132. Müllenhoff, S. 410, Märchen No. 11
„Das blaue Band". Asbjörnsen No. 60 „Detblaae baand". Ey, Harzmärchen
S. 154. Wolf, Hausmärchen S. 251. 154. Engelien-Lahn No. 14. Madsen,
1) Hierzu hat Köhler "an anderer Stelle nachgetragen: Busk p. 208 = Crane p. 364.
Koinero No. 37. Baissac, Folklore de l'üe Maurice 1888, No. 24. F. Peters, Aus Loth-
ringen 1887, S. 7 (Der Graf und die Müllerstochter). Qvigstad og Sandberg, Lappiske
eventyr 1887, No. 11. Jones and Kropf, Folktales of the Magyars p. 182. Brunet,
Manuel 3, 208.
70 Eöhler-Bolte :
Folkeminder S. 29. Schleicher S 54. Poestion, Lappl. M. No. 57 = Friis
No. 48. Schreck No. 14. Wenzig, Westslav. Märchenschatz S. 144. Aus-
land 1856, S. 21*20 (rumänisch aus Siebenbürgen). Roumanian Fairy Tales
S. 81. Miklosich No. 11. Ztschr. f. d. Mythol. 2, 206 (Bukowina). Schott,
Walach. M. No. 27 „Florianu". Krauss 1, No. 47. Schiefner, Awar. Texte
S. 44 und XIV. Radioff [1, 286.] 3, 321. Hahn No. 24. 32. 65, Yar.
Sakellarios No. 8. Söbillot 3, No. 21. Romero No. 30 und Anna. Spitta-
Bey No. 10. [Leskieu - Brugman S. 548, No. 12—13. Jahn, Vra. aus
Pommern 1, No. 36. 37.]
Zum Anfange des Märchens vgl. Pitre 1, 65. Comparetti No. 52.
Braga No. 44.
27. Der grüne Vogel.
Pitre No. 101. Giamb. Basile 1883, No. 10. Consiglieri-Pedroso No. 7.
Braga No. 34. Folklore andaluz 1882, S. 355. La Enciclopedia 1880,
No. 13 (Los dos hilanderas). B. Schmidt No. 9. Ungar. Revue 1888,
S. 438 f. [Crane p. 325, 7 vergleicht hiermit entfernter stehende Märchen
wie Bernoni No. 17 und Pitre No. 38.]
Zu Maruzzas geringschätziger Behandlung des Königssohnes vgl. Spitta-
Bey No. 8, zweiter Teil. Archivio 3, 535.
28. Von der Tochter der Sonne.
Pitre, Fiabe No. 67; Nov. pop. tose. No. 7. Archivio 1, 65. De Nino
No. 1. Comparetti No. 45. Tuscan fairy tales No. 4 Prato p. 58 f.
[Imbriani, Nov. fior.2 p. 333 = Graue No. 30 „The fairy Orlanda".] Deffuers
Archiv f. mittel- und neugriech. Piniol. 1, 123. — Sonnentochter bei
Hahn No. 108 und Comparetti No. 27.
29. Von der schönen Cardia.
Schiefner, Awar. Texte No. 4. Hahn No. 25 (nicht 23). Buchon,
La Grece continentale 1843, p. 267 „Le Dracophage". Pitre, Novelline
pop. tose. No. 1; Fiabe No. 16. Comparetti No. 20 [ Crane No. 13,
p. 342 f. = Kaden S. 134]. Finamore No. 23.
30. Die Geschichte von Ciccu.
Zu 2 (Ciccu und die Feigen) vgl. Coelho No 45. Vonbun 73.
31. Von dem Schäfer, der die Königstochter zum Lachen brachte
(Fortunat).
[Übersetzt bei Crane No. 31.] Pitre, Fiabe No. '2X (zum Teil 26)
[= Kaden S. 142. 159]; Nov. pop. tose, No. 16. Nerucci No. 57 (Tuch.
Beutel, Mantel. Feigen, Nase). Coronedi-Berti No. 9. De Nino No. 40
(Beutel, Mütze, Tanzpfeife. Feigen, Pfirsich. Schwanz). Busk p. 129.
De Gubernatis, Zool. Myth. 1, 288; Florilegio p. 75. Imbriani, Conti pom.
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischeu Märchen. 71
No. 34. Finamore No. 30. Archivio 1, 59. Visenthii No. 25. Imbriani
]So. 27 = Nerucci No. 7. Cosquin No. 11. Sebillot, Contes pop. No. 5.
Carnoy 292 (Tuch, Stab, Mantel. Birnen, Nasen). Deulin, „Le petit soldat".
Dschinnistan 3, 54 (Beutel, Hörn, Gürtel. Feigen, Quelle). Eondallayre 3,
No. 7 (Stuhl, Trompete. Feigen, Hörner). Kennedy p. 67. Schiefner,
Ind. Erzählungen S. 754 (Hölzer, die wachsen und wieder abnehmen lassen).
[Ralston, Tibetan Tales p. LIV]. G. Meyer, Archiv f. Littgesch. 12, 111
No. 7. Spitta No. 9 (Teppich, Schüssel, Geldmühle. Datteln, Hörner).
[Krauss 1, 178.]
Instrumente, die zum Tanze zwingen: [Bolte, Das Märchen vom
Tanze des Mönches im Dornbusch. Festschr. zum 5. Neuphil.tage 1892,
S. 4. Herrigs Archiv 90, 289.] Schiefner. Ind. Erzähl. No. 2 (Melanges
asiatiques 7, 742. 1876).
Äpfel, nach deren Genuss Nasen wachsen: Kreutzwald, Ehstn. M. No.23,
Aum. Miklosich No. 4. Etlar No. 68. Kristensen 1, No. 46 (Kirschen).
[Prinzessin zum Lachen gebracht: Moulieras, Fourberies de Si
Djeha 1892, No. 53, p. 187.]
32. Von Giovannino und Caterina.
Zum Eingange vgl. Imbriani, Nov. fior. No. 21. Ncrucci No. 42. 52.
De Nino No. 9. Comparetti No. 66. Corazzini p. 443.
Nicht wieder heiraten, bevor ein Paar Stiefel verbraucht sind:
Pitre No. 56. De Nino No. 9. Nerucci No. 42. Corazzini 444. Consiglieri-
Pedroso No. 18. 12.
Spinnender Hammel oder Kuh: De Gubernatis No. 1. Consiglieri-
Pedroso No. 18. Ortoli 81. Schneller No. 8. Imbriani No. LI8. Bernoni
No. 19. [Andrews No. 1.]
Ferner vgl. Leskien-Brugman No. 25. Pitre, Fiabe No. 41; Nov. pop.
tose. No. 8. Nerucci No. 32. Busk. „Vaccariella". Coelho No. 36. | Mango,
Novelline pop. sarde 1890, No. 25. J
33. Von der Schwester des Muntifiuri.
34. Von Quaddaruni und seiner Schwester.
Pitre No. 59. 60. 61. Consiglieri-Pedroso No. 22. Finamore No. 15.
Archivio 2, 36 [10, 235. 245]. Imbriani No. 25 [= Crane No. 12, p. 342].
Romero No. 29. Bibliot. de las trad. esp. 1, 137. Folklore-Journal 1, 221
(Die gute Schlange, chilenisches Märchen. Augen wieder gekauft). B.
Schmidt No. 13. Sebillot 3, No. 20. Berntsen 1, No. 17. Grönborg 101.
Bergh, Sogur fra Yaldris S. 1. Kristensen No. 15. 16. Schreck No. 10.
Ungar. Revue 1889, S. 209, vgl. 38. Godin, Poln. M. S. 88 ( Glinski 3, 97).
Poestion, Lappl. Märchen No. 6 Germ. 15, 168. Riviere 51. (Archiv f.
slav. Piniol. 5, 60, No. 51. Cosquin No. 21. 24. |
72 KöMer-Bolte:
Wunderbare Eigenschaften der Schwester: Pitre No. 50. 61.
Knowles 443. Riviere 51. — Kosen lachen: Grimm, D. Mythol. 1054
= 4. Aufl. 2, 923. 3, 318. Prym und Socin, Kurdische Sammlungen 1 b,
S. 74 (Lied: „Dein Mund regnet Rosen beim Lachen"). Krauss, Orlovic der
Burggraf von Raab, 1889, S. 114 (bulgarisch: „Wann die Königin Milica
sieht, so scheint die helle Sonne; wann sie spricht, so giesst sie lauteres
Gold; wann sie lacht, knospen Rosen auf; wann sie geht, so weht ein
leichter Windhauch"). Ungarische Revue 1889, S. 38. 209 (osmanisches
Märchen. Der Tochter eines Ofenheizers und einer Prinzessin geben drei
Peris diese Gaben: 1. Sie soll Rosenschön heissen, und wann sie lächelt,
sollen Rosen blühen; 2. sie soll Perlen weinen; 3. unter ihren Füssen
spriesst frisches Gras hervor). [Curtze, Volksüberlieferungen aus Waldeck
1860, S. 121, No. 21: Blumen lachen und Perlen weinen.]
Bild der Schönen vom König erblickt: Pitre No. 60.
Kein Sonnenstrahl darf sie berühren: Pitre No. 61. Nerueci No. 32.
[Falsch aufgefasst ist dies Motiv von A. Wirth, Danae in christlichen
Legenden 1892, S. 118.]
Die Sirene hält sie an einer Kette: Pitre No. 59. 60. Finamore.'
Sebillot. Poestion S. 294 u. 73.
Verse des Bruders an die Schwester: Finamore No. 15. Kristensen
No. 15. Berntsen. Bergh. Friis.
Zu den Versen der Enten über die Schwester, die sie gefüttert,
vgl. Pitre No. 59. 60 (De Gubernatis No. 9. Sebillot No. 27. Wolf,
Proben 42). Finamore No. 15. 26. 3. Imbriani No. 20. De Nino p. 94.
Rondallayre 2, 74.
Der Bruder der Heldiu fehlt: Comparetti No. 25. De Nino No. l(->.
Rondallayre 3, No. 19.
Die Augen der Heldin werden ausgestochen und später wieder
eingesetzt: Pitre No. 62 [= Kaden S. 183]. De Gubernatis No. 13. Gradi,
Saggio de letture varie per i giovani 1865, p. 141: „LTsabelluccia".
Giornale napol. della domenica 1882, No. 13. Cosquin No. 35. Braga No. 22.
Consiglieri-Pedroso No. 9. Knowles, Folk-tales of Kashmir 1888, S. 492.
Ungar. Revue 1889, S. 208 (Rosenschön; türkisches Märchen). Ausland 1856,
S. 2122. [Köhler, Archiv f. slav. Phil. 5, 61.]
Die falsche Braut wird zerschnitten und eingesalzen: Pitre No. 59.
Riviere a. a. O. Stokes, Indian fairy tales p. 253.
35. Von der Tochter des Fürsten Cirimimminu.
Imbriani, Novellaja milanese No. 4; Nov. fior. p. 92. Pitre No. 5
[= Kaden S. 151]; Nov. pop. tose. No. 13. De Nino No. 22. Visentini
No. 1. Archivio 4, 202. (Nerueci No. 4.) Giamb. Basile 1885, p. 10.
Rondallayre No. 2. Braga No. 29.
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. 73
Zuckerpuppe ins Bett gelegt: Irabriani, Nov. fior. No. 3. 4. Pitre
I, 214. -216. Nerucci No. 56. Giamb. Basile 1885, p. 8. Basile, Pentam.
II, 3. Coelho No. 42. Braga No. 33. Romero No. 12. Maspons 1, 88.
Bibliot. de las trad. pop. esp. 1, 154 f. Kremuitz, Rumän. Märchen 1883,
No. 7. [Andrews No. 38.]
36. Die Geschichte von Sorfarina.
Pitre No. 6 [= Kaden S. 63]. Braga No. 23. Legrand, Recueil de
contes pop. grecs p. 263. Neoelhp'. 'AvdXexra 2, 40. Ungar. Revue 1888,
S. 335 f. [Archivio 10, 330.]
37. Giufa.
Pitre, Fiabe No. 190. [Crane p. 291—302.] — Über die Namensform
Giucca, Giuceo, Ciucco vgl. Pitre, Nov. pop. tose. p. 195. Dschauha bei
Reinisch, Die Nuba-Sprache 1879, 1, 162, No. 14; 236, No. 12. [Moulieras,
Fourberies de Si Djeha 1892, p. 3. Stumme, Tunisische Märchen 1893,
2, 126: Dschuha. Zeitschr. des Vereins für Volkskunde 5, 47. 50.]
Giufa mit der Leinwand: Carnoy 189 (Kuckuck). — Verkauf an
eine Statue: Cosquin No. 58. Sebillot, Contes 221. Revue des langues
roni. 31, 578. Busk p. 370. 371. Ztschr. f. d. Phil. 8, 94. Pitre, Nov.
pop. tose. Xo. 32. Coelho, Contos nac. No. 14. De Gubernatis, Floril. p. 139.
Vinson p. 95. [Crane No. 99, p. 379. Archivio 10, 313. Basset, Loqmän
berbere 1890, No. 16.] — Verkauf an einen Baum: Ralston p. 50. Krauss 1,
No. 53. Veckenstedt p. 64. Krentzwald II, No. 15. — Regen von Feigen:
Stokes S. 2li. Veckenstedt S. 232. Sebillot, Litt, orale de la Haute-
Bretagne 1881, p. 106. Leger No. 20. Grundtvig No. 20 (Weizenbrot).
Riviere p. 179 (pluie de crepes et de beignets). Wigström in Svenska
Landsmälen ."». 1, 124 (Regen von Brei). W. Bütner, Claus Narr 1587,
p. 119 (Regen von Schwoinlein). [Andrews No. 22: Regen von Maccaroui.
Bolte zu V. Schumanns Nachtbüchlein 1893, No. 9. Stumme 2, 131:
Wurstregen.]
Thür mitgenommen: Jahrb. f. rom. Litt. 5, 18. 8, 266. Gott. gel.
Anz. 1868, 1395. Imbriani, Nov. fior. p. 601 f. Nerucci No. 35. Visentini
No. 44. Busk 369. 370. 374. Cosquin [1, 241] No. 22. Fleury, Litt. or.
de la Basse -Normandie 1883, p. 162. Melusine 1, 89. Rondallayre 3,
No. 4. Cerquand 2, 11. Leite de Vasconcellos, Tradicöes pop. [e dialecto
do Brasil, in Revista de estudos livres 1?], S. 294 (cancella velha). Pitre,
Nov. pop. tose. p. 196, 5. Mijatovies. Serbian folklore 1874, S. 256. Ztschr.
f. d. Phil. s. 91. Kamp, Danske folke-aeventyr No. 361. Soge-Bundel 54.
Bergh, Ny f. e. 39. Bondeson, Sv. folksagor No. 40. 84. [Moulieras, Si
Djeha p. 18. Crane p. 380, 19.] Clouston, The book of nodles 1888, eh. 4.
74 Köhler-Bolte:
Giufa und die Gluckhenne: Sebillot, Contes 223. Coelho, Contos
nac. No. 14. [Abstemme, Hecatomythium secundum, Venetiis 1520, Bl.
D 5 a Neveleti Mythologia Aesopica 1610, p. 618, No. 199 „De foemina
maritum ob pullos male servatos verberante". Germania 27, 229. Nach
Bebel erzählt Frey in seiner Gartengesellschaft 1556, No. 1, von der ich
für den Stuttgarter litt. Verein einen Neudruck vorbereite. Crane p. 380, 18.]
Giufa tötet einen Schäfer (1, 252): [Moulieras No. 21, p. 18.
Riviere p. 43. Olouston p. 152. Ralston p. 53. Crane p. 294 und 380, 16.
Straparola 13, 4. Pitre 4, 291. 444.]
Giufa giebt dem Kinde zu heissen Brei: Nerucci No. 35. Vinson
p. 97. [Bei Frey No. 20 legt der einfältige Lenz einen schweren Stein
auf das Kind, damit es nicht aus der Wiege fällt, und erdrückt es dadurch.]
Giufa tötet die wie ein Käuzchen schreiende Alte: Melusine
l, 475. Wenzig S. 9. Arne, Nogle Fortaellinger i Slagelse-Egnen 1862,
S. 67. Zu streichen ist Campbell No. 45. [Übersetzt bei Crane No. 103.
dazu p. 380, 20. Cosquin No. 36. Ztschr. f. Volkskunde 1, 474.]
Giufa steckt die Schwänze der verkauften Schweine in die Erde,
als wären die Tiere versunken: Koller, Melusine 1, 474. Ztschr. f. d. Phil.
8, 97. Webster p. 10. 15. J. Ch. Harris, Uncle Remus or Mr. Fox, Mr.
Rabbit and Mr. Terrapin 1881, Xo. 20. [Radioff 4. 280. Cosquin No. 36.
Meisterlied des H. Sachs in Ztschr. f. vgl. Littgesch. 7, 463, No. 13. |
Giufa stellt sich tot und erschreckt die Räuber: Hahn No. 44.
Grenzboten 1853, II, 1, 405 f. (bosnischer Schwank). Ralston S. 47. Leskien-
Brugman No. 35, p. 473. Braga No. 86. La Enciclopedia 1880, No. 1 (El
muerto vivo). 1001 Nacht 14, 119. Thorburn, Banrni 173. Day, Folk-
tales of Bengal p. 170 f.
Giufa giebt seinen prächtigen Kleidern zu essen (1. 258 f.):
[Pauli, Schimpf und Ernst No. 416 ed. Österley. Jahrb. f. rom. Litt. 14, 425.
Moulieras p. 32. Crane, It. pop. tales No. 102, p. 380. Etienne de Bourbon
ed. Lecoy de la Marche p. 438, No. 507.]
Giufa besorgt nur dessen Aufträge, der ihm Geld gegeben (1, 260):
Facezie de Piovano Arlotto ed. Baccini 1884, No. 122 „II vento porta via
i raccordi dati al Piovano senza danari" (= Scelta di facetie, Vicenza, 1661,
p. 128). Hans Sachs, Des Schäfers Wahrzeichen (Goedeke und Tittmann
2, 259. Haueisen, H. Sachs Lobspruch der Hauptstadt Wien S. 8) [= Folio-
ausgabe 5, 3, 410 c = Schwanke ed. Goetze No. 383. Stiefel in der Fest-
schrift Hans Sachs-Forschungen 1894, S. 188]. La Monnoye, Oeuvres choisies,
La Haye 1770, 1,426. 2,479. Andrews, Contes ligures [?]. Gaster, Ztschr.
f. roman. Phil. 4, 574. Decourdemanche, Nasr - eddin No. 46. [(F. de
Callieres), Recueil des bons contes et des bons mots Paris 1693. p. 146:
Arlotto.]
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. 75
38. Von der Betta Pilusa.
Pitre, Nuovo saggio No. 6; Fiabe No. 43 [= Kaden S. 219]. Giamb.
Basile 2, 51. De Gnbernatis No. 3. Pinamore No. 3. De Nino No. 17.
Romero No. 9. Archiv f. slav. Phil. 2, 622, No. 23 [Comparetti No. 26.
Busk p. 84. 90. Leskien-Brugman No. "24].
Mit anderer Einleitung: Sebillot, Litt, or. 73. Luzel, 5. rapport p. 35.
Dozon No. 6. Webster 165. Ralston 159—161. — Sebillot, Litt. or. 45.
Webster 158. Visentini No. 38. Coelho No. 31.
Zu dem hölzernen Gewände der Heldin vgl. Cosquin No. 28.
Busk p. (](] (Maria del legno). Corazzini p. 484 [ Crane No. 10]. Archivio
1, 190. 2, 21. 27 (Maria intaulata). Rondallayre 1, No. 26. 2, No. 16.
[Andrews No. 33.1
3!>. Von den Zwillingsbrüdern.
10. Von den drei Brüdern.
Köhler bei Blade, Contes pop. rec. en Agenais 1874. Xo. 2, p. 148.
Cosquin No. 5. 37. Sebillot. Contes pop. No. 18 (Le roi des poissons).
Nerucci No. 8 = Imbriani, Nov. fior. No. 28. Coronedi - Berti No. 16.
Comparetti Xo. 32 und 46. [Crane No. 6. Kaden S. 168. Pitre 4. 296,
No. 6.] Finamore 1, No. 22. De Gnbernatis No. 17. 18; Florilegio p. 67.
Visentini No. 19. De Nino Xo. 24 65. Consiglieri-Pedroso No. 25 (11).
Braga No. 48. Cerquand Xo. 96. Coelho Xo. 52. Riviere 193. Buchon
]). 274 „Le petit rouget sorcier". Lal Behari Day, Folk-Tales of Bengal
1883, No. 13. Leskien-Brugman No. 10. 11. 14—16. p. 554. Jecklin,
Volkstümliches aus Graubünden 1874, 1,121. Kristensen 2, Xo. 16. Kamp,
Danske Polkeminder NO. 2; Folkeaeventyr Xo. 13. Kremnitz No. 17.
[Köhler, Archiv f. Littgesch. 12, 105. Xo. 4. Pio, Contes pop. grecs S. 60.
Mijatovics p. 256. Caballero, Cuentos p. 27. Grundtvig Xo. 5. ßalt.
Monatsschrift 23, 343.]
Die Stücke des zerschnittenen Fisches machen die Essende
schwanger: Blade. Luzel. Imbriani. Coronedi. Comparetti Xo. 32. De
Gnbernatis. De Nino No. 65. Consiglieri. Braga. Coelho. Webster.
Leskien-Brugman. Kremnitz. Buchon. Grundtvig. Caballero. [J. Grimm,
Kl. Schriften 5, 415.]
Die Brüder machen Schnitte in einen Baum, die über ihr Er-
gehen Auskunft geben: Luzel. Prato 126. Grundtvig. Im catalanischen
eigentümlich.
Drachenzungen ausgeschnitten: R. Köhler, Archiv f. slav. Phil.
2. 638, Xo. 33. Liebrecht, Zur Volkskunde S. 71. Wolfdietrich (Goedeke.
D. Dichtung im Mittelalter 491. 591. Jänicke, D. Heldenbuch 4, XLV1I1.
Anz. f. d. Alt. !>, 253. Heinzel, Über die ostgotische Heldensage 1889.
S. 80). Engelien-Lahn, Volksmund in Brandenburg 1, KU. Simrock 105
76 Köhler-Rolte
(Köpfe ohne Zungen sind Zeugen ohne Lungen). [Lemke 2, 255. Jahn 1,
No. 18. Andrews No. 49. 53.] Hoffmeister, Hess. Volksdichtung 1861),
S. 36. 40. Leskien - Brugman No. 10. 12. 14. 16. Schulenburg II, 32
(Zungen vom Verräter ausgeschnitten). Melusine 1, 63. Deulin, „Bistecol-
Caracol". Sebillot, Contes pop. 80. Luzel, 5. rapport p. 34. Webster 89. 31.
32. 38. Cerquand No. 96 (auch No. 97, S. 70 f.). Vinson p. 59. Braga
No. 52. Coelho No. 49. Leite de Vasconcellos, Trad. 277. El folk-lore
andaluz p. 359. Romero No. 23, p. 87 und No. 38, p. 135. Pitre, Nov.
pop. tose. No. 2, p. 16 f. De Nino No. 65. Archivio 1, 55 Pitre, Nov.
pop. tose. No. 1. Archivio 3, 539 (Finamore). Tuscan F. T. p. 23.
Kristensen 2, No. 16. Madsen 32. Kamp No. 13. Berntsen 2, 26 (Hans
Bärensohn). 1, 145 (Von den drei Hunden). | Cosquin 1, 70. Jacobs,
Engl. Fairy Tales No. 23.]
Nacktes Schwert als symbolum castitatis: Child, English
Ballads 3, 127. No. 66. 4, 511 (Beiträge Köhlers). Unland, Volkslieder
No. 121, Str. 11. Varnhagen, Longfellows Tales of a Wayside lim 1884,
S. 94. Golther, Romania 17, 606. Fischer, Über die Probenächte der t.
Bauermädchen S. 54. Keller, Sept Sages S. CCXXXIV. Siinrock, Quellen
des Shakespeare2 1, 93. Generides ed. Wright 3921; ed. Furnivall 6511.
Rajna, Le origini dell' epopea francese p. 406. Jahrb. f. rom. Litt. 11, 232.
Consiglieri-Pedroso No. 25. Blade, Contes pop. de la Gascogne 1, 284.
Pio, NeoeU. jiaQafxv&ia 1879, p. 174. Leskien-Brugman S. 394. 548. Gaster,
Beiträge zur vgl. Sagen- und Märchenkunde 1883, S. 28. Prym-Socin,
Syrische Sagen und Märchen S. 25 und 405 s. v. Schwert. Reinisch, Die
Nuba-Sprache 1879, 1, 190. Jecklin, Volkstüml. aus Graubünden 1, 123.
Kristensen 2, No 16 (Brüdermärchen).
Die Haare der Hexe versteinern: Consiglieri-Pedroso No. 11.
Kremnitz No. 17. [Andrews No. 39.]
Der eine Bruder erschlägt den anderen aus Eifersucht: Imbriani.
Braga. Kristensen. Grundtvig No. 8.
41. Vom tapferen Schuster.
Cosquin No. 25. Dozon No. 3. Kristensen 1, No. 34. 35. Bergh,
Sogur 21. [Krauss 1, 283. Archivio 10, 89 dalmatinisch. Ausland 1881,
744 zigeunerisch. Blade, Gascogne 3, 5.]
Aufschneiden des Bauches: Pitre No. 83. Veckenstedt, Wend.
Sagen 1880, S. 217.
Sieben Fliegen auf einen Streich: Pogatschnigg [Carinthia 1865,
356] No. 4. Cosquin No. 8. Schiefner, Awar. Texte No. 11. Imbriani.
Nov. milanese No. 5. Gaal-Stier No. 11. [Andrews No. 44: „Tue sept,
blesse quatorze." Montanus 1592 ins Niederdeutsche übersetzt im Nieder-
deutschen Jahrbuch 20, 135.]
Zu den von Laura Gonzcnbach gesammelten sicilianischen Märchen. 77
42. Vom ße Porco.
Imbriani, Nov. mil. No. 6. [Blade, Contes rec. en Agenais p. 145
„Peau d'äne". Archivio 10. 84. Prato No. 4 „II re serpente." Schiefner,
Awar. Texte S. XXVI zu No. 14 über die eisernen Schuhe; dazu auch
Crane p. 324, 2 und 142]
43. Die Geschichte vom Principe Scursuni.
Archivio 1, 531. 424. Pitre No. 56 (ohne Verbrennung der Haut).
Zu dem Wiegenliede vgl. Pitre No. 32. Imbriani. Nov. milanese
1872, No. 3. Bernoni.
44. Von dem, der den Lindwurm mit sieben Köpfen tötete.
B. Schmidt No. 23 (siebenköpfige Schlange. Zauberschwert).
45 Von den sieben Brüdern, die Zaubergaben hatten.
Köhler, Archiv f. slav. Phil. 5. 36, No. 46. Domparetti No 19. Pio
No. 2, p. 104. Dozon No. 4. Vgl. zu Gonzenbach No. 74. [Grimm No. 121).
Pitre 1, 196. 1!)7. Nerucci No. 40. Giovanni da Prato, Paradiso degli
Alberti ed. A. Wesselofsky 1. 2. 238. A. d'Ancona, Stu.lj 1880, p. 356 n.
504 zu C novelle antiche 23 Papanti. Sebillot, Contes pop. 1880, p. 52.
No. 8. Grundtvig, DFE. Xo. 17. Tendlau, Fellmeiers Abende 185(5,
S. 16. Benfey, Kleinere Schriften 2. 1. 94—156. L892 „Das Märchen von
den Menschen mit den wunderbaren Eigenschaften".]
46. Von der Schlange, die für »'in Mädchen zeugte.
Grünbaum. Jüdisch-deutsche Chrestomathie S. 404. Do Guberaatis,
Zool. Mythol. [Pitre 4, 292, No. 4.]
47. Von dem frommen Jüngling, der nach Rom ging.
Zum Anfange vgl. Leskien-Brugman Xo. 39. Poestion No. 16. Arnason
2, 538 Andersen 490. Vernaleken No. 21.
[Zu den Fragen, <lie dem Helden aufgetragen werden, vgl. R.
Köhler, Aufsätze 1894, S. 104 (Krauss, Sreca S. 104 in den Mitteil, der
anthropol. Ges. zu Wien 1886), 115 (Monatsberichte d. Berliner Akademie
1866, 732), 116 (macedonisch im Mag f. d. Litt d. Auslandes L880, 356).
Archiv f. slav. Phil. 5, 74, No. 56. — Der Teufel, der als Koch im Kloster
Unfrieden stiftet (1, 313), begegnet auch bei Vernaleken No. 13 und er-
innert stark an das Volksbuch vom Bruder Rausch.]
48. Von Sabedda und ihrem Brüderchen.
49. Von Maria und ihrem Brüderchen.
Köhler. Archiv f. slav. Phil. 5, 33, No. 44 und Archiv f. Littgesch. 12. 93.
No. 1. Melusine 1,419. Archivio 1, 48. 50. 3, 546. Pitre No. 283. De
78 Beichhardt:
Nino No. 9. De Gubernatis No. 11; Zool. Myth. 1, 400. Bernoni No. 2.
Corazzini S. 443. Visentini No. 16. Pmsk p. 40 (sehr entstellt). Krauss 1,
No. 69. Goldschnridt, Russische Märchen S. 88. [Crane p. 334. Prato,
Romania 13, 171, 6.]
Zum Anfange von No. 40, wie die Kinder in den Wald geführt
werden und sich heimfinden, vgl. noch Gonzenbach No. 2. Pitre No. 30.
Imbriani, Nov. fior. No. 21. De Nino No. 0. Busk p. 40. Nerucci No. 42.
Oberlin, Essai sur le patois lorrain 1775, S. 161. F. Wolf, Portugiesische
Volksromanzen S. 44 (= Wiener Sitzungsberichte 20, 58; nach Mila).
[Blade, Agenais S. 149 ]
(Fortsetzung folgt.)
Die Drostin von Haferungen.
Eine Sagengestalt aus der Grafschaft Hohenstein von R. Reichhardt.
Die Grafschaft Höllenstein, das Gelände am Südfusse des Harzes am
oberen Laufe der der Unstrut zufliessenden Helme und Wipper, ist ver-
hältnismässig arm an Sagen. Die Hauptursache dieser Erscheinung mag
wohl darin liegen, dass Harz und Kyffhäuser. zwischen welchen die Graf-
schaft sich ausbreitet, mit ihrem reichen Sagenkranze alle Sagen mehr oder
weniger an sich gezogen und mit sich verknüpft haben. Nur eine inter-
essante Sagengestalt macht davon eine Ausnahme, nämlich die der Drostin
von Haferungen. Sie ist die Hexe und Spukgestalt der Grafschaft, und
noch heute sind die abenteuerlichsten Geschichten über diese interessante
Frau im Schwange.
Lange Zeit hat es gedauert, bis die Forschung in den Stand gesetzt
wurde, Dichtung und Wahrheit über diese Frauengestalt von einander zu
scheiden. Dom Verfasser dieses begegnete man auf seine Nachfragen oftmals
mit dem Einwände, die Drostin habe überhaupt nicht gelebt, und alle Sagen
über sie entbehrten jeglicher Grundlage. Das Pfarrarchiv zu Haferungen
und die Akten des Rittergutes daselbst ergaben jedoch genügenden Stoff,
dass wir ein einigermassen klares Bild über diese Frau zu gewinnen ver-
mögen.
Sophie Helene von Burchtorff, einzige Tochter des braunschweigisch-
lüneburgischen Drosten (d. i. Landrates) von Burchtorf, war geboren gegen
Anfang des IS. Jahrhunderts. Nach dem Tode ihres Vaters wurde sie
Besitzerin sämtlicher Güter desselben, darunter desjenigen zu Haferungen
und verheiratete sich mit dem Drosten zu Walkenried, Urban Dietrich
von Lüdecken. Sie wird uns als eine äusserst energische, thatkräftiffe und
Die Drostin von Haferungen. 79
strenge Frau geschildert, welche über Haus und Hot; Mann, Kinder und
Gesinde ein strenges Regiment führte. Sie war ungeheuer reich und erwarb
in der Grafschaft Höllenstein ausser dem Haferunger Gute noch diejenigen
von Pustleben und Grosswachsungen. Gerühmt wird ferner ihre Frömmig-
keit und Gerechtigkeitsliebe. Nach Ausweis des Kirchenbuches starb sie
am 8. September 1764 und wurde im Totengewölbe der Kirche zu Hafe-
rungen beigesetzt.
Von den Sagen, welche sich um die Drostin von Haferungen gebildet
haben, seien folgende erwähnt.
Die Knechte und Mägde erzählten, dass die Drostin nachts in Gestalt
einer feurigen Katze sich auf ihre Bettdecken setze, sie anpfauche und
ängstige, auch ihnen wohl die Bettdecke abreisse, wenn sie zu lange
schliefen.
Auf dein Teichgute in Grosswachsungen, welches von der Drostin
angekauft war, geht sie zu nächtlicher Stunde ebenso um wie in Haferungen.
Merkwürdigerweise aber erscheint sie dort nicht als Hexe, sondern als ein
blühendes junges Mädchen. So haben sie die Knechte gesehen, wenn sie
nachts auf der Pferdekrippe sass und, einen hellen Lichtschein verbreitend,
sich ihre langen, blonden Haarsträhnen kämmte.
Während ihrer Abwesenheit pflegten die .Mägde von allen Vorräten
zu naschen und zu backen. Das wusste die Drostin, und doch wollte es
ihr nie gelingen, sie auf frischer That zu ertappen. Um dies alter doch
zu ermöglichen, verwandelte sie sich in eine schwarze Katze und nahm
schnurrend auf der Ofenbank der Gesindestube Platz. Die Mädchen, die
sich unbeobachtet glaubten, backten Pfannkuchen, von denen auch die
Katze sich ein Stück abbiss. Aus Ärger darüber sperrten sie dieselbe in
den Ofen und Hessen sie so lange darin, bis sie sich die Pfoten gründlich
verbrannt hatte. Dann erst liessen sie das gequälte Tier zur Thür hinaus.
Am anderen Morgen lag die Drostin mit verbrannten Händen und Füssen
krank zu Bett.
In Abwesenheit der Drostin vergnügten sich ihre Knechte und Mägde
einmal damit, dass sie ihre Herrin gründlich durchhechelten, ihr strenges
Regiment einer vernichtenden Kritik unterwarfen und sich über ihre Eigen-
tümlichkeiten lustig machten. Mit einem Male erhob sich ein furchtbarer
Tumult im Hause, die Thür öffnete sich und ein Mönch im schwarzen
Gewände trat in das Zimmer. Schrecken ergriff die Spötter und eine
Grabesstille trat unter ihnen ein. Das Gespenst richtete seine zornfunkelnden
Augen auf die Anwesenden, hob drohend den Finger auf und verschwand
alsdann. Als die Drostin von ihrer Reise zurückkehrte, erkundigte sie
sich eingehend bei ihren Dienstboten nach ihrem nächtlichen Besuch.
Von Zeit zu Zeit wusch die Drostin auf einem Rasenplatze ihre Thaler
und breitete sie dann auf einem Tuche zum trocknen aus Ein vorüber-
gehender Handwerksbursche, dem das viele Geld in die Augen stach, bat
SO ßeichhardt:
um die Erlaubnis, sich davon eine Handvoll nehmen zu dürfen. Aber
siehe da! Als er die Thaler der Tasche entnehmen wollte, fand er wert-
loses Laub.
Einstmals hatte sie den Schlüssel zu ihrem Geldschranke verlegt. Der
herbeigerufene Schlosser, Meister (Jorges aus Haferungen, dessen Urenkel
mir diese Geschichte erzählt hat, öffnete denselben und seine Augen waren
vom Glänze der vielen Goldstücke wie geblendet. Die Drostin forderte
ihn auf, so viel vom Gelde zu nehmen, als er vermöge. Doch seine Hand
war wie gebannt, er konnte nicht ein Stück davontragen.
Die Drostin besass einen Papagei, von welchem die Sage ging, dass
er alle Vorgänge im Hause während der Abwesenheit seiner Herrin bemerke
und ihr davon nach ihrer Rückkehr wiederplaudere. Bei den Dienst-
mädchen war er darum so verhasst, dass eines derselben ihm den Kopf
auf den Rücken drehte. Die Drostin aber behexte sie zur Strafe und sie
behielt Zeit ihres Lebens eine lahme Hand.
Im Silberthale bei Haferungen besass die Drostin eine kleine Waldung,
in welcher sie sich zur Sommerszeit gern aufhielt. Dort geht sie auch
heute noch um. Einst wendeten dort zur Mittagszeit am Waldesrande
zwei Mädchen aus Immenrode Heu, als plötzlich aus einer Waldeslichtung
eine übermenschlich grosse Frauengestalt trat, in altertümlichem Gewände,
mit Puff- und Schlitzärmeln, von strahlendem Lichtglanz umgeben, welche
den Mädchen winkte und ihnen zurief: „Mamsellchen, Mamsellchen!"
Doch die erschreckten Mädchen verliessen ihre Arbeit und flohen davon.
Vor Gewittern hatte die Drostin eine entsetzliche Furcht. Diese
Eigenschaft hat folgende Sage entstellen lassen. Zwischen Haferungen und
Etzelsrode stand früher das Bastholz, ein Wäldchen, in welchem sich die
Bewohner der umliegenden Ortschaften namentlich zur Frühlingszeit zu
Festen zu versammeln pflegten. Dies Wäldchen war der Drostin ein Dorn
im Auge, weil sie wähnte, es verschiebe die Gewitterwolken nach Hafe-
rungen. Sie machte darum der Etzelsröder Gemeinde den Vorschlag, sie
wolle ihr das Hölzchen abkaufen und zwar solle der Zahlungsmodus darin
bestehen, dass sie rings um den Wald einen Thaler an den anderen legen
wolle. Die Etzelsröder gingen auf den anscheinend vorteilhaften Verkauf
anfangs bereitwilligst ein, bis endlich kluge Köpfe eine grosse Gefahr
witterten und von dem Verkaufe abrieten. Sie breiteten nämlich das Ge-
rücht aus, die Drostin sei eine Hexe, der es ein Leichtes sei, das Geld
wieder in ihre Tasche zu hexen. Darob grosser Aufruhr im biederen
Etzelsrode und man entbot der gestrengen Frau Drostin die unterthänigste
Nachricht, dass Etzelsrodo sein Bastholz behalten wolle.
Von ihrem Gemahl, dem Drosten von Lüdecken, hören wir wenig.
Thatsache ist, dass er sehr leichtlebig und verschwenderisch gewresen ist.
Die Chronik nennt ihn „eine reine Null". Zwei Sagen charakterisieren
diese Eigenschaften.
Die Drostin von Haferungen. Sl
Der Drost war ein Freund von hohen Glücksspielen, in denen er oft
grosse Summen verlor. Einmal hatte er in seiner Spielwut nicht nur eine
ansehnliche Geldsumme, sondern auch das Rittergut in Haferungen verspielt.
Die Drostin erfunr dies, holte einen Beutel voll blanker Thal er und schlug
ihn ihrem Gemahl um den Kopf mit den Worten: „Hier, bezahle Deine
Ehrenschuld; lieber ein Kavalier an der Tafel als ein Hundsfott hinter dem
Ofen." Sie löste das Gut wieder ein und berichtigte die Schuld.
Einstmals hatte er wieder beim Glücksspiel eines seiner Güter ver-
pfändet. Der Tag der Zahlung kam heran und in seiner Herzensangst
beichtete er seiner gestrengen Ehehälfte erst am Morgen seine Schuld.
Nach einer gehörigen Standrede, bei welcher, wie es gewöhnlich geschah,
auch die Hände der Drostin eine gewisse Rolle spielten, liess sie anspannen.
Fünf Stunden dauerte gewöhnlich die Fahrt dorthin und zwei Stunden waren
bis zum Ablauf der Frist noch übrig, es schien also vergebliche Mühe. Wer
das aber glaubte, kannte die Drostin nicht. Ihr stand die Macht zu Gebote,
über Raum und Zeit zu verfügen. Der Kutscher musste auf die Pferde
hauen und in einer Stunde langte sie am Orte des Gläubigers an. Der
Kutscher erzählte später mit Grausen von dieser wunderlichen Fahrt. Es
sei ihm vorgekommen, als ob Pferde und Wagen durch die Luft geflogen
seien; die Drostin selbst habe zuletzt die Zügel ergriffen und die Pferde
durch Zurufe angetrieben.
Auch mit den bekannten Schatzgräbersagen hat man die Drostin in
Verbindung gebracht, indem man in ihr die Hüterin eines von ihr ver-
borgenen Schatzes sah. Dieser war vergraben in der Ecke des nach ihr
benannten Sophiengartens und sie hütete ihn dadurch, dass sie an die
Stelle ein Lichtchen setzte. Drei Gebrüder Arnold aus Haferungen ver-
suchten es. in der Stille der Nacht ihn zu lieben. Ohne ein Wort zu
sprechen — denn dies war die erste Bedingung — machten sie sich an
ihr geheimnisvolles Werk. Als sie mit dem Spaten eine Zeit lang gegraben
hatten, erhob sich ein furchtbarer Lärm im Gutshofe, der dem einen der
Brüder den Ruf: „Ach Gott!" entschlüpfen liess. Sofort erlosch der Licht-
schein, wie vom Wirbelwinde wurden die Schatzgräber ergriffen und ent-
flohen entsetzt in ihre Behausung.
Alle sieben Jahre soll sie im Rittergute zu Haferungen erscheinen
und nachts durch Haus und Hof eine Wanderung vornehmen. In den
dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts waren denn einmal die sieben Jahre
wieder um und ängstliche Gemüter harrten mit grosser Spannung der ge-
fürchteten Stunde. Der damalige Besitzer des Rittergutes liess drei Knechte
in jener Stube schlafen, wo die Drostin ihr eigentliches Unwesen treibt,
wo noch heute ihr Bett gezeigt wird. Und richtig! Die gnädige Frau
Drostin erschien zur mitternächtlichen Stunde, geräuschlos in das Zimmer
tretend, im Gewände ihrer Zeit, mit einem grossen Schlüsselbund in der
einen, einer Lampe in der anderen Hand. Sie leuchtete jedem einzelnen
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 18%. 6
g2 Reichhardt: Die Drostin von Haferungen.
der Knechte ins Gesicht, welche sich zur Seite kehrten. Ihre Namen
werden noch heute genannt.
In stürmischen Wetternächten ist es nicht geheuer im Schafstalle des
Rittergutes, und wem es vergönnt ist, das Schreckliche zu schauen, den
überkommt Furcht und Grausen. Bin Sarg, mit Lichtschein umgeben und
getragen von sechs Knechten ohne Kopf, bewegt sich aus der Thür des
Schafstalles über den Hof nach dem Grabgewölbe der Kirche. Im Sarge
liegt die Drostin und wird in der Totenkammer beigesetzt. Die Knechte
quält sie noch nach ihrem Tode mit diesem letzten Dienste.
Zur Zeit der Freiheitskriege lag sächsisches Militär als Einquartierung
in Haferungen. Ein Soldat berichtete seinem Hauswirt, dass er in seiner
Heimat viele wunderbare Geschichten über die Drostin von Haferungen
vernommen habe und begierig sei, ihren Sarg zu sehen. Der Hauswirt
erklärte sich gern bereit, seinem Wunsche nachzukommen. Unter Führung
des damaligen Lehrers Heyser betraten sie das Grabgewölbe, der Sarg-
deckel wurde entfernt und der Soldat schnitt unbemerkt einen Zipfel von
dem Kleide der Toten. Am anderen Morgen trat der Soldat bestürzt in
die Stube seiner Wirtsleute und bat den Mann flehentlich, ihn noch einmal
zum Sarge der Drostin zu führen. In der Nacht sei es ihm schrecklich
ergangen. Die Drostin sei ihm leibhaftig erschienen, habe ihn gepeinigt
und gequält, bis er ihr habe versprechen müssen, den geraubten Zipfel
wieder in den Sarg zu legen. Dies soll darauf geschehen sein.
Über den Ursprung vorstehender Sagen lässt sich folgendes annehmen.
Die Drostin Sophie Helene von Lüdecken war eine durch Energie und
Reichtum hervorragende Frau. Dazu kam, dass sie es mit weiser Klugheit
verstand, den Aberglauben ihrer Zeitgenossen für ihre Zwecke sich nutzbar
zu machen. Sie war durch ihre vielen, in der Grafschaft Höllenstein be-
legenen Güter weithin bekannt und verstand es, sich beim Volke in solches
Ansehen zu setzen und diesem bisweilen solche Furcht einzuflössen, d;iss
man nach ihrem Tode von ihr alle möglichen und unmöglichen Eigenschaften
und Geschichten erzählte, welche allmählich in eine sagenhafte Form ge-
kleidet wurden. Was nur irgend an Sagen im Volksmunde war ^- alle
Hexen-, Alp- und Mahrt-, wilde Fuhrmann-, Mittags- und weisse Frau-,
Schatz-, Gespenster- und Vampyrsagen heftete man der Person der Drostin
an; man entblödete sich sogar nicht, wie mir allen Ernstes einmal beteueri
wurde, der Drostin ein Bündnis mit dem Teufel zuzuschreiben. Ihre vor-
erwähnten guten Eigenschaften, vor allem ihre grosse Gerechtigkeitsliebe
und Frömmigkeit nach Gebühr zu würdigen, hat man längst unterlassen —
aber mit Unrecht.
Haferungen bei Nordhausen.
Greussiug: Der Kirchtag in Stubai Tirol). 83
Der Kirchtag in Stubai (Tirol).
Skizze aus dem Volksleben von Paul Rud. Greussing.
Es ist ein verlassenes wildromantisches Thal, in welches ich den Leser
ersuche, mir zu folgen. Unweit der Landeshauptstadt Innsbruck, an der
Brennerstrasse, hart neben der berühmten Stefansbrücke, führt ein steiler
Waldpfad in jenen von der Kultur noch wenig- berührten Erdenwinkel.
Gegen Norden und Süden erheben zerrissene Bergriesen ihre alten
Häupter, nach Westen bilden ewiger Schnee und Gletschereis eine natür-
liche Thalsperre.
Sechs Dörfer mit beiläufig 5000 Seelen (Schönberg, Mieders, Fulpmes,
Neustift, Telfes, Krcith) sind bestrebt dafür Sorge zu tragen, dass der
Stubaier als Tiroler Volksgattung nicht erlösche.
Fünf Seelsorger versprechen dem armen, gläubigen Bäuerlein un-
geahnte Eimmelswonne und niemals endenden „Kirchtag", wenn er sieh
dereinst am irdischen „Erdöpfel" satt gegessen hat, oder verweisen den
„Bockbeinigen" auf die Hölle mit ihren geschwänzten um) gehörnten
Inhabern.
Bis zur Grenze des Hochwaldes hat sieh der Alpler die Hütten oder
Höfe hinaufgebaut, worin er bei harter, oft lebensgefährlicher Arbeit und
bei Ziegersuppe dem Schöpfer dreimal fürs Dasein dankt.
Es kommt zwar mitunter vor, dass (U-r Hausherr betet: „Bisch voller
Gnaden, der Hearr isch mit diar — du Ölte! bet du für, i hon vergössen.
muass mit der „Bläss" no zum Stiar" — und die Hausfrau setzt fort: „Bisch
gebenedeit unter den Weibern — do Katl gugg aussi, do geaht dös liof-
färtige Ding verbei, bot sie scho wieder a nuis Tüachl un - und gebenedeit
isch die Frucht deines Leibes"; aber «las thut nichts, es sind „fleissige"
(fromme) Leut.
Der Mond späht breitwangig in die dämmernde Stube und zieht dann
lächelnd seine silberne Bahn weiter; der Oberknecht äugelt zur drallen
Unterdirne hinüber und spricht: „Yergieb uns unsere Schulden!" Die
Blicke lies stämmigen Burschen wetterleuchten heute tollen Übermut —
denn morgen ist Kirchtag!
„Kirchtag", der Name klingt dem Bergler ins Herz und in den Magen
zugleich, denn seine Herrschaft gestattet Ausschreitungen, welche ihm zu
jeder anderen Zeit den „Titel und Charakter" Dorflump verliehen hätten.
Ehe noch die Morgenglut an den Zacken der Firnen den nahenden
Tag verkündet und wenn die Sterne noch als Nachtlichtlein den Schlemmern
und Vagabunden, sowie den Liebesleuten leuchten, klingen schon von den
Türmen die grössten Glocken mit tiefdröhnendem „bim" „bum", um den
<S4 Greussingi
grossen Presstag würdig /jU begrüssen; mann nennt dies n Tagläuten*, Was
nur an den höchsten Kirchenfesten geschieht. Erst eine halbe Stunde
später ertönt die Aveglocke. So eine grosse Glocke ist eine geplagte
„arme Haut", sie muss den ganzen Sommer über die Wetter vertreiben
und darin hat insbesondere die „Telfeserin" Meisterschaft erlangt, denn
man sagt, der weihende Priester hätte ihr die Zunge seiner verstorbenen
Wirtschafterin „einigsegnet".
Es ist selbstverständlich, dass die Taglänter ordentlich mit Schnaps
Versehen werden, während die anderen im Dorfe als Lauschende denselben
aus eigenen Mitteln sich anschaffen. So wäre also der Grund gelegt für
nachfolgende gute Dinge. Die Bäuerin verlässt heute früher als gewöhnlieh
das doppelspannige Bett.
Sie eilt zur Frühmesse und nach derselben sofort in die Küchel. Da
wird ein Feuer angeschürt, als ob es gälte für sämtliche verkannten
Litteraten und Poeten Österreichs Würste zu sieden.
Bald prangt die einen halben Hektoliter fassende Schüssel voll Krapfen
am Tische in der getäfelten Stube.
Der Bauer „schleimt si" (eilt sich) mit der Morgenandacht und hudelt
die Gsätzlein herab. Still wird es dann im Kreise — man isst mit Verstand,
nur der Magen legt mitunter laut seinen Protest ein, wenn ihm ein gar zu
grosses Fassungsvermögen zugetraut wird. Die dickbauchige Wein- oder
Schnapsflasche macht ihre Punde, nur das achtzehnjährige „Moidele"
(Mariele) lässt sie vorübergehen — jedoch nicht wegen Verachtung des
Stoffes — nein, — ihr braunes Auge hat an der Nase des Nändls (Gross-
vaters) den Morgentau entdeckt. t
Jetzt ist es draussen mittlerweile Tag geworden, das qualmende
Lampele wird von der „g'sparigen" Bäuerin ausgelöscht und der Alkohol
kündet bereits durch flammende Blicke und da und dort erwachte Zungen-
thätigkeit seinen Einzug an:
Der Altknecht, ein melancholischer „Jüngling" von 52 Jahren, erzählt
auch heuer, wie alljährlich die Geschichte von der bildsauberen Sennerin,
welche der Teufel geholt hat. und weint — und trinkt dazu.
Die neugierige, erst angestellte Stallmagd Katl fragt: „Warum aber
eigentli hat er sie gholt?" „Jo wissts", flüstert der Erzähler, „sie bot holt
in Bubn ins Kammerl lossen und nochher hot sies nit gebeichtet!" Katl
wird kreideblass vor Schrecken.
Sie bleibt den genzen Tag einsilbig und verstört. -Am anderen Morgen
sieht man sie schon um 5 Uhr im Beichtstuhl. —
Soeben schnarrt die langpendelige Schwarzwälder Uhr sieben heisere
Schläge. Alles erhebt sich. Wieder ein höchst zweifelhaft ernstliches
Dankgebet für Schnaps und Krapfen, und die männlichen Mitglieder der
Tafelrunde schlendern langsam zum „Amte" in die Kirche, die weibliehen
jedoch gehen in die Küche — denn jetzt erst beginnt die Kirchtags-
Der Kirchtag in Stubai (Tirol). 85
kocherei. Die leere Stube erinnert den Geruchssinn an Anfang und Ende
aller irdischen Dinge.
Während des Gottesdienstes, der hauptsächlich nur von „Manderleut"
heute besucht ist. findet hier und da eine „Abfuhr" aus der Kirche statt,
insbesondere von Seiten der Schuljugend, denn „so a kloans Magele, woasch
a wolla, kun nit viel derhöbn!" Das kleine „Magele" hat freilich fünf
kuhfladengrosse Küchel und etliche tüchtige Schlucke Branntwein zu ver-
dauen und ist im Durchschnitt auf Wassermus allein abgerichtet worden.
Ein reicher Bauer hatte vor Jahren sogar einen Preis von 100 Gulden
dem Erfinder einer „Kirchtigkrapfenstampfe" ausgesetzt, womit ermöglicht
würde, den vollen Bauch noch mehr zu füllen. Es hat sich jedoch niemand
gemeldet und so spendierte er für obige Summe „a nuis Messg'schirr"
(Messkleid).
Im Hause des Herrn riecht es heute stärker als gewöhnlich nach
rauchlosem Pulver und der gute Seelsorger hält eine ergreifende Predigt
über die Tugend der Massigkeit. Die Bauern weinen vor Rührung und
erwarten kaum das Ende — den Kirchtagstisch !
Endlich, etwa 9 7a Uhr sitzen die Hausbewohner um den grossen,
kurzfüssigen Tisch, welcher durch seine niedere Lage den Tafelnden ge-
bietet „sich mit die Eliabügn weit eini z'lögn. denn dös isch kamod".
Thatsächlich stossen die einander gegenüber sitzenden fast mit dem „Grind"
(Kopf) zusammen. Diese Mode wird wohl davon den Ursprung haben,
dass gewöhnlich nur aus einer gemeinschaftlichen Schüssel gelöffelt wird.
Der Küchenzettel lautet: „a Saur's als Voröss'n, Nudelsupp'n mit
bräuerinwadeldicke Wärst, Rindfleisch mitKrian (Kren)- a saur's Schweinernes
mit Kraut, a Sehweinsbratl, Kalbsbratl, Knödel mit abermaliger Supp'n,
gebachne Knödel mit Kraut, a schäbsernes Bratl mit Erdäpfel, a Schnee-
milch (halbgeschlagene Butter), Krapfen mit Füll, Küchel mit Kraut,
Wein und Schnaps."
Bis diese Herrlichkeiten verzehrt sind, ist es Zeit zum „Xäniitags-
Kirchen".
Bald ist der Gottesdienst vorüber und man eilt abermals nach Hause.
„um a Stuck Märend (Vespermahl) z'derwischen". Dieselbe besteht in
Kaffee, Schunken (Schinken) und Krapfen nebst obligatem Schnaps. Unter
dieser Mahlzeit wird „gebuchelt" (geraucht), dass die stets geheizte Stube
in Dezembernebel gehüllt erscheint. „Itzt isch es aber fein, so denk i
miars im Himmel." —
Derbe Witze fliegen von Mund zu Mund und die Wangen der Stall-
dirne leuchten wie zwei Lokomotivlaternen.
Alles lacht, nur die Altmagd, eine „geräucherte" Jungfrau wirft den
ärgsten Klaffern ab und zu wütende Blicke entgegen, gleich einer zürnenden
Pfarrersköchin.
gß Greussing:
Zu ihr kommt halt keiner mehr „t'ensterlen", darum geht sie fleissig
beichten und bekennt die Sünden aller Haus- und Dorfinsassen.
So sehr sie sonst als Oberstinhaberin des Sittenregimentes gefürchtet
ist, heute niuss sie dem tollen Übermut gegenüber stumm bleiben, denn
sie weiss, dass jetzt jede fromme Ermahnung nur Spott ernten würde.
Das Nachtmahl fliesst mit der Märende fast in eins zusammen und ist dem
Mittagstische ähnlich. Während der kurzen Magenpause wird gemolken
und gefüttert.
Ins Gasthaus geht man heute nicht, das verschiebt man auf morgen,
den „Stiarmontig". Bei der Milchgewinnung soll es vorgekommen sein,
dass eiu wein- und schnapsseliges Knechtlein diese Arbeit beim Stiere
begonnen hat, was ihm einen wohlgezielten Fusstritt eingetragen haben
soll. Bald ist die Tafelrunde zum vierten Male, beim Lichte des nach
alten Ziegenböcken riechenden Öllämpchens, versammelt.
Die Augen der „tugendsamen und wohlgeachteten Jünglinge" sprühen
nun aber Blitze, denn draussen schimmert vom Hügel Dierndls Fensterlein
einladend im Scheine des verführerischen Mondlichts.
„Buabn greifts zua, Kirchtig isch nur ä möl" spricht mit schwerer
Zunge der Bauer und schüttet „a Tupferl" in die Gurgel.
Bald ist der Beherrscher der Dirnen und Knechte eingeduselt,
er lächelt im Traume, denn seine Phantasie beschäftigt sich wahrscheinlich
mit einer Schweinsrippe oder einer Wurst.
Seinem Beispiel folgt auch der melancholische Altknecht, demselben
kugeln aber noch schlafend Thränen über die gebräunten Wangen. Die
Weiberleut haben eben eine saftige Dorfgeschichte unter der Zunge, worin
Nachbars Lisi die Heldin.
Der stramme Seppel erhebt sich, den Schnurrbart wischend: „I leg mi
nieder, i hon gnua." Er wendet sich der Thür zu, taucht die Hand ins
Weihbrunnkrügel und verlässt mit den Worten: „Gelobt sei Jesus Christus!"
die Stube. Schweren Fusstrittes poltert er über die hölzerne Stiege zu
seiner Dachkammer empor, verlässt dieselbe jedoch wieder lautlos durchs
Fenster mit Hilfe des Spalierbirnbaumes.
Wunderbar flutet das flüssige Silber des Mondes auf die einsame
Landschaft nieder. Die grauen Bergeszacken ringsum leuchten wie Türme
und Warten unüberwindlicher Burgen.
Hoch oben auf der steilsten Halde steht eine hölzerne Hütte, ihre
kleinen Fenster senden dem Burschen silberne Grüsse und er schaut im
Geiste sein weissarmiges Kösele. Höher klopft das Herz in der starken
Brust, er klimmt schnell, immer schneller hinauf zu ihr — zur Geliebten,
zum „Haben Diendl, das grad so arm isch", wie er selber!
Unbelauscht, fern dem Auge des Pfarrers und der klatschsüchtigen
Zubringerin, trägt er das Haupt kühner. „Na und i kanns nit gläben, dass
Der Kirchtag in Stubai (Tirol . 87
es Sund isch — i hab si gar so gern und bis i so viel derspart hab, dass
i heiraten kann, nachher sein mir beadi verwelkt, wie da dös wilde
Rösl."
Aus den Schluchten des zerklüfteten Schlickthaies hallt jetzt das Echo
eines Schusses, grollend verliert es sich gegen den Apferstein hin. „Aha,
der hats ä g'wusst, dass der Förstner heut an Kirchtigrausch hat", murmelt
der Bursch.
Noch eine kurze Spanne Zeit und Seppl klopft leise — leise an
Röseles Fenster. Zitternd öffnet das Mädchen, jedoch es öffnet, denn sie
ginge für ihn durchs Feuer und er liebt sie treu und redlich, nur der
volle Beutel fehlt, „sunst wärens zwoa ung'sechne (angesehene) Leut".
Er küsst ihr glühendes Antlitz; lächelnd verbirgt sich der Mond hinter einer
schützenden Wolke und zwei von der kalten Menschheit verlassene Waisen-
kinder ruhen in seliger Liebe Herz an Herz!
Drunten beim Bauern wurde indessen durch einen Zufall der Abgang
Seppeis ruchbar. Der halbtrunkene Hausherr donnert soeben: „Morgen
künd i dem Lumpen, er isch wieder zum Karrner Rösele. i wett! 0 dö
Schand, wenns der Pfarrer derfragt! Und zu wos bin i iTmoandsrat?
Morgen no soll dös Dörchermadl1) mit Schub in die Hoamat und ös Bubn
passts dem Yalloten2) auf und thietsn surren und wasen!" (mit Jauche
überschütten). Krachend fliegt die breite Faust des Sprechers auf die
Tischplatte, als Besiegelung des Ernstes seiner Worte, denn was er sagt,
gilt. Die Altmagd wirft siegesstolze Blicke im Kreise herum und ihre
Seele bedauert nur, dass jetzt keine Zeit des Widumsbesuches ist.
Die Weibsleut flüstern einander ins Ohr. der Bauer schlürft noch
tüchtige Schlucke aus der Flasche und die Burschen machen sich auf gegen
Röseles Hütte
Der Kirchtag ist vorbei, zwölfmal kreischt die verrostete Schwarzwälderin,
man geht zu Bett und betet: Vergieb uns unsere Schulden." Ob es aber
draussen blutige Köpfe giebt, ob man die Ehre zweier liebender Menschen
an den Pranger stellt, — das ist vollkommen gleichgültig, denn Seppl und
Rösele „sein dahergloffne Leut und wenn sie z*Grund geh'n. g'schicht
ihnen recht!"
Telfes in Stubai.
1) Über die Dörcher, diese Landfahrer Tirols vgl. L. v. Hörmann3 Tiroler Volkstypen,
Wien 1877, S. 39—57.
2) Wohl aus ital. valletto entstellt?
g$ Finck:
Vier neilirische Zaubersprüche.
Von Franz Nikolaus Finck.
Die nachstehenden, meines Wissens noch nicht veröffentlichten Zauber-
sprüche sind mir im Sommer des Jahres 1S95 auf der nördlichen Araninsel
von zwei dort ansässigen Personen mitgeteilt worden. Abgesehen vom letzten,
den ein etwa 60 Jahre alter Mann in seiner Jugend gehört zu haben an-
giebt, werden sie noch häufig zur Heilung von Krankheiten angewandt,
auf der Insel jedoch nur noch von einer einzigen Frau. Nach ihrer Ver-
sicherung hat sie die ihr von der Mutter überlieferten Sprüche bisher keinem
anderen als mir verraten. Im Hinblick auf den Aufwand von Überredungs-
kunst, dessen ich bedurfte, um ihr die Worte zu entlocken, obwohl ich
mir durch einen monatelangen Verkehr mit den Inselbewohnern ein ausser-
gewöhnliches Vertrauen erworben hatte, glaube ich diese Angabe für wahr
halten zu dürfen.
Die Sprüche beruhen auf christlicher Anschauung, verraten aber noch
ziemlich deutlich den durch das Germanische bezeugten echten Typus:
einen epischen Eingang und die von diesem nicht nur durch den Inhalt,
sondern wahrscheinlich auch durch den Rhythmus unterschiedene eigentliche
Formel1). Hohe Altertümlichkeit ist dadurch natürlich noch nicht für die
hier mitgeteilten Sprüche bewiesen, da ja in verhältnismässig später Zeit
ein Lied nach altem Muster gedichtet sein kann. Bewiesen ist nur, dass
der aus dem germanischen bekannte Typus auf keltischem Boden gleich-
falls existiert hat Wahrscheinlich aber wird eine gewisse Altertümlichkeit
trotz der im allgemeinen modernen Sprache dadurch, dass die Sprüche,
wenigstens der zweite und dritte, offenbar nur kleinere Trümmer eines
umfangreicheren Gedichtes sind und dass sie einige Ausdrücke enthalten,
die heute auf den Araninseln nicht üblich sind wie koxl, hin, kotdk und
andere, vor allem aber die wundersame Infigierung ärj viäl crngl. Ur-
sprüngliche Poesie scheint mir aus der in Prosa nicht anwendbaren Wort-
stellung des zweiten und aus Reim und Rhythmus des ersten Spruchs her-
vorzugehen. Die Form des vierten ist eine sehr modern klingende, fast
bänkelsängerartige, und das ganze Machwerk wird auch wohl recht jungen
Datums sein bis auf den durch das Vergessen der Pointe als alt gesicherten
Jordan.
Die Besprechung geschieht in folgender Weise. Die Frau, die den
Zauber ausübt, kniet mit dem Kranken nieder, drückt dessen Kopf mit
beiden Händen gegen ihre Brust und murmelt, den Scheitel mit dem
1) Vgl. Edw. Schröder, Über das Spell. Ztschr. f. d. A. 37, 251. Kögel, Gesch. d. d.
Litt, I, 80 f.
Vier neuirische Zaubersprüche. 89
Munde fast berührend, den Spruch in einer für den Patienten nicht ver-
nehmbaren Weise. Dabei schliesst sie joden Redeabsatz — wohl eine
Verszeile — durch eine pagodenartige Verbeugung ab. Diese Besprechung
wird an drei Tagen, einem Montage, dem folgenden Mittwoch und dem
dann folgenden Montage je dreimal vorgenommen.
Der Rezitation des ersten, gegen „die kleinen Fieber"1), eine nervöse
Art Kopfschmerz, angewandten Spruches geht folgende eigenartige diag-
nostische Thätigkeit voraus. Die Besprecherin misst den Kopfumfang des
Leidenden, indem sie eine Schnur einmal horizontal und dann vertikal
über die Ohren legt. Nach einem Vergleiche beider Masse erklärt sie den
Kopf oben für offen. Bei der am dritten Tage vorgenommenen Messung
ist sie natürlich in der Lage, ihn für geschlossen erklären zu können.
Die Beschreibung einer fast gleichen Kankenbehandlung findet sich
in Lady Wildes leider quellen- und kritiklosem Buche: Ancient Cures,
Charms, and Usages of Ireland, p. 26. Der Spruch selbst scheint der
Verfasserin unbekannt geblieben zu sein, da es nur heisst: „And he mutters
certain prayers and charms at the same time."
Jede Besprechung beginnt mit den Worten: „an omni an (ehr ages an
vik agas an sprit Nyvu „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des
heiligen Geistes."
Im Folgenden gebe ich nun die Sprüche in phonetischer Schreibung,
ueuirischer Orthographie, die der Aussprache so weil angepasst ist. wie es
der Name Rechtschreibung nur eben gestattet, und in einer Übersetzung,
die nicht mehr vom Original abweicht, als die idiomatische Verschiedenheit
des Irischen und Deutschen dringend gebietet. Zum Verständnis der
phonetischen Zeichen werden den Lesern dieser Zeitschrift folgende kurze
Angaben genügen, die sich auf das vom Deutschen beträchtlich Abweichende
beschränken: d t x i durch Anstemmen der verbreiterten Zungenspitze an
die Oberzähne hervorgebracht, j c russ. gd_v govorite, n it. campägna, g k n
palatalisiert, v engl, voiee. w d. quelle, * d. was, s d. Fisch, c d. ich, \ nordd.
sagen, x d. ach, X it. figtto, r gerollt, f palatalisiert, ce engl, man, ä franz.
madame, <> d. gäbe, 0 gerundetes e, a ä ungerundetes engl. 0. bezw. a in
not all, 11 y ein mit der Zungenstellung des ü (bezw. u) und der Lippen-
stellung des l (bezw. 1) gesprochener Laut. 1, ü palataler, bezw. gutturo-
labialer Übergangslaut, - silbenbildend.
I. Gegen die kleinen Fieber, d. h. nervösen Kopfschmerz.
a) [der epische Eingang:]
[Gott spricht:] gd mtvsd jid c ärj vidi ie>igl
[Der Engel spr. :] ga meexe jia s müifa \ic.
[Gott spr.:] Jcerd sin ort ürj vv'd cenglf
1) Vgl. Zeitschr. d. Vereius f. Volkskunde V, 15.
90 Finck:
[Der Engel spr.:] tä cin9s /ein
ciiras />//),
fievrds vmga
cb wara gas da vrö ma xri.
[Erzählung-:] na Ny mrire vi ff) vel j<\
1)) | Die Formel, durch daktylischen Rhythmus abgehoben:]
koxl vik müifd fy wuiax cb eilt,
ga vi/ra mis ort arisc.
go mbeannuighidh Dia elhuit a äird-Mhichedl-aingil.
go mbeannuighidh Dia agas Muire dhuit.
cread sin ort, a äird- Mhicheäl-aingüf
atd tinneas cinn,
tinneas caoin1),
fiabhrais bheaga,
clo mharbh agus clo bhreödh mo chroidhe.
na naoi mbriathra bhi faoi2) blical De.
cochal mhic Muire faoi mhullach do chinn,
go bkßlUdh mise ort aris.
Grrüss' Gott3), Erzengel4) Michael.
Grüss' Gott und die Jungfrau Maria.
Was fehlt dir, Erzengel Michael?
Es ist Kopfschmerz,
Eine jämmerliche Krankheit,
Kleine Fieber,
Die mein Herz gequält und bedrückt.
Die neun6) Worte waren unter Gottes Befehl.
Der Schutz des Sohnes der Jungfrau Maria sei über deinem Haupte.
Bis ich wieder zu dir zurückkehre.
1) Nach der Aussprache ku'i wäre cuinn, gen. sing, von Conti, uom. propr., anzusetzen,
was aber keinen mir verständlichen Sinn giebt. Ich möchte daher vermuten, dass hin
unter Einfluss des Reimwortes lein aus kyn entstanden sei.
2) Gleich fd, ursprünglich fä in Verbindung mit pron. Element.
3) Diese Begrüssungsi'ormeln im Munde Gottes und des Engels sind nicht auffälliger
als das „uuizze Crist1' der Samariterin im ahd. Gedichte (Müllenhoff-Scherer, Denkmäler s 22),
da sie völlig erstarrte Redewendungen sind und nicht mehr als „guten Tag" bedeuten.
4) Trotz der auffälligen Infigierung wohl so zu übersetzen und nicht „hoher Engel
Michael" oder ähnlich, übrigens auch von der Besprecherin als Erzengel aufgefasst.
5) Bezieht sich wohl darauf, dass der Spruch an drei Tagen je dreimal, im ganzen
also neunmal aufgesagt werden muss, obwohl es bei der Beliebtheit der Zahl neun nicht
ausgeschlossen ist, dass nichts Besonderes damit gemeint ist. Vgl. Zeitschr. d. Vereins f.
Volkskunde V 6, 19, 22.
Vier neuirische Zaubersprüche. 91
II. Gegen die Rose,
a) [Der epische Eingang-]
impl jir müira U tib1) ga erist,
n t-at xm r gül agds a rud sc&r drces.
a) [Die Formel]
impidhe d'iarr Aluire U to/'l go Chriost,
an t-at do chur ar gcid agus an ruadh do chur tharais.
Ein Bittgebet richtete die Jungfrau Maria mit Christi Einverständnis
[sc. an Gott],
Die Geschwulst zurückzutreiben und die Rose zu beseitigen.
III. Gegen Leibschmerz.
a) [Der epische Eingang] b) [Die Formel?]
für nun eg bau worab, kir &n ara sin ga celik
mak je n-d law sa ,roM: s ga rn n dd welik s±än.
fear min ag bean bhorb,
mac De i n-a Leagkadlr) 'san cholg,
>■////■ an arra sin go 'n t-el<\
agus go raibh an do-bhoilg ään.
Ein freundlicher Mann bei einem Losen Weib8),
Der Sohn Gottes im Stroh liegend ....
Wende diesen Zauber4) auf dein Übel an,
Und der Leibschmerz wird geheilt sein.
IV. Gegen Zahnschmerz.
a) [Der epische Eingang |
vi pädr eg sru hörlän,
hänig Knast o.s e clN.
fcerd sin ort a fädr'f
a hiarna, m iohl dtä ein.
mosc), kirirnsa örd \icsa, fad/,
s ga c-iakl dtä ein,
gan an örd nä n de iakl
ce ./• ijn an en cün.
1) Wohl um des Rhythmus willen statt des sonst allein gebräuchlichen tu.
2) statt leagadh.
3) Anspielung auf die Legende, nach der Josef und Maria in Bethlehem die Aufnahme
zinrst von der Frau des Hauses versagt, dann aber auf Fürsprache des Mannes gewährt
wurde.
4) oder „lege dieses Pfand auf die leidende Stelle."?
02 Maurer:
b) [Die Formel]
[Do] bhl Peadar ag sruth h-ürrthainiüin1).
Thänig Criost ös a chionn.
Cread sin ort, a Pheadairf
a thighearna nüfhiacail atä tinu.
maiseadli, cuirimse oradh dhuitse, a Pheadair,
agus go oV fhiacail atä tinn,
gon an oradh nä an doi-fhiacail
do bheith gach aon'i n-aon cheann.
Peter war am Flusse Jordan2),
Da holte ihn Christus ein.
Was fehlt dir, Peter?
O Herr, mein Zahn ist krank.
Nunwohl, ich will für dich, Peter,
Ein Gebet über deinen kranken Zahn sprechen,
So dass Gebet und Zahnschmerz
Nicht zusammen in einem Kopfe weilen können.
Die Übersetzungen werden den Sinn, so hoffe ich, im grossen und
ganzen richtig wiedergeben. Hinsichtlich jeder Einzelheit wage ich es
nicht zu behaupten. Unmittelbar zur Erklärung dieser Sprüche dienende
litterarische Erzeugnisse sind mir nicht bekannt, und die mir ziemlich
vertraute Sprache der Arauinseln giebt keine weitere Auskunft. Eingehendere
Interpretation muss ich daher denen überlassen, die tiefer eindringenden
Scharfsinn und mehr umfassende Kenntnisse haben.
Marburg i. H.
Kleine Mittdliinireu.
Die Königslösimg.
In dem soeben erschienenen dritten Bande seiner ungemein reichhaltigen
„Danske Sagn" (Silkeborg 1895) teilt der um die dänische Volkskunde sehr ver-
diente Evald Tang Rristensen unter anderen auch eine Fülle von Schatzsagen
aus dem dänischen Volksmunde mit Vielfach berühren sich diese mit allgemeinen
1) Vgl. Irish Manuscript Series 1, 74.
2) Offenbar aus einem anderen, zur Stillung des Blutes angewandten Spruche. Vgl.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde V, 12: Lady Wilde, 11, 14; Müllenhoff- Scherer, Denk-
mäler3.
Kleine Mitteilungen. 93
und zumal auch bei uns in Deutschland verbreiteten Erzählungen; daneben aber
bieten sie doch auch manche recht eigentümliche Züge, und eine dieser Besonder-
heiten möchte ich hier zur Sprache bringen, weil sie ein gewisses rechtshistorisches
Interesse beanspruchen darf.
Wiederholt wird in einzelnen Sagen die Grösse des Schatzes, auf welchen
sich die Erzählung bezieht, in eigentümlicher Weise bezeichnet, und nicht selten
wird andererseits die Hebung desselben mit einem bestimmt angegebenen zukünftigen
Notstande in Verbindung gebracht, welchem abzuhelfen er ausschliesslich berufen
sein soll. Beide Momente treten selbstverständlich auch oft genug mit einander
verbunden auf, indem der Wert des Schatzes gerade hoch genug bemessen erscheint,
um ihn dem Bedürfnisse genügen zu lassen, welches zu decken er im gegebenen
Falle bestimmt ist. Sehr häufig ist es der Wiederaufbau eines Bauernhofes, eines
Schlosses oder einer Kirche, dessen Kosten der Schatz im Falle eines Brand-
schadens decken soll; aber es kann auch die Rettung eines verarmenden Bauern
von dem ihm drohenden Bettelstabe sein, um welche es sich handelt (No. 2398,
S. 470), oder die Wiedereinlösung eines im Spiel verlorenen Schlosses (No. 2439,
S. 482), oder gar die Ernährung des ganzen Volkes während einer schweren
Hungersnot, die über Dänemark hereinbrechen wird (No. 2390, S. 468). Anderer-
seits soll einmal ein Schatz dem zehnfachen Jahresertrage des Gutes gleichkommen,
innerhalb dessen er liegt (No. 2388, S. 468), oder sein Wert soll den dreijährigen
Steuerertrag von ganz Dänemark erreichen (No. 2374, S. 466), oder den sieben-
jährigen Steuerbetrag (No. 2372, S. 465 und No. 2381, S. 467), oder wenigstens
den siebenjährigen Betrag der Steuern in Nordjütland (No. 2377, S. 466), oder
umgekehrt den vollen neunjährigen Ertrag aller Steuern (No. 2378, S. 466), oder
es wird auch wohl der Schatz als gross genug bezeichnet, um mit ihm sieben
Jahre lang die ganze Steuer für Dänemark zahlen zu können (No. 2379, S. 467).
Andere Male soll der Schatz so gross sein, dass man mit ihm alle Schulden von
Dänemark bezahlen kann (No. 2372, S. 465 und No. 2376, S. 466) oder gar alle
Schulden von Dänemark in hundert Jahren (No. 2380, S. 467); oder er ist mehr
wert als ganz Dänemark (No. 2382 und 2383, S. 467), was auch wohl so aus-
gedrückt wird, dass er mehr Geld enthalte als man brauche, um ganz Dänemark
zu kaufen Einmal heisst es auch wohl von einem Schatze, er sei gross genug,
dass man einmal mit ihm Dänemark auslösen könne (No. 2375, S. 466); weit
häufiger wird aber in dieser letzten Verbindung der König an die Stelle des
Reiches gesetzt und allenfalls der Schatz als so reich bezeichnet, „dass er unseren
König auslösen kann, wenn er gefangen genommen wird"* (No. 2366, S. 464).
Dieser letztere Massstab für die Taxierung von Schätzen scheint ganz besonders
beliebt zu sein, da die Bezeichnung „Kon gelosen" oder „Kongelasning",
d. h. Königslösung für Schätze sehr erheblichen Weites sehr häufig wiederkehrt
(No. 2365 und 2367, S. 464; No. 2368, 2369, 2370 und 2371, S. 465; No. 2418,
S. 477). An diesen letzteren Ausdruck knüpft sich nun aber noch eine nähere
Erläuterung an, welche mir ganz besonders wertvoll erscheint (No. 2364, S. 464),
sie lautet in wörtlicher Übersetzung: „Eine Königslösung ist so gross, dass, wenn
der König auf seinen Knieen liegt und man Geldstücke über ihn schüttet und sie
niederrollen wie sie woben, sie ihn zuletzt ganz zu verdecken vermögen. Wenn
er an einem oder dem anderen Orte gefangen genommen wird, kann er sich mit
dieser Königslösung frei kaufen " Wir sehen demnach hier für den Wert des
Königs ein für allemal vorgesorgt, wie etwTa in den altenglischen Rechtsdenkmiilei n
für ihn ein eigenes Wergeld vorgesehen ist; aber dieser Wert wird in ähnlicher
Weise bestimmt, wie in jenen altgermanischen Mordsühnen, über welche J. Grimm
04 Schwarte:
bereits vor achtzig Jahren im eisten Bande der Zeitschrift für geschichtliche Recht-
wissenschaft gehandelt hat (Kleinere Schriften, Bd. VI, S. 144 — 52). Wir haben
demnach in der angefühlten dänischen Volkssage eine letzte Spur einer alt-
gennanischen Rechtsitte vor uns.
München. K. Maurer.
Vom Spuken.
Eine Miscolle von Wilhelm Sclmartz.
In grossen Städten, wo das Leben bei Tag und Nacht lebendiger pulsiert, ist
keine Stätte mehr für das Spuken Verstorbener. Auf dem Lande aber in den
mehr isolierten Lebensverhältnissen hält sich der alte Glaube noch zum Teil, und
besondere Umstände geben ihm immer wieder gelegentlich Nahrung.
Interessant ist in dieser Hinsicht folgende Mitteilung, welche mir die ver-
witwete Frau Majorin von Unruhe in Neu-Ruppin gemacht, der ich schon früher
einzelne hübsehe Volksgeschichten zu verdanken hatte, die im ersten Artikel der
„Volkstümlichen Schlaglichter" im 1. Bande unserer Zeitschrift S. 21 f. eine Stelle
gefunden haben.
,,lch hatte", schreibt die Dame, „eine sehr treue Arbeiterin, Frau Schulz, in
meinem vor dem Seethor gelegenen Garten. Ich bin mit ihr einmal noch spät in
demselben, da wird sie unwohl. Folgenden Tages kommt sie nicht zur Arbeit;
sie liegt krank, der Typhus bricht aus, sie stirbt."
„Ich schicke nach ihrem Tode, als sie noch nicht begraben ist, meinen
Gartenjungen nach Petersilie in den Garten Derselbe ist der Sohn meines Tischlers,
den ich ebenfalls früher als Gartenjungen hatte, ehe er in die Lehre ging. Da
kommt der Tischler atemlos zu mir und sagt: „Mein Junge ist zu Haus ganz weg. —
Die Schulzen geht im Garten um, der Junge hat sie gesehen, als sie in den
Johannisbeersträuchern umherraste. — Sie war zu eifrig nach dem Garten; starb
so schon schwer und redete nur immer noch von dem Garten, und so lange sie
über der Erde ist. geht niemand mehr von uns hin."
„Nun", frage ich, „wie sah sie denn aus?" „Na", sagt er. ..sie war ein gelber
Hund, mit spitzen Ohren und hatte noch ein Stück Weide am Halse. Sie fuhr
nach allen Seiten hin, bis mein Ernst endlich wieder die Thür zur Mauer fand. —
Aber hingehen thut er nicht wieder. Da können Sie machen, was Sie wollen, die
Schulzen ist es, weiter niemand."
„Keine Vorstellungen nützten, es blieb dabei. Der Tischler staunte nur, dass
ich so unerfahren wäre in dieser Hinsicht, so etwas nicht glaubte und wüsste."
„Auch als sich später herausstellte, dass es eines Nachbars Hund gewesen,
der sich losgerissen und durch den Zaun von Sträuchern gedrückt und den ganzen
Garten durchlaufen hatte, änderte es in der Sache nichts. Die spitzen Ohren, —
die Schulzen hatte auch spitze Ohren, — es war und musste ihr Geist gewesen sein."
„So geschehen im Jahre 1890 zu Neu-Ruppin"; mit diesen Worten schliesst
Frau von Unruhe ihren Bericht.
Ist die Geschichte in ihrer lebendigen Darstellung und in der Anknüpfung an
den allgemeinen, ihr noch zu Grunde liegenden Volksglauben schon an und für
sich interessant, so wird sie noch durch Einzelnes besonders charakteristisch für
die Entwicklung und den Typus solchen Spukglaubens.
Dass der Tote umgeht, so lange er noch nicht begraben worden, ist ein uralter
Zu»' des hierher schlagenden Aberglaubens, ebenso, dass der Geist namentlich an
Kleine Mitteilungen. 95
der Stätte spukt, wo er bei Lebzeiten gewirkt und an der entweder sein Herz
besonders hing oder wo noch etwas zu sühnen oder umgekehrt zu rächen sei1).
Bedeutsam wird aber in dem vorliegenden Falle, dass in demselben so recht deutlich
sich zeigt, wie der Zufall mit allerhand näheren Umständen die Form bestimmt,
unter welcher der Geist sich angeblich bemerkbar macht. Wie in der Ruppiner
Geschichte es ein Hund ist, dem die Rolle zufällt, so war es in einer Spukgeschichte,
die ich in Flinsberg einmal hörte, „ein Katzel", in deren Gestalt „die alte Heidrich"
meist umging und, wie es hiess. des Abends immer um ihr altes Haus ..flankierte",
bis sie „gebannt wurde"2).
Ich hebe dies besonders hervor, weil man vielfach in dem Charakter der Tiere
in solchem Falle den Grund sucht, der sie mit einem Geiste in Verbindung bringe
und an seiner Stelle auftreten lasse, während meistenteils einfach, wie gesagt, die
Verhältnisse dabei mitspielen und jede auffallende Erscheinung — ja selbst ein
plötzlicher Luftzug oder ein angebliches Licht- oder Schattenbild in den Räumen,
wo der Tote verkehrt hat, — an den Verstorbenen mahnen kann. Die durch einen
Todesfall hervorgerufene unheimliche, nervöse Stimmung ist nämlich das Agens,
auf das alles, was aussergewöhnlich erscheint, einwirkt und die Gedanken je nach
den sie beherrschenden Vorstellungen lenkt.
Dem gezeichneten Glauben an Spuk sind in psychologischer Hinsicht nahe
verwandt Visionen, die nicht bloss in Träumen sondern auch im Wachen eine1
entsprechend gestimmte Seele antreten. Auch auf das Volkstum reflektieren sie in
mannigfacher Weise, wovon ich schon gelegentlich gehandelt und Beispiele beigebracht
habe3). Ich will hier nur noch ein Moment erwähnen, das sich dein Spuken in
dieser Hinsicht nahe stellt, nur dass es nicht \<>n dem Umgehen eines Toten handelt,
sondern die Fähigkeit -umzugehen" und so plötzlich an dieser oder jener Stelle
zu erscheinen, auch Lebenden vindiziert. Statt des Grauens, welches den Glauben an
das Umgehen Toter erzeugt, spielt bei solchen Visionen das böse Gewissen eine
Rolle. Bedeutendere Persönlichkeiten, die durch ihre einfache Erscheinung schon
den Leuten imponieren und von deren Thätigkeit sie die Spuren oft unerwartet
plötzlich, wo man sie gar nicht geahnt, wiederlinden, kommen leicht in den Ruf,
man sei nie vor ihnen in dieser Hinsicht ganz, sicher, sie könnten eben mehr als
gewöhnliche Menschen, und wo man noch an die Möglichkeil des Zauberns glaubt,
werden sie so zu einer Art Hexenmeister'). Dienstleute und überhaupt sogenannte
kleine Leute haben mir oft erzählt, mit dem oder jenem Herrn, meist einem Guts-
besitzer oder Förster oder Aufsichtsbeamten (z.B. einem Steueraufseher), sei nicht
zu spassen. Es sei vorgekommen, dass man ihn eben habe fortfahren sehen oder
1) So verlangt der Geist des Elpenor bei Homer vom Odysseus Bestattuug, derweil
er sonst nicht Ruhe finden und in die Unterwelt eingehen könne. — Desgl. weicht nach
Lucian aus dem Spukhause zu Korinth der umgehende Geist eines daselbst Ermordeten
erst, als seine Gebeine, die in einem Winkel des Hauses eingescharrt waren, aufgefunden
und rituell bestattet wurden, s Schwartz, Nachklänge prähistorischen Volksglaubens im
Homer. Berlin 1894, S. 31.
2) Schwartz, Volkstümliches aus der alten Lausitzer Gegend von Flinsberg im dritten
Bande der „Niederlausitzer Mitteilungen", Ztschr. der Niederlaus Gesellschaft für Anthro-
pologie und Altertumskunde. Guben 1894, S. 65.
3) Kulturhistorische und mythologische Studien in Flinsberg 1876 u. 77 in der Zeit-
schrift ..Ausland" 1878, No, 10. Wieder abgedruckt in meinen Prähistorischen Studien.
Berlin 1884, S. 372 ff.
4) Wie in den märkischen Sagen Markgraf Hans, der alte Ziethen, der Kammerherr
von Suckow u. s. w. s. meine ..Märkischen Sagen". Berlin 1895.
\){] Schatzmayr:
gewusst habe, dass er an einem ganz anderen Ort zu thun habe, und plötzlich,
wenn z. B. ein Knecht in unredlicher Absicht sich beim Futterkasten etwas zu
thun gemacht habe oder eine Magd in ähnlicher Absicht in die Milch- oder Speise-
kammer geschlichen sei, hätte mit einem Male der Herr leibhaftig ihnen über
die Schultern gesehen, so dass sie vor Schreck alles hätten stehen und liegen
lassen und gemacht hätten, dass sie nur heil davon kämen. An derartige Ge-
schichten knüpft sich dann leicht eine Sage, wie sie u. a. von dem Spukschloss in
Meffersdorf in Schlesien berichtet wird, wo auf den alten General-Major von Gersdorf
(aus dem vorigen Jahrhundert) manches Zauberhafte übertragen worden ist und
erzählt wird, dass er bei seiner eigenen Beerdigung selbst noch unerwartet in figura
als lustiger Teilnehmer erschienen sei, denn als er gestorben, und sie den Sarg
aufhoben, heisst es, um ihn fortzutragen, und zufällig zum Fenster hinauf sahen,
da stand der alte General am Fenster, wie er leibt und lebt und lachte dazu1),
ebenso wie im Glatzer Gebirge der sogenannte Vogelhannes bei seiner angeblichen
Beerdigung auf der Dachrinne erschienen und dort seine Wippchen gemacht haben
sollte. Einem Zauberer ist eben alles möglich!2)
Berlin.
Kärntner Liedelu.
Mitgeteilt von I >r. E. Scliatzinayr in Mantua aus dem Munde der zwölfjährigen
Maria Amenitsch in Widerschwing.
I. Plepperliedeln.3)
1.
In Feld singk dö Ler-hn. Un draussn in Walt
In Wald schlagk da Fink, Schreit a Vogl: gugü,
Und z'Haus häb i a Nächtigal. Griass di Göd, mer liabs Frujäur.
Dö gaa so schean singk; Bist keman? — juhü!
2. 's Karnalänt (Kärntnerland).
In Gailtal scheani Wislan4)
In Lafntal guets Feit,
in Drägtal5) groassi Wälda.
z'Glonfuat") fil Gelt,
Af da Saualm seint Hirschlan,
Af da Fladnitz seint Reh,
Afn Dobrac zwo Kirhlan,
Am Pressck a Se. Jodler.
1) Zeitschrift der Niederlaus. Gesellschaft, 1894, S. 63.
2) Max Klose, Sagen der Grafschaft Glatz. Schweidniz. S. 77. Wie der Vogelhannes
ein Analogon des Rübezahl ist, so giebt es von diesem auch eine Sage, nach welcher ei-
sern Testament macht und sich begraben lässt und dann noch aus dem Sarge die Leute
verhöhnt, s. Kletke, Das Buch vom Rübezahl. Breslau 1852. S. 73.
3) Das Wort Schnadahüpfln für diese meist vierzeiligen Gsanglan hört man in Unter-
Kärnten selten: der gewöhnliche Name ist Pleppaliedlan. Vgl. E. Schatzmayr in K.
Frommans Monatschrift: Die deutschen Mundarten. IV. Band, S. 523. Nürnberg 1857.
— Lexer, Kärntisches Wörterbuch 31.
4) Wiesen. 5) Drauthal. fi) Klagenfurt, urspr. Gl an fürt.
Kleine Mitteilungen
97
3. LäfnU
Läfntäl, Läfntäl —
Scheans Tai, sägn's iwaral:
Scheani Wislan, scheani Felda,
Scheani Berglan, scheani Wälda,
Scheani Päm'j, guata Most,
Starchi Lait, guati Kost.
1 (Lavantthal).
Läfntäl, Läfntäl —
Paradis, s:»gn's iwaräl:
Pili Hirschlan, Ali Bechlan,
Fili Derflan, Ali Weglan,
Roatö Apfalan, schean runt,
Dö sein guat, dö sein g'sunt.
I bin a Karnadeandle,
I bin a fesches Deandle,
Hab imma frischn Muet,
Das steaht ma gäa so guet -
Und wän's zan singan kimp.
Da sing i's lusti mid,
Den a Karnarin
Tuat's ändast nid. Jodler.
I bin a Karnabua,
I bin a fescha Bua:
I las mei' Stutzal knälln,
I las mei' Lied erschälln —
Und wän da Kaisa rueft,
Dan gib i gean mei' Bluet,
AVeil a Karnabua
'n Kaisa liebn tuet. Jodler.
Hin i's a frischa Jäga,
Bin i's a frischa Pua,
Nim's Stutzal af dö Axal
Und geah in grean Wald zua:
Das Stutzal. das mues knalan.
Man heat es zimlich weit,
Das Hirschlein, das mues fälan,
Dass sich mein Heaz eafrait:
Wol auf dar hoachn Alm, u. s. w.
Hiazt geamas3) zua da Sendarm
Und fragn mas' wia so hast (heisst):
So wartet uns an Butar auf
Und noh dazua an Käs —
Wol auf dar hoachn Alm, u. s. w.
IL Jägerlied.2)
Af dar Alm.
Wol auf dar hoachn
Wol
\lm.
bei dar hextn Schneid,
Wol bei dar Send(r)in drobn
Hab i's mei' Praid. Jodler.
Nim's Hirschlein bev di Sterndlan
Und ziach es aus dem Wog,
Vom Wöge ins Gesträuselein,
Dort hab i's guet vastöckt:
Wol auf dar hoachn Alm, u. s. w.
Dö Sendrin is a Mädl
Wia Milach und wia Bluet,
So is den frischn Jäga
Von Heazn gäa so gut —
Wol auf dar hoachn Alm, u. s. w.
(Kehrreime.)
Dahäm pan Dirndl
Dort gipps ma fil z' Pil Pleach
Geah liawar auf dö hoachi Alm
Wo Mio Hittlan steant.
III. Wildschützlied.')
pleib i's nid, Und wia i's auf dö Alma ki
Hat's mir so sickrisch-') g'fälln,
Lei wia dö Sendrin umalant0)
Bei Kualan und bei Kalm;
1) Bäume.
2) Anklänge darin an das steirische Lied bei Schlossar, Deutsche Volkslieder aus
Steiermark, No. 180. Innsbruck 1881.
3) Jetzt gehen wir.
4) Anklänge in einem Salzburger Liede bei V
5) oder sackrisch = verflucht, dann steigernd.
6) Umherlehnt — oder uniawälgk: sich umhertreibt. — le
auch tirolisches Flickwort: Lexer, Kärntisches Wörterbuch 175.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896.
Süss, Salzburger Volkslieder, S. 67.
kärntisches, zum Teil
Bolte:
Hon mi a weni nidagsötzt,
Äwa freili wol nit z'läng,
Glei wia i's af dö Gampslan denk,
Werd mir dö Zeit schon z'läng.
Und wia i's af dö Alma kim,
Las i mei' Stutzäl knälln:
Drei Gampslan sein af ämäl tod,
Juchhe! das hat ma g'fälln.
Da Jäga, dea wäar ä nit weit,
Ea heat den Schus gäa balt:
Ea lauft dö Alm wol aus und ein,
Bei mir da war a bält;
Da Jäga spänt af mi den Hahn
Und schiast mar auf das Löbn —
Dö Kugl ging ins G'wänd hinein,
I hon mi nit ergöbn!
„Ei du vaflickta Wüldpratschitz,
Pass auf, was i da säg:
Dö Gampslan dö du g'schosn hast,
Dö muest du selwa trägn." —
„Ei du vaflickta Jägasbua,
Pas auf, was ih da thua:
Dö Gampslan, dö muest du ma trägn,
Sunst schias i di za Rua." — —
Er nahm sie auf die Äxl,
Dass ihn da Puckl kracht:
I pin wol hintn nächn gang
Und hän mi z' putzat g'lächt.
Und wia ma's auf dö Pruckn kern,
Schmeist ea dö Gampslan wöck:
„Ei du vaflickta Wüldpratschitz,
Da hast du deinö Pöck!"
Nochmals das Kinderlied vom Herrn von Ninive.
Als Grundlage des rätselhaften Kinderreimes vom Herrn von Ninive habe ich
in dieser Zeitschrift 4, 180 ein deutsches Gesellschaftsspiel nachgewiesen, das
schon im 17. Jahrhundert citiert wird, von dem aber bisher kein vollständiger Text
bekannt war. Nun macht mich Herr Dr. John Meier in Halle freundlichst auf
einen solchen aufmerksam, der in einem um 1 750 gedruckten Büchlein: ,Alle Arten
von Schertz- und Pfänderspielen in lustigen Compagnien von Bruder Lustigen")
auf S. 12 als No. 6 zu finden ist. Er lautet:
,Das sogenannte Kloster-Münch- und Nonnen-Spiel.'
,Es stellen sich alle vorhandene Manns-Personen in eine lange Reihe, und
gegen über die Praueuzimmer, doch dass die Zahl paar und paar ausmache, eben
auf die Art, wie man sich bey denen englischen Tänzen zu stellen pflegt. Unten
queer vor stellet sich eine Manns-Person, so über die paarweise gegen einander
über stehende übrig sey, und dieser wird der weise Mann genennet; die Frauen-
zimmer sind die Nonnen, und die Manns-Personen die Münche. Hierauf fangen
die Nönngen alle zusammen also zu singen an:
Hier kommen die kecken Nonnen daher,
Sera, Sera, sancti nostri Domine!
Hierauf fangen die gegen überstehenden Münche zu singen an:
Was ist der Nonnen ihr Begehr:
Sera, Sera, sancti nostri Domine!
Diesem antworten die Nonnen singend:
Wir fragen nach dem weisen Mann,
Der uns das Petschaft zeigen kan.
Sera, Sera, sancti nostri Domine!
1) Frankfurt und Leipzig o. J. 8° (Berlin Os 10 550). Eine andere Ausgabe, an-
genehmer Zeitvertreib lustiger Schertz-Spiele' (Frankfurt und Leipzig 1757. In Berlin Os
10 560), enthält das Spiel auf S. 9.
Kleine Mitteilungen. 99
Die Mönche antworten hierauf:
Der weise Mann der ist nicht hier,
Er ist in seinem Schreibe-Loschier.
Sera, Sera, sancti nostri Domine!
Die Nonnen antworten abermals:
Wir fragen nach den weisen Mann,
Der uns den Brief recht lesen kan.
Sera, Sera, sancti nostri Domine!
Nun fanget der weise Mann unten queer vor an:
In diesem Briefe steht geschrieben,
Ein jeder soll sein Nönngen lieben.
Sera, Sera, sancti nostri Domine!
Hierauf nimmt ein jeder Mönch sein gegen überstehendes Nönngen, küsset sie,
gehet mit ihr nach dem weisen Mann zu, und singet:
Wir wünschen der Braut ein neues Jahr,
Was wir wünschen, das werde wahr.
Sera, Sera, sancti nostri Domine!'
Dieser Spieltext ergänzt trefflich die Nachrichten Candorins und der Herzogin
von Orleans und lehrt zugleich, dass die schwedische und die von Peilberg (Zeit-
schrift 5, 106) mitgeteilte dänische Version alle wesentlichen Züge der deutschen Vor-
lage beibehalten haben. Wie beliebt übrigens die Verkappung in ein Klosterhabit
als gesellige Unterhaltung war, erkennen wir daraus, dass dieselbe Sammlung auf
S. 53, 77 und 124 noch zwei Klosterspiele und ein für heutige Anstandsbegriffe
etwas gewagtes Pater- und Nonnenspiel enthält.
Von dem jüngeren Kinderliede sind noch weitere Texte nachzutragen. Erk-
Böhme (Deutscher Liederhort 3, 616, No. 1903—1907) bringt fünf Nummern aus
dem Rheinland, Sachsen, der Schweiz, Oberhessen und Westfalen; P. Joerres
(Sparren, Späne und Splitter 1889, S. 32) eine Aufzeichnung von der Ahr: ,Da
kommen die Herren aus Nonnivieh'; J. Spee (Volkstümliches vom Niederrhein 1875,
2, 15, No. 21) eine andere aus Xanten: ,Do kome dri Kanönckes her', während ein
von W. Nathansen (Aus Hamburgs alten Tagen 1894, S. 125) veröffentlichter Text
beginnt: ,Es kommt ein Herr aus Oldenburg'.
Berlin. J. Bolte.
Bastlösereime.
Gesammelt von K. Ed. Haase.
(Portsetzung von Zeitschrift IV, 74—76).
28. Pfip, pfap, pfepe!
Mäk mi ne Pfepe.
Wovan?
Van Thymian un Bastian,
Det se bal mag afgähn. (Dierberg, Wuthenow, Kr. Ruppin.)
29. Huppup, Huppup, Basteljähn,
Lät den Bast von't Holt afgähn,
Lät de Huppup werren,
Lät se nich verderwen. (Lenzen a. d. Elbe.)
7*
100
Haase:
30.
32.
33.
34.
35.
Buller, buller, Bullerjähn.
Will de Pleut bald rannergähn?
Hinner Neu-Ruppin
Liggt en fettes (dickes) Schwin,
Hinner Markau
Liggt ne olle (dicke) Sau.
(Alt-Ruppin.)
36.
Rummel de buff,
De Katt de knuff,
De Scher de schnitt,
De Hund de bitt,
37.
Rummel de buff.
(Alt-Ruppin.)
a)
Bibi, bibi, Bullerjahn,
Lät de Pleut zum Schnurrer gähn,
Lät se god wer'n,
Lät se nich verderwen.
(Alt-Ruppin.)
Pipas, pipas, lat dine Pleut afgähn !
Hinner Berlin
Liggt en fett Schwin,
Det hol di,
Det brat di,
Det schmeckt di so schön.
CAlt-Ruppin.)
Hinter Markau
Liegt ne olle Sau,
Hinter Ruppin
Unten im Rhin
Liegt en oll Schwin,
Hat'n Waschlappen im A . . . .
Hat'n Waschlappen im A . . . .
Treck rat, treck rüt, treck rat.
(Neu-Ruppin.)
Sipp sapp, sipp sapp seute,
Ik mäke mei ne Fleute.
Sipp sapp, sipp sapp, sepe,
1k mäke mei ne Pfepe.
Thymejörn un Mayerorn,
Da gähn de beste Pleuten van.
(Betzin, Kr. Ost-Havelland.)
40. Kloppe, kloppe,
b)
:;s.
Klopp, klopp, klopp, Bullerjähn,
Lät de Sunn nich unnergähn,
Lät se god schien
Bes Ol-Roppin.
Da danzen de Schwin,
Da fiddelt de Bück,
Da geiht't immer näh'n Blocksberg1)
rup.
(Dabergotz, Kr. Ruppin.)
Vgl. No. 15 (IV. Jahrg., S. 75).
Klopp, klopp, Bullerjähn,
Lät de Pfep un Pleut afgähn,
Lät se nich verderwen,
Lät se god werden.
(Langen, Kr. Ruppin.)
Klopp, klopp, Bullerjähn,
Lät de Pleut den Saft afgähn,
Dat se god geiht,
Dat se nich verderwen deiht.
(Treskow, Kr. Ruppin.)
Vgl No. 7 u. s ([V. Jahrg., S. 74).
Pfifchen, Pfifchen, rode (— gerate),
Kömmt Hans Knote,
Schlett (= schlägt) dich in'n Nacken,
Dass de Lise (= Läuse) knacken.
Kömmt der Hahn,
Hackt dich an;
Kömmt der Hund,
Prisst dich rund;
Kömmt's Kalb,
Prisst dich halb;
Kömmt's Schwin,
Prisst dich ganz und gar nin (= hinein).
(Prankenhausen am Kyffhäuser.)
Ml)
Pfifchen, geb Saft,
Drei Löffel voll Kraft.
(Prankenhausen. Rottleben.)
Pfaben,
Da kömmt der Mann von Schlaten-)
Un haut dich den Kopp ab
Un wirft dich in den Graben,
Da kömmt ein Schwein
Un isst es nein. (Greussen in Thüringen.)
1) Ein Blocksberg liegt zwischen Dabergotz, Kerzlin und Lüchfeld im Kreise Ruppin.
2) Schlaten = Schlotheim, ein schwarzburgiscb.es Städtchen.
Kleine Mitteilungen. 101
41. Pfaepchen, gieb Saft,
Einen Löffel voll Kraft.
Wenn du das nicht thust,
So werf ich dich in'n Graben,
Da fressen dich die Raben,
Da kömmt das Kalb
Und frisst dich halb,
Da kömmt d;is Schwein
Und frisst dich ganz und gar hinein.
(Greussen in Thüringen.)
Plan einer Ethnographical Survey über Britannien.
An eine rühmende Erwähnung des verstorbenen russischen Sammlers und
Volksforschers Mich. Dragomanov und seiner grossen Sammlung bulgarischer
Volksüberlieferung Sbornik (9 Bände), die auf Kosten der bulgarischen Regierung
erscheint, wird in dem englischen Journal Folk-Lore (VI, 312) folgende Bemerkung
geküpft: „Our own government unfortunatly is so poor that it cannot find a penny
for such patriotic works as the collection and preservation of the national traditions,
and the Ethnographical Survey. These must be left to be carried out under
manifold disadvantages and consequent defects by private entreprise."
Diese Privatunternehmung hat ein Comite der British Association for the
Advancement of Science in die Hand genommen, bestehend u. a. aus den Herren
Brabrook, Gomme, Gower, J. Rhys, Anderson, Cunningham, S. Hartland. Es soll
ein«' ethnographische Übersicht über das ATereinigte Britische Königreich hergestellt
werden und zwar über die physischen Typen der Bewohner, die landläufigen
Überlieferungen und Meinungen, die dialektlichen Eigentümlichkeiten, die Denk-
mäler und Reste alter Kultur und die geschichtlichen Beweise für den Zusammen-
hang in den Ortschaften und Familien.
Eine Art Fragebogen (12 S. 8°) ist zu diesem Zweck verfasst und in Druck
gegeben. Für jede der Abteilungen ist ein Bearbeiter gewonnen: für 1. Mr. Galton,
2. Prof. Rhys, 3. Prof. Skeat, 4. Mr. Payne, 5. Mr. Brabrook. Eine erklärende
Ausführung über das Unternehmen hat Mr. Sidney Hartland in den Transactions of
the Bristol and Gloucestershire Archaeological Society (11 S.) veröffentlicht.
Wir wünschen dem Comite den besten Erfolg seiner Bemühungen.
K. Weinhold.
Abzählreime aus Steiermark.
Aufmerksam gemacht durch die „Abzählreime aus dem Bergischen" (Zeitschr.
d. Vereins f. Volkskunde V, 67)
und „aus dem Kurpfälzischen" (V, 450) teile ich
ähnliches aus Steiermark mit:
1. Eins, zwei,
| Polizei,
drei, vier, |
Grenadier,
fünf, sechs,
| böse Hex',
sieben, acht,
| gute Nacht,
neun, zehn,
| schlafen gehn,
elf, zwölf, |
sonst kommen die Wolf.
(Aus Graz und Umgebung.)
102 Ullrich:
2. Pika, paka, peier,
Sein ma unser dreier,
Steigen wir auf den Hollerbäm,
Essen lauter Milch und Rahm
Und fallen alle nieder. (In ganz Steiermark.)
3. Angerle wangerle, zikerle pü,
Trakerle, wakerle, aussi must du. (In ganz Steiermark.)
4. Zizi a zidel, widi wamperl
Polones Pudel apport!
Tri ti a tridel, tridi tramperl
ABC = Strudel geh fort! (Graz und Umgebung.)
5. Eia, pika paka peika
Pika paka Hemmerlein
Geht der Müller aus und ein
Hat ein strebernes ') Hüetl auf,
Und steht 22 drauf. (Trahütten an der Koralpe.)
6. Edi wedi Pingerhut,
Stirbt der Bauer ists nit gut;
Stirbt die Bäuerin auch zugleich,
Gehn die Engeln mit der Leich. (Graz.)
Graz. Fr. Ilwof.
Zu Zeitschrift III, 452 ff.
Im Jahrgang 1893 dieser Zeitschrift brachte der Unterzeichnete als Abfall
einer ganz anderen Arbeit einen Auschnitt aus einem seltenen Ptomane des ersten
Drittels des 18. Jahrb. , weil er darin ein echtes Volksmärchen erblickte, das durch
die verschnörkelte Ausdrucksweise der damaligen Zeit nur wenig gelitten hatte.
Zu seiner Überraschung findet er jetzt, wo ihm die Gesamtausgabe der Kinder-
und Hausmärchen der Brüder Grimm in der Reclamschen Universalbibliothek zu-
gänglich geworden ist, dass sein Märchen sich dort als No. 163 mit dem Titel
„Der gläserne Sarg" bereits findet. Als er nun zu dem ebenfalls bei Reclam
neuerschienenen Bande der Grimmschen Anmerkungen griff, der ihm in der
Originalausgabe, weil äusserst selten geworden, nie zu Gesicht gekommen war,
fand er, dass in dem Reclamschen Neudruck die Anmerkungen zu den einzelnen
Märchen bei No. 161 abbrechen, weil derselbe nicht nach der dritten Ausgabe von
1856 hergestellt ist. Erst eine Anfrage bei dem Herrn Herausgeber dieser Zeitschrift
bringt ihm heute die Aufklärung, dass nach einer Bemerkung der Brüder Grimm
in der Originalausgabe von 1856 diese den Stoff eben aus dem Buche geschöpft
haben, aus dem er seine Mitteilung machte. Hat nun sonach diese nicht mehr
das Verdienst, unsere Märchenstoffe zu vermehren, so behält sie doch vielleicht
insofern einigen Wert, als man an ihr, als an einem weiteren Beispiele, das Ver-
fahren der Brüder Grimm studieren kann.
Chemnitz. Dr. Hermann Ullrich
1) strohenes, von Stroh.
Bücheranzeigen. 103
Bücheranzeigen.
Cox, Mar. Roalfe, An introduction to Folk-Lore. London, David Nutt,
1895. S. XV. 320. 8°.
Miss M. R. Cox, die gelehrte Verfasserin der Cinderella (vgl. unsere Zeit-
schrift III, 2o3), will in ihrem neuen Buche eine Einleitung zur Volkskunde geben.
Nach einer allgemeinen anthropologisch-ethnologisch-prähistorischen Vorbetrachtung
legt sie dem Leser ihren Stoff in sechs Kapiteln vor, die wir deutsch betiteln
können 1. Seelenglaube, 2. Tierische Ahnen und Tierglauben, 3. Animismus,
Geister und Götter, 4. Die andere Welt, 5. Zauberei, 6. Mythen, Sagen, Volks-
dichtung. Als eine sehr belesene und gescheite Dame weiss Ms. Cox allerlei
Interessantes einem mit dem Stoff noch nicht vertrauten Leser mitzuteilen. Als
eine wirklich förderliche Orientierung über die Volkskunde möchten wir das Buch
aber kaum bezeichnen. Dazu kommt der Mangel an allen Noten, die litterarisch
orientieren und weiter weisen, denn die kleine Liste erlesener Bücher (S. 297)
giebt keinen Ersatz dafür. Lobenswert ist der genaue Index. K. W.
The Legend of Perseus. A study of tradition in story custom and
belief: by Edwin Sidney Hartland. Vol. IL The Life-token.
Published by David Nutt, 1895. (Grimm Library No. 3.) S. VIII.
445. 8°.
Dem 1. Bande dieses Werkes, über den wir in unserer Zeitschrift V, 110 f.
berichteten, ist der zweite bald gefolgt, der nach dem Plan von Mr. Hartland die
Abschnitte 2—4 bringen sollte, aber nur den zweiten, die Untersuchung der Life-
token enthält, da dieselbe über Erwarten umfangreich geworden ist. Der Hr. Verf.
sucht hier die Grundlagen der urältesten Lebensphilosophie (the very foundations
of the savage philosophy of life, auf und behandelt in acht Kapiteln die Lebens-
zeichen in Sage und Sitte; Zauberei (in zwei Kapiteln); heilige Quellen und Bäume;
Totemism, Blutbrüderschaft, Bräuche mit dem Speichel; Totensitten; Heiratsitten;
Couvade und andere Beispiele der Macht der Blutsverbindung; Ergebnis der
Untersuchung.
Aus jedem Teil der Erdkugel, von den Klippen des Polarmeeres bis zu den
Inseln der Südsee ist der Stoff zusammengetragen mit besonderer Vorliebe aus
den Naturvölkern, indessen auch unter fleissiger Berücksichtigung der europäischen
Völker, der alten wie der modernen. Auf diesem vergleichenden Wege gelangt
Mr. Hartland zu der Überzeugung, dass Vorstellungen über das Leben, die sich
ebenso bei den niedersten wie bei den höchst entwickelten Völkern finden, durch-
aus dem menschlichen Denken überhaupt entsprechen, so auch der allgemeine
Glaube an ein Leben nach dem Tode. Das Buch ist für den Volksforscher von
grosser Wichtigkeit. K. W.
104
Weinhold:
The Voyage of Bran Son of Febal to the land of the living. An old
Irish saga now first edited, with translation, notes and glossary, by
Kuno Meyer. With an essay upon the Irish vision of the happy
otherworld and the Celtic doctrine of rebirth, by Alfred Nutt.
Section I. The happy otherworld. London, David Nutt, 1895.
S. XVII. 331. 8°. (Grimm Library No. 4.)
Das Buch zerfällt in zwei nur lose zusammenhängende Arbeiten: die ersteist
eine kritische Ausgabe der alten irischen Erzählung von der Reise Brans, des
Sohnes Pebals, in das Land des Lebens, die wahrscheinlich im siebenten Jahr-
hundert yerfasst ward, deren erhaltene Handschriften (die älteste von etwa 1100)
aber auf eine Abschrift aus dem 10. Jahrh. zurückgehen. Prof. Kuno Meyer in
Liverpool hat sie sorgsam ediert, mit englischer Übersetzung begleitet und mit
Anhängen, die wunderbaren Abenteuer Mongans, des Sohnes des Piachna, betreffend
ausgestattet. Eine dankenswerte Arbeit, da wir von dieser der ältesten irischen
Profanlitteratur angehörigen Erzählung bisher nur kannten, was Hr. Zimmer, Ztschr.
f. d. Altert. XXXIII, 257-261 mitgeteilt hat.
Durch diese Ausgabe der Reise Brans ist Herr Alfred Nutt, der wohlbekannte
englische Gelehrte, angeregt worden, über die irischen Vorstellungen von dem
künftigen Leben zu handeln. In ihnen sind zwei verschiedene Stoffe zu unter-
scheiden: die national-keltischen vom Totenreich und die kirchlich legendenhaften
vom Lande der Verheissung. Die einen haben auf die anderen eingewirkt und es
ist jene wunderreiche Tradition von den abenteuerlichen Meerfahrten in ein fernes
Land voll Seligkeit, Jugend und sinnlicher Freude entstanden, die von ihrer Ge-
burtsstätte in Irland aus in den mittelalterlichen Litteraturen überall sich wahr-
nehmen lässt. Herr A. Nutt handelt darüber in zwölf Kapiteln, indem er nach
einer Einleitung über die älteste irische Litteratur die Vorstellung von der Welt
der Seligen in Brans Reise und in der Episode von Mongan bespricht, und die
romantischen Reisen von Maelduin und S. Brendan nach den Berührungspunkten
untersucht. Dann geht er zu dem Wunderland in den Berghöhlen, oder zu den
Sagen von dem Feenreiche über, zu den irischen Visionen vom Himmel, sucht
nach Parallelen in der klassischen, namentlich der griechischen Litteratur und
schliesst mit einem Streifzuge in die skandinavischen, iranischen und vedischen
Überlieferungen von der Welt der Seligen. Ein zweiter Teil wird die keltische
Lehre von der Wiedergeburt darstellen.
Bescheiden bezeichnet sich Hr. A. N. als einen Düettanten, der die Ergebnisse
gelehrter Forscher aufnimmt und zu erweitern sucht. Er hat der wissenschaftlichen
Litteratur auf solche Weise schon viel gute Dienste geleistet. K. W.
Volkstümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert. Nach
Wort und Weise aus alten Drucken und Handschriften, sowie aus
Volksmund zusammengebracht, mit kritisch-historischen Anmerkungen
versehen und herausgegeben von Franz Magnus Böhme. Leipzig,
Breitkopf und Härtel 1895. XXII, 628 S. gr. 8°.
Als eine willkommene Ergänzung zu Erk-Böhmes gross angelegtem und reich-
haltigem „Liederhorteu erscheint hier in gleich trefflicher Ausstattung eine von
Böhme besorgte Auswahl aus der volksmässigen und im Volke beliebt gewordenen
Kunstdichtung des 18. und 19. Jahrhundorts, 780 Texte mit den einstimmigen
Bücheranzeigen. 105
Weisen umfassend. Während Erk in den 600 Nummern seines dreihändigen „Lieder-
schatzes" ein populäres Hausbuch für den Familiengesang lieferte, hat Böhme hier
vor allem der historischen Erkenntnis dienen wollen und aus dem reichen Materiale,
das er mit grossem Pleisse und bewährter Sachkenntnis zusammengebracht, nicht
bloss die noch heut beliebten Stücke, sondern die für den ganzen in Betracht
kommenden Zeitraum charakteristischen Lieder auszuwählen gestrebt. Eine solche
Auswahl wird freilich immer etwas Subjektives haben; und so wird der einzelne
Benutzer manche ihm liebgewordenen Lieder und Weisen hier vermissen, die ihm
wichtiger dünken als einzelne der aufgenommenen. Aufgefallen ist mir namentlich,
dass Böhme verschiedenen geschmacklosen und schwerlich je ins Volk gedrungenen
Fabrikaten des Fälschers Zuccalmaglio einen Platz gewährt hat. Die ältesten
Stücke stammen noch aus dem 17. Jahrhundert, es sind einige Dichtungen von
Opitz, Dach, Fleming, Rist und Gerhardt, die bis in unsere Zeit fortlebten oder
auch durch spätere Komponisten erneuert wurden. Die Reihe der übrigen Dichter
beginnt mit dem Leipziger Sperontes, dessen Identität mit J. S. Scholze nicht be-
zweifelt zu werden braucht, und schreitet über Goethe, den Göttinger Hainbund
und die Romantiker bis auf Hoffmann von Fallersleben, Geibel und Scheffel fort,
von vielen kleinen Geistern, denen ein einzelner Wurf auf diesem Felde glückte,
zu schweigen. In einigen Fällen ist der Verfasser noch nicht ermittelt, auch ein
paar wirkliche Volkslieder finden sich unter den volkstümlichen eingeschaltet.
Die Melodien, für deren Geschichte neben Hoffmann von Fallersleben und Erk
neuerdings besonders Max Friedländer Wertvolles geleistet hat, sind zum kleinen
Teile alte Volksweisen, zumeist aber Kompositionen bekannter Musiker (einstimmig
mit Instrumentalbegleitung, Opernarien, Männerquartette). Die Anordnung hat B.
mit Recht nach sachlichen Kategorien wie in seinem „ Liederhorte " getroffen; neu
sind die Abteilungen „Vaterlandslieder" und „ausländische Weisen, die in Deutsch-
land gesungen werden". Für die Textbehandlung befolgt er den Grundsatz, nicht
einen genauen Abdruck der ältesten Fassung zu geben, sondern die dem Volke
geläufige Gestalt, die manche Kürzung und Abänderung jener aufweist; in der
Regel verzeichnet er die wichtigeren Abweichungen vom Originale in den An-
merkungen. In den letzteren hat er zugleich recht dankenswerte Nachrichten über
die Entstehung und Geschichte der Dichtungen und der Melodien zusammengetragen,
die in den biographischen Registern der Dichter und Komponisten am Schlüsse
des Werkes ihre Ergänzung finden, auch gelegentlich ergötzlichen Abschweifungen
allgemeineren Inhalts (S. 362. 390. 467. 517) Raum gewährt.
Zu Nachträgen bietet der umfangreiche Band natürlich öfter Anlass. Nur
beispielsweise gebe ich hier einige, indem ich von den Druckfehlern absehe, unter
denen sich leider auch manche nicht sofort erkennbare in Namen und Jahreszahlen
befinden. — No. 119 (Loreley) vgl. W. Hertz, Sitzungsberichte der Münchener Akad.
1886, 217. — No. 147. Phidyle ist ein horazischer Name. — No. 170 (Seefahrt
nach Afrika) vgl. Treichel, Volkslieder aus Westpreussen 1895, No. 32. — No. 282
(Sprichst du zum Vogel) ist von Jeiteles gedichtet und von Gottfried Preyer, op. 43
komponiert. — No. 285 (Ein Herz, das sich mit Sorgen quält) vgl. Bolte, Altpreuss.
Monatsschrift 31, 689 zu Frischbier 98. — No. 355 (Willst du dein Herz mir
schenken) vgl. Bolte, Vierteljschr. f. Littgesch. 1, 249. 1888. — No. 415 (Starrend
vor Frost) ist auch komponiert von Ignaz Lachner, op. 40, 2 ohne Angabe des
Dichters. — No. 566 (Was fang ich armer Teufel an) vgl. Erk-Böhme, Liederhort
No. 1625. Treichel No. 94. — No. 580 (Lebe wohl, es ruft die Stunde) ist älter
als 1870; vgl. Treichel No. 43 mit der Anm. — No. 619 (Schlaf, Kindlein, schlaf)
ist 1781 von J. F. Reichardt komponiert; vgl. Friedländer, Wiegenlieder No. 1
106 Weinhold:
(Leipzig, Peters). — No. 638 (0 Tannenbaum) vgl. Priedländer, Weihnachtslieder
No. 10. — No. 648 (Wenn mein Pfeifchen dampft und glüht) vgl. Stieglitz in
Steglitz [=A. Kopp], Die Friedenspfeife, 1893, No. 27. — No. 730 (C'est Mars,
le grand dieu des alarmes) vgl. P. van Duyse, La melodie Est-ce Mars, ce grand
dieu des alarmes (Bulletin de l'academie royale de Belgique 1894, 978).
J. Bolte.
Lübke, Hermann, Neugriechische Yolks- und Liebeslieder in deutscher Nach-
dichtung. Berlin, Verlag von S. Calvaiy & Co. 1895. S. XXVIII, 352. 8°.
Wir machen die Freunde volkstümlicher Dichtung auf diese reiche Sammlung
neugriechischer Lieder aufmerksam, die Herr Dr. Lübke in gewandter deutscher
Nachdichtung uns dargereicht hat. In der Einleitung orientiert er über die Fülle
und die verschiedenen Gattungen der griechischen Volkslieder und legt dann ein
reiches Liederbuch vor, das er aus den in den letzten Jahrzehnten erschienenen
Sammlungen und einzelnen Veröffentlichungen des neuhellenischen Volksgesanges
gestaltet hat. Die Originale sind teils treu übersetzt, teils in freierer Weise nach-
gebildet. In einem Anhange werden die Quellen kurz angegeben. Wer sich über
die in jeder Hinsicht interessante Volkspoesie der Neugriechen unterrichten und
an ihr erfreuen will, dem empfehlen wir das hübsch ausgestattete Buch angelegentlich.
Bayerns Mundarten. Beiträge zur deutschen Sprach- und Volkskunde.
Herausgegeben von Dr. Ose. Brenner und Dr. Aug. Hartmann.
Zweiter Band. München 1895. Christian Kaiser. S. 464. 8°.
Wir haben uns über den 1. Band dieser in Jahresheften erscheinenden Zeit-
schrift, die Prof. Brenner in Würzburg und Bibliothekscustos Hartmann in München
herausgeben, in unserer Zeitschr. I, 345; II, 210 geäussert. Jetzt ist nach drei
Jahren der zweite aus drei Heften bestehende Band geendet. Derselbe entspricht
in der Art des Inhalts durchaus dem ersten. Der dialektliche Stoff überwiegt
völlig, und dem Titel gemäss ist er vorzüglich den verschiedenen Landen des K.
Bayern entnommen, teils aus älteren Drucken, teils aus lebendigem Munde. Das
angrenzende R. Sachsen, sowie Westböhmen sind wie im 1. Bande auch berück-
sichtigt. Eine stärkere Vertretung der Volkskunde würde den Heften einen
frischeren und lebhafteren Ton geben.
Wencel Scherffer und die Sprache der Schlesier. Ein Beitrag zur Ge-
schichte der deutschen Sprache von Dr. Paul Drechsler. (Germanistische
Abhandlungen begründet von K. Weinhold, herausgegeben von Fr.
Vogt. XL Heft.) Breslau, Wilh. Köbner, 1895. S. 282. 8°.
Wencel Scherffer von Scherffenstein (geb. um 1603 zu Leobsehütz in Ober-
schlesien, in die 40 Jahre Organist an der Schlosskirche zu Brieg, daselbst gest.
27. Aug. 1674 J)), ein wackerer Mann und massiger Dichter aus M. Opitzens Schule,
ist für die Kenntnis der deutschen Sprache in Schlesien von besonderer Wichtig-
keit, da er den Idiotismen derselben bereitwillig Eingang verstattet hat. Dr.
1) Über sein Leben und seine Werke P. Drechslers Dissertation: W. Seh. v. Seh.
Bin Beitrag zur Geschichte der deutschen Litteratur in Schlesien. Breslau 1886.
Bücheranzeigen. 107
Drechsler hat nun irn vorliegenden Buche Scherffers Sprache sowohl nach den
Lauten und Formen, als vornehmlich nach dem Wortschatz bearbeitet und einen
sehr dankenswerten Beitrag zu dem Thesaurus linguae germanicae der Zukunft
dadurch gegeben. Ausser dem wohl vollständigen Wortschatz Scherffers sind zur
Vergleichung eine Reihe Schlesier des 17. Jahrh. herbeigezogen, darunter auch der
fast nur aus Handschriften zu studierende Czepko, dann die weniger bekannten
Melchior Liebig, Abr. Morterius v. Weissenburg, Christ. Coler und der wichtige
Sam. Butschky. Ich kann der Arbeit Drechslers alles Lob erteilen. Näher auf
Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht der Ort. Doch will ich wenigstens einige
Kleinigkeiten beisteuern: S. 70, Anm. verneinendes ab findet sich auch in Strehlen,
Schömberg und in R. Rösslers Schnoken2, 168. — Ebenteur (aventurier), Kreck-
witz Sylvula 562. ebenteurlich. Butschky Senec. Flor. 423. — S. 99 Eier essen
(hier als Vorzeichen von Grobheiten) wird überhaupt im Volksglauben als vielfach
vorbedeutend gefunden, vgl. A. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube, § 85. 87.
459. — S. 112 Frömmlein (Frommthuer); ich habe Frömmling dafür in Schlesien
gehört. — S. 129 Hatteln PI. Pferde. Hottel ist in der mittelschles. Kindersprache
wohl bekannt, ebenso im böhmischen Riesengebirge, s. Knothe, Wb. d. schles.
Mundart in Nordböhmen. Hohenelbe 1888. S. 310. — S. 132 Haucher, Scherffer
Ged. 471 steht „jener der haucht". — S. 240 Schweinhardens Zucht, Anspielung
auf S. Schweinhardus, der unter anderen auftritt in der kurtzweyligen Predige, die
vns beschreybt Doctor Schinossmann, am vier vnd zweintzigsten kappenzipffell.
Darin heisst es u. a.: „Zynstag ist vns gelegen S. Schweynhardus | demselben
haben sie genummen seyn leychnam I vnd haben jm seyn halss abgestochen | vnd
haben seyn blüt genummen | vnd habens in derm gefült die blut verterber vnd
würst esser." K. Weinhold.
Dansk Soldatensprog til Lands og til Vands af Karl Larsen. Audet
Oplag. Kabenhavn, Schubortheske Forlag. 1895. S. 50. kl. 8°.
Das hübsch ausgestattete Büchlein, dessen Titel eine treffliche Vignette ziert,
die einen dänischen Land- und einen Marinesoldaten zeigt, ist die zweite, etwas
erweiterte Bearbeitung des Kapitels Land-og Ssemilitserets Argot, aus des Verf.
Abhandlung Om dansk Argot og Slang in der Zeitschrift Dania I. IL Da Ref.
weder zum Land- noch zum Sseetat gehört, vermag er nicht zu kritisieren, sondern
nur zu bezeugen, dass ihm die Schrift den Eindruck grosser Kenntnis des soldatischen
dänischen Argot und geschickter Behandlung macht. Ich wünschte, dass wir auch
den militärischen Slang der verschiedenen Bestandteile des deutschen Reichsheeres,
nicht minder die österreichische Armeesprache in ähnlicher Art bearbeitet hätten,
lexikalisch und auch lautlich. Es würde das interessante und lehrreiche Bücher
liefern. R- W-
Die akademische Deposition (Depositio cornuum). Beiträge zur deutscheu
Litteratur- und Kulturgeschichte, speziell zur Sittengeschichte der
Universitäten. Von Dr. Wilhelm Fabricius. Frankfurt a. M.,
Völcker 1895. S. 59. 8°.
Der durch seine Geschichte der Studentenorden des 18. Jahrhunderts und seine
erläuternde Ausgabe der Schochschen Komödie vom Studentenleben auf dem
akademischen Gebiet wohlbewährte Forscher, von dem wir grössere und umfassendere
Leistungen erwarten, prüft, berichtigt und ergänzt die nach Meiners' und anderer
108 Schmidt:
Vorgang durch Schade gelehrt und scharfsinnig im Weimarischen Jahrbuch VI
dargebotenen Studien über die Depositionsbräuche und ihre Entwicklung. Ohne
mit Schade alle Jünglingsweihen zu mustern, sondern nur gelegentlich auf Analogien
im deutschen Handwerk bedacht, sucht F. vor allem die grosse Lücke zwischen
der für das 4. Jahrhundert erwiesenen Wasserweihe der athenischen Füchse und
den an den ältesten Universitäten Frankreichs und Deutschlands bezeugten Sitten
auszufüllen. Aber man darf wohl jene von Gregor von Nazianz geschilderten
und schon vor Schade herangezogenen Badspässe der akademischen Jugend Athens
nur vergleichend, nicht als anregend und massgebend verwerten. Auch mir
scheinen die von F. mit reicher kritischer Belesenheit erörterten Bräuche der
Klosterschulen ohne byzantinische Einflüsse aufgekommen zu sein und die spätere
lavatio eine von jener Wasserweihe unabhängige Nachahmung der christlichen
Taufe zu sein. F. zeigt, wie die angehenden Artisten, die beani — ein Anhang
erhärtet die Herkunft des Namens von bec jaune — , in Frankreich im 14. Jahr-
hundert zu einer Abgabe ,loco bejaunii* an die Nation gezwungen wurden und
wie sich damit wohl schon früh gewisse Initiations- und Vexationsbräuche ver-
banden, die mit der Deposition aus Paris nach Deutschland kamen, um sich hier
frei fortzubilden. Der Ausdruck depositio findet sich zuerst in den Erfurter Statuten
von 1447. Dass die Einrichtung, am frühesten im Heidelberger Manuale 1481
eingehender geschildert, eng mit den Bursen zusammenhängt und lange Zeit des
Geldertrages wegen von ihren Rektoren festgehalten, dass sie nachmals aus einer
privaten Sitte oder Unsitte unter Wegfall der komischen Bräuche ein offizieller
akademischer Akt wurde, hat F. genau und überzeugend dargelegt, auch die späte
Anwendung von Handwerkszeug aus einem nach dem Aufhören der geschlossenen
Bursen eindringenden Einfluss der Gesellenweihen teils mit, teils gegen Schade
erklärt. Er sieht sich an allen deutschen Universitäten um, die Reinigung, Hobe-
lung, Prüfung, Absolution ausführlich verfolgend. Auch auf Satiren wie den
Eccius dedolatus hätte hingewiesen werden können. Endlich wird das zeitlich sehr
verschiedene Erlöschen der Deposition aus den Urkunden belegt, Fuehsbrennen
und Fuchstaufe oder gewisse Bräuche der heutigen , Pennäler' als letzte Reste
aber nicht mehr erwähnt. Wir danken dem Verf. für seine gelehrte und klare
Untersuchung. Erich Schmidt.
Feril. Mencik. Velikonocne hry (Osterspiele). Holeschau 1895. XX und
332 Ss. 8°.
Es ist dies der zweite Band einer Sammlung böhmischer Volksspiele; der von
uns bereits angezeigte erste umfasste Weihnachtsspiele. In der Einleitung bespricht
der Herausgeber die handschriftliche Überlieferung, sowie Geschichte und Einzeln-
heiten (Kostüme, Bühne u. a) der Aufführungen; die letzte hatte 1891 stattgefunden,
deren Bühneneinrichtung hier wiedergegeben wird, sowie zwei Scenen (Abschied
Christi von Marien und die Dornenkrön ung) nach photographischen Aufnahmen.
Hierauf werden drei Texte abgedruckt, eine „Komödie von der Marter" u. s. w.
und „Marter des Herrn" (S. 1 — 57 und 59 — 222), sowie ein Auferstehungsspiel;
die beiden ersten verraten den Einfluss des bekannten Werkes von P. Cochem;
im dritten ist das Evangelium Nicodemi samt der Cura sanitatis Tiberii dialogisiert.
Die Reimpaare sind vielfach noch die alten achtsilbigen, doch kommen auch andere
Verse, sowie prosaische Abschnitte vor. Der Inhalt ist der geläufige; im ersten
Spiel geht eine Adam- und Eva-Scene und ein Streit zwischen Tod und Hoffart
voraus, im zweiten, ausführlicheren, nur letzterer, worauf Herodes die Regierung
Bftcheranzeigen. 109
an den Sohn abgiebt und die hl. Familie aus Egypten zurückkehhrt; die einleitenden
Worte zu jeder Scene, eine Art Inhaltsangabe, werden stets abgesungen. Die
Darstellung ist ernst und des Gegenstandes würdig, die mittelalterlichen trivialen
und derben Elemente sind längst ausgemerzt.
Es ist sehr zu bedauern, dass diese Passionsauffiihrungen bei den Böhmen
abgestellt worden sind; die Möglichkeit einer Wiederbelebung der guten, alten
Sitte scheint nicht ganz ausgeschlossen; sollte sie eintreten, so würde in erster
Reihe dem fleissigen, keine Rosten und Mühen scheuenden Herausgeber für die
Bewahrung der handschriftlichen Überlieferung vor sicherem Untergange zu danken
sein. — Auch diesmal sind Ausstattung und Druck von ausserordentlicher
Sauberkeit. A. Brückner.
Cesky Lid. (Das Böhmenvolk.) Jahrgang IV (Schluss), 497—592 und
Jahrgang V, 1—192. Prag 1895.
Mit dem neuen Jahrgang hat der den Lesern der Zeitschrift aus verschiedenen
Publikationen wohlbekannte Dozent der Kulturgeschichte, Dr. C. Zibrt, die alleinige
Redaktion des Ö. L. übernommen. Der neue Jahrgang steht ganz unter der
Wirkung der so glänzend gelungenen Prager ethnographischen Ausstellung des
verflossenen Sommers; ist durch dieselbe die Grundlage für ein ethnographisches
Museum geschaffen worden, so soll der V. Band des C. L. dem Andenken der
Ausstellung selbst gewidmet sein. Der Herausgeber übernimmt daher eine aus-
führliche Schilderung aller Einzelnheiten und erläutert dieselbe durch zahlreiche,
wohlgelungene Text- und Vollbilder. Im Interesse der Sache hätten wir nur
gewünscht, dass auch den Illustrationen, wie bei der Inhaltsangabe der Artikel
französische Bezeichnungen hinzugefügt würden. Die Fülle guter Illustrationen
zeichnet gerade den C. L. vor allen ähnlichen Publikationen vorteilhaft aus.
Aus dem übrigen Inhalt der drei Hefte können wir nur weniges hier nennen;
Märchenstudien von G. Poh'vka (Empfänger teilt mit dem Gesinde erhoffte Be-
lohnung); ältere Notizen über Regenbogenschüsselchen (keltische Goldmünzchen),
über allerlei Glauben und Aberglauben, Sitten und Bräuche; Abdruck kurzer Texte
eines Dreikönigsspieles, Georgsspieles und Weihnachtsspieles; Berichte über die
Gregorsfeier (der Schuljugend, heute meist ganz unbekannt), über Hochzeiten und
ihre Bräuche, über Pfingstfeiern; über Küche, Wohnung, Trachten und Stickereien,
sowie einzelne Typen des Volkes aus verschiedenen Gegenden; dialektische Auf-
zeichnungen aus dem Munde des Volkes (Sagen vom Wassermann u. ä.); Be-
schreibung des Todaustragens zu Mittfasten, der Totenbräuche, sowie einiger
Rechtsbräuche seien noch besonders hervorgehoben. Kritische und bibliographische
Angaben beschliessen die einzelnen Hefte. Der archäologische Teil scheint aus
dem neuen Programm gestrichen zu sein; dadurch wird dasselbe nur einheitlicher.
A. Brückner.
Lud. Organ Towarzystwa ludoznawczego we Lwowie pod redakcya Dra.
Antoniego Kaliny. (Das Volk. Organ der Gesellschaft für Volks-
kunde in Leinberg unter der Redaktion von Dr. A. Kaiina.) Lemberg
1895. I. Jahrgang; Heft 1—8, S. 1—224.
Neben die Warschauer „Wisla" tritt als zweites, polnisches Organ für Volks-
kunde der Lemberger „Lud" und wir können der neuen Zeitschrift nichts besseres
HO Weinhold: Bücheranzeigen.
wünschen, als dass es ihr gelingen möge, für Galiziens Land und Leute dasselbe
zu leisten, was die „Wisla" für Russisch-Polen geschaffen hat und schafft.
Die Aufsätze der ersten Hefte bewegen sich allerdings mehrfach in anderer
Richtung, bringen Erörterungen und Ausführungen allgemeiner Art („Aus der Ge-
schichte der Urfarnilie", Fragment aus der Geschichte der Familie", „Über die
Arier und ihre Urheimat1', ausführliche Anzeige des altindischen Hochzeitsrituells
von Winternitz u. dgl. m.). Aber daneben finden wir auch heimisches, interessantes
Material verarbeitet, so besonders von Dr. Matyas lebensvolle Schilderungen
bäuerischen Treibens (zu Fasching, Fasten und Ostern) in der Tarnobrzeger Gegend,
wobei Proben eines begabten Bauerndichters (Walski) mitgeteilt werden; Kolbu-
szowski berichtet über Volksglauben, die an Pflanzen (Hollunder, Pilze) und
Sterne geknüpft sind; Dobrowolski beschreibt ausführlich Land und Leute im
Hrubieschower Kreise (bereits auf russischem Gebiet, doch angrenzend an Galizien).
Dass mit der Zeit auf ähnliches Material der grössere Nachdruck gelegt wird, ist
wohl zu erwarten Nach dem Vorgange der „Wisla" werden auch im „Lud"
Fragen und Fragebogen nach allerlei ethnographischem Material an die Leser
gerichtet, doch laufen Antworten noch spärlich ein.
Die Schwierigkeiten des Anfanges scheinen glücklich überwunden zu sein;
wir wünschen der neuen Gesellschaft und ihrem Organ gesunde und kräftige
Entwicklung. A. Brückner.
Beiträge zur Volkskunde. Festschrift Karl Weinhold zum 50jährigen
Doktorjubiläum am 14. Januar 1896 dargebracht im Namen der
Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde von Willi. Creizenach,
P. Drechsler, Siegm. Fränkel, Alfr. Hillebrandt, L. L. Jiriczek, E. Mogk,
K. Olbrich, P. Regell, Fr. Schroller, Th. Siebs, Fr. Vogt. 0. Warnatsch.
Breslau, W. Köbner (M u. H. Marcus), 1896. (Germanistische Ab-
handlungen, begründet von Karl Weinhold, herausgegeben von
Friedrich Vogt. XII. Heft.) S. 245. 8°.
Inhalt: Widmungsschreiben von Friedr. Vogt. — W. Creizenach: Zur
Geschichte der Weihnachtsfestes. — P. Drechsler: Handwerkssprache und -Brauch.
— Siegm. Fränkel: Die tugendhafte und kluge Witwe. — Alfr. Hillebrandt:
Brahmanen und Cüdras. — 0. L. Jiriczek: Die Amlethsage auf Island. —
E. Mogk: Sagen- und Bannsprüche aus einem alten Arzneibuche. — K. Olbrich:
Der Jungfernsee bei Breslau. — P. Regell: Etymologische Sagen aus dem Riesen-
gebirge. - Frz. Schroller: Zur Charakteristik des schlesischen Bauern. — Th.
Siebs: Flurnamen. — Fr. Vogt: Dornröschen-Thalia. — 0. Warnatsch: Sif.
Festschrift zur 50 jährigen Doktorjubelfeier Karl Weinholds am
14. Januar 1896 von Oskar Brenner, Finnur Jönsson, Friedrich Kluge,
Gustaf Kossinna, Heinrich Meisner, El. Hugo Meyer, Friedrich Pfaff,
Paul Pietsch, Richard Schröder, Hermann Wunderlich, Oswald von
Zingerle. Strassburg, K. J. Trübner, 1899. S. VII. 169. 8°.
Widmung von P. Pietsch. — 0. Brenner, Zum Versbau der Schnaderhüpfel.
— F. Jönsson, Horgr. — Fr. Kluge, Deutsche Suffixstudien. — G. Kossinna,
Zur Geschichte des Volksnamens Griechen. — H. Meisner, Die Freunde der
Roediger: Protokolle. 111
Aufklärung. Geschichte der Berliner Mittwochsgesellschaft. — E. H. Meyer,
Totenbretter im Scbwarzwald. — Fr. Pf äff, Märchen aus Lobenfeld. - P. Pietsch,
Zur Behandlung des nachvokalischen -n einsilbiger AVörter in der schlesischen
Mundart. — R. Schröder, Marktkreuz und Rolandsbild. — H. Wunderlich,
Die deutschen Mundarten in der Frankfurter Nationalversammlung. — 0. v. Zingerle,
Etzels Burg in den Nibelungen.
Festgabe an Karl Weinhold. Ihrem Ehrenmitgliede zu seinem fünfzig-
jährigen Doktorjubiläum dargebracht von der Gesellschaft für
deutsche Philologie in Berlin. Leipzig, 0. R. Reisland, 1896.
S. 135. 8°.
R. Bethge, Die altgermanische Hundertschaft. — W. Luft, Zur Handschrift,
Zum Dialekt des Hildebrandliedes. — W. Scheel, Die Berliner Sammelmappe
deutscher Fragmente. — Joh. Bolte, In dulci jubilo. P. Kaiser, Schillers Schrift
vom ästhetischen Umgang.
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 25. Oktober 1895. Herr Privatdozent Dr. Paul Kretschmer
sprach über die ältesten Kulturzustände der Indogermanen und die linguistische
Paläontologie Er kann letzterer nicht den Wert zugestehen, den man ihr seit
Adalbert Kuhns Studien beigelegt hat, weil sie auf einem falschen Prinzip beruht,
das Fehlerquellen enthält. Der gemeinsame Besitz eines Wortes beweist noch
nicht für den des damit benannten Dinges, denn es können sich Benennungen mit
demselben Worte dennoch unabhängig von einander entwickelt haben. Zweitens
können Worte verloren gehen und durch andere, gleichbedeutende ersetzt werden.
Die linguistische Paläontologie giebt auch keine Auskunft über die ursprüngliche
Heimat des angenommenen indogermanischen Urvolks, während die prähistorische
Archäologie dies vielleicht wird leisten können. Wenigstens hat sie uns z. B. schon
gelehrt, dass das Pferd nicht aus Mittelasien stammt, da bereits im paläolithischen
Diluvium massenhafte Pferdereste in Europa gefunden worden sind, und dass
Ackerbau bereits von Pfahlbauern getrieben wurde. Freilich leidet sie noch unter
dem Mangel einer positiven Chronologie und der Schwierigkeit, aus den Funden
auf die Völker, denen sie angehörten, zu schliessen. Immerhin kann die linguistische
Paläontologie ohne die Archäologie nichts erreichen. Auf eine Debatte musste
verzichtet werden, da Herr Professor Dr. Andreas Heusler noch über eine von
ihm und seiner Gemahlin unternommene Reise nach Island berichten wollte. Die
Insel wurde, wie das nicht anders möglich, zu Pferde durchstreift, wobei ein Er-
wachsener und zwei Knaben die Reisenden begleiteten. Unterkommen fanden sie
als Gäste der Geistlichen oder Bauern. Der Typus der Isländer ist keineswegs
so ausgesprochen germanisch, wie man anzunehmen geneigt sein wird. Auch eine
nationale Tracht ist erst in den siebziger Jahren zum grössten Teil wieder neu
konstruiert worden. Die Häuser sind niedrig, aus Stein und Rasen errichtet, vier
bis acht werden zu einer Reihe vereint. Die ba&siofa ist nicht nur ein Badezimmer,
\\2 Roediger:
sondern der allgemeine Schlafraum. Für Reisende giebt es gewöhnlich eine be-
sondere Gaststube. Von Aussätzigen, von denen in neuester Zeit so viel berichtet
worden ist, hat der Vortragende nichts gesehen. Erwerbsquellen der Isländer sind
Fischfang und Viehzucht, die aber ungenügend ausgenutzt werden. Man fängt
zumeist Dorsche, und zwar in sehr primitiver Weise; obenein ist der Fischfang
hauptsächlich in den Händen fremder Fischer, namentlich französischer (vgl. Pierre
Loü's Pecheurs d'Islande). Die Viehzucht erstreckt sich auf Schafe und Pferde;
Kühe und Ziegen giebt es wenig, Schweine gar nicht. Die Pferde werden viel in
den schottischen Bergwerken gebraucht. Das Land starrt von Sümpfen. Ihre
Pflanzendecke kann zwar gemäht werden, liefert aber kein gutes Futter. Trocknete
man sie aus, so könnte das Land statt der jetzigen 70 000 wohl 3—400 000 Einwohner
ernähren. Ausser den Pferden werden Eiderdaunen und die Felle der Polarfüchse
exportiert, entweder durch englische Schiffer oder durch die an der Rüste ange-
siedelten dänischen Kaufleute. Der Handel ist Tauschhandel, wenig ergiebig für
die Isländer; eine Beteiligung deutscher Kaufleute wäre für beide Teile vorteilhaft.
Standesunterschiede oder Bildungsgrenzen nach Ständen giebt es nicht, ausgenommen
dass der, der die Lateinschule besucht hat, sein Lebelang sti'idevt bleibt. Von
Charakter sind die Isländer aufgeweckt, gesprächig, voll Humor, spottlustig, aber
daneben wieder weichherzig, auch gegen Tiere, und friedlich. Melancholie ist
keineswegs ein Charakterzug der Insulaner. Bauernhaftes klebt ihnen nicht an,
vielmehr sind sie fein, liebenswürdig und aufmerksam, von echter Herzensbildung,
aber nicht eben religiös. Sie arbeiten wenig und haben keine Initiative, doch war
das früher anders und ist nur eine Folge der auf den Handelsmonopolen beruhenden
Unterdrückung durch die Dänen. Sie sind daher auch Dänenfeinde und republi-
kanisch gesinnt. Praktische Politiker sind sie nicht. Sie leisten Gutes als Seeleute
und Reiter, sind aber schlechte Fussgänger und Bergsteiger. Von bildender Kunst
ist nicht viel vorhanden, nur gefällige Ornamente bringt man hervor. Auch an
musikalischer Anlage fehlt es nicht; eigentümlich ist der Zwiegesang, wobei die
beiden Stimmen sich in der Quinte bewegen. Den Schwerpunkt des geistigen
Lebens bildet die Litteratur, an der jeder Bauer Anteil nimmt. Alle kennen die
Sagas des 12. und 13. Jahrhunderts in der alten Sprache, sowie die modernen
isländischen Lyriker. In jedem Bauernhofe findet man Bücher Man darf sagen,
dass der Isländer als Dichter und Litteraturfreund in seinem Fache, als Bauer und
Fischer Dilettant ist.
Freitag, den 22. November 1895. Herr Geheimrat Weinhold machte Mit-
teilungen aus dem Volksleben der Nieder-Bretagne, wo sich bis heut keltische
Bevölkerung und keltische Charaktereigentümlichkeiten gehalten haben. Namentlich
schweifen die Gedanken des Bretonen gern in das Jenseit hinüber und überall
glaubt er sich von den Seelen der Verstorbenen umschwärmt. Der Verkehr der
Lebenden mit ihnen reisst nicht ab und eine Menge von volkstümlichen Geschichten
zeugt dafür. Der Vortragende teilte solche aus der vortrefflichen Sammlung von
Le Braz mit, die er in der Zeitschr. V, 333 angezeigt hat. Die eine erinnerte an
die nächtlichen Messen, welche die Bewohner des üntersberges bei Salzburg, eines
Aufenthaltsortes der Toten, im Salzburger Dom abhalten sollen; in der andern trat
die Seele eines Verstorbenen als weisse Maus auf; die dritte bildete eine der
zahlreichen Varianten der Lenorensage. — Herr Kustos Buchholtz legte alt-
berlinischen Hausrat aus dem märkischen Provinzialmuseum vor, besonders Lampen,
Leuchter, Löffel, Fasshähne. Erstaunlich war die langsame Entwicklung der Lampe.
Metallene Löffel scheinen erst zur Renaissancezeit aufgekommen zu sein. Der Name
des Hahnes am Fass erklärt sich daraus, dass der Griff vorwiegend die Gestalt
dieses Vogels aufweist.
Protokolle. 113
Freitag, den 27. Dezember 1895. Herr Zeichenlehrer Mielke spricht über
die Hausformen des nördlichen Afrikas und erläutert seinen Vortrag durch Vorlage
zahlreicher von ihm angefertigter Skizzen und an Ort und Stelle erworbener
Photographien. Von einem einheitlichen Typus ist keine Rede, wie ja auch die
Bevölkerung Nordafrikas eine gemischte ist und mancherlei Einwirkungen sich
gekreuzt haben. Im Westen findet man Anlehnung an das römische Haus, im
Osten setzt man zwei Geschosse auf einander und benutzt das obere als Wohnraum,
doch geht diese geographische Sonderung keineswegs mit Schärfe hindurch. Die
Berbern haben keinen gemeinschaftlichen Haustypus. In der Ebene benutzen sie
zum Teil das Zelt, das einem umgekehrten Schiffsrumpf ähnlich sieht und ebenso
bei den Arabern sich findet. In den Oasen errichtet man Lehmhütten, deren
Grundform ein rechteckiger Kasten ist, der aber durch An- und Aufbauten erweitert
werden kann. Hier finden sich auch schon einfache Ornamente. Die Städter
bedienen sich teilweise des Mittelmeerhauses, teils übertragen sie das Oasenhaus
in die Stadt. Sie errichten es dort aus Holz und schlechten Backsteinen, indem
sie eine Lage Holz und eine Lage Ziegel mit einander abwechseln lassen. Die
Berbern in den Bergen sind stark mit Vandalen gemischt, lassen sich gern civili-
sieren und haben kein ursprüngliches Haus mehr. Das Mittelmeerhaus ist aus
dem antiken erwachsen. Eigentümlich ist ihm die Vernachlässigung des Äussern.
Nur das Portal wird geziert, die Thür gewöhnlich grün angestrichen und mit
Nägeln beschlagen, die zu Figuren geordnet sind Allen weiteren Schmuck bringt
man im Innern an. Gern verwendet man antike Reste, dazu bunte Ziegel und
Kacheln. Kunstvoll ausgebildet sind die spitzenartigen Verzierungen, die in den
weichen Mörtel eingeritzt werden. Ihre Elemente sind wenig zahlreich, aber
manigfach die daraus geschaffenen Verbindungen. Auch älteren und modernen
Palastbauten widmete der Vortragende noch Bemerkungen und hob u. a. hervor.
wie geringe Neigung die Einheimischen besitzen, solche Prachtwerke zu verschönen
oder auch nur zu erhalten. — An die Lehmhäuser anknüpfend erinnerte Herr
Waiden an die im westlichen Thüringen ganz allgemeine Bauart, ein Flechtwerk
zu beiden Seiten mit Lehm zu bewerfen. Man baut auch in den Städten so, und
zwar führen diese Arbeit die Kleiber aus. Sie wohnen zu ganzen Dörfern bei-
sammen und verdienen sich Sonntags und im Winter ihr Brot als Musikanten.
Herr Mielke sah gleichartige Bauten bei den Zigeunern in Sofia und Herr
Wein hold wies darauf hin, dass sie sich schon bei den Pfahlbauern linden. -
Herr Geheimrat Schwartz legte die historisch und sprachlich lehrreiche Schrift
von W. J. Hoffmann, Gschicht lün da altä fcsaitä in Pensilfani (Proceedings ofthe
americ. philos. soc. vol. XXXI 1. Philadelphia L894) vor, die für das Fortleben
pfälzischer Art und Sprache in Amerika zeugt. — Herr Geheimrat Weinhold stellte
eine Anfrage nach den Spuren von Brunnencult. In das Wasser von Brunnen,
die mit Heiligen in Verbindung gebracht werden, wirft man Opfer von Metall,
namentlich Nadeln. Wir finden das in Irland, Schottland, im nördlichen England,
aber nicht nur in keltischen Gegenden, sondern auch z. B. in Schlaupitz am
Geiersberg, in der Nähe des Zobten, wo viele kleine Hufeisen gefunden worden
sind. Auch aus dem Vogtland wird vielfach Ähnliches berichtet. Einige Mit-
teilungen in der Sitzung Anwesender ergaben leider nichts genau Entsprechendes.
— Der Vorstand wurde durch Zuruf für das Jahr 1896 wiedergewählt.
Freitag, den 24. Januar 1896. Herr Bankier Alexander Meyer Cohn be-
richtete über die cecho-slavische Ausstellung in Prag und über das Trachtenfest in
München im Sommer und Herbst 1895, wobei er eine Fülle von Bildern vorlegte.
Man hat von der Prager Ausstellung sehr wenig gehört, weil alles Deutsche sorgsam
von ihr ferngehalten wurde, doch ist das Schweigen über sie zu bedauern, da
114. Roediger: Protokolle.
sie grossartig und mustergültig war. Angeregt hat sie der Direktor des böhmischen
Nationaltheaters, Herr Schubert, im Jahr 1891 während der böhmischen Landes-
ausstellung, der dadurch ein cechisch.es ethnographisches Museum vorbereiten
wollte. Platz und Baulichkeiten der Landesausstellung blieben für die neue er-
halten und wurden ihr überlassen. Ausstellen durften nur diejenigen Landesteile,
in denen effektiv böhmisch gesprochen wird, Böhmen, Mähren, die Walachei,
Schlesien, die mährische und ungarische Slowakei. Zunächst fielen die zahlreichen
Modelle von Volksbauten auf: Kirchen, Glockentürme, Bauernhäuser, Scheunen;
dann die Fülle der Stickereien. Zum ersten Mal ist hier wohl versucht worden,
Volksgebräuche figürlich darzustellen, wie den in seinen Einzelheiten nicht ganz
klaren Königsritt, einen Kunkelschmaus, eine Brautwerbung. Daran reihten sich
Sammlungen bemalter Ostereier, von Gebacken, bäuerlichen Spielsachen u. s. w.
Vortrefflich waren die Einzelausstellungen, welche den Charakter eines ganzen
Gebietes zum Ausdruck bringen sollten, und in denen, wie im Berliner Volks-
trachtenmuseum, um eine charakteristische Gruppe von Personen die typische
Wohnungsausstattung nebst andern Gegenständen angeordnet war. Ferner war
ein ganzes Dorf von mehr als 50 Gebäuden aufgebaut und mit Familien aus den
einzelnen Landesteilen besetzt. Man konnte dort die verschiedenen Nationaltänze
in Augenschein nehmen. Ebenso war ein Stück des alten Prag aus der Zeit
Rudolfs II. aufgebaut worden. Erwähnt seien noch die Fachausstellungen der
Geschichte des Theaters, der Litteratur, des Studententums und des Handels.
— Für das Münchener Trachtenfest Ende September vorigen Jahres konnten
nur mit grosser Mühe alte Trachten in genügender Vollständigkeit zusammen-
gebracht werden, ja in manchen Gegenden ist die alte Kleidung völlig verschwunden,
wie namentlich in der Rheinpfalz, aber auch in Oberbaiern zum Teil und in
Schwaben; an gewissen Orten ist sie erst durch die Thätigkeit von besonderen
Trachtenvereinen wiedererweckt worden. Dennoch war es gelungen, eine grosse
Anzahl von Ortsgruppen mit etwa 1500 Personen in München zu vereinigen, die
in einem Aufzug sowie bei Tänzen und Vorträgen volkstümlicher Lieder vorgeführt
wurden. Hervorgehoben sei der in Baiern untergegangene und nur noch im
Salzburgischen, in Zell am See erhaltene Berchtentanz. — Herr Zeichenlehrer
Mielke legte Skulpturen aus norddeutschen Kirchen in eigenen Skizzen vor und
teilte die daran sich knüpfenden Sagen mit. Es handelte sich um Kreuze, Ein-
drücke von Hufen oder menschlichen Füssen, Tierfiguren, Steinmetzzeichen, die
das Volk je nach ihrer Art an verschiedenen Orten in ziemlich übereinstimmender
Weise auszulegen pflegt. Besonders gaben noch die bekannten Näpfchen und
Rillen an der Aussenseite von Kirchen zu Erörterungen Anlass, an denen sich die
Herren Friedel, Weinhold und Sökeland beteiligten. Letzterer hat Näpfchen
auch auf Gemmen der romanischen Zeit (9.— 12. Jahrh.) gefunden, unter anderm
auf dem grossen Topas im Kölner Dom. Zu unterscheiden von ihnen sind die
gerstenkornartigen Vertiefungen. — Die Herren Weinhold und Cohn legten den
Geschäftsbericht über das Jahr 1895 vor. Die Mitgliederzahl des Vereins ist durch
den Beitritt von Stadtmagistraten und Bibliotheken auf 202 gestiegen, keine hohe
Zahl, so dass er trotz der auch für das Jahr 1895 geneigtest gewährten Beihilfe
des hohen Königl. preussischen Kultus-Ministeriums doch nur über nicht eben
bedeutende Mittel verfügt. Der Bibliothek des Vereins hat Herr Geheimrat Prof.
Dr. Bastian im Museum für Völkerkunde gastliche Unterkunft vergönnt. In den
Ausschuss wurden gewählt Fräulein Lemke und die Herren Bartels, Mielke,
Erich Schmidt, Bastian, Friedel, Goerke (Bibliothekar des Vereins), Lübke.
Voss, Waiden. Moebius, Bolte. Max Roediger.
Die Kraniche des Ibykns in der Sage.
Von Gaetano Amalfl.
Es war einmal ein armer Mann, der einst auf einem einsamen Wege
dahinschritt. Da stiess er auf einen Menschen, der sich auf der Suche
nach einer Stellung befand. Dieser kam auf den Gedanken, der andere
möge Geld bei sich haben, und fiel über ihn her, um ihu zu töten. Ver-
gebens rief der Arme: ,Ach töte mich nicht. Beim Heil meiner Seele,
ich besitze kein Geld.'
Jener aber blieb hartnäckig und versetzte: ,Du mögest Geld haben
oder nicht, du musst doch sterben.- Und er schlug ihn tot.
Während der Unglückliche seinen Geist aufgab, sah er eine Taube
vorüberfliegen. Da rief er aus: , Taube, niemand ist da, der mich sähe.
Du allein kommst vorüber, und so sei du meine Zeugin!-
Der Thäter kümmerte sich nicht um diese Worte und setzte gleich-
mütig seinen Weg fort. Er kam in den benachbarten Ort, und trat als
Koch bei einem Herrn in Dienst Eines Tages trug dieser ihm auf eine
Taube zu schlachten. Während er sie rupfte, schüttelte er lächelnd den
Kopf.
Die Töchter des Hausherrn sahen ihn lachen und fragten ihn, was es
gebe. Er antwortete ihnen: .Sehet her, ob eine Taube wohl als Zeugin
hat dienen können?'
Sie verlangten mit aller Gewalt zu wissen, um was es sich handle,
und sicher, dass er straflos ausgehen werde, erzählte er ihnen die ungefähre
Begebenheit.
Die jungen Mädchen riefen ihren Vater herbei und veranlassten jenen
die Erzählung zu wiederholen.
Während er noch bei dieser verweilte, schickte der Hausherr einen
seiner Diener heimlich nach der Polizei aus.
Er wurde ins Gefängnis gesteckt, die Mitglieder jener Familie traten
selbst als Zeugen auf, und so büsste er den auf offener Strasse begangenen
Mord mit seinem Kopfe.
Z,-itM-|,r. <1. Vereins I. V.»lk-U
116 Amalfi:
Diese Erzählung, die ich in Tegiano (Provinz Salerno) aus dem
Munde eines Analphabeten vernommen habe, ist bei Licht besehen eine
einfache Spielart der dem griechischen Lyriker Ibykus aus Rhegium, der
um 528 v. Chr. lebte, angehängten Sage von den Kranichen, an deren
Stelle hier eine Taube getreten ist.
Wer kennt jene Geschichte nicht? Als der Sänger auf seinen Wander-
zügen eines Tages durch eine öde Gegend in der Nähe von Korinth kam,
wurde er von Räubern angefallen und tötlich verwundet. Ehe er seinen
Geist aufgab, rief er zum Zeugen 'seiner Ermordung einen Kranichschwarm
an, der zufällig am Orte der That vorüberfiog, und den er bat, seinen Tod
zu rächen. Einige Tage nach dieser Begebenheit befand sich das Volk
im Theater von Korinth, als in grosser Anzahl Kraniche erschienen und
über den Häuptern der Zuschauer hin und her flatterten. Unter den
letzteren war auch einer der Mörder, dem beim Anblick der Vögel die
Worte entfuhren: ,Sieh da die Rächer des Ibykus!' Er hatte sich wider
seinen Willen verraten, und bewirkte hierdurch die Entdeckung der Mörder,
und ihre Bestrafung.
Aus dieser Sage ging das griechische Sprichwort: al 'Ißvxov yegavoil
(die Kraniche des Ibykus!) hervor, das Erasmus kommentiert hat1). Er
erzählt die bekannte Anekdote und fügt hinzu, dass Plutarch sie in seiner
Abhandlung: De futili loquacitate, und Ausonius sie mit den Worten
Ibycus ut periit, vindex fuit altivolans grus erwähnen. Auch merkt
er das Epigramm des Antipater Sidonius aus der Anthologie2) an, das in
der lateinischen Übertragung beginnt:
Quondam ad desertum venienti Ibice littus
Vitam praedones eripuere tibi.
Nempe gruum nubem imploranti, quae tibi testes
Advenere necis quum morerere tuae, etc.
Noch an anderer Stelle kommt Erasmus auf das Sprichwort zurück3).
Plutarchs Worte sind die folgenden: ,Und wurden die Mörder des Ibykus
nicht auf die gleiche Weise entdeckt? Als diese im Theater sassen, sahen
sie über sich in der Luft einige Kraniche auftauchen, und lachend flüsterten
sie einander zu: Schau dort die Rächer des Todes des Ibykus! Lange
Zeit war schon vergangen, ohne dass man Ibykus gesehen, und man forschte
nach ihm; darum merkten sich die neben jenen Sitzenden deren Worte
und hinterbrachten sie der Obrigkeit; man überführte sie, nahm sie fest
und bestrafte sie, was nicht die Kraniche, sondern ihr unzeitiges Gerede
gethan4).'
1) Erasmi A.dagia. Basilea, ex officina Frobeniana, 1539, S. 298— 99. Vergleiche
Henr. Stephanus, Carm. poet. novem etc. 1566, S. 88-89.
2) Suidas, Aiitip. Sid. Epigr. 78, ap. Brunk, Anal. Bd. II, S. 27.
3) Ibid. S. 984.
4) Plutarco, Opusc. volgarizzati da Marc. Adriani, Milanu 1827, Bd. III,
S. 443: Della loquacitä.
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. 117
Diese Anekdote wiederholen fast alle Darsteller griechischer Literatur-
geschichte, ohne ihrer historischen Bedeutung näher zu treten; es genüge
beispielshalber Müller (I3, S. 345) anzuführen, dessen Worte sind: ,1. war ein
wandernder Dichter, wie auch die bekannte Sage von den Kranichen als
Zeugen und Rächern seiner Ermordung andeutet, . . .'
Es handelt sich hier aber um eine rein traditionelle Erzählung, die
nicht allein beim Volke lebendig war, sondern auch in litterarischen Nach-
bildungen recht weite Verbreitung gefunden, wie ich durch einige Zusammen-
stellungen beweisen werde.
In dem Piacevolissimo Fuggilozio des Neapolitaners Tommaso
Costo1) wird folgende Geschichte erzählt:
Ein Diener eines Kardinals wird erschlagen, man entdeckt die That
mit Hilfe einiger Vögel und bestraft den Mörder.
Ein Mann aus der Romagna bietet sich einem Provenzalen, der eine
reiche Erbschaft gemacht hat, als Begleiter nach Livorno an. Aber voll
Verlangen sich seines Geldes zu bemächtigen, greift er nach dem Schwerte.
Vergebens fleht jener ihn an, ihn am Leben zu lassen, und er fügt hinzu,
er werde, wenn er ihn töte, bestraft werden. Der andere macht sich hier-
über lustig und sagt: Wer sollte mich anklagen? Etwa die Vögel? Und
er führt sein ruchloses Vorhaben aus. Nach Rom zurückgekehrt erzählte
er, dass er jenem sorgsam das Geleit gegeben habe. Doch eine Anzahl
Raben stürzten sich auf den Leichnam des Ermordeten, auch Krähen und
Geier, und zwar unter so grossem Getöse, dass die Bewohner der Nachbar-
schaft und die in der Nähe Vorübergehenden herbeieilten, und als sie den
Toten erblickt, den Vorfall in Rom anzeigten. Der Leichnam wurde nach
Rom geschafft und erkannt. Der Mörder aber wurde entdeckt, gestand
sein Verbrechen ein und erhielt seine gerechte Strafe. So waren die
Vögel, die er höhnisch herausgefordert hatte, seine Ankläger geworden.
Costos Erzählung klingt nahe an eine andere von weit höherem Alter
an, die Francesco Zambrini im Libro di Novelle Antiche veröffentlicht
hat2):
Von dem Juden, der von des Königs Kammerdiener getötet wurde.
Ein Jude, der sehr reich war, kam einst durch das Land eines Königs.
Um sicher zu reisen, machte er dem Könige ansehnliche Geschenke, auch
bat er ihn um Geleit, damit man ihn durch sein Gebiet ziehen lasse. Der
König gab ihm den Junker, der ihn als Mundschenk bediente, zum Be-
gleiter. Wie sie nun durch einen Wald gingen, dachte der Kammerdiener
bei sich: Der da hat viel Geld im Besitz; ich könnte ihn hier töten, dann
bin ich reich, niemand aber erfährt es. Und er sagte laut: Du, geh voraus.
1) Giorn. V, No. 3, Venezia, Barezzi, 1600, S. 224—226.
2) Curiositä leterarie, Dis. 93. Bologna, Romagnoli, 1868, No. 23, S. 79—80.
Zur Bibliographie s. Papauti, Catal. de' novel. in prosa, Livorno, Vigo, 1871, Bd. I,
S. 198.
118 Amalfi:
Der Jude erwiderte: Geh du voraus. Jetzt sprach der Kammerdiener: Du
sollst sterben, denn nie wird jemand deinen Tod erfahren. Da rief der
Jude: Töte mich nicht, denn die Rebhühner, die jetzt über uns fliegen,
werden meinen Tod anzeigen. Der aber sprach: So mögen sie es thun.
Und er erschlug ihn, raubte ihn aus, verscharrte ihn und kehrte nach
Hause zurück. Zum Könige aber sagte er, dass er ihn gut geleitet habe.
Etwa ein Jahr nach dieser Begebenheit zerlegte der Kammerdiener Reb-
hühner vor dem Könige; da erinnerte er sich der Worte des Juden, er
begann zu lachen und vermochte nicht Herr seiner Lachlust zu werden.
Als der König gespeist hatte, fragte er den Kammerdiener, worüber er
gelacht habe. Der aber zögerte ihm die Ursache zu verraten. Da sprach
der König: Sage es getrost. Und nun erzählte er ihm die ganze Begeben-
heit. Und der König that so, als ob sie ihm gleichgiltig sei; indessen hielt
er weisen Rat und hierbei entschied er, der Kammerdiener solle aufgehängt
werden, so dass er hierdurch zu Tode komme. Und also geschah es.
Eine verwandte, nur in einigen Punkten abweichende Geschichte liest
man auch in dem Utile col dolce des P. Carlo Casalicchio1):
Bei Plutarch wird erzählt, wie jemand, mit Namen Bessus, der seinen
eigenen Yater getötet und den Mord viele Jahre lang verheimlicht, eines
Nachmittags, als er sich zum Abendessen in das Haus einiger Freunde
begab, ein an diesem Hause befindliches Schwalbennest gar unwillig mit
einer Lanze zur Erde herniederstiess und mit gleich grimmigem Gebaren
alle Junge, die darin waren, mit den Füssen zu Tode trat. Auf die
Frage, warum er dies thne, erwiderte er: Hört ihr nicht, wie diese Yögel
aussagen, dass ich meinen Yater getötet habe? und das ist doch durchaus
unwahr. Hierüber gerieten die, die dabei standen, sehr in Erstaunen.
Sogleich eilten sie zum Könige, um ihm zu sagen, was geschehen sei.
Und der König, der durch seine Minister gar gründliche Nachforschungen
hierüber anstellen liess, erfuhr, dass untrügliche Anzeichen dafür sprächen,
dass der erwähnte Bessus wirklich seinen Yater ruchlos ermordet habe;
und so verfügte er gegen ihn einen qualvollen Tod, wie er ihn der Schwere
des Verbrechens gemäss verdiente, das er nach Gottes gerechter Fügung
selbst verraten hatte.
Der Stoff ist auch in einem französischen Roman von Pommartin,
Les Corbeaux de Gevaudan, der sich im Jahre 1867 grosser Beliebtheit
erfreute, enthalten. Dieser Umstand beweist, wenn auch nichts anderes,
so doch die Volkstümlichkeit unserer Sage in Gevaudan.
Zu vergleichen ist auch Heinrich Schliemann, The Stymphalian
birds and the cranes of Ibykus; Ristelhuber, Quatre ballades,
suivies de notes, Geneve 1876, S. 29 — 35; Traditions allemandes
recueillies et publiees par les freres Grimm, traduites par M.
1) Venezia 1761, S. 82. Centuria I, Decade 5, Arguzia 2.
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. 119
Theil, Paris 1838. Bd. I, S. 221 ff.: La colombe qui indique un prison,
und La colombe qui arrit l'ennemi; Bouer, Der Edelstein, Ausgabe
von Benecke, Berlin 1816, Fab. LXI.
Einige Berührungspunkte lassen sich auch mit der Legende des heiligen
Meinrad finden, über die man sehe: Histori vom Leben und Sterben
dess H. Einsidels und Märtyrers S. Meinrad ts. Freyburg i. d. Ey dg. 1587.
G. Morell, Die Legende von S. Meinrad, Einsiedeln 1861. Geistlich Spiel
von S. Meinrads Leben und Sterben, herausgegeben von G. Morell,
Tübingen 1863.
Unsere Erzählung bildet ferner die 79. Nummer bei Rudschenko,
Narodnyja juznorusskija skazki (d. h. kleinrussische Märchen), Kiew
1869, S. 207 ff. Der Inhalt derselben, dessen Kenntnis ich einem Freunde
verdanke, ist folgender:
Zwei Landleute, die von der Arbeit zurückkehren, kommen iu eine
einsame Gegend, woselbst der eine von ihnen den anderen töten will, um
sich das Geld, das dieser sicli verdient hat, anzueignen. Der Bedrängte
bittet um die Erlaubnis jemandem sein letztes Lebewohl, ehe er sterbe,
zurufen zu dürfen, und zu einer Pflanze, deren russischer Name pere-
katipole ist, dem Gipskraut, gewendet ruft er aus: Lebe wohl, pere-
katipole, und sieh recht her, du sollst mein Zeuge sein.
Nachdem er seinen Gefährten getötet und ausgeplündert, begiebt sich
der Mörder in sein Dorf zurück und verheiratet sich. Als er eines Tages
mit seinem Weibe über die Felder ging und die Pflanze erblickte, erinnerte
er sich der letzten Worte seines Opfers und konnte sich nicht enthalten
zu lachen. Seine Frau bemerkt dies und wünscht die Ursache hiervon zu
erfahren; sie setzt ihm solange zu, bis sie ihm das verhängnisvolle Ge-
heimnis entlockt. Solange der Friede in ihrem Hause herrscht, bleibt
das Geheimnis verschwiegen. Als der Mann sich aber eines Tages heraus-
genommen, jmie zu misshandeln und zu schlagen, enthüllt sie es sofort
ihrem Vater, und die Folge ist, dass der Mörder nach Sibirien verbannt wird.
Es fehlt auch nicht an orientalischen Versionen.
In den indischen Erzählungen und Märchen1) findet sich folgende
Geschichte, die, laut einer Fussnote. von dein Verfasser der persischen
Version in das Buch von Kaiila und Dimna eingestellt worden:
Der Derwisch und die Diebe.
In Edessa lebte einst ein Derwisch, der seines strengen Lebens wegen
weit bekannt war. Seine Frömmigkeit und seine Sanftmut hatten ihm
die Herzen aller Einwohner gewonnen. Einst überkam ihn das Verlangen
nach Mekka zu pilgern, und ganz allein machte er sich auf den Weg.
1) Contes et fables indiennes de Bidpai, trad. d'Ali Tchelebi-Ben-Saleh,
auteur turc, par Galland et Cardonne. In Mille et un jours etc., mit Einleitung von
Loiseleur-Deslongchamps, Paris, Dosrez, 1840, Kap. VIII, S. 5111'.
120 Amalfi:
Einige Tage nach seinem Aufbruche wurde er von Dieben überfallen.
Er reichte ihnen das wenige Geld, das er besass, dar und beschwor sie,
ihm nicht das Leben zu nehmen; minder Kummer, sagte er zu ihnen,
würde er hierüber haben, wenn er den heiligen Tempel in Mekka ge-
schaut hätte.
Nicht seine Bitten noch seine Thränen vermochten die Unholde zu
erweichen. Sie Hessen ihre Säbel vor seinen Augen funkeln. Als Danadil
sah, dass ihm der Tod gewiss sei, spähte er angstvollen Blickes nach
jemandem aus, der ihm Hilfe leisten oder wenigstens eines Tages wider
seine Mörder zeugen könnte; doch niemandes ward er in dieser weiten
Einöde gewahr. Als er sich drum von den Menschen verlassen sah, richtete
er sich an einen Kranichschwarm, der gerade über seinem Haupte einher-
flog: ,Ihr Vögel', sprach er zu ihnen, , seiet ihr die Zeugen dieses Meuchel-
mordes. Euch überlasse ich die Sorge für meine Rache.' Diese Anrede
brachte die Diebe zum Lachen und hielt sie keineswegs zurück den
Derwisch zu erschlagen. Danadil kehrte nicht wieder heim, und man
nahm in Edessa an, dass der Tod ihn ereilt habe. "Die Einwohner trauerten
um ihn und quälten sich umsonst mit Mutmassungen, wer dies Verbrechen
habe begehen können.
Viele Jahre waren seitdem verflossen, bis einst die Feier eines Festes
die Bewohner der Umgegend in die Stadt rief. Das Volk war im Vorhofe
der Hauptmoschee versammelt, als ein Kranichschwarm über ihnen durch
die Luft strich. Der Zufall oder besser der Himmel als Rächer der Frevel,
die wider Schuldlose verübt werden, hatte auch die Mörder Danadils an
jenen Ort geführt. Das Erscheinen jener Vögel, ihr schrilles, gellendes
Gekreisch weckte in einem von ihnen die Erinnerung an die Mordthat,
die sie begangen hatten. ,Sieh da', sprach er lachend zu einem seiner
Gefährten, ,sieh da die Zeugen Danadils.' Diese Worte wurden, so leise
sie auch gesprochen waren, von jemandem vernommen und dieser gab die
Schuldigen an. Sofort wurden sie verhaftet und in ihrer Verwirrung und
Bestürzung bekannten sie ihr Verbrechen, welches sie darauf unter qual-
vollen Martern büssten.
Loiseleur-Deslongchamps ]) hatte bereits hervorgehoben, dass sich diese
Erzählung in der Einleitung der persischen Version des Buches von
Kaiila und Dimna vorfinde, deren Verfasser Hocein Vaez ist und die
den Titel Anwari-Soha'ili2) trägt. Er ewähnt auch, sie stehe in den
schon angeführten Fables indiennes8), im Nouveau Journal asiatique*)
u. s. w. Auch in dem Libro delos Exemplos, herausgegeben von
1) Essai sur les fables indiennes etc., Paris 1838, S. 71, No. 5.
2) S. The Anvari Sohaüi, fol. 1G2 r°.
3) Bd. III, S. 98.
4) Bd. XVI, S. 179.
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. 121
Gayangos, begegnet sie, doch in so veränderter Gestalt, dass man sie kaum
wiedererkennen kann *).
Sollte jedoch alles dies nicht genügen, um uns von der Blüte unserer
Erzählung im Morgenlande zu überzeugen, so sei darauf hingewiesen, dass
sie auch in einem Buche vorhanden ist, dessen Ursprung in Indien selbst
liegt, und zwar in den mongolischen Märchen von Siddhi-Kür, die
Bernhard Jülg ins Deutsche übertragen hat2). Diese sind, wie man festge-
stellt hat, eine Paraphrase der Sanskrit-Sammlung Sinhäsana-dvätrincati
(die 32 Erzählungen vom Throne), die auch unter dem Namen Vikra-
mäditjacharitra (Leben des Vikramäditja) bekannt ist, denn die 32 Er-
zählungen, die sie umfasst, sind ebensoviel Legenden, die sich an diesen
Fürsten knüpfen.
Uns geht die 15. dieser Erzählungen an, und ich glaube, dass ihr
Inhalt wiedergegeben zu werden verdient. Sie führt den Titel: Abara-
schika, das vielbedeutende Wort; natürlich ist dieses Wort ein er-
fundenes. Es handelt sich in ihr um folgendes:
Früh vor Zeiten lebte im Westen Indiens ein König, der einen gar
klugen Sohn hatte. Diesen sandte er mit dem Sohne eines Ministers, mit
der Bestimmung jegliches Wissen von Grund aus zu lernen und recht
weise zu werden, in das Diamantenreich Mittelindiens (Magadha), wobei
er jedem von beiden ein halb Mass Gold mit auf den Weg gab. Nach
ihrer Ankunft im Diamantenreich überreichten sie zweien Lamas jeder
sein besonderes Geschenk und blieben zwölf Jahre lang bei ihnen in der
Lehre. Da machte der Sohn des Ministers dem Königssohn den Vorschlag,
jetzt in die Heimat zurückzukehren. Und nachdem jeder von ihnen es
seinem Lehrer gemeldet, gaben die Lamas ihre Zustimmung dazu. Auf
dem Heimwege, der eine weite Strecke betrug, konnten sie kein Wasser
finden. Während sie dem Tode nahe so da lagen, liess eine Krähe den
Ruf ,ikerek' ertönen. Kaum hatten sie das vernommen, als der Königs-
sohn sagte: .Jetzt wollen wir weiter gehen, es wird sich Wasser finden.'
Doch der Ministersohn sagte: ,Wie sollte sich Wasser für uns finden?'
,Jetzt, da ich den Ruf einer Krähe gehört', sprach der Königssohn, , ver-
spreche ich Rettung: wenn wir uns von hier in südlicher Richtung wenden,
so wird sicherlich dort in der Entfernung von 500 Schritten ein gutes,
frisches, wohlschmeckendes, reines, vortreffliches Wasser sich finden.
Kaum dass wir es gesehen, werden wir uns wieder erholen.' Es traf zu.
Sie tranken von dem Wasser, löschten ihren Durst und nahmen davon
1) No. XOVI, S. 470.
2) Mongolische Märchen, die neun Erzählungen des Siddhi-Kür, übersetzt
von Jülg, Innsbruck, Wagner 1868, S. 147 ff. Hierzu vgl. die Rezensionen von Köhler, Gott.
Gelehrt.-Anz. 1868, St. 49, S. 1926-1931, und von Leon Feer, Revue Critique 1869,
175. S. ferner Melanges asiatiques etc., Bd. III, S. 170, und Schiefner, Über die
unter dem Namen, Geschichte des Ardschi-Bordschi Ohän bekannte morgen-
ländische Märchensammlung.
222 Amalfi:
auch noch auf den Weg mit. Unterwegs dachte der Sohn des Ministers
bei sich: ,Der König hat uns beiden den Unterhalt gleichraässig gewährt;
dieser ist nun so klug und weise geworden, ich aber habe nicht den
Umfang seines Wissens erreicht.' Darum schlug er ihm vor, des Nachts
auf einen Berg zu steigen und dort zu übernachten und sagte als Vorwand,
dass sie leicht von Dieben geplündert werden könnten, wenn sie die Nacht
auf der Ebene zubrächten. Damit entführte er ihn in den Wald auf einen
Berg und tötete ihn dort; der Königssohn rief nur noch das eine Wort
aus: ,abaraschika'. Darauf kehrte der Sohn des Ministers in seine
Heimat zurück, und als er bereits nahe war, kam ihm der König samt
den Ministern zur Begrüssung entgegen. Da der Königssohn nicht mit
erschien, so war die erste Frage: ,Wo ist der Königssohn .hin?' ,Er ist
gestorben', erwiderte er. Der König rief in heftigem herbem Schmerze:
,Ach ihr viele Hunderte zählenden Städte! ach du meine Herrschermacht!
wie seid ihr nun verwaist!' Unter diesen beständigen Klagen und in
bitterer Wehmut kehrte er in seine Residenz zurück. Er dachte bei sich:
,Mein Sohn ist gestorben; sollte er nicht vielleicht irgendwie seinen letzte'-.
Willen kundgegeben haben?' Er befragte darüber den Sohn des Ministers.
Dieser sprach: ,Da ihn eine heftige rasche Krankheit befallen, so hat er
nicht eben viel gesprochen; als er sein Leben aushauchte, rief er bloss:
,abaraschika'. ' Der König meinte, diesem Worte müsse doch wohl irgend
ein Sinn zu Grunde liegen. Deshalb berief er aus dem ganzen, grossen
Reiche alle auf Berechnungen sich verstehenden Gelehrten, die Zauberer,
Wahrsager, Ärzte insgesamt und legte ihnen die Frage vor, was es für
einen Sinn habe, wenn man ,abaraschika' sage. Doch insgesamt wussten
sie es nicht. Da sprach der König: .Das Wort des meinem Herzen teuren
Sohnes habt ihr nicht zu deuten vermocht; nun, innerhalb sieben Tagen
sehet alle eure Schriften durch, suchet die Deutung und saget sie mir
alsdann; wenn ihr euch irret und sie mir nicht richtig angebt, so lasse ich
euch sämtlich in ein Burgverliess einsperren und hinrichten.' Man schloss
tausend Gelehrte in ein Gebäude zusammen; doch hatten sie während
sechs Tagen nichts herausgebracht. ,Morgen müssen wir sicherlich sterben',
hiess es allgemein. Die einen flehten zu den Himmelsgöttern, die anderen
weinten, indem sie ihrer Eltern und Verwandten gedachten.
Inzwischen hatte sich aus ihrer Mitte einer davongeschlichen, ein
niederer Geistlicher, und die Flucht ergriffen. Er verbarg sich am Fusse
eines im Walde stehenden Baumes. Während er so da sass, fing auf
einmal vom Gipfel des Baumes ein kleiner Junge zu weinen an. Der
Vater desselben rief: ,Weine nicht, mein Sohn! Morgen wird der König
dieses Landes tausend Menschen hinrichten lassen; wenn wir das Fleisch
derselben nicht verzehren, wer wird es verzehren?' Abermals nach einer
Weile rief der Junge weinend: ,Ich habe Hunger!' Da tröstete ihn die
Mutter mit den Worten: ,Weine nicht, mein Sohn! Morgen wird der König
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. 123
dieses Landes tausend Menschen hinrichten lassen; wer anders als wir
wird ihr Fleisch und Blut verzehren?- Auf die Frage des Jungen: , Warum
lässt er denn die tausend Menschen hinrichten?" antwortete der Vater:
,Weil sie die Bedeutung des Wortes ,abaraschika' nicht wissen/ ,Welches
ist denn seine Bedeutung?1 fragte der Junge. ,Die Bedeutung desselben',
versetzte der Vater, ,ist leicht. Es heisst: Dieser mein Busenfreund hat
mich in einen dichten Wald geführt: während er mir dort Verwundungen
beibrachte, trat er mir zugleich mit den Füssen auf den Hals, und mich
hauend hat er mir mit einem scharfen Schwerte den Hals abgeschnitten.'
Kaum hatte der niedere Geistliche diese Worte vernommen, so eilte
er Hals über Kopf nach dem Gefängnis zurück. Er erreichte es bei Tages-
anbruch, trat ein und sprach zu seinen Gefährten: .Ängstigt euch nicht;
ich werde die Bedeutung des Wortes erklären.' Als sie darauf der König-
alle um sich versammelte und die Frage nach der Bedeutung an sie richtete,
erzählten sie den bisherigen Verlauf der Sache. Plötzlich sprach der König
zu dem ahnungslosen Sohn des Ministers: , Zeige mir die Gebeine meines
Sohnes.' Da nahm der König des Sohnes Gebeine und errichtete ihm
einen Grabhügel; den Sohn des Ministers Hess er hinrichten, den Vater
desselben aber entsetzte er seines Amtes und den hundertfach gelehrten
Geistlichen zeichnete er mit hohen Ehren aus.
Diese Erzählung des Siddhi-Kür bringt Landau1) in ihrem ersten Teile
mit der Sage von den Kranichen des [bykus, in ihrem zweiten mit dem
deutschen Märchen vom Rumpelstilzchen2) zusammen. Der Stoff, der
uns beschäftigt, entbehrt auch dichterischer Verarbeitung nicht; es genügt
Schillers Ballade aus der dritten Periode: Die Kraniche des Ibykus
hervorzuheben, die durch Maffei auch eine Übersetzung ins Italienische
erfahren hat. Schiller entnahm seinen Stoff aus der oben angeführten
Stelle bei Plutarch.
Es Hessen sich noch einige andere Fassungen anführen; indess ist
dies um so weniger notwendig, als die Schlussfolgerung durch sie nicht
die geringste Änderung erleiden würde. Auch genügen die obigen An-
deutungen, um die weite Verbreitung der Erzählung darzuthun, sowie um
deutlich zu machen, dass sie rein den Charakter einer Sage trägt und seit
vielen Jahrhunderten im Geiste der Völker lebendig ist. Der Vogel wechselt
in mannigfacher Weise: bald handelt es sich um eine Taube, bald um
Vögel im allgemeinen, bald um Rebhühner, um Schwalben oder um Raben,
bald gar um eine Pflanze und endlich bald um Kraniche oder um Ibisse;
aber die charakteristischen Züge der Sage sind immer dieselben.
Den beiden zuletzt erwähnten Vogelarten noch einige Worte zu widmen,
veranlasst mich mein Thema. Ich benutze das Zeugnis des alten Herodot
1) Beiträge zur Geschichte der italienischen Novelle, Wien 1875, S. 1G2.
2) Grimm, Kinder- und Hausmärchen, No. 55.
124 Amalfi:
der uns berichtet, dass die Kraniche zur Überwinterung von der skythischen
Küste nach einer anderen Gegend ziehen (II, 22). Bei den E&yptern,
sagt er (II, 65), ist die Ehrfurcht vor diesen Tieren so gross und dieser
Vogel so heilig, dass jemand, der einen Ibis oder Habicht, aus Vorsatz
oder nicht, tötet, ohne Gnade sterben muss. Wenn im Winter, heisst es
ferner (II, 75 — 76), die beflügelten Schlangen aus Arabien nach Egypten
kommen, so stürzen die Ibise sich ihnen entgegen und lassen sie nicht
eindringen, vielmehr töten sie dieselben. Deswegen geniesst der Ibis, wie die
Araber berichten, grosse Verehrung bei den Egyptern. Dieser Vogel hat
ganz schwarzes Gefieder, seine Beine sind wie die des Kranichs, er hat
einen stark gebogenen Schnabel und ist von der Grösse des Vogels Krex;
so sind die schwarzen beschaffen, die mit den Schlangen Krieg führen.
Es giebt nämlich dort zwei verschiedene Arten Ibise und zwar sind die
gewöhnlicheren am Kopfe und am ganzen Halse nackt und, wenn man den
Kopf, den Nacken, die Flügelspitzen und das Hinterteil, wo sie ganz schwarz
sind, ausnimmt, weiss gefiedert; doch Beine und Schnabel haben sie wie
die ersteren.
Die gewöhnliche Definition unseres Vogels lautet so: Ibis. Gattung
storchartiger Stelzvögel mit langem, nach unten gebogenem Schnabel und
mehr oder weniger nacktem Kopfe, deren zahlreiche, meist schön gefärbte
Arten nur wärmere Gegenden der Alten und Neuen Welt bewohnen. Am
bekanntesten ist der heilige Ibis (Ibis, Threskiornis religiosa),
etwa 40 cm hoch, ganz weiss bis auf die Flügelspitzen, Schnabel, Kopf,
Hals und Füsse, welche schwarz sind. Er wurde von den alten Egyptern
heilig gehalten und nach dem Tode einbalsamiert. Er war das Symbol
des Thoth, des egyptischen Hermes, des Gottes der Weisheit und aller
Kenntnis, daher dieser Gott auch häufig unter dem Bilde des Ibis verehrt
oder mit einem Ibiskopfe dargestellt wurde, wie auch sein hieroglyphischer
Name jederzeit mit diesem Vogel geschrieben wird. In den Tempeln des
Thot pflegten mehrere Boise unterhalten zu werden, und die Schonung
dieser Vögel war so allgemein, dass sie, wie berichtet wird, in den Städten
unbelästigt auf den Strassen umherliefen. Gegenwärtig sind sie im ganzen
Lande äusserst selten, dagegen südlich von Chartum häufig. Der Vogel
nährt sich vorzugsweise von Insekten1).
Um nun an die Hieroglyphen noch einige Erläuterungen zu knüpfen,
so sei bemerkt, dass der Kranich (der Ibis, auch der Sperber), allegorisch
verstanden, bei den Egyptern eines der Bildzeichen für B ist. Ein anderes
Zeichen für dasselbe, das auch Symbol der Seele ist, bildet das Kohlen-
becken oder das Weihrauchfass, sei es mit, sei es ohne Flamme oder
Räucherstoff. Vgl. das griech. fiv[i6s, von ftveiv verbrennen, opfern. Das
Feuer ist ja das Symbol der Seele, so ruft Dante, (Purg. IV, 6) aus: Ch'un'
1) Brockhaus' Konversations-Lexikon etc., Leipzig 1894, Bd. IX. Vgl. auch
Aristoteles, üeqI tä £<pa lozogiai IX, 27.
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. 125
ariima sovr'altra in noi s'accenda (In uns sei Seele über Seel' ent-
facht). Hier bedeutet Seele so viel wie Feuer, Dunst, Duft, Thymian,
Blume. Vgl. die Metapher: Geruch der Heiligkeit (auch ital. odore di
santitä), uud bei Dante (Inf. II, 127) das Bild von dem Blümchen, das
seine Seele malen soll, sowie (Parad. XXII, 57) dasjenige von der Kose.
Auch Hessen sich hier die griechischen Mythen der Vesta und des Pro-
metheus erwähnen.
Ein weiteres Zeichen für B ist der zweimalige Vogel Ben, der Kibitz
oder Reiher. Bei Forcellini1) heisst es: grus dicta est a sono vocis.
So würden wir denn eine Onomatopöie vor uns haben. Du Meril lehrt in
seiner Zusammenstellung isländischer Wörter von gleichem Stamme mit
Wörtern der romanischen Sprachen 2), dass im Isländischen gru synonym
mit Menge ist. Dies rührt davon her, dass jene Vögel wie die Staare
a schiera larga e piena (in dichtem, weitem Heer), um mit Dante
(Inf. V, 41) zu reden, zu ziehen pflegen. Grex gregis und grus gruis
haben fast dieselbe Wurzel. Alexandre bringt in seinem Dictionnaire
grec.-franpais yegavog, Kranich, vielleicht wegen der Langlebigkeit dieses
Vogels mit yegacög, alt, zusammen. Hervorgehoben sei, dass jenes Wort
ebenso wie im Latein, grus, im Portug. grau, im Italien, gru und im
Engl, crane den bekannten Vogel und zugleich eine zum Lastenheben
dienende Maschine, und zwar ihrer Ähnlichkeit mit dem langen Halse des
Kranichs zufolge, bezeichnet. Bei den Griechen war yegavog die berühmte
Maschine im Theater, welche die Götter vom Himmel auf die Erde und
umgekehrt beförderte und die sprichwörtliche Redensart deus ex machina
nach sich zog; Euripides hatte sie für seine Tragödien erfunden, aber
missbräuchlich benutzt, um die Gottheit plötzlich und gewaltsam in die
Handlung eingreifen zu lassen und mit ihrer Hilfe den dramatischen Knoten
zu zerhauen, statt ihn zu lösen.
Nach Vitruvius hiess bei den Lateinern eine Kriegsmaschine zum
Niederreissen der Mauern bald grus, bald corvus. Interessant ist hier
das Zusammentreffen mit dem Deutschen, das gleichfalls den Krahn und
die Krähe besitzt. Für Zambaldi3) ist garrire, zwitschern (daher ital.
garrulo, Schwätzer) die Basis des griech. yegavog*), zu dem sich grus
als synkopierte Form für garus, altital. gruga und gruva, stellen würde.
Er ist ferner der Meinung, dass die Reduplikation gra-c dem latein.
1) Lexicon totius latinitatis etc.
2) Histoire de la poesie scandinave, Prolegomenes, Paris, Blockhaus et
Avenarius, 1839, S. 253.
3) Vocab. etimologico italiano, Cittä di Castello, S. Lapi, Sp. 189—90.
4) Dazu die Pflanzenspezies Geranium (von yegäviov, kleiner Kranich). Bei B.
Menzini, Eime 202 liest man: . . . Sol Virtü, sebben tace aurora, Qual bei
geranio odora. Der Name der hierhergehörigen Pflanzen ist pelargonium nach
nskaQyos, Storch, dem Vogel mit zweifarbigem (schwarzem, nslog, und weissem, aQyö?)
Gefieder, dtsch. Storchschnabel. Vgl Ovidii, Libellus in Ibin,
126
Amalfi:
ran
iülus, ital. gracco (verbessere graccio, oder lieber gracchio. Rabe,
gracchia, Krähe), zu Grunde liege, aus dem gracchiare, krächzen (von
Raben und ähnlichen Vögeln), schwatzen, mit gracchiare, Schwätzer,
hervorgegangen. Sannazaro verwendete in Anlehnung an das Lateinische
auch gracculo für Dohle: Questi compagni del rapace gracculo
(Arcadia, Eclog. III). Im Griechischen war yegavog auch ein Tanz, den
Theseus erfunden und in dem seine glückliche Befreiung aus dem Labyrinth
zur Darstellung gelangte.
Die Kraniche fliegen in einer bestimmten Gruppierung und scheinen
dann die griechischen Buchstaben W oder A zu bilden. Da man der An-
sicht war, dass Palamades dies zuerst beobachtet habe, so hat man jene
beiden Buchstaben Palamedis aves genannt (s. Martial, Epigr. 13, 75).
Diese graphische Tradition ruft eine weitere hinsichtlich des griech. W ins
Gedächtnis; nach den Griechen hätte dieses nämlich seine Quelle in dem
im Fluge begriffenen Yogel. Sie behaupten in der That, dass sein Schöpfer
es nach dem Bilde desselben darzustellen beabsichtigt hat. In der Hiero-
glyphe uschrift der Egypter ist seine Gestalt i B, was sich Papooi aus-
spricht und Vögelchen bedeutet. Zu vergleichen ist die Ähnlichkeit zwischen
den beiden Lippenlauten B und P, die einer wie der andere, ob sich's um
ideographische oder, wenn man so sagen darf, um ideophonische Benutzung
des Vogels (vgl. den Kranich, den Ibis, den Sperber, die Seele etc.) handeln
möge, bei den Egyptern als fliegender Vogel dargestellt erscheinen; dieser
könnte allegorisch auf die Seele hinweisen, wenn man an die bekannten
Verse Dantes (im Purg. X, 124—126) denkt, welche lauten:
Non v'accorgete voi, che noi siam vermi
Nati a formar l'angelica farfalla,
Che vola alla giustizia senza schermi?
(Merkt doch, dass wir nur Würmer sind, nur leben
Damit der Himmelsschmetterling ersteh1,
um zur Gerechtigkeit schirmlos zu schweben),
nur dass in ihnen der fliegende Vogel in einen Schmetterling verwandelt
erschiene.
Kehren wir wieder zum Kran ich (der Seele) zurück, so ist hervorzuheben,
dass das Deminutivum grullo (vgl. das span. grulla, das die Bedeutung
des ital. gru oder grue hat) demzufolge, dass der Vogel als dumm bekannt
ist. metaphorisch auf einen dummen, geistesschwachen Menschen angewendet
wird. Die Kraniche sind Wandervögel, die in mächtigen Schwärmen reisen,
vgl. Dantes Worte im Inf. V, 47: Di se facendo in aer lunga riga
(Die Luft durchschneidend in gestreckter Reih') In so enger Verkettung
fliegen sie, dass sie ein einziges Ganze, man kann sagen einen einzigen
Vogel, mit nur einem Kopfe, einem Rumpfe und zwei Flügeln zu bilden
scheinen.
Die Kraniche des Ibykus in der Sage. 127
Die Lateiner, die diese Erscheinung beobachet haben, schufen hiernach
das Verbum gru-ere, dessen Bedeutung schreien und thun wie der Kranich
ist. Dieses ergab dann das Kompositum con-gru-ere, zusammengehen,
einig wandeln (nach dem Muster der Kraniche, die sich sogar einen Führer,
einen König wählen, dem alle sich stets treu unterordnen), einander anpassen,
harmonieren; an dieses lehnen sich ferner das Participium con-gru-ens
und die Adjektiva con-gru-us und in-con-gru-us. Mit dem Präfix in-
bildete man aus gruere schliesslich in -gru-ere, auf jemanden losstürzen
wie der Kranich1).
Für die verschiedenen Bezeichnungen des Kranichs in verschiedenen
Sprachen und Dialekten, für speziell französische und provenzalische
Redensarten mit ihm, einen italienischen Spruch, zwei Lieder bei Bauern
und Kindern auf die fliegenden Kraniche und ein französisches Spiel Le
pied de la grue sei auf Rolland2) verwiesen; der Abschnitt ist zu lang,
um ihn hier wiedergeben zu können.
In diesem Zusammenhange sei auch an die Novelle Boccaccios3) von dem
Koch Chichibis erinnert, dessen Geliebte die Keule eines fetten Kranichs,
den er für seinen Herrn Currado Gianfigliazzi zu braten hat, verzehrt und
der seinem Herrn nachher weis zu machen sucht, dass diese Yögel nur
ein Bein und eine Keule haben, eine Schnurre, die nach Yal. Schmidt*) auch
in einer orientalischen Erzählung von Nussredin Hatschia, einem Dichter
aus der Zeit Tann rlans, begegnet. . Man findet sie auch bei Hans Sachs 5).
in der Arcadia in Brenta von Ginnesio Gavardo6) und sonst.
WenD in der mongolischen Erzählung die Krähe das Auffinden von
Wasser ansagt, so entspricht dies vollkommen dem Volksglauben; auch
heutigen Tages noch schliessen in Italien die Bauern, sobald sie Kraniche
oder Störche kommen sehen, dass Regen bevorstehe. Ganz gewöhnlich
ist im Italienischen das Sprichwort: Sono uscite le Grue, l'acqua e
vicina (Ziehen die Kraniche fort, ist das Wasser nah) oder auch Abb i am o
le Grue, mal tenipo!7) (Kraniche, schlecht Wetter !). Und vermöge eben
dieser Eigenschaften, die am Ibis so wunderbar und erhaben dankten, dass
er sogar den Gott Thotli, den Erfinder und Rechner, ja recht eigentlich
den Denker, symbolisch darstellen konnte, wurde dieser Vogel schliesslich
1) Luigi Delätre, Saggi linguistici, Firenze, Barbera 1873. Del linguaggio
figurato § 4: Figure tratte degli animali, S. 226.
2) Faune populaire de la France, Bd. II. Les oiseaux sauvages, noms
vulgaires, dictons, proverbes, legendes, contes et superstitions, Paris, Maison-
neuve et Cie. 1879: Grus cinerea, Bechstein, La grue, S. 367—71.
3) Dekameron VI, 4.
4) Beiträge zur Gesch. der romantischen Poesie, S. 63. Vgl. Prato. La
leggenda del Tesoro di Rampsinite etc., Como, Franchi, 1882, S. 25 und Anm.
5) Werke etc., Bd. II, T. IV, S. 223.
6) Venezia, Bassaglia, 1785, S. 109.
7) Marugj, Capricci sulla jettatura, Napoli, Nobile 1875, S. 56.
128 Amalfi: Die Kraniche des Ibykus in der Sage.
fähig gedacht, ein begangenes Verbrechen zu bezeugen, wenn sonst alles
ringsherum schwieg — ein Gleichnis zu dem göttlichen Auge, das die ver-
borgensten Tiefen des Herzens erforscht und die Schuld im innersten
Winkel des menschlichen Gewissens entdeckt.
Zuweilen kann die unbedeutendste Kleinigkeit, kann irgend ein Wort
eine Enthüllung in sich schliessen und zur Aufdeckung eines Verbrechens
führen, da keine Schuld verborgen bleiben kann; so hat es sich mit dem
geheimnisvollen Wort abaraschika zugetragen, das im letzten Augenblicke
ausgesprochen wurde. Hatte man die Begebenheit an sich einmal erfunden,
so mochte man sie, ganz gleich von wem, erzählen, von dem Koch, dem
Reisegefährten aus der Romagna, dem Kammerdiener, dem Sohn, der
seinen Vater ermordet, dem Landmann, dem Derwisch, von Ibykus oder
von wem sonst noch.
Was Ibykus anbetrifft, so erklärt sich die Sache leicht. Sein Name
ist nämlich, scheinbar wenigstens, mit dem des Ibis, griech. Ißig, 10g, bei
den Egyptern hippen, etymologisch verwandt. Das Volk ist nun — ein
Vorgang, für den es zahllose Beispiele giebt, — zur Vermischung beider
Namen verführt worden und hat schliesslich dem Ibykus trotz der örtlichen
Differenzen eine Erzählung angehängt, die sich aller Wahrscheinlichkeit
nach vor seiner Zeit begab. Hierzu hat das sagenhafte, unstäte Leben
des Dichters beigetragen, vielleicht auch ein gewaltsamer, geheimnisvoller
Tod desselben und die eigenartige Entdeckung der Mörder, ja möglichen-
falls auch irgend eine Erzählung von ihm, die man schliesslich auf den
Verfasser selbst bezogen hat. Ich weiss wohl, dass dies nur Vermutungen
sind, aber über sein Ende hat man keine bestimmten Nachrichten und
sehr wenig nur geht aus seinen Dichtungen hervor1). Sicher ist allein,
dass in den ehrwürdigen dürftigen Bruchstücken derselben oft Gleichnisse
zu erkennen sind, und so mag er vielleicht auch die Begebenheit, von der
wir sprechen, erzählt oder auf sie angespielt haben.
Aber sollte dem auch so sein, es bleibt doch nur eine schwankende
Hypothese, denn zweifellos erheben sich im Anschluss an die etymologischen
Wechselbeziehungen und die rein traditionsmässige Verbreitung und Natur
des Stoffes einige Schwierigkeiten, welch letzterer gleich vielen anderen
höchst wahrscheinlich orientalischen Ursprungs ist und erst später in
Griechenland Eingang gefunden hat Und dies wird um so einleuchtender,
wenn man sich vorhält, dass er direkt von dem Ibiskult in Egypten, dem
Heimatlande dieses Vogels, wo er noch jetzt südlich von Chartum relativ
häufig vorkommt, ausgegangen sein wird.
1) Schneidewin, Ibyci carminum reliquiae, Göttingen 1883. Die Vorrede in
Form eines Briefes von K. 0. Müller. Die Fragmente stellen auch in Schneidewins Buch
Delectus Poes. Eleg Vgl. auch W elcker, Rhein Mus. 1837, Bd. Hl, S. 401: Kleine
Schriften, Bd. I, S. 100. Vgl. ferner Poetae lyrici graeci von Bergk, 4. Auflage,
Leipzig 1882.
Reiterer: Volkssprüche aus dem Ennsthal. 129
Die Idee von der Vermischung aber liegt so nahe, dass sich auch
Bedier zu ihr bekannt hat, der sich so äussert: Die berühmte Sage von
den Kranichen des Ibykus scheint auf folgender Gleichung zu beruhen:
"Ißvxog - ißvxeg = Kraniche. Da aber die Erzählung in der Fable du
bouteiller et du Juif, einer Form, unter der sie nicht minder wichtig
ist, ohne dieses Wortspiel auf das Mittelalter gelangt ist, so scheint dieselbe
nicht dem letzteren zu entstammen; die Erzählung war vorhanden und
der Wortähnlichkeit zufolge wurde Ibykus in späterer Zeit in die Legende
eingeführt1).
Die Sache mit den Kranichen ist also, wie man sieht, ein sagenhafter
Zusatz, der in das Reich der Fabeln, in das Gebiet des Volksglaubens
gehört und von der Lebensgeschichte des unglücklichen Wanderdichters
zu trennen ist.
Casoria (Neapel).
Volkssprache aus dem Ennsthal.
Von Karl Reiterer.
Aus der reichen Fundgrube des Volkslebens teile ich im folgenden
frische Sprüche in gereimter Form mit, die ich unmittelbar aus dem Munde
der Bewohner des oberen Ennsthales in Steiermark gesammelt habe. Es
sind Zimmer-, Gassi-, Glöckl-, Wetter- und Wunschsprüche, auch einige
Hausinschriften. Verwandtos lässt sich in unseren Alpenländern auch sonst
auffinden. —
I. Wenn um Schladming uud Gröbming die Zimmerleute mit dem
Richten des Dachstuhls fertig sind, erscheint die Diern vom Nachbarhof
mit dem Weissat (Geschenk: Schmeller, Bayr. W^örterb. II, 1027. Lexer,
Kämt. Wörterb. 254). Es enthält Geschenke für die Zimmerleute: Hosen-
stoffe, Halstücher, Hosenträger, Tabakspfeifen u. s. w. Die Diern stellt
den Korb zu Boden und beginnt den Spruch:
Juch, hiaz bin ih ah amol do! Bin völlig müad,
Desweg'n muass ih inih schon umschau'n um a guats Quartier.
Aber ah a bissei lusti soll's sein.
D'rum mach' ih mih glei unter's Gebäu herein.
1) .1. Bedier, Les Fabliaux etc., Paris 1893, S. 121. Die zweite Auflage dieses
schönen Buches habe ich nicht einsehen können, man vergl. über ihre Bedeutung die Aus-
lassungen in der Romania, Jauuar 1895, No. 93, S. 135, und zu den Theorien des Ver-
fassers Rua, Gior. Stör, della letteratura Italiana, 1895, S. 385.
130 Reiterer:
Zum Meister gewendet, lässt sich die Diern schelmisch vernehmen:
Zuerst miass ih wohl 'n Herrn Moaster frog'n,
Sonst möcht' er mih glei davonjog'n.
Wenn ih a mol mit eahm bin gleich,
Dann ih inih ah zum Bauern schleich'.
Der Bauer is a guater Mon,
Er nimmt mich g'wiss on.
Dann fährt sie fort:
Bin gar von der Türgei aufnganga
Und kunnt nirgends 'n Zimmerer derlanga.
Aber noch longer Zeit hot sich's g'schickt,
Und ih moan, es hot mir glückt.
Sein thua ih a arme Trangin1),
Weil ih muass so umanondatangin.
Bin so dick und konn mih kaum rühr'n,
Wenn's lauter Fett'n war', wurd' ih's weit weniger gspür'n.
Aber so grippelts und grappelts, es is a Graus,
Dass's mir immer fürkimmt, es is krat aus.
Ih hon schon hin- und herstudiert, wer dron is schuld,
Da hat mir a alt's Weib g'sagt: „Hab' Geduld,
Es wird sih schon zum Guat'n wind'n,
Sobald du wirst die Zimmerer flnd'n!"
Und so hon ih g'suacht Tog und Nocht,
Endli hob' ih 'n Treffer g'mocht.
Nun wendet sich die Diern an die einzelnen Zimmerleute. Zum einen
spricht sie:
Oanr is dabei a junger, a longer,
Der is mit mir im Vorjohr Haselnussenbrocken gongen'-').
Sein' Nom' hob ih nit könn' im Gedächtnus derholt'n,
Aber dös woass ih, huier hob'n s'n zu der Militär g'holfn.
Dem werd' ih mih z'erst präsentier'n,
Und werd ihm a bissei 'n Busch'n spendir'n.
Und zu anderen:
Zwoa junge Bauern san ah dabei,
Von dö lad' ih jed'n zu wos ein.
Oaner hat allerhond Sochen,
Der könnt' mir g'wiss Windel und Patschen mochen.
Oan Ding thuat mih aber am meisten z'rütten,
Dass ih gor oan muass zum Gfottern bitten.
Dabei wendet sich die Diern an einen anderen und fährt fort:
Den werd ih, moan ih, find'n in der Mitten.
Sein thuats a junger a kloaner,
Und wohnen thuat er drob'n am Roaner (Rain).
Wird der mir die Gfotterschoft onnehmen?
1) ein armes Mensch. [In Tirol bedeutet die Tranggin eine unbescheidene Weibs-
person (Scbmeller), in Kärnten eine ungeschickte, leiblich und geistig schwache Lexer .]
2) Damit meint sie den Geliebten, den man auch „Juck er" nennt.
Volkssprüche aus dem Ennsthal. 131
Zu einem anderen:
0 ih werd' halt müassen 'n Urlauber kemrnen?
Er darf wohl solche Sochen lern',
Weil er eh bald wird a Bauer werd'n.
Und oan Ding, dös woass ih g'wiss,
Wenn's fürkimrnt, es is a Ries',
Den könnens nit zur Tauf trog'n,
Da müassens schon noh'n Kutscher hob'n.
Zum Betreffenden hindeutend:
Da passet a dicker, a kloaner guat,
Er tragt kurze Hosen und 'n grean Huat.
Er tragt Augengläser und dös recht feini,
D'rum is er zum fohr'n recht schleuni.
Zletzt möcht ih mih 'n Kopf obistöss'n,
Denn auf oan Ding hätt' i bald vergöss'n:
Ih brauch ah recht nothwendi a Wiag'n,
Wo ih eppen dö werd' herkriag'n?
Aber ih woass es, es is g'wiss oaner dabei,
Der was versteht von der Tischlerei.
Die Sprecherin fasst nun einen anderen Zimmerer ins Auge:
Wenn der ah a Bauer is, so is er doch so guat,
Dass er mir a Wiag'n mocha thuat.
Um die Lad'n muass ih halt "n Sogschneider i'rog'n,
Der konn mir eppn doh g'wiss oan onsog'n.
Zu den Übrigen:
Und die onder'n san wohl ah alle meine guat'n Freund",
ih bin koan oanzigen davon feind.
Drum wünsch' ih oll'n a lautes: „Glück auf!",
Dass bei koan oanzigen a Unglück tritt auf.
Oft kommt es vor, dass man das Mädchen, damit es nicht fortfahre,
mit Wasser begiesst. Angedeutet sei noch, dass nach dem Dachstuhlauf-
setzen das Firstmahl kommt, bei dem es bis tief in die Nacht hinein
fröhlich zugeht.
IL Nicht minder merkwürdig sind die mannigfachen Gasseisprüche,
welche der Bub, welcher fensterin — im Ennsthale sagt man gassein —
geht, den Dorfmädchen zum Fenster hineinraunt. Sie sind wie die Zimmer-
sprüche meistens derb und spöttisch *).
Es ist eine laue Sommernacht. Ringsum im Dörfchen herrscht Ruhe,
nur hier und da bellt ein Kettenhund. Die Häuser sind alle geschlossen.
Der Mond scheint hell über den Dächern. Keine Seele regt sich. Nur
sieh da, wer schleicht dort bei einem Gehöfte herum? Ein Gasselbub
1) [Auch in Kärnten sagt man gassein. Kärntner Gassireime hat Lexer mitgeteilt in
Frommans Zeitschrift Die deutschen Mundarten V, 1)9 f. und in seinem Kärntischen Wörter-
buch 109 f.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. 9
132 Reiterer:
ist's. Er zieht eine Maultrommel aus seinem Sacke und musiziert. Dann
wird zum Fenster hineingelispelt:
Dicksbuschen, Dacksbuschen, drei Kreuzer is a Gruschen.
Host mih nix g'hört dahertusch'n mit mein' sagrischen Pederbusch'n?
Dirndl, darfst nit hob'n so'n Stulz,
Dein Bettl is a glei von Hulz,
Ober mein's is von Sommt und Seid'n
Und mog denna nit dahoam bleib'n.
Und die Schöne antwortet im Innern:
Geh Bual, darfst nit hob'n so'n Stulz,
Dein Bettl is von Hulz,
Ober mein's is mit Gold- und Silbernäg'l b'sohlog'n,
Do muast der Bua öfter onfrog'n.
Darauf der Bub:
Dirndler, Dirna, steht's auf zwirner (Zwirnmachen),
's kimmt der Schneider vom Oberlond,
Mocht euch 'n schön's neu's Sunntigwond:
Hinten und vorn oans voll Folt'n,
Hanz, möchts mih nit über Nocht dogholt'n?
Oder: Ha, Dirndl pli, plo,
Heut bin ih holt ah amol do!
Mit mein' Säbel und Deg'n,
Dirndl, hast mir koan Arbeit z'geb'n?
Han, Dirndl, 'n schön Gruass,
Dass ih woass, wia ih onfensterln muass.
Onfensterln thua ih gern schön,
Möchst mir nit aufmocha geh'n?
Und im Winter, wenn es kalt ist, setzt der Bub wohl auch bei:
Aufmachen geh nur bold,
Der Wind geht gor kolt
Her zu der Wond,
Es is' a Schond.
Ih thua mih schon beüeissen,
Wennst mih thuast einiheissen.
Ein anderer Gasseispruch beginnt:
Dirndl, bist stulz?
Dein Bettl is eh glei von Hulz.
Oan Nachterl bin ih dahome blieb'n,
Hat es olles durcheinonda trieb'n.
Hob Rührmilch gsponnen, Backscheiter ghechelt
Und Schnupftobak klob'n
Auf'n Apfelbaum drob'n.
Dirndl, magst vor Stulz nix sog'n?
Oder steckt dir a Kochlöffel im Krog'n?
Greif eini unter d'Hüll
Und züach'n aussn beim Stiel.
Volkssprüche aus dem Ennsthal. 133
Noch einer, der alte formelhafte Scherze enthält:
Dirndl, steh' auf g'schwind,
Der Brunntrog' rinnt,
Der Heuraffer hot g'stiert,
Roat es aus, wenn er wird!
Bin kemrn zu a strohernen Kirchen,
Mit die Schlitten haben s' z'sammg'läutft
Und a rupferner Pforra hot a haberne Mess' g'lesen,
Bin eh sieb'n Jahr sein Ministrierbua g'wesen,
Bin eahm unter die Kutten g'sessen,
Hab eahm 'n Strick obg'messen:
Neun Zoll lang und eppes dick,
Ha, Dirndl, dös war a Kreuzerstrick.
Bemerkt sei, class es noch viel derbere Gasseisprüche giebt, weshalb
wir ihrer nicht weiter gedenken können. Nur das Fragment eines 120 Vers-
zeilen langen Spruches wollen wir noch bringen:
Wissen's wo 'n Reichen, da wird's zum Springen,
Damit's Heirot'n thuat gelingen.
Sehen s' aber 'n armen Tuill,
Da gebn's sich nit gar wuill.
Leider dass es thuat,
Es treibt mir in den Kopf 's Bluat
Vor lauter Gift und Goll,
He, he und vor .... quol.
Der Mensch, der Mensch, wenn er will,
Holtet aus gor viel.
Aber dass er sih soll lassen vom Dirndl fexier'n,
Da müssts eahm wohl fehle beim Hirn.
Oder nit, mei habe Katberl?
Du bist a rechts Schratter],
Schritterl, Tuiferl, Teufel,
Das sag ih ohne Scheu und Zweifel.
Und wennst nit anders wirst,
So du noch monehn Buam verführst.
Hihi, hiha,
Du bist a Habe Kräh,
Du bist a Habe Galster (Elster),
Bist a mein' Zalster. u. s. w.
III. Auf die Glöckel- oder Klöckelsprüche übergehend, sei vor
allem bemerkt, dass es in der Gegend um Aussee üblich ist, am Drei-
königabend glöckeln (bair. klöpfeln, anklopfen) zu gehen. Ärmere Leute
ziehen von Haus zu Haus, klöckeln (klopfen) an und sprechen ihre Sprüche.
Man beschenkt sie mit Gaben, zumeist mit den Klöckelkrapfen.
Der Klöckler redet beispielsweise zum Fenster hinein:
Bäu'rin thua nur brav Kröpfen bochen, Und a Pfannerl voll Koch1),
Aft wird mir schon 's Herz aflochen. Dös wünsch' ih mir denna
A Multer voll Kröpfen Vor'n Sterb'n eh noh.
1) Das Schmalzmus nennt man auch Koch.
134 Reiterer:
Und man entgegnet zum Fenster hinaus:
ßuama, was wöllts denn drauss"?
Oder san Klöckler vor'n Haus?
Seid's Mander oder Dirn,
Oder braucht's 'n haber'n Zwirn?
Sieb'n Ell'n long und drei dick,
He, Bua, dös war' a Kreuzerstrick!
Ein anderer Klöcklspruch lautet:
Ja, mein liabe .... Muatter,
Hon a Hosen ohne Unterfuatter,
Und soll so long in da Kält'n steh'n?
Gib mir 'n Krapfen, aft werd ih bald weitergeh'n.
Geh umi über die Tauern,
Dort kimrn ih zu 'n Bauern,
Bei dem die Henn die best Kuah is,
Ha, dös is g'wiss. ')
IV. Wunschsprüche. So manche Dirne wünscht sich einen Ehmami.
Der heilige Anton von Padua gilt vornehmlich als Heiratspatron. Ein
Wunschsprüchel, das sich auf ihn bezieht, ist:
Heiliger Anton von Padua,
Schick mir 'n Monn und just koan Haderer
Und ah 'n Rothkopferten not,
Dös war' a Gfrött.
Am Andreasabende (29. auf den 30. November) kommt bei der Bauern-
dirne das Wunschsprüchel zur Geltung:
Andreas, Andreas,
Du heiliger Monn,
Blick nieder auf mich,
Mein Elend sieh on.
Himmelaus, himmelein,
Sei St. Andreas mein.
St. Andreas komm durch die Thür
Und trinke etwas von mir.
Solches sagt die Dorfmaid, wenn sie zwei Trinkgläser, das eine mit
Wasser, das andere mit Wein gefüllt, auf den Tisch gestellt hat, damit
S. Andreas komme und von einem Glase trinke. Wird vom Wein ge-
trunken, kommt ein reicher Freier, in anderem Falle ein armer.
Manches Mädchen ruft auch zum hl. Andreas den Spruch empor:
Heiliger Andreas,
Ich bitt dich um was,
Lass mir erscheinen
Den Herzliebsten meinen.
Dabei stellt sich die „Löselnde" zum Brunnentrog, um im Wasser
den zu erblicken, der ihr Mann wird.
1) Klöckelsprüche sind auch in Kärnten üblich, vgl. Lexer, Kärntisches Wörterbuch 161.
Volkssprache aus dem Eunsthal. 135
Zu St. Thomas nimmt man auch Zuflucht. In der Thomasnacht kommt
der Wuuschspruch beim Weichselbaumschütteln zur Anwendung:
"Weichselbaum, ih schüttel' dih,
Thomas, ih bittel dih,
Lass mir a Hundert bell'n,
Wo sih mein Monn thuat meld'n.
Am Neujahrsabend raunt der Bauernbub seinem Liebchen zum Fenster
hinein :
Dirndl, ih wünsch' dir a glücklich's Johr,
A Christkindl mit kraust'm Hoor,
Ih wünsch' dir 'n gottsfreudig'n Leb'nslanf
Und dass d' amal kommst in den Himmel 'nauf.
Ab und zu mag mancher Verliebte die letzte Verszeile wohl auch
dergestalt variieren, dass es heisst:
Schön's Dirndl, mach 's Fensterl auf!
Beiläufig sei erwähnt, dass im steirischen Unterland zur Zeit der
Jahreswende die Neujahrsgeiger herumziehen. Es sind dies Dorfmusiker,
die Neujahrwünschen gehen, um sich dabei eine kleine Summe zu ver-
dienen. Die Neujahrsgeiger, wie man im Unterlande sagt, singen z. B.:
Wir bringens Euch in Freuden dor,
Wir wünschen Euch a glücklich's Johr.
So g' freut Euch oll mit reichem Scholl
Zu diesem neuen Johr.
Oder: Fried und Freud und langes Leben
Das woll' Euch Gott vom Himmel geb'n.
So g'freut Euch oll mit reichem Scholl
Zu diesem neuen Johr.
In der Zeitschrift „Der Steirer-Seppl" war im Jahrgang 1801, S. 18
zu finden, dass nach der Mitteilung eines Landgeistlichen in der nordöst-
lichen Steiermark bei Vorau die Neujahrsgeiger die Wunschsprüche kennen:
Was wünsch' ma dem Hausherrn, was wird ihm liab sein?
Der Beutel voll Dukaten oder gar viel im Schrein.
Viel Glück zu seim Rind, zum Pferd und zum Schwein,
Im Herbst a schön's Lesen (Weinlese), viel Troad und viel Wein.
Was wünsch ma da Hausfrau, was wird sie denn liab'n?
Viel Glück in ihr'n Hausstand, und a Kind in der Wiag'n.
Die Speiskammer finster, die Küchel schön liacht,
Wenn sie was kochen will, dass dabei siacht.
V. Mancherlei Volkssprüche beziehen sich auf einzelne bemerkens-
werte Tage des Jahres.
Zur Zeit der Sonnenwende tanzt der Ennsthaler um die „Sonnawend-
fuierler" und singt den Spruch:
Sonnawend', Sonnawend', | Dass mich nit 's Fuier brennt,
Dass ih bald z'heiraten kumm, | D'rum tanz ih um.
■[36 Reiterer:
Zur Osterzeit geht der Bub zur Seinen: ums rote Ei. Dabei raunt
er den Spruch :
Dirndl, hiaz bin ih do um die roten Oa',
Gibst mir oans oder koans oder gor zwoa?
Ha, Dirndl, die vorige Nocht,
Da hab' ih glocht, hab'n mih die Dirndl ausg'mocht.
Hab'n g'sagt: Ih kunnt nit 's Liab'n,
Sullt mih bald weiterziag'n
Vom Pauli-Bekehrung-Tage (25. Januar):
Pauli Bekehr,
Der halb Winter hin, der halbe her.
Das Wachsen des Tages nach der Wintersonnenwende geschieht, wie
sich der Enusthaler ausdrückt, iu der Weise:
Zu Weihnachten um 'n Mnckenzoan,
Zu Neujahr um 'n Hohnschritt.
Zu Dreikönig um 'n Monntritt,
Zum Süassen-Nomen-Jesu (20. Januar) um 'n Hirschensprung
Und zu Liachtmess um a ganze Stund'.
Beim Almabtrieb bindet man in der nordwestlichen Steiermark dem
Stier ein Holztäfelchen auf die Stirn, auf dem ein Sprüchlein steht. Beim
vulgo Christerbauer in Tiemlern bei St. Martin an der Salzach ist der
Almspruch:
Ich lasse die Alm in guter Ruh
Und geh schönstens heimzu
Und sind jetzt da, ich und die Küah
Und bitten den Bauer um's Winterquartier.
Im Thale angekommen, sagt der „Stiertreiber" den Spruch auf:
Ich wünsche Glück ins Haus,
Und Unglück heraus.
Ich wünsche dem Bauer beim Vieh den Segen,
Denn an Gottessegen ist alles gelegen.
Auf den Fasching bezieht sich:
Im Fasching braucht der Teufel neun Haut
Sei's von Vieh oder Leut'.
Von der Mettennacht (Lichtmess) heisst es:
Lichte Metten, finstere Heustadel.
Und umgekehrt:
Finstere Metten, lichte Heustadel.
Am Sylvestertag spöttelt der Enusthaler:
Der Sylvesttag ärgert den Bauern vor oll'n,
Die Brieftosch' die hot er und die Knecht' soll'ns zohl'n.
Ergötzlich ist der „Wetterspruch." für den Fall, dass es regnet, während
zugleich die Sonne scheint. Da meint man:
Wenn d'Sunn' scheint und 's thuat re(g)na,
So streicht der Tuifl sein Lena (Grossmutter).
Volkssprüche aus dem Ennsthal. 137
Auch die Witterung bezieht sich weiter:
Auf dem Abend rot,
In der Früh' d'Sunn' ins G'schrott.
Und: In der Früh rot,
Auf d'Nocht paschts ins Kot (regnet es).
Zu den Ensthalerischen Wettersprüchen gehört auch:
Donnerstags schön,
Mag 'n Freitag nit überstehn.
Nichts weniger als zart ist:
's Weib oersterb'n
Is 'n Bauer koan Verderb'n,
Aber 's Ross verrecken
Mag 'n Bauer schrecken.
Ergötzlich klingt der Spottspruch des Oberlandes:
Wenn ih'n Monn brauch,
Geh ih af Untersteier,
Durt kriag ih um 'n Gruschen
'n Eselsgeier (einen sehr grossen).
Um Donnersbach behaupten die Bauernbursche von den Gasselbuben :
Montags geh'n d' Hoamlichen,
Dienstags die Schönen,
Mittwochs die Kropferten,
Donnertags die Krumpen
Und Freitags die Lumpen.
Samstags geh'n die Krapfenbettler
Und Sonnstags da hats jeder gnötler (eilig).
Hübsch finden wir:
Wia d'Schüssel, so d'Scherb'n,
Wia 's Mehl, so die Nocken,
Wia 's Kraut, so die Ruab'n,
Wia der Voda, so die Buam.
Bekannt ist, dass man Leibesübel von irgend einem Sympathie-Doktor
abbeten lässt. Ich teile solchen Zauberspruch mit. Während der Be-
schwörer mit einer Luchszehe über eine Stelle des Körpers fährt, murmelt er:
Auf meine Kraft muasst du vertraun,
Darfst auf eig'ne Hülf nit baun,
Sunst könnt ih mein Ziel verfehln,
Darfst nur mih zum Helfer wähln.
Blitz, Gott, Dunner, olli Heiligen,
Mög'n sich bei mein Werk beteiligen.
Kriz, Kreiz, nebenfahl,
Jetzt sei dir gholfen und allewal.
138 Eeiterer:
Das Geklapper der Dreschflegel ahmen die Dreschersprüche nach. Im
Winter, wenn alles Leben erstorben ist, stört nichts die Ruhe des Dorfes
als das monotone Gepolter, wenn es zu Zweien geht:
Strumpf, Schuah, Strumpf, Schuah.
Im Takte zu Vieren ähnelt es:
Hund, stich d'Rotz o; Hund, stich d'Kotz o!
In grösseren Bauernhöfen wird gewöhnlich zu Sechsen gedroschen.
Es geht da:
Beim Tichel, beim Tachel,
Beim Sauschneider Tachtel,
Beim Tichel, beim Thor
Und beim Sauschneider Thor.
Oder: Den zipferten Kröpfen
Den werd' ma schon pocken.
In der Tenne des Grossbauern lassen sich ihrer acht vernehmen:
Hiwer, Hawer, Hawerhaggl,
Hiwer, Hawer, Hawerhaggl.
Bei Hochzeiten im Ennsthale ist es gebräuchlich, dass der „Braut-
führer" (Ceremonienmeister) bei der „Danksagung" um die mitternächtige
Stunde vor dem Weissen (Geschenke geben) allerlei scherzhafte Hochzeits-
sprüche zum besten giebt, die sich auf einzelne Hochzeitspersonen beziehen.
Es kann da gehört werden:
Ich erblicke den Jungherrn N. N., a lustiga Bua,
Drum lossen 'n die Weiberleut' gar koan Ruah.
Z'nachst war er gern bei a schün' Sennerin blieb'n,
Da hat er sich wohl saggrisch in den Küahmist verstiegn.
Musikanten, dem zu Ehr'n,
Lasst Eure Instrumenter hörn.
Hiaz erblick' ich den Forstwart N. N., es gebührt ihm alle Ehr',
Denn er is für die Arbeiter gar a guater Herr.
Dos hob ih schon selber erkennt und betracht't,
Wie er für seine Holzknecht 'n Garns gschossen hot.
Musikanten, dem zu Ehr'n u. s. w.
Ferner erblick' ich den N. N., ein guter Eisschütz,
Er trifft mit'n Stock ') und ah mit der Buchs.
Aber beim Stöger Eisschiessen war er vull Zürn,
Weil er 'n Herrn Lehrer sein Schneidergsöll is wurd'n.
Musikanten u. s. w.
VI. Nun etwas über Haussprüche. Der sinnige Brauch, die Häuser
mit Sprüchen zu zieren, ist schon sehr alten Ursprunges. Gegenwärtig
findet man nur noch an alten Gebäuden derlei Sprüche, bei neuen kommen
1) Eisstock, ein hölzernes Instrument zum „Eisschiessen".
Volkssprüche aus dem Ennsthal. 139
sie selten mehr in Anwendung.1) Bei meiner Wanderung in der Steier-
mark traf ich vornehmlich Haussprüche bei Handwerkern. Ein Tischler
schreibt ans Haus:
Ich bin der Meister Hobelmarin,
Der auch draxeln und schnitzeln kann.
Wers nit glaubt, der komm herein
Und bestell' einen Schrank oder Schrein.
Der Herrgottsschuster im Sulmthale liess über seine Hausthür malen:
Der Herrgottsschuster bin ich,
Lass Gott allein nur walten,
Mach' lieber stets die neuen Schuh
Als flicken immer d'alten.
Ein Schneidermeister begrüsst seine Kunden bei Admont im Ennsthale:
Ich bin der Schneber weber,
Der hübsche Kleider machen kann.
Ich Sprech es frei stets von der Leber,
Dass der nur ist ein ganzer Schneidersmann,
Der d'Hosen den Grossen und den Kleinen
Kann richtig messen bei den Beinen.
Ein Fleischhauer im Kainachthaie liess auf seinem Schild anbringen:
Der Ochs, der hat ja Fleisch und Bein,
Ichs jeder Kundschschaft sage,
D'rum müssen auch die Knochen d'rauf
Zum Fleisch bei meiner Wage.
In einem Bauernwirtshause in der Umgebung von Irdning ist zu lesen:
Borgen macht Sorgen
Zur heutigen Zeit.
Willst borgen, komm' morgen,
Wirst nit hinauskeit. 2)
Nicht uninteressant ist der Hausspruch eines Kaufmannes in Aigen:
Willst du schlechte Ware kaufen,
Darst du nicht auf den Jahrmarkt laufen.
D'rum, o Kundschaft, komm herein,
Hier wirst du bedienet fein.
Bei einem Bauernhause steht:
Kurz ist das Leben, lang ist die Zeit,
Drum, o Mensch, denk' an die Ewigkeit.
1) Vgl. Ilwof, Allerlei Inschriften aus den Alpenländern (Unsere Zeitschrift III,
278—85) und L. v. Hörmann, Haussprüche aus den Alpen, Leipzig 1892.
2) keit = geworfen. Kann auch die Bedeutung von „beleidigt" haben, z. B. Jetzt
hab' ich mei' Dirndl umkeit. Oder: Die Herr'n sind leicht umkeit.
140 Königsbcrger:
Ans dem Reiche der altjüdischen Fabel.
Von Rabbiner Dr. B. Königsberger.
Das Bestreben der Sittenlehrer der alten Völker, auf die Massen
fördernd und belehrend einzuwirken, scheint frühzeitig darauf geführt zu
haben, in Umschreibungen, aber nicht minder drastischer Durchführung
der Gedanken moralische und geistige Gebrechen zu geisein, wie auf den
hohen sittlichen und praktischen Wert seelischer Tugendhaftigkeit hinzu-
weisen. Um diejenigen nicht zu verletzen und öffentlicher Beschämung
preiszugeben, welche sich durch den ausgesprochenen Tadel getroffen
fühlen sollten, kleidete man, wollte man der Wirkung seiner Mahnrede
um so sicherer sein, diese in eine mildere Form. Hierzu eignete sich von
den mannigfachen Dichtungsarten die Fabel am meisten; denn die Menschen
Hessen sich lieber von Tieren und Pflanzen belehren, als wenn ihnen
Tadler und Mahner in Menschengestalt vorgeführt wurden. Die Getroffenen
konnten sich sonst gereizt fühlen, und ihre Verstimmung machte sie ver-
stockt; die anderen aber, welche als schadenfrohe Zuhörer die Beschämung
ihrer Genossen wahrnahmen, ergingen sich in Spott und böser Nachrede,
ohne selbst etwas zu lernen.
Für denjenigen nun, der jedwelche Kunstrichtung in der Litteratur
der Völker forschend durchgeht, ist es wichtig und anregend zugleich,
ihrem Ursprung nachzugehen und zu prüfen, wo sie ihre Entstehung ge-
funden. Und auf dem Gebiete unserer Fabellitteratur wird gerade wegen
des scheinbar geringen altklassischen Stoffes jener Zweig der jüdischen
Volkslitteratur vernachlässigt, welcher des Interessanten genug bietet und
schon wegen seines hohen Alters Beachtung verdient; denn die hebräische
Fabel ist die älteste, welche wir finden und datieren können1).
Zwei Denkmäler der altjüdischen Fabellitteratur begegnen uns schon
in den alttestamentlichen Büchern der Richter (9, 8 — 15) und der Könige
(II, 14, 9). Die erstere Fabel ist in jenem Gleichnis enthalten, das Jotham,
der Stiefbruder des tyrannischen, grausamen Abimelekh, anstimmte, als er
die Treulosigkeit der Bewohner Sichems beleuchten wollte: „Einst gingen
die Bäume aus, sich einen König zu suchen. Sie sprachen zum Oliven-
1) J. Landsberger, Über die Fabel bei den Hebräern, Jabrbucb „Achawa",
Leipzig 1866 (0. Leiner), S. 116—138; derselbe, Die Fabeln des Sopbos (Einleitung),
Posen 1859; S. Back, Die Fabel in Talmud und Midrasch, in „Monatsschrift f. Gesch. u.
Wissensch. d. Judentums", Jahrg. 1875, 1876, 1880, 1881, 1883 und 1884; B. Königs-
berger im „Israelit", Jahrg. XXXIII (Mainz 1892), Wissensch. Beilage zu No. 2, 14, 26,
42, 94. Vgl. auch E. Kalischer, Parabel und Fabel bei den alten Hebräern, in „Allgem.
Zeitung des Judentums", Jahrg. 55 (Berlin 1891), No. 23-26. G. Levi, Parabeln, Le-
genden und Gedanken aus Thalmud und Midrasch, übertragen von L. Seligmann, Leipzig
1863, S. 229. 297. 302. 365. D. Ehrmann, Aus Palästina und Babylon. 2. Aufl. Wien
1892, S. 66-75 (III. Fabeln 1-21).
Aus dem Reiche der altjüdischeu Fabel. 141
bäume: Sei Du unser König! — Der aber sprach: Soll ich etwa aufhören,
mit meinem Öl Gott und die Menschen zu ehren, um über Euch zu
herrschen? Und sie gingen zum Feigenbaume und riefen ihm zu: So
komme Du und herrsche über uns! — Soll ich etwa, sprach dieser, meiner
Süssigkeit und schönen Frucht entsagen, um unter Euch meine Wipfel zu
schütteln? Auch der Weinstock, dem die Bäume das Szepter ihrer Würde
anboten, entgegnete ablehnend: Soll ich meinen Most preisgeben, der Gott
und Menschen erfreut, um über Euch zu schweben? — So sprachen denn
alle unfruchtbaren Holzbäume — denn von solchen ist die Kede — zu
dem zu ihnen gehörigen Dornstrauche, dessen Bild auf Abimelekh passte:
Komm! Werde unser König! Und der Dornstrauch nahm unter der Be-
dingung und Voraussetzung treuer Anhänglichkeit und der Androhung der
Vernichtung bei etwaigem Abfalle die Herrschaft an und setzte sich eine
Dornenkrone aufs kahle Haupt. — Wir erkennen schon aus den Akteuren
dieser Fabel, dass sie eine dem jüdischen Volke eigentümliche ist. Denn
die in derselben zu Königen designierten Fruchtbäume waren für das
religiöse Leben des jüdischen ATolkes von hervorragendster Bedeutung.
So fand einerseits der Olivenbaum mit seinem feinen Öle, andererseits der
Weinstock mit seinem herrlichen 'Franke täglich beim Opferdienste Ver-
wendung. Und dieser Würde sind sich beide wohl bewusst, wenn sie sich
rühmen, Gott und die Menschen mit ihrem Ertrage zu erfreuen. Der
Feigenbaum kam zwar im Tempel nicht in Gebrauch — und deshalb
nennt er sich auch nicht zugleich Labsal Gottes und der Menschen — ,
aber er gehörte wenigstens zu denjenigen Früchten, durch welche das
heilige Land ausgezeichnet war. Da nun jene drei die Herrschaft ablehnten,
ward die Krone dem diu reu Dornstrauche angeboten, dessen Weihe darin
bestand, dass sich einst in seinem Feuer die göttliche Majestät Mose
offenbart hatte, ohne von den Flammen verzehrt zu werden. Und jetzt
droht er mit dem von ihm ausgehenden Feuer als Geisel für etwa beab-
sichtigten Treubruch.
Einer zweiten ähnlichen Fabel begegnen wir in der Geschichte des
Königs Amazjah von Iudah. Dieser forderte, nachdem es ihm gelungen
war, Edom zu besiegen, den König Joas von Israel zum Kampfe heraus.
Letzterer aber antwortete ihm mit folgendem Gleichnisse: Einst sandte die
Distel auf dem Libanon zur Ceder des Libanon: Gieb meinem Sohne deine
Tochter zur Frau! Doch flugs stürmte das Getier des Berges über die
Distel dahin und zertrat sie.
Meines Erachtens wären diese beiden Fabeln von den etwa zur Zeit
Salomos im Umlauf gewesenen, bezw. damals gedichteten zu unterscheiden,
falls man annehmen dürfte, dass damals, von Salomo vielleicht angeregt,
eine bedeutende Anzahl hebräischer Fabeln im Volksmunde vorhanden
gewesen wäre. Dies scheint jedoch unwahrscheinlich zu sein. Denn gerade
der Umstand, dass man nur eine oder zwei derartige Dichtungen kannte,
142 Königsberger:
welche nicht selbständig1 existierten, sondern zur Veranschaulichung-
zweier historischer Facta dienten, stimmt zu der weiterhin durchgeführten
Behauptung, dass zuerst nur die Naturfabel existierte. Ja, es lässt sich
diese Annahme noch weit genauer erweisen, zumal wenn man erwägt,
dass als Vertreterin der ältesten Gattung dieser Dichtungsart eigentlich
nur die Fabel aus dem Buche der Richter gelten kann, wo sich die
Pflanzenfabel noch rein erhalten hat, während die zweite, aus der Geschichte
des Königs Amazjah, schon die durch die salomonische Kunst-, bezw. Tier-
fabel eingetretene Verbindung beider Richtungen aufweist. Gleichwohl darf
auch sie, wie erwähnt, als Natur-, bezw. Volksfabel bezeichnet werden.
Abgesehen davon nun, dass beide erwähnten Fabeln jüdischen Ursprungs
sind, sind sie auch die ältesten, welche wir kennen. Denn sowohl die
indische Sammlung „Pantscha-Tantra" (d. h. Fünfbuch), wie die Fabeln
des Hitopadesa bleiben um 1000 Jahre hinter ihnen zurück1), und selbst
wenn man Äsop als eine historische Person ansieht, so lassen sich doch
die nach ihm benannten Fabeln frühestens zwei Jahrhunderte nach den
beiden palästinensischen datieren. Die hier etwa zu betrachtenden syrischen,
bezw. arabischen Fabelsammlungen sind überhaupt jungen Datums2).
Wir erkennen nun aus Obigem, dass Pflanzenfabeln früher im Umlauf
waren als Tierfabeln, wenn man auch zugeben muss, dass das Volk der
Hebräer schon früh auch die Fähigkeiten und den Instinkt der Tiere
belauschte. Aber vollkommen ausgebildete Fabeln sind in der ältesten
Zeit nur der Pflanzenwelt entlehnt und dienen vornehmlich zur Veran-
schaulichung historischer Ereignisse, an das Leben sich anschliessend. —
Das Vorhandensein einer Kunstfabel dürfen wir seit König Salomo
datieren. Von ihm heisst es im 1. B. Kön. 5, 13. 14: „Und er sprach von
den Bäumen, von der Ceder des Libanon bis zum Ysob s), der aus der
Wand hervorwächst, und er sprach von den Tieren des Landes, den Vögeln,
den Kriechtieren und den Fischen." Es ist hierbei weder daran zu denken,
dass Salomo etwa die Sprache dieser Wesen verstand — dem widerspricht
der Ausdruck — noch an blosse naturwissenschaftliche Studien, da im vor-
hergehenden Verse davon berichtet wird, dass König Salomo 3000 Maschal,
d. h. Gleichnisse oder Fabeln verfasst habe. — Natürlich musste eine
solche Dichtung, die sich hierdurch zugleich als originell erweist, allge-
meines Interesse erregen, wie es denn auch im Schlusssatze jener Stelle
heisst: „Und es strömten Menschen von allen Nationen herbei, um Salomos
1) Über die Entlehnung indischer Fabeln aus der hebr. Litt. vgl. Grätz, Monatsschr. f.
Gesch. u. Wissensch. d. Jud., Jhrg. 23 (1874), S. 383 u. dazu Grätz, Gesch. d. Jud., I, 348. Note.
2) Vgl. z. B. Fahles de Logman le Sage publie par J. Derenbourg, Berlin 1850, Preface.
3) Hitzig äussert in seinem Kommentar zu den Sprüchen Salomonis (Zürich 1858),
S. XVI, die Vermutung, es habe eine alte, Salomo zugeschriebene Fabel Sammlung
gegeben, die den Titel „Mischle Esob (= Ysob)" oder einen ähnlichen Namen geführt
habe. Dieser Name einer Fabelsammlung sei vielleicht in Griechenland in „Sprüche
des Asop" umgewandelt worden!
Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel. 143
Weisheit kennen zu lernen, von allen Königen der Erde, soweit sie von
seiner Weisheit gehört." Es scheint also, dass diese Art der Dichtung
auch in Phönizien vollständig unbekannt war, zu dessen damaligem Könige
Hiram Salomo nahe Beziehungen unterhielt, und so spricht auch dieser
Umstand für das hohe Alter der hebräischen Fabeldichtung.
Wir entnehmen nun dem angeführten Berichte aus dem 1. Buche der
Könige über Salomos Fabeldichtungen noch ein ferneres, interessantes
Moment. Hatten wir nämlich früher eigentlich nur von Baumfabeln gehört,
so erhalten wir hier zum ersten Male Kunde von der Gattung der Tier-
fabeln, und zwar als einer besonders behandelten Dichtungsart. Denn
in unterscheidender Redewendung wird uns daselbst berichtet: „Und
er redete von den Bäumen .. u, worauf es nochmals einleitend heisst:
„Und er redete von den Tieren ..." Leider sind uns von dieser dichte-
rischen Thätigkeit des weisen Königs nur wenige Spuren in den „Sprüchen
Salomos" enthalten. Dort heisst es z. B. Kap. 6, 6—8: „Geh' zur Ameise,
Fauler, und lerne von ihrem Thun! Sie hat keinen Herrscher, keinen
Gebieter und bereitet doch im Sommer ihr Brot und sammelt in der Ernte-
zeit ihre Speise!"1) Und aus den prologartig einleitenden Worten: „Geh'
zur Ameise, Fauler, und lerne von ihrem Thun", auf welche dann die
belehrende Schilderung des Wesens der Ameise folgt, ersehen wir in höchst
interessanter, deutlicher Weise, wie Fabel und Gleichnis belehrend wirken
sollten. — Ganz besonders aber ist für unseren Zweck das vorletzte,
30. Kapitel der „Sprüche" heranzuziehen, wo in parallelen Zusammen-
stellungen die charakteristischen Eigenschaften gewisser Tiere angeführt
werden. Vielleicht hat auch die spätere Ausdeutung der bezüglichen
Stellen des Spruchbuches zu einer talmudischen Lesart vom Charakter
desselben Anlass gegeben, aus der man. meines Erachtens irrtümlich, auf
das ehemalige Vorhandensein eines inzwischen verloren gegangenen tal-
mudischen Fabelbuches hat schliessen wollen (Brüll, Jahrbb. II, 152 ff.).
Zu erwähnen sind hier noch zwei Verse gegen Ende des alttestament-
lichen Buches Koheleth (Prediger) 12, 9. 10, die ebenso wie 12, 13—14
ein späterer Zusatz zu sein scheinen. Zwar besteht heut die allgemeine
Annahme, dass dieses Buch einer sehr späten, vielleicht der spätesten
Epoche der hebräischen Litteratur zuzuweisen sei. Da aber darüber keine
Meinungsverschiedenheit herrscht, dass die im Buche redend auftretende
Person der jüdische König Salomo sei, zumal sich Koheleth selbst den
Sohn Davids und König zu Jerusalem nennt und seine Berichte über seine
Weisheit und Erkenntnis, seinen Reichtum und seine Bauten, seine Pracht
und seineu Luxus vollkommen dem legendären Bilde Salomos entsprechen,
so erscheint es gerechtfertigt, wenn wir oben genannte Stelle aus Koheleth
1) Einige recht interessante Schilderungen aus dem Leben und Treiben der Ameisen
finden sich im Midrasch Deuteronomium rabbah (ed. Wilna) V, 2 (s. die Übersetzung von
A. Wünsche). Vgl noch L Lewysohn, Die Zoologie des Talmuds. 1858. § 454, S. 328 ff.
144 Königsberger;
schon hier, vor der Betrachtung der eigentlichen prophetischen Schriften
näher ins Auge fassen. Die genannte Stelle ist wohl am besten folgen der-
niassen wiederzugeben: „Und wertvoller, als dass Koheleth selbst weise
war, ist der Umstand, dass er dem Volke Erkenntnis lehrte und auf Grund
persönlicher Beobachtungen und eingehender Prüfungen viele Gleichnisse
(Meschalim) verfasste. — Denn Koheleths Bestreben war darauf gerichtet,
angenehme Worte (Erzählungen) zu finden und doch treffend die
Wahrheit zu schreiben." In den letzten Worten ist das Wesen und
der Zweck der Fabel durchaus gelungen gekennzeichnet. Noch deutlicher
geht aber dieser Sinn aus der chaldäischen Paraphrase, dem Targum, des
Koheleth hervor. Das Targum umschreibt die beiden angeführten Sätze
mit folgenden Worten: „Und mehr noch als alle anderen Menschen war
Salomo, welcher Koheleth genannt wird, weise, und er lehrte auch dem
Volke des Hauses Israel Erkenntnis, hörte auf die Stimme der Weisen,
durchforschte die Bücher der Weisheit und von prophetischem, von Gott
ausgehendem Geiste verfasste er Bücher der Weisheit und Gleichnisse
geistiger Betrachtung (1371^3101 tvYltt) in grosser Menge. — Es
wollte nämlich König Salomo, welcher Koheleth genannt wird, Moral
predigen über die Regungen des menschlichen Herzens, welche unbeobachtet
sind (""TlD *6si) . . ." —
Wir hätten schliesslich noch die Bilder in Betracht zu ziehen, unter
denen die Propheten des jüdischen, alttestamentlichen Schrifttums ihre
Mahureden besonders gegen das jüdische Volk weithin verkünden. Wenn
man sich namentlich in die Anschauungen, die damals herrschend und
verbreitet gewesen sein mögen, sowie in die Verhältnisse, unter denen das
jüdische Volk damals lebte und in denen es zu den Nachbarvölkern stand,
hineinversetzt und zugleich die Aufgabe der Fabel in Betracht zieht, so
ist man versucht, sie als zu unserer Abhandlung gehörig anzusehen. Wenn
man aber unseres Wissens bisher die prophetischen Gleichnisse
bei der Behandlung der jüdischen Fabellitteratur überhaupt nicht berück-
sichtigt hat, so ist das wohl dem Umstände zuzuschreiben, dass die hohe
Begeisterung und der religiöse Eifer, mit denen jene Reden gehalten
wurden und, gleich schwungvoll niedergeschrieben, den Lesern erfüllen
und ebenfalls begeistern und so den Gedanken verscheuchen, man habe
es hier etwa mit richtigen Fabeln zu thun. In Wirklichkeit aber erwecken
jene Reden den Schein, als wären sie fabelartige Poesien. Diese An-
schauung scheint durch Ezechiel 21, 5 vollends bestätigt zu werden. Von
früheren Bildern abgesehen, schildert der zur Zeit der Zerstörung des
ersten jüdischen Tempels durch Nebucadnezar (586 v. Chr.) lebende Prophet
Ezechiel in dem berühmten „ Adler ge sieht" (Kap. 17) den heran-
stürmenden babylonischen Eroberer. In der Einleitung der Prophetie heisst
es: „Und das Wort des Herrn ward mir, sprechend: Menschensohn! bilde
ein Rätsel und mache ein Gleichnis über das Haus Israel." Hier finden
Aus dem Keiche der altjüdischen Fabel. 145
sich also gleichfalls die bezeichnenden Worte: T£Ö TttfÜl, der terrainus
für Fabeldichtungen, bezw. ■ Gleichnisreden. Alsdann folgt die berühmte
Schilderung des „Adlergesichtes". Dasselbe lautet: „Sprich: Also spricht
der Herr Gott: der grosse Adler, mit grossen Flügeln, langen Schwingen,
vollem Gefieder, bunten Farben, kam zum Libanon und nahm den Wipfel
der Ceder. — Das höchste Reis brach er ab und brachte es in ein Krämer-
land, in eine Stadt der Händler versetzte er es. — Dann nahm er vom
Gespross des Landes und brachte es in ein Saatfeld, that es an reiches
Gewässer, in einen Weidenbruch versetzte er es. — Da spross es und
ward zum rankenden Weinstock, niedrig an Wuchs, dessen Zweige zu ihm
sich wandten und dessen Wurzeln unter ihm waren; so ward er zum Wein-
stock, der Ranken trieb und Laub gewann. — Und es war ein anderer
Adler, gross, mit grossen Flügeln und reichem Gefieder: und siehe, nach
diesem wandte schmachtend der Weinstock seine Wurzeln und streckte,
dass er ihn tränke, nach ihm seine Zweige von dem Beete aus, darin er
gepflanzt war. — Und doch war er in ein gutes Feld, an reiches Gewässer
gepflanzt, um Zweige zu treiben und Früchte zu tragen, ein prächtiger
Weinstock zu werden. — Sprich: also spricht der Herr Gott: Wird er
gedeihen? Wird jener nicht seine Wurzeln ausreissen und seine Früchte
abschlagen, dass er verdorre und alle seine spriessenden Blätter verdorren?
Doch nicht mit grosser Macht und vielem Volke braucht er ihn hinweg-
zureissen von seinen Wurzeln. — Denn siehe, wenn auch gepflanzt, wird
er gedeihen? Wird er nicht, als hätt" ihn der Ostwind getroffen, verdorren?
Auf dem Beete, darin er gesprossen, wird er verdorren." — Wenn wir es
vermögen, uns von dem poetischen Schwünge ein wenig zu befreien, in
den uns die gewaltige Prophetie versetzt, so könnten wir in diesem Bilde
das Wesen einer Fabel entdecken, worauf ja auch die oben angeführten
einleitenden Worte des Propheten hinzuweisen scheinen. Bemerkt sei
noch, dass nunmehr auch die Deutung, bezw. die Lehre des Bildes folgt,
die wir, weil für unser Thema ohne Belang, übergehen wollen. — Und
steht es mit dem Inhalt des 19. Kapitel des Buches Ezechiel anders? „Du
aber heb' ein Klagelied an um Israels Fürsten, — und sprich: Was ist
deine Mutter? Eine Löwin, unter Löwen lagernd, erzog in junger Leue
Mitte ihre Jungen. — Und eins von ihren Jungen zog sie auf: ein junger
Leu wards, der Raub zu rauben lernte, Menschen frass. — Da dies die
Völker von ihm hörten, ward er gefangen in ihrer Grube; sie brachten
ihn mit Nasenringen ins Land Ägypten. — Und als sie sah, dass sie ver-
lorener Hoffnung harre, nahm sie von ihren Jungen eins und erzog es zu
einem jungen Leu. — Der wandelte in der Löwen Mitte, der Raub zu
rauben lernte, Menschen frass, — in die Paläste brach und ihre Städte
verwüstete, dass sich das Land und was darinnen vor seinem lauten Brüllen
entsetzte. — Da stellten sie Rotten gegen ihn auf, rings von den Land-
schaften und breiteten ihr Netz wider ihn; in ihrer Grube wurde er
146 Königsberger:
gefangen. — Sie warfen in den Käfig ihn mit Nasenringen Deine
Mutter in deinem Gleichnis (?) war wie eine Weinrebe, an Wasser gepflanzt;
fruchtreich und astreich war sie von vielem Gewässer. — Da wurden ihr
Zweige, kräftig zu Herrscherstäben, und ihre Höhe wuchs an unter dem
Laubwerk, dass sie sichtbar ward durch ihre Höhe, durch die Fülle ihrer
Ranken. — Aber sie wurde herausgerissen in Grimm, zu Boden geworfen,
und der Ostwind dörrte ihre Frucht, abgerissen und verdorrt wurden ihre
kräftigen Zweige, Feuer verzehrte sie. — Und nun ist sie in die Wüste
verpflanzt, in trockenes und durstiges Land. — Denn Feuer ging aus von
einem Ast ihrer Zweige, verzehrte ihre Frucht, dass nicht ein Zweig,
kräftig zum Herrscherstab, mehr an ihr ist ..." Mit Bezug auf solche
Gleichnisreden, welche zumeist mit dem für die Fabel gebräuchlichen,
allgemein gefassten Ausdruck btt?!2 (inaschal) bezeichet werden, heisst es
denn auch Kap. 21, 5: „Ich aber sprach: Ach, Herr Gott! Diese sprechen
von mir: redet er nicht in Gleichnisreden? (K1H D^WQ hütete *6n)u.
Wenn also auch diese prophetischen Bilder nicht direkt als Fabeln auf-
zufassen sind, so streifen sie den Charakter derselben doch sehr scharf,
oder man darf vielleicht sogar sagen, ihnen liegen Fabeln zu Grunde.
Und das sei im allgemeinen für die prophetischen Bilder bemerkt!
Das talmudische Zeitalter bricht heran! Mit der Darstellung der
sozusagen „fabelhaften" Thätigkeit der Talmudlehrer verbinden wir wohl
am besten die Kenntnisnahme von dem einschlägigen Inhalt der alten
homiletischen Werke der jüdischen Litteratur, welche unter dem Gesamt-
namen des „Midrasch" einbegriffen sind. — Wir übergehen hierbei die
Thätigkeit des weisen Hillel, da die Nachricht über seine Kenntnisse und
Dichtung von Fabeln nicht genügend verbürgt ist (nur Traktat Soferim
XVI, 9). Dagegen ist uns von dem im ersten nachchristlichen Jahrhundert
lebenden Rabban Jochanan ben Sakkai verschiedentlich bezeugt1),
dass er „keine Wissenschaft unbeachtet gelassen und u. a. auch die Gleich-
nisse der Füchse und der Wäscher, die Gespräche der Dattelbäume 2), der
1) Sukkah 28a, Baba bathra 134a. S. auch Back a. a. 0., Jahrg. 1876, S. 27 ff.;
Königsberger a. a. 0., No. 2, S. 39, Anra. 14.
2) Im talmudischen Lexikon „Arukh' des Nathan ben Je chiel (1100) wird folgende
Erklärung aus den Responsen (der Geonim) angeführt: An windstillen Tagen breiten
kundige Leute zwischen den einzelnen Dattelbäumen leinene Decken aus, ohne dass diese
sich bewegen. Dann beobachtet man, indem man sich zwischen zwei bei einander stehende
Bäume stellt, wie sich die Zweige derselben gegenseitig neigen, und nach gewissen Gesetzen
erkennen Kundige die Bedeutung dieser Bewegungen. — Nathan fügt hinzu, dass der um
828 lebende Gaon Abrabam die „Gespräche der Dattelbäume" noch verstanden habe.
Derselbe hatte wohl daher seinen Beinamen Kabasi. S. Kohut, Aruch comf,letumVl,21a.
Vgl. hierzu M. Sachs, Beiträge zur Sprach- und Altertumsforschung, 2. Heft, S. 169.
Nach R. Gerschom ben Jehudah, „Leuchte des Exüs" (um 1000), zu Baba bathra a. a. 0.
bedeutet es die Fähigkeit, durch Zauberformeln ein Feld plötzlich mit Dattelbäumen
anzufüllen oder solche zu entwurzeln und verschwinden zu lassen, ähnlich wie das Be-
schwören oder Citieren übernatürlicher Geister.
Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel. 147
Geister und der Engel kennen gelernt", und was hier von dem Schüler
mitgeteilt wird, hat mau eben leicht auf dessen Lehrer Hillel übertragen.
— Unter den „Gleichnissen der Füchse" {mischle schualim) haben wir ohne
Zweifel die Tierfabel zu verstehen. Auch Berechjah ben Natronai
ha-naqdan (in der Mitte des 13. Jahrh.; vgl. Zuuz, Zur Geschichte und
Litteratur, Berlin 1845, S. 117) nannte, wie er selbst am Ende seiner
Fabelsammlung sagt, seine in gereimte Verse gebrachten Fabeln deshalb
speziell „Fuchsfabeln", obgleich doch auch gar viele andere Tiere in
ihnen redend und handelnd eingeführt werden, ja, in vielen der Fuchs
überhaupt nicht vorkommt, weil sich der Fuchs vermöge seiner Schlauheit
(Berachoth 61b) die Herrschaft über alle Thiere erobert hat. (Vgl. auch
Lessing in seinen Litteraturbriefen, 30. Brief, ed. Lachmann, Bd. 6, S. 53;
dagegen Mendelssohn in der Bibliothek der schönen Wissensch. u. d.
freien Künste, Leipzig 1762, Bd. 3, Stück 1, S. 74.) Beachtenswert ist
hierfür noch, dass, während es im ethischen Traktat Aboth IV. 15 heisst:
„Sei lieber der Schweif der Löwen als der Kopf der Füchse!", der jerusa-
lemische Talmud (Sanh. IV. 22b) ein inhaltlich umgekehrtes Sprichwort
anführt, welches lautet: „Sei lieber der Kopf der Füchse, als der Schweif
der Löwen!" — Wir kommen auf die Fucbsfabeln noch zurück. Was
jedoch unter den„Gleiclinissen der Wäscher" (mischle kobsin) zuverstehen
ist, ist immerhin schwer zu sagen1). Denn es lässt sich nicht gut annehmen,
dass hierbei auf den Wert des Geschwätzes, wie wir es heut den Wasch-
frauen nachrühmen, Bezug genommen werden sollte, wenn wir auch in
den talmudisclicn Quellen bisweilen mehr oder weniger gelehrten
Wäschern oder Walkern begegnen .Man wäre nun am ehesten geneigt,
den interessanten Ausführungen des Airmeisters der jüdischen Wissenschaft,
Zunz, zu folgen, der in kobes ein gleichlautendes aramäisches, bezw.
arabisches Wort (Sabbath 67a, Makkoth 8a) wiederfindet, das soviel als
„Weidenbaum" bedeutet, und man konnte demnach in den Gesprächen
der Dattelbäume und der Bachweiden, der fruchttragenden und unfrucht-
baren Bäume die Pflanzenfabeln wiedererkennen. Dann aber ginge,
wie überhaupt aus der ganzen Mitteilung, hieraus vielleicht hervor, dass
es nicht in Palästina einheimische geistige Produkte waren, sondern bereits
vollendete auswärtige Sammlungen. Rabban Jochanan ben Sakkai lebte
zur Zeit der zweiten Tempelzerstörung durch die Römer, und die vielen
Beziehungen, welche Judäa mit auswärtigen Völkern, namentlich Rom
und Griechenland, unterhielt, könnten unseren Meister, wie viele seiner
1) Vgl. J. Egers, Der Walker. Ein Charakterbild. Kobacks Jeschurun VI, 185 bis
190 (deutsche Abtlg.). B Königsberger. Miscellen aus der jüdischen Altertumskunde
Na VII (Jüd. Litteraturbl. 1891, No. 40). Es ist auch die Ansicht ausgesprochen worden,
dass die „mischle kobsin" nichts anderes seien, als „die Fabeln eines Kibysos (Kybisos)",
von denen der griechische Fabeldichter Babrios in seinem Proömium zu den Fabeln spricht
(Roth in „Heidelberger Jahrbücher der Litteratur" 18(30, No. 4, S. 55).
Zcitsclir. (1. Vereins f. Volkskunde
10
148 Königsberger:
Zeitgenossen dazu geführt haben , sich auch mit der fremdländischen
Litteratur zu befassen.
In etwas späterer Zeit, in der Mitte des 2. Jahrh. d. gew. Zeitr., war
es besonders R. Meir, der grosse Schüler des grossen R. Aqiba, welcher
sich nach dem Vorbilde seines Lehrers die Fabeldichtung in hervorragendem
Masse angelegen sein Hess. Mit aufmerksamem Sinne scheint R. Meir
erkannt zu haben, dass es nach der Vernichtung der Selbständigkeit des
jüdischen Volkes und wegen der dadurch bedrohten Pflege des Gesetzes-
studiums durchaus notwendig wäre, das Volk durch die leichter fassliche
und anziehende Agadah vor dem Verluste des religiösen Bewusstseins und
Gottvertrauens zu bewahren. So wird uns denn im Talmud (Sanh. 38b)
berichtet, dass jener berühmte Lehrer dreihundert1) Fuchsfabeln gekannt
habe, die aber im Laufe der Zeit bis auf drei wieder vergessen worden
wären. An derselben Stelle erfahren wir nun auch, dass R. Meir das
Pensum seiner öffentlichen Vorträge im Lehrhause in drei Teile einzuteilen
pflegte, indem er in ihnen Gesetzesvorschriften, homiletisch-exegetische
Auseinandersetzungen und Gleichnisse, d. h. wohl auch Fabeln, vorbrachte.
An diesen Vorträgen nahmen auch bisweilen einer oder mehrere der vor-
erwähnten Wäscher teil, und sie waren hierdurch bisweilen in der Lage,
durch die Wiedergabe der in ihnen vernommenen halachischen Erörterungen
in zweifelhaften Fällen Aufschluss zu geben. Es dürften demnach diese
Wäscher eine bestimmte Kategorie von Menschen und von anderem Schlage
als unsere Waschfrauen gewesen sein, wenn sich auch die sonstige Be-
schränktheit der Wäscher in dem wohl sprichwörtlich gewordenen Satze
ausspricht: „Wenn der Esel auf die Leiter steigen wird, wirst du Einsicht
bei den Wäschern finden." Zugleich würde aber hierdurch die angeführte
Erklärung Zunzens, so geistreich sie auch zu sein scheint, stark erschüttert.
— Es war daher für mich von grossem Interesse, bei meinen früheren
kunstgeschichtlichen Studien griechischen Inschriften zu begegnen, in denen
gleichfalls Wäscher (nicht Wäscherinnen), wie im Hebräischen und
Phönizischen, ebenso wie Ärzte und Schauspieler neben ihren Namen auch
ihre geschäftliche Thätigkeit namhaft machen. Wäscher aber waren für
Athen, und wohl auch in gleichem Sinne in Palästina, von grosser Wichtig-
keit2). Dabei bleibe nicht verschwiegen, dass die Wäscher nicht beständig
einer und derselben Beschäftigung oblagen, wie aus einer Talmudstelle
hervorgeht (Baba bathra 19 a und Raschi daselbst).
Auch von dem im nachfolgenden Geschlechte lebenden Bar Kappara,
der überhaupt als Dichter viel gerühmt wird, sind uns im Talmud einige
1) Wohl eine runde Zahl, vgl. Landsberger, d. F. d. S. XXIV ff. A. IHumenthal,
R. Meir, S. 98, Anm. 2. Asarjah de Eossi, Meor Enajim {ed. Wien 1830, p. 139 b ff.)
IV, 20. B. Königsberger, Miscellen etc., No. XIV (Jüd. Litteraturblatt 1891, No. 44),
u. Anm. 6. Vgl. noch Raschi zu Sanh. 7b, Tosephoth zu Jebam. 109b (Stichw. CTII')-
2} Vgl. meine oben (S 147, Anm.) erwähnte Miscelle.
Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel. 149
herrliche satyrische Proben erhalten; doch von seiner Fabeldichtung sind
uns keine direkten Proben aufbewahrt geblieben. Im Midrasch Koheleth
rabbah zu 1, 3 heisst es jedoch: Einst veranstaltete Kabbi (sc. Jehudah
ha-Nassi I, der Redaktor der Mischnah) ein Gastmahl zu Ehren seines
Sohnes (gemeint ist die Hochzeitsfeier, wie es im Jalkut Simeoni z. St.
auch deutlich heisst: R. Simon, der Sohn Rabbis, heiratete) und lud alle
Gelehrten ausser Bar Kappara ein. Da ging dieser und schrieb auf eine
Thür des Hauses Rabbis: „Alle deine Freude führt zum Tode; was bleibt
dir also von deiner Freude?" Rabbi aber, dies bemerkend, fragte: „Wer
hat das gethan?" Und die Gelehrten erwiderten: „Bar Kappara, den du
einzuladen vergessen! Es ist eine Schande für ihn". Da veranstaltete
Rabbi ein zweites Mahl und lud zu demselben ausser seinen früheren
Gästen auch Bar Kappara ein. Dieser aber erzählte bei jeder Speise, die
man ihm vorsetzte, 300 Fuchsfabeln, welche den Gästen so gut gefielen,
dass sie die Speisen kalt werden und unberührt liessen. Als dies Rabbi
bemerkte, fragte er seinen Tafeldiener: „Wieso kommt es, dass die Speisen
unberührt abgeräumt werden?" Der aber erwiderte: „Wegen jenes Alten,
der dort sitzt und bei jedem Gericht, das aufgetragen wird, 300 Fuchs-
fabeln erzählt; darum werden die Speisen kalt und nicht gegessen." Da
ging Rabbi zu ihm und fragte ihn, warum er nicht esse. Bar Kappara
aber antwortete: „Damit du nicht glaubst, dass ich gestern jene Worte
nur aus Verlangen nach deinem Mahle aufgeschrieben und darum heut
deiner Einladung gefolgt bin. Ich that es nur, weil du mich nicht mit
meinen Genossen eingeladen". — Kurz sei darauf hingewiesen, dass auch
der in weit späterer Zeit lebende R. Josua ben Levi, einer der be-
deutendsten Agadisten, einen wesentlichen Anteil an der uns beschäftigenden
Litteratur des jüdischen Volkes hat. Wie weit er jedoch selbständig und nicht
vielmehr reproduktiv thätig gewesen, lässt sich nach dem talmudischen
Ausspruch; „Mit dem Tode des R. Meir hörten die Fabeldichter auf"
(Mischnah Sota IX, 15) nicht bestimmen. (Doch siehe weiter.) —
Greifen wir nun aus dem Fabelschatze der talmudischen Litteratur
Einiges heraus. — Da wTird von R. Aqiba erzählt1), dass er trotz des
Verbotes der römischen Regierung, zur Zeit der hadrianischen Verfolgungen,
öffentlich die Thorah lehrte. Pappus ben Jehudah, der ihn bei dieser
Beschäftigung antraf, machte ihn auf das Gefährliche seiner Handlungs-
weise aufmerksam. Ich will dir eine Fabel erzählen, entgegnete R. Aqiba:
Einst bemerkte ein Fuchs, der am Ufer eines Flusses spazieren ging, wie
die Fische in grossen Haufen von einer Stelle zur anderen eilten. „Warum
flieht Ihr?" rief er ihnen zu. — „Wir fürchten uns vor den Netzen, die
uns die Menschen stellen". — „So kommt doch lieber zu mir aufs Trockene
1) Berachoth 61b. Ein entsprechendes Gleichnis findet sich Abodah zarah 3b. Vgl
, Israelit" a. a. 0, No. 14, Anm 1.
10*
150 Königsberger:
herauf; da können wir in Frieden bei einander wohnen, wie einst auch
unsere Väter friedlich zusammenlebten". — „Bist Du wirklich das klügste
unter den Tieren, wie man dich nennt? Du bist nicht klug, Du bist ein Thor.
Wenn wir schon in unserem Lebenselement nicht sicher sind, um wieviel
eher würde uns der Tod ereilen an einem Orte, wo uns jede Bedingung
zum Leben fehlt!" — Nennen wir die eben erwähnte Fabel: „Der Fuchs
und die Fische", die nächste: „Der Fuchs im Weinberg": Ein
Fuchs fand einst einen ringsumhegten Weinberg, in dessen Zaun er eine
Öffnung bemerkte. Diese war aber zu klein, um ihn durchzulassen. Der
Schlaukopf fastet drei Tage, wird mager und schlüpft hindurch. Als er
sich aber an den Früchten des Weinbergs gesättigt hat, kann er nicht
wieder heraus, sodass ihm, da er sich vor der Gefangennahme fürchtet,
nichts anderes übrig bleibt, als von neuem drei Tage zu fasten und wieder
all sein Fett einzubüssen, das er durch seinen diebischen Frass gewonnen.
In seinem Galgenhumor ruft er dann aus: „Weinberg, Weinberg! Wie
schön bist Du und wie herrlich sind Deine Früchte ! Doch was bleibt mir
davon?"1) — Im folgenden geiselt der erwähnte R. Josua ben Levi die
Unüberlegtheit! Es war einmal eine Schlange. Deren Schweif sprach
zum Kopfe: „Bisher zogst du voran; nun will ich es thun." Gesagt, gethan.
Doch bald führte der Schweif die Schlange in eine Wassergrube, bald ins
Feuer, bald in ein stechendes Dorngestrüpp; und dies waren die Folgen
davon, dass der Kopf dem Schweife folgte2). — Ein Zeitgenosse des
genannten Lehrers, R. Judan bar Simeon, bedient sich zur Erläuterung
seiner exegetischen Vorträge folgenden Gleichnisses: Der Steppenhund
und der Wolf. Einst raubte ein Wolf ein Schaf aus einer Herde. Ein
Hund aus der Ferne sah dies, fing zu bellen an und wollte auf den Wolf
einbeissen. „Warum streitest Du mit mir"?, schrie ihn der Wolf an.
„Nahm ich etwTa ein Schaf von der Steppe, zu der Du gehörst? Nein!
nur von der Herde des hier ansässigen Hirten! Was ficht das Dich an?"
Man hat angenommen, dass diese Fabel einen Protest gegen das in jener
Abhängigkeitsperiode des jüdischen Volkes um sich greifende Denunzianten-
wesen bilden sollte und dass, um ihm besseren Erfolg zu verschaffen, sich
der betreffende Gesetzeslehrer gerade dieser Form einer Mahnrede bediente.
Aber es scheint bei strengerer Einzelprüfung, dass die erwähnte Fabel nur
zur Erläuterung der Bibelexegese diente. Lehnt sie sich doch auch an
die Erzählung der hl. Schrift von der offensiven Stellung an, welcher der
Moabiterfürst Balaq nach der Besiegung der ostjordanischen Könige ein-
1) Koheleth rabbah zu 5, 14 (ed. Wilna p. 16 c); mit einigen Varianten Kohel. suta
z. St. (ed. Buber 104); Jalkut Simeoni z. St. § 972. Vgl. Back a. a. 0., Jahrg. 1880,
S. 31 ff.
2) Deuteronomium r. zu 1, 18 (ed. Wilna 1, 10), Jalkut z. St. § 802 und Teil IT,
§ 961 zu Sprüche 26, 17. — Eine auf die Schlange, als Sinnbild der Verleumdung, Bezug
habende Parabel s. Koheleth rabb. zu 10, 11 (Arachin 15b, Taanith 8a).
Aus dem Reiche der altjüdischen Fahel. 151
zunehmen entschlossen war. Israel aber musste Balaqs Beginnen befremdlich
erscheinen, zumal es Moabs Gebiet — wie jener Wolf — gar nicht einmal
zu betreten gewillt war. — In verschiedenen Variationen tritt uns eine
Fabel entgegen, welche eine bescheidene, ruhige Thätigkeit empfiehlt1):
Einst sprachen die Ströme zum Euphrat: „Warum fliessest Du so ruhig
dahin?" — „Weil ichs nicht anders nötig habe, denn an meinen Ufern
gedeihen die Saaten zur rechten Zeit und in üppiger Fülle." Da sprachen
sie zum reissenden Tigris: „Warum strömen Deine Fluten so gewaltig
aufgeregt dahin?" — „Ach, möchten sich doch auch ihre guten Wirkungen
zeigen!", erwiderte der Tigris. Und die Ströme folgten dem Euphrat. —
Auch diese Erzählung dürfte zur Schriftexegese für die Erklärung der
Genesis 2, 14 erwähnten vier Ströme des Paradieses oder zur Erläuterung
des Vorwurfes der Voreiligkeit gedient haben, welche bekanntlich Jaqob
vor seinem Tode seinem ältesten Sohne Reuben machte. Dass hierbei
gerade Euphrat und Tigris in den Kreis der Betrachtung gezogen werden,
basiert darauf, dass beide Ströme von jeher als die grossen bezeichnet
werden (Deuter. 1, 7. Daniel 10, 4). — Eine ähnliche Lehre enthält
folgende Fabel: Einst stritten Stroh. Spreu und Stoppeln um den Vorrang.
Ein jedes von ihnen behauptete, um seinetwillen sei das Feld bepflanzt
worden. „Gemach", rief ihnen der Weizen zu. „Warten wir, bis die
Sense kommt. Dann werden wirs erfahren." Und der Schnitter kam und
vollzog die Ernte. Die Spreu liess er in den Wind fliegen, das Struh
warf er zu Boden und die Stoppeln verbrannte er. Nur den Weizen
sammelte er ein und verwendete ihn zur Bereitung des Mehles2).
Wir kehren von diesen beiden alten Naturfabeln zur Tierfabel zurück:
Der Löwe und der Kranich. Als der kurze Traum der Wiederher-
stellung des Heiligtums, welche ein Erlass des römischen Kaisers (Hadrian)
genehmigt hatte, zu Ende war, und das Volk wegen der Zurücknahme
der Erlaubnis sich offen zu empören drohte, da war es der greise R. Josua
ben Chananjah, der Mann des Rates (Tos. Sota 15, 3, jerusch. und bab. ib.
Hnde), der die Aufregung beschwichtigte in einer Rede, welcher er dir
genannte Fabel zu Grunde legte und in der er dem Volke zu Herzen
führte, dass sie froh sein dürften, mit heiler Haut aus der Berührung mit
dem römischen Volke hervorgegangen zu sein (vgl. Grätz, Geschichte der
Juden, IV, 2. Aufl., S. 142. 442): Einem Löwen war einst auf einem Beute-
zuge ein Knochen in der Kehle stecken geblieben. „Wer mir denselben
herauszieht", rief er aus, „dem gebe ich eine angemessene Belohnung."
Da kam der egyptische Kranich, der einen langen Hals hat, zog den
1) Genesis rabhah IG, 3 (p. 38a), Koheleth rabb. zu 10, 11. Vgl. noch Back a. a. 0.,
Jahr- 1870, S. V2S und 130. Eine ähnliche Fabel daselbst über das Rauschen der Bäume.
2) Schir rabb. zu 7, 3 (p. 36c/d), Schocher tob II, 14 (ed. Buber 16a, Note 97),
Genesis rabb. 83, 5.
152 Königsberger:
Knochen heraus und sprach: „Gieb mir jetzt meinen Lohn!" — „Freue
Dich doch", vertröstete ihn der aus der Gefahr des Erstickens befreite
Löwe, „dass Du meinem Rachen heil entkommen bist."1) —
Überaus charakteristisch für diese Gattung der Poesie und namentlich
für die Erklärung- dos Ausdruckes „Fuchsfabeln" ist folgende Erzählung,
welche, wie aus den einleitenden Worten zu schliessen ist, ihr Autor R. Levi
im Anschluss an Gen. 33, 1 in lebhafter Bewegung dem Volke vortrug2).
Er tritt sofort in die Erzählung der Fabel ein: Der Löwe zürnte über die
Haus- und Waldtiere. Da beratschlagten sie, wer ihn besänftigen sollte. So-
gleich erbot sich der Fuchs zu dieser Sendung; er verstünde 300 Gleichnisse,
durch deren Erzählung er den Löwen besänftigen wolle. Kaum hatte er
jedoch seine Reise angetreten, als er stehen blieb und auf Befragen seiner
Begleiter erklärte, er habe 100 Gleichnisse vergessen. „Du wirst auch
mit 200 Erfolg haben", riefen sie ihm zu. Kaum war er jedoch wieder
aufgebrochen, als er vorgab, auch das zweite Hundert vergessen zu haben,
und als er mit seinen Genossen aus Ziel kam, sprach er, da er Angst
bekam: „Ich habe alle Gleichnisse vergessen. Ein jeder sehe zu, wie er
den Löwen für seinen Teil besänftige." — Die Fabel dient zur Erläuterung
der Vorbereitungen, die Jaqob traf, als er auf der Rückkehr von Laban
seinem Bruder Esau gegenübertreten sollte. Nach der Erzählung der hl.
Schrift mochte es auffallen, dass Jaqob zuerst betete, alsdann das Geschenk
herrichtete und erst zuletzt die eigentliche Vorbereitung für den eventuellen
Kampf traf. Man hätte erwartet, dass das Gebet alle Vorkehrungen für
das Zusammentreffen mit Esau beschliessen würde, und deshalb glaubte
R. Levi die Reihenfolge in der Handlungsweise Jaqobs durch obiges
Gleichnis illustrieren zu sollen.
Als Sänger offenbart sich uns der Fuchs in folgender Fabel: Einst
gab, so erzählte R. Pinchas3), ein Löwe dem ganzen Tierreiche ein Gast-
mahl und liess zu diesem Behufe die Decke seines Zeltes mit den Fellen
der von ihm erlegten, gewaltigsten Gegner behängen. Da sich nun die
Gäste freuten, dass soviele ihrer Todfeinde erschlagen waren, und sie sich
beim Mahle an Speise und Trank gütlich gethan hatten, sprachen sie:
„Möchte uns doch jemand ein Lied vortragen!" und richteten ihre Augen
auf den Fuchs. Der aber sprach: „Singet mir im Chore nach, was ich
Euch vorsinge", und indem er seine Augen nach der Decke richtete, hub
er an: „Der uns die da obeu sehen liess, möge uns auch die der unteren
sehen lassen." So hätten Mordechai und seine Gefährten gedacht: Wie
uns Gott das Hängen der Königsverschwörer Bigthan und Theresch sehen
liess, möge Er uns auch den Sturz Hamans schauen lassen; Er, der den
1) Genes, rabb. 64 Ende (Jalkut I, § 111), Tanna d'be Elijahu.
2) Gen. rabb. 78, 7 (Jalk. § 133).
3) Estber rabb. zu 3, 1 (VII, 3), Jalkut z. St. (mehr in aramäischer Sprache). Als
Autor der Fabel ist im Jalkut irrtümlich nur „Rabbi" genannt.
Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel. 153
ersteren heimzahlte, möge auch den letzteren bestrafen. — Jedenfalls bleibt
es beachtenswert, dass in der vorletzten Fabel der Fachs selbst als Fabel-
dichter auftritt und vorgiebt, 300, d. h. ebensoviele Fabeln zu keimen, als
R. Meir und Bar Kappara gekannt haben sollen. Entweder bezeichnete
man die Tierfabeln als „Fuchsfabeln", weil in einer wahrscheinlich sehr
geläufigen Fabel der Fuchs solche kennt, oder man schrieb hier dem
Fuchs die Kenntnis von 300 Fabeln — wohl einer runden Zahl — zu,
weil man in dem Berichte von R. Meirs und Bar Kapparas Fabeldichtung
von 300 Fuchsfabeln hörte und glaubte, dies seien Fabeln, die der Fuchs
vorgetragen und somit ihm zuzuschreiben waren. Der ursprüngliche, um-
fassende Name für derartige Dichtungen war „Maschal".
Wir lassen nunmehr die Fabel: „Der Esel als Zöllner" und zwar
in der Lesart des handschriftlichen Midrasch hagadol folgen, welcher, nach
einer Nachricht aus Yemen, von Abraham, dem Sohne des Maimonides,
zusammengestellt worden sein soll1). Pharao, so heisst es, wäre in seiner
Verstocktheit einem Esel zu vergleichen, welchen man als Aufseher über
den Grenzzoll gesetzt hatte, den ein jeder zu entrichten hatte. Einst zog
nun der Löwe, der König im Reiche der Tiere, und der Fuchs, der klügste
Bewohner des Feldes, vorüber. Der Esel, seines Auftrages eingedenk,
forderte auch von ihnen den Tribut. „Siehst du nicht, wies ihn der Fuchs
ab, dass du es wagst, an den König selbst deine Forderung zu richten?"
— „Wohl weiss ich es, erwiderte der Esel, und dennoch darf er nicht
weiter ziehen, bevor er den Zoll entrichtet". — „Mir scheint", mahnte der
Fuchs, „bislang batest du um den Zoll, bald aber wirst du um dein Leben
bitten. Lass also von deiner Forderung ab, bevor der König seine Hand
nach dir ausstreckt". — Der Esel mochte nicht hören. Da suchte ihn der
Fuchs durch Gestikulationen und Stösse vom Platze zu bringen; aber auch
darauf wollte jener nicht achten. Da sprach der Löwe, zornig aufblickend:
„Nicht will ich länger seine Thorheit ertragen!", warf den Esel zu Boden
und riss ihn in Stücke. Dem Fuchs aber befahl er, ihm die Stücke zum
Prass zu apportieren. Dieser aber hatte sich längst das Herz des Esels
herausgesucht und heimlich verzehrt, um nicht leer auszugehen. Die
übrigen Stücke brachte er vor den König. Als dieser das Innere des Esels
untersuchte und sein Herz nicht fand, rief er den Fuchs zu sich heran
und fragte ihn nach dem Verbleibe des Herzens. Der Fuchs aber sprach:
„Mein Herr und Gebieter! Ein Weiser, wie Du, fragt solches? Hätte
jener ein Herz besessen, wie hätte er es dahin kommen lassen, dass er
wegen des Zolles sein Leben verlor?" Der überlistete König konnte nur
die Worte des schlauen Fuchses bestätigen a). — Die Pflichttreue übrigens,
1) Vgl. D. Ho ff mann in der „Jubelschrift zum 70. Geburtstage des Dr. J. Hildes-
heimer" (deutsche Abtlg. S. 85).
2) Vgl. noch Jalkut 1, § 182, wo der Löwe mit dem Fuchs und anderen Tieren des
Feldes eine Seefahrt machen und den Hafenzoll entrichten sollen. Back a. a. 0., Jahr-
154 Königsberger:
welche hier dem Esel nachgerühmt wird, äussert sich auch auch in der
talmudischen Erzählung (Taan. 23a), nach welcher ein Langohr nicht eher
in seinen Stall gehen wollte, als bis ein Arbeiter ein Paar Schuhe ab-
genommen, die er auf dem Rücken des Esels vergessen hatte.
In einer gleichfalls von den übrigen Quellen abweichenden Darstellung
findet sich folgende Fabel im Midrasch hagadol1): Die feindlichen
Brüder. Einst war ein Hund mit einem Aase beschäftigt, als ein anderer
Hund hinzukam, um an dem leckeren Mahle teilzunehmen. Doch jener
wollte dies nicht zulassen. Als aber ein Wolf auf den Frass losstürzte,
sprach jener: „Besser ich verzehre das Stück mit meinem Genossen, als
dass sich der Wolf alles nimmt und wir beide leer ausgehen". — In
anderer Fassung2) lautet die Fabel folgendermassen: Zwei Hunde lebten
in gegenseitiger Feindschaft. Da überfiel ein Wolf den einen von ihnen.
„Besser ist es wohl", sprach der andere, „ich komme meinem Bruder zu
Hilfe; sonst tötet der Wolf erst jenen und dann mich." — Wir gelangen
nunmehr zur Fabel3): Die alte und die junge Eselin und das
Schwein. Einst hatte jemand eine alte und eine junge Eselin und ein
Schwein. Dieses bekam sein Futter ohne Mass, die beiden anderen aber
zugemessen. Da sprach die junge Eselin zur alten: „Wir, die wir für
unseren Herrn arbeiten und ihm Dienste leisten, erhalten nur ein karges
Mahl, das faule Ferkelchen aber ein reichliches!" — „Wenn die Zeit
kommt, rief beschwichtigend die Alte, werden wir schon sehen". Als der
nächste Neumond, die Kaienden4) herankamen, nahm man das Schwein
und stach es nieder. — Die Fabel, welche den Sturz Hamans illustrieren
soll, lässt die Berührung des jüdischen Volkes mit den Römern schon
durch den Ausdruck erkennen. Der Ausdruck „calendae" zur Bezeichnung
des Monatsanfangs gehört nämlich dem römischen Zeitmesser an. Doch
noch eins! Es ist eine Eigentümlichkeit der hebräischen Kunstfabel, in
ihren Vergleichen zu allgemein üblichen und bekannten Bildern ihre Zu-
flucht zu nehmen. Wir werden diese Art der Dichtung noch weiter kennen
lernen. Im Midrasch findet sich sehr häufig das WTort „Schwein" für Rom.
Der geläufige Name dieses Volkes (Eclom) führt uns auf seinen Stamm-
gang 1880, S. 75 f. Es sei hier noch auf den Midrasch Echah rahbathi I, § 37 (ed. Wilna
p. 16 a) hingewiesen, wo es unter Hinweis auf Ezech. 23, 20 (vgl. auch V- 27) heisst:
D^H^Ön iStf PlTDp n3D3 D'Hiarta wo also die Egypter mit den Eseln verglichen
werden.
1) Ebenso in den beiden Rezensionen des noch handschriftl. Midrasch Hachefez; vgl.
meine Arbeit im „Israelit'' a. a. 0. No. 42, Anm. 2. Vgl. auch Sanhedrin 105a.
2) Sifre (cd. Friedmann 59a) §157, Tanchuma lila (ed. Buber p. 67b), Numeri rabb.
20, 4, Jalkut zu Num. 22, § 765, Lekach tob z. St. (ed. Wilna) 126a. Back a. a. 0., Jahrg.
1880, S. 77 f.
3) Midr. Abba Gorion (ed. Buber p. 10b f.), Lekach tob zu Esther (ed. Buber p. 49 a).
Landsberger, Fabeln d. Sophos, Einleitung, XXXV. Back a. a. 0. 102 ff.
4) Vgl. meine „Miscelle" No. XV (Jüd. Littbl. 1891, No. 47) und meine „Litter.
Notiz" ebenda No. 52, sowie meinen Aufsatz: „Neujahrsfeste in jüd. Quellen" in Brüll,
Popul.-wissensch. Mtsbl. 1896.
Aus dem Reiche der altjüdischeu Fabel. 155
vater Esau zurück. Nun war aber (Gen. 36, 12) auch Amalek, von dem
Haman abstammte, ein Enkel Esaus, und so konnte die Fabel für Haman
dasselbe Bild gebrauchen, das sonst für Edoni = Rom gebräuchlich war.
— Während nun die vorgenannte Fabel vor einem vorschnellen Pessi-
mismus warnt, dürfte sich der folgenden, welche ich bisher nur im Alidrasch
hagadol fand;, eine Mahnung gegen einen voreiligen Optimismus entnehmen
lassen. — Anschliessend an die Handlungsweise des Juda, eines der Söhne
Jaqobs, der sich aus der Schar der selbst von Esau verschmähten Kana-
niterinnen eine Frau nahm1) und nachher ausser anderer Pein auch den
Verlust seiner beiden ersten Söhne zu verschmerzen hatte, bemerkt der
Midrasch: Dies gleiche dem Hunde, der. an einem Aase vorübergehend,
an diesem riecht und es nicht essen mag, während der Löwe, d. i. Juda
(Gen. 4!), 9), von demselben ass. Da hüben alle an und riefen: „Was der
Hund nicht verzehren mochte, frass der Löwe!" — Der durstige Wolf.
Ein W^olf hatte grossen Durst. Im Begriff in eine nahegelegene Quelle
hinabzusteigen, um denselben zu löschen, sieht er. dass diese mit einem
Netze umgeben ist. „Steig* ich herab", ruft er verzweifelt aus. „so bin ich
gefangen; wenn nicht, so sterV ich vor Durst2)." — Indem diese Fabel
gleichfalls an die Geschichte Hamans angeschlossen wird und uns die Lage
schildern soll, in der sich Mordechai, der Vetter der Königin Esther,
befand, als er vor die Alternative gestellt war, sich entweder vor Haman
zu bücken und seinen Gott zu verleugnen oder jenen zu verachten und
sich der Gefangennahme und Hinrichtung auszusetzen, lehrt sie den Hörer
durch die Zurückhaltung des zaudernden Wolfes, welcher davor zurück-
schreckt, zur Quelle hinabzusteigen, ilass der Glaube höher zu schätzen
sei als der Genuss des Lebens and <lass jener .diesem nicht geopfert werden
dürfe. — Dass zur Charakteristik Mordechais der Wolf gewählt wird, hat
seine Erklärung darin, dass er (Esther 2, 5) dem Stamme Benjamin an-
gehörte, der im Segen des Stammvaters Jaqob (Gen. 49, 27) mit dein
Wolfe verglichen wird. — Die gleiche Tendenz spiegelt sich auch in
folgender Fabel wieder, welche wir „Zwischen zwei Feuern" benennen
wollen und nach der herrlichen Fassung im Midrasch hagadol (und Midr.
hachefez) zu Exod. 14, 13 wiedergeben3). (Auch das Targum zum Hohen-
liede zu 2, 14 führt sie ausführlich an): Als Israel, von den Bgyptern ver-
folgt, am Rande des roten Meeres stand, da glich es einer Taube, die, vor
einem jungen, kräftigen Sperber fliehend, in einen Felsenspalt gerät, auf
dessen Boden eine Schlange lagert. Dadriunen kann sie nicht bleiben —
wegen der Schlange; doch auch heraus darf sie nicht — wegen des Sperbers.
1) Genes. 38, 1 f . Vgl. jedoch Pesachim 30 a, Talkut § 145.
2) Midr. Abba Gorion p. IIb (vgl. Ann. 32), Lekach tob (p. 49 a). Back 105 f.
3) Mechilta Beschallach § 2 (ed. FriedmaDn 28 b), Midi-, ponim acher. (ed. Buber) 28 a
(Note 6), Jalkut zu Esther § 1045, Targum zu Hohesl. 2, 11, Schir. rabb. z. St., Jalkut
zu Exod. § 232.
156 Königsberger:
Da schlägt sie in ihrer angstvollen Verzweiflung laut mit ihren Flügeln,
um durch das Geräusch ihren Herrn herbeizulocken, dessen Käfig sie ent-
flohen, damit er herbeikomme und sie rette. — Ähnlich ist folgende Fabel,
welche unter Bezugnahme auf die gleiche Lage des israelitischen Volkes
von Ps. 124, 7 angeführt wird (Exod. rabb. 20, 6): Eine Taube, die in
ihrem Neste sitzt, sieht eine Schlange zu sich emporklimmen. Um sich zu
retten, flüchtet sie in einen anderen Winkel; die Schlange aber dringt in
das Nest ein. Bald aber fängt das Nest Feuer; die Taube entflieht eilig,
während die Schlange verbrennt. Da die Taube in ihrer Angst weiter
hin- und herfliegt, ruft man ihr zu: Warum eilst du unaufhörlich von Ort
zu Ort? Und die Taube findet wirklich ein schönes, geräumiges Nest und
lässt sich darin nieder. —
Bezeichnend für den dem Judentume zu Grunde liegenden Idealismus
und seinen Hang an geistigen Bestrebungen, im Gegensatze zur materia-
listischen Anschauungsweise des alten Römerreiches, ist die nachfolgende
Erzählung1) vom „Streit der Glieder": Ein König lag einst krank
darnieder, und die Ärzte verordneten ihm als einziges Heilmittel die Milch
einer Löwin. Bald erbot sich auch ein Mann, dieselbe zu beschaffen, wenn
man ihm zehn Zicklein mitgäbe. Mit diesen machte er sich auf und
begab sich in die Höhle, wo eine Löwin ihre Jungen säugte. Durch das
Vorwerfen der Ziegen hatte er sich die Löwin bald zutraulich gemacht,
und so gelang es ihm, ihr die nötige Milch zu entziehen. Auf dem Rück-
wege verfiel er in einen tiefen Schlaf und hatte folgenden Traum: Die
Glieder seines Körpers stritten um den Vorrang. Zuerst nahmen ihn die
Füsse für sich in Anspruch: denn wären sie nicht hingegangen, so hätte
ihr Herr die Milch nicht bringen können. Sodaun erklärten sich die
Hände als die vorzüglichsten Teile, da sie die Milch abgezogen; hernach
die Augen, die ihm den Weg gezeigt, und schliesslich das Herz, das ihm
den guten Gedanken eingegeben. Da rief ihnen die Zunge zu: „Ohne
mich wäre es gar nicht so weit gekommen! Ohne mich hätte unser Herr
gar kein Anerbieten machen können!" — Alsbald entgegneten ihr ein-
stimmig alle Glieder: „Wie kannst Du es überhaupt wagen, Dich mit uns
zu vergleichen? Du, die Du innen, in einem finsteren Räume eingeschlossen
und nicht einmal mit einem Knochen gebaut bist?" — „Noch heute", er-
widerte die Zunge, „sollt Ihr erfahren, dass ich Eure Königin bin!" —
Der Mann erwachte durch den Streit der Glieder, machte sich wieder auf
den Weg und trat schliesslich vor den König mit den Worten: „Hier ist
die Milch einer Hündin!" (Er stotterte und sagte anstatt lebija, „Löwin",
kalebija, „Hündin".) Der König, über diese freche Täuschung entrüstet,
befahl, den Mann aufzuhängen. Als dieser zur Richtstätte geführt wurde,
1) Schocher tob (ed Buber p. 128a) zu Ps. 39. Vgl. Jalkut II, § 721. Back, Jahr-
gang 1880, S. 107 ff.
Aus dem Reiche der altjüdischen Fahel. 157
weinten alle Glieder bitterlich. Da rief ihnen die Zunge zu: „Wollet Ihr
mich als Königin anerkennen, wenn ich Euch rette?" Hoffnungsvoll willigten
die Glieder ein. So liess sie sich von ihnen zum Könige zurückführen. —
„Warum befahlst Du, mich zu hängen?" sprach sie zu diesem. — „Brachtest
Du mir doch Milch von einer Hündin, um meinen Tod zu beschleunigen",
erwiderte der König in seinem Zorne. — „Nicht so, o König! Es ist die
richtige Milch, die Dich heilen soll; nur nannte ich irrtümlich die Löwin
Hündin!" — Als man nun die Milch untersuchte, bestätigten sich des
Mannes Worte und er war gerettet. — Sei es nun, dass in dieser Erzählung
die Macht der Zunge und somit die Wahrheit des salomonischen Spruches:
„Tod und Leben sind in der Gewalt der Zunge" (Spr. 18, 21) dargelegt
und das Organ der Sprache als die Krone des Lebens gepriesen werden
oder unter ironischer Verhöhnung desselben das am meisten hervorgehobene
Herz, nach alter Anschaung der Sitz des Verstandes, zur Geltung kommen
soll, so bleibt es doch immerhin beachtenswert, dass die jüdische Phantasie
die Werkzeuge des Geistes in den Vordergrund stellt, während die bereits
angedeutete römische der sinnlichen Ernährung das Vorrecht zuspricht.
Es ist ja zur Genüge jene Fabel bekannt, welche Menenius Agrippa an-
wendete, um das römische Volk, das in selbstbewusstem Auflehnen gegen
die übermütigen, reichen Patrizier, diese im Stich lassen wollte und aus
Rom auswanderte, zu besänftigen und zur Rückkehr zu bewegen (LiviusII, 32).
Es war die bekannte Erzählung vom Magen und den Gliedern. Jener
Römer verwies darauf, dass ohne materielle Nahrung kein Fortkommen
sei, und diese biete ihnen Rom; die jüdische Dichtung aber giebt
dem Geiste, bezw. dessen Organen den Vorzug. — Wir wollen noch
darauf hinweisen, dass in der letzterwähnten Erzählung das Wesen der
Fabel mit einer Erzählung aus dem alltäglichen Leben des Menschen, die
allerdings märchenhaft klingt, verbunden ist. Es zeigt sich uns hierdurch
deutlich der Übergang von der Parabel zur Fabel. Wir sehen wirkliche
Verhältnisse mit Fabelhaftem vereinigt, und zwar in poetischer Kunst-
fertigkeit, indem der Dichter Phantasie und Wirklichkeit im Reiche der
Träume zusammenführte. Das Problem erwies sich jedoch in der Durch-
führung als überaus schwierig; denn bei der Rettung des Mannes durch
die Zunge hätte jener folgerichtig wieder in Schlaf verfallen müssen. —
Als Gegenstück in vorgenannter Erzählung sei folgende Fabel angeführt,
die sich an vielen Stellen1) findet und hier nach dem Midrasch hagadol
(zur Genesis) angeführt sei: Der Mund und der Magen. Einst stritten
Mund und Magen mit einander. Da sprach der Mund zum Magen: „Sieh
her! Alles, was ich erhalten, gab ich Dir willig hin." Darauf dieser
1) Genes, rahb. 100, 7. Kohel. rahb. zu 12, 6. Jer. Moed Qatan 82b, ib. Jebam. 15 c,
Jalk. zu ffiob 14 (§ 907) und zu Maleachi 2 (§ 587). Die Fabel ist angelehnt an Koh. 12, 6
und Mal. 2, 3.
158 Königsberger:
erbost nach der Tage Dreizahl dem Munde vorwarf, was er ihm gegeben.
„Hier hast Du, Thor, was Du mir schier gegeben!"
Wir haben hier noch eine vollständige Fuchsfabel zu besprechen,
welche bereits wiederholt Gegenstand der Erörterung gewesen. Einer der
angesehensten talmudischen Gewährsmänner, R. Jochanan, rühmt, wie wir
gesehen, von dem bereits genannten R. Meir 300 „Fuchsfabeln", von denen
aber nur drei auf die Nachwelt gekommen wären1). Nach altem Brauche
dienten auch sie zur Erklärung biblischer Erzählungen und Sentenzen.
Ihnen liegen folgende drei Schriftverse zu Grunde: 1. „Die Väter essen
saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf" (Ez. 18, 2);
2. „Richtige Wage, richtiges Gewicht" (Lev. 19, 36) und 3. „Der Gerechte
wird aus seiner Gefahr gerettet, und es tritt der Bösewicht an seine Stelle"
(Spr. 11, 8). — Nach einem Berichte des Gaon Hai2), des letzten Schul-
oberhauptes in Pumbeditha in Babylonien (969— 1038) hatte sich nur eine
dieser drei Fabeln bis auf seine Zeit erhalten. Sie hatte folgenden Wort-
laut: Der Fuchs sprach zum Löweu^ der ihn verzehen wollte: „Was hast
Du an mir, um Deinen Hunger zu stillen? Komm, ich will Dir einen
fetten Menschen zeigen; den kannst Du zerreissen, und Du wirst von ihm
satt werden." Der Löwe war damit zufrieden, und der Fuchs führte ihn
an den Rand einer verdeckten Grube. Auf der gegenüber liegenden Seite
sass ein Mensch und betete. Sobald ihn der Löwe erblickte, sprach er
zum Fuchse: „Ich fürchte des Menschen Gebet; es könnte mir schaden!"
— „Weder Du, noch Dein Sohn", beruhigte ihn der wieder ängstliche
Fuchs, „braucht sich zu fürchten, wenn Du Unrecht thust; erst an Deinem
Enkel wird sich die Sünde rächen. Stille nur jetzt Deinen Hunger; bis
zu Deinem Enkel ist es noch lange Zeit!" Der Löwe Hess sich bethören,
wollte über die Grube springen und stürzte hinein. Jetzt trat der Fuchs
zu ihm an den Rand der Grube und blickte zu dem Gefangenen hinunter.
„Sagtest Du mir nicht", jammerte der Löwe, „dass die Strafe nicht den
Sünder, sondern erst seinen Enkel trifft?" — „So ist es auch", erwiderte
der Fuchs; „aber schon Dein Grossvater hat wohl gesündigt, und Du musst
es nun büssen." — Da wehklagte der Löwe: „Die Väter essen saure
Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf!" — „Ja, daran hättest
Du früher denken sollen", entgegnete ihm der Fuchs. — Der bald nach
Gaon Hai lebende, wohlbekannte, grosse Bibel- und Talmudkommentator
Raschi (1040—1106) weiss von dieser Fabel nichts, hält sich vielmehr an
den Wortlaut des Talmud, indem er unter Anführung vorgenannter drei
Bibelverse eine doppelte Fabel anführt3). Er berichtet (Sanh. 39a): Einst
1) Sanh. 38 b f.
2) S. Gutachten der Geonim, ed. Harkary, S. 183, No. 362: desgl. ed. Lyck 1864,
No. 30 und Arukh s. v. maschal2. E. Chananel (zu Sanh.) weiss nur von einer, an
Ez. 18, 2 sich anlehnenden Fabel, die er als bekannt voraussetzt.
' 3) Auch der jüdische Apostat und Täufling Petrus Alfonsi (bis 1106 Moses Hispanus)
führt in seiner lateinisch geschriebenen Disciplina clericalis, in der ein Vater seinem Sohne
Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel. 159
überredete der Fuchs den Wolf, mit ihm am Rüsttage des Sabbaths einen
jüdischen Hof zu betreten und dort gemeinsam mit den Bewohnern des
Hauses (für sich) Speisen zu bereiten, damit sie dieselben am Sabbath in
aller Ruhe verzehren könnten. Kaum war aber der Wolf in den Hof
eingetreten, als Leute herbeieilten, ihn mit ihren Stöcken bearbeiteten
und in die Flucht jagten. Erzürnt wollte der Wolf den schlauen Fuchs
töten. Der aber sprach, sich rechtfertigend: „Nicht um Deinetwillen schlug
man Dich, sondern wegen Deines Vaters, der einmal den Leuten bei der
Zubereitung der Speisen Hilfsdienste leisten sollte uud alle fetten Bissen
verschlang". — „Und zur Sühne für meines Yaters Vergehen soll ich
leiden?" — „So ist es", erwiderte der Fuchs; „die Täter essen saure
Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf! Doch komm mit
mir, und ich werde Dich an einen Ort führen, wo Du Speise und Trank
im Überfiuss haben sollst". — Und der Fuchs führte den Wolf an einen
Brunnen, an dessen Rand ein Balken mit zwei Schöpfeimern lag. Der
Fuchs sprang in den oberen Eimer hinein und fuhr in die Tiefe, während
der andere Eimer in die Höhe schnellte. „Warum bist Du hinabgestiegen?"
fragte neugierig der Wolf. — ..Ich habe hier Fleisch und Käse in Menge",
sagte der Fuchs und zeigte ihm im Wasser das Spiegelbild des Mondes,
das einem grossen, runden Käse glich. Nun wollte der Wolf hinabsteigen.
Auf den Rat des Fuchses sprang er in den leeren Eimer und sofort stieg
der untere mit dem Fuchs wieder empor. — „Wie komme ich jetzt wieder
hinauf?" schrie ängstlich nach einer Weile der enttäuschte Wolf. Doch
höhnisch antwortete ihm der Fuchs: „Der Gerechte wird aus der Not
gerettet und der Frevler tritt an seine Stelle. Heisst es nicht auch:
Gerechte Wage, gerechtes Gewicht?" — Da nun. wie wir sehen, der
zweite Teil der Fabel mit zwei Bibelversen schliesst, deren letzter nur
lose anzuhängen scheint, so versucht ein Erklärer des Talmuds, R. Samuel
Edels aus Posen (gest. 1631), den Inhalt der Fabel in geistreicher Weise
zu ergänzen. Nach ihm hätte der Fuchs beim Hinabsteigen in den Brunnen,
um auch gegen eine etwaige Weigerung des Wolfes geschützt zu sein, in
den anderen Eimer einen Stein gelegt, der schwerer als er, der Fuchs,
war, und in seinen eigenen Eimer einen zweiten Stein, der wieder zusammen
mit ihm schwerer als der erste Stein war. Wäre nun der Wolf nicht
hineingesprungen, so hätte der Fuchs den kleineren Stein aus seinem
Eimer in den Brunnen geworfen und wäre dann wieder in die Höhe
gekommen. Darauf bezögen sich die Worte: Richtige Wage, richtiges
Gewicht1). —
Lebensregeln in Form von Fabeln giebt, unter No. 24 (ed. Schmidt p. 68) eine Fabel an,
welche mit Raschids Worten fast wörtlich übereinstimmt.
1) Vgl. noch Back a. a. 0., Jahrg. 1880, S 10, Ann), und meine Arbeit im „Israelit",
No. 94, S 1802b f.
160 Königsberger: Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel.
Die Angabe in letzterwähnter Fabel, dass der Fuchs dem Wolfe das
im Wasser sichtbare Spiegelbild des Mondes gezeigt, veranlasst mich, den
Rest einer allbekannten Fabel anzuführen, der mir nur im Midrasch hagadol
(zu Numeri) begegnete: Ein ehebrecherisches Weib gleicht einem Vogel,
der, ein Stück Brot im Munde haltend, zur Höhe enporfliegt und unter
sich den Schatten seines Bissens sieht, der ihm grösser zu sein scheint,
als sein Besitz. Begierig, das grössere Stück zu erhaschen, lässt er das,
welches er im Munde hat, fallen, ohne jedoch das andere zu erlangen. —
Schliesslich sei nur noch folgende Fabel erwähnt1): Ein Sisyphusvogel.
Ein Vogel hatte sich am Strande des Meeres sein Nest gebaut, Als aber
einmal das Meer über seine Ufer trat, ward des Vogels Nest überschwemmt.
Der aber verzweifelte darob nicht, sperrte vielmehr sein Schnäbelchen auf
und warf jedes einzelne aufgeschnappte Schlückchen Wasser auf das
Trockene. Sein Nachbar, der sein mühevolles Treiben beobachtete, fragte
ihn neugierig: „Womit mühst Du Dich ab?" — „Nicht will ich", erwiderte
jener, „von hier weichen, als bis ich das Meer in trocknes Land umge-
wandelt". — „Da darfst Du lange warten, Du grosser Thor!"
Noch eine Reihe anderer, sogenannter heiliger Fabeln, welche zur
Erläuterung des Schrifttextes dienen, sei hier erwähnt. So z. B. 1. Der
Mond vor Gott, sich darüber beklagend, dass er nur in der Nacht die
Herrschaft am Firmament führen solle. 2. Die Sonne und der Mond
als Anwälte Mosis bei dessen Bestrafung; sie wollen ihre Funktionen
in der Welt einstellen, wenn Gott ihren Klienten (Moses) nicht zur Recht-
fertigung zulasse. 3. Noah und der Rabe, der seinen Herrn darüber
zur Rede stellt, dass er nach der Sintflut gerade ihn und nicht einen der
reinen Vögel zur Kundschaft ausgesandt, u. a. m. Interessant ist besonders
das Alphabet vor Gott. Ein jeder der Buchstaben sucht für sich den
Ruhm aus dem Vorrecht herzuleiten, als Mittel und Werkzeug bei der
Schöpfung zu dienen. Alle werden abgewiesen. Nur das Aleph hatte
geschwiegen. Und Gott tröstete den einsamen, sich ohnmächtig fühlenden
Buchstaben, indem er die Einheit seiner Zahlengrösse mit seiner eigenen
der göttlichen Einheit vergleicht.
In aller Kürze sei noch darauf hingewiesen, dass wir in den altjüdischen
Litteraturwerken gar häufig einer Symbolisirung der einzelnen Völker be-
gegnen, indem diese bald Tieren, bald Pflanzen, bald Mineralien ver-
glichen werden, so Syrien einer Ziege, Persien einem Widder, Israel
einer Taube, Egypten bald dem Fuchs, dem Hunde, bald Stoppeln und
anderen Dingen. Das ist ein hervorragender Beweis für den überaus
phantasievollen Geist der Orientalen und liefert einen charakteristischen
1) Midr. Abba Gorion p. 12a, Lekach tob zu Esther p. 49b, Midr. ponim acher. 23b
(der Autor ist R. Levi). Ähnlich ist die Erzählung (Abodah zarah ;50a), nach welcher
eine Schlange Wasser in eine Flasche schüttet, damit der Wein in derselben in die Höhe
steige und sie ihn trinken könne.
Köhler-Bolte : Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. 161
Anhaltspunkt für die kritische Beurteilung der Entstehung der Fabeldichtung.
Wir haben gesehen, dass ihr heut nur noch fragmentarischer Charakter
reichhaltig genug ist, um zu zeigen, wie lebhaft sich die altjüdische Ge-
lehrtenwelt für diesen Dichtungszweig erwärmte, zumal er einen hohen
pädagogischen Wert aufwies, und in diesem einzigen, erziehlichen
Streben lebten die Weisen der altjüdischen Vergangenheit. Und wie hoch
auch das Studium des Gesetzes angeschlagen wurde, so standen doch die
hervorragendsten Gelehrten jener Zeit nicht an, auch die Bedeutung der
Fabeldichtung zu schätzen und diese für ihre belehrenden Vorträge zu
verwenden.
Pasewalk.
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten
sicilianischen Märchen.
Nachträge aus dem Nachlasse Reinhold Köhlers, herausgegeben von ,T. ßolte.
(Schluss von Zeitschrift VI, 58—78.)
50. Vom klugen Bauer.
[Übersetzt bei Crane No. 107. Pitre 4, 270, No. 297. Romania 3, 185.
Nicolas de Troyes, Parangon de nouvelles No. 22. Comparetti, Virgil im
Mittelalter, S. 274. Germania 24, 133. H. Sachs, Schwanke No. 32t).
Oesterley zu Gesta Romanorum No. 57. Novelle antiche ed. Papanti 1871
No. 6. C. Casalicchio, L'utile col dolce, Napoli 1G87, 1, 5, 2 = Utile cum
dulci, d. i. Anmutige hundert Historien übersetzt, Augsburg 1706, 1, No. 42.]
Les recreations fraucaises 2, 157 (1658) = 2, 107 (1662) = 2, 111 (1681)
,D'un paysan qui confondoit la doctrine des plus scavans' [= M. de Roque-
laure, Roger Bontems en belle humeur 1, 175 ed. 1757 = Amusemens
francois ou contes ä rire. Venise 1752, 2, 244]. Revue des langues romanes
31, 565 — 568: „Cinq sous que je mange chaque jour" (paye, prete, ne sais
ou diable ils passent, d. h. für Eltern, Kinder, Steuern). — W. C. Smyth,
The Persian Moonshee 1840, Story 21 (Sechs Brote: eins behalten = essen,
eins wegwerfen = der Schwiegermutter geben, zwei zurückgeben = den
Eltern, zwei ausleihen = den Söhnen geben). — Steere, Swahili tales p. 296
(Ali hat sein Vermögen in vier Teile geteilt: einen ins Meer geworfen
= an Frauen verschwendet, einen ins Feuer gethan = für Nahrung und
Kleidung verwendet, einen ausgeliehen, ohne wieder zu bekommen = seiner
Frau eine Ausstattung gegeben, mit einem eine Schuld teilweise bezahlt
162 Köhler-Bolte:
= seiner Mutter gegeben). — Hebel, Werke 1^ 204 ed. 1869: Kindesdank
und Undank (Fürst und Landmann. 15 Kreuzer täglich: 1/3 für sich, J/3
alte Schulden = an die Eltern, 1/a auf Kapital angelegt = an die Kinder).
- Dorfzeitung (Hildburghausen) 1889, No. 32 (Friedrich der Grosse und
Bauer. 8 Groschen täglich: 2 für sich und seine Frau, 2 für alte Schulden,
2 ausgeliehen ■■= an die Kinder, 2 um Gotteswillen verschenkt = an zwei
kranke Schwestern). — Feilberg, Fälleskab, S. 281.
[Zum Rätsel von den Erbsen und Tauben: Schwartz, Sagen und alte
Geschichten der Mark Brandenburg 1871, S. 55.]
51. Vom singenden Dudelsack.
[Pitre No. 79. Crane p. 40. 336. Ive JSTo. 3. Andrews No. 31.
Pineau p. 81.] Cosquin No. 26. [Köhler, Ztschr. f. rom. Phil. 2, 350 f.]
Carnoy 236. Sebillot, Contes des provinces de France No. 22. Archivio
3, 371, No. 9. Giamb. Basile 4, 25. Braga No. 54. Biblioteca de las
trad. pop. esp. 1, 196. Leite de Vasconcellos 125 f. Joos, Vertelsels van
het vlaamsche volk 1889-90, 2, No. 3. De Gubernatis No. 20. [R. Köhler,
Aufsätze 1894, S. 90 f. A. v. Weilen, Zs. f. vergl. Littgesch. N. F. 1, 105.]
52. Zaubergerte, Goldesel, Knüppelchen schlagt zu.
Pitre No. 29. 30 [= Kaden, S. 46. 118]; Nov. pop. tose. No. 29. [De
Gubernatis No. 21. Comparetti No. 7. 12. Finamore No. 37. Ortoli p. 171.
178. Bernoni No. 9. Cosquin No. 4. 39. 56. Leskien - Brugman No. 30.
Gradi, Saggio p. 181—89 (Tavolina, cavallino, mattero). Pellizzari 1, 19
(Esel, Serviette, mazza). De Nino No. 6 (Serviette, Esel, mazza). Trueba,
Cuentos de vivos y muertos: Los hijos de Mateo (Llenata cesta, Tasche,
Stock). Romero No. 41 (toalha, cabra, cacete). Sebillot 3, No. 25 (pommier,
motte de terre, boite-flüte) und 26 (grain de cheneois filets, äne, bäton).
Talbert, Dialecte blaisois 1874, p. 323. Hahn No. 43 (Esel, Krug, Stäbchen).
Schmidt No. 19 (Tischtuch, Hahn). Grönborg, Optegnelser pä Vendelbomäl
1884, S. 89 (Hone, Dug, Garnkölle). Berntsen 2, No. 8 (Hone, Dug, Pung).
Wigström, Svenska Landsm. 5, 1, 63. Leger, Contes populaires slaves 1882,
No. 17 (Le bäton enchante); vgl. Waldau 41. Grässe, Märchenwelt, S. 161.
Das angeführte isländische Märchen Arnason 2, 491 = Andersen 451 ;
das polnische Glinski 4, 106 = Godin 50. — Ferner Hibernian Tales 87.
Nerucci No. 34 [= Crane No. 32, p. 347]. Radioff 4, 363. Jecklin 1, 115.
[Archiv f. Littgesch. 10, 110. Archivio 10, 326. Imbriani, Nov. fior. No. 26,
p. 235. Matthias, Magdeburg. Zeitung 1890, Beiblatt 22-23.]
53. Von der schönen Angiola.
[Übersetzt bei Crane No 5, dazu p. 334. Gargiolli No. 2.] Pitre
No. 20 [= Kaden S. 20] (Anfang). Corazzini p. 426, No. 10. Nerucci No. 18
(vergessene Braut). Finamore No. 12, 2. Teil (Archivio 3, 368). Bernoni
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Märchen. 163
No. 12. Busk p. 3 „Filagranata". Imbriani, Nov. fior. No. 16; Nov. mil.
No. 7; Conti pom. No. 4, 4 1)is. De Nino No. 11. Consigiieri-Pedroso No. 2.
Rondallayre 3, No. 10.
An den Haaren der Jungfrau emporsteigen: Pitre No. 13. 18,
p. 167. Imbriani, Conti pom. 126 f.; Nov. fior.2 p 415. Finamore No. 4.
40. De Nino 36S. Archivio 1, 526. Nerucci. Corazzini. Braga No. 1.
Deulin, „La dame des clairs" [?].
Die Hexe lässt die Mutter durch ihr Kind an ihr Versprechen
erinnern: Pentamerone. Pitre. Imbriani. Finamore. De Nino.
55. Von Feledico und Epomata.
Drei Liebhaber bestellt und geäfft: Cosquin 2, 27 f. zu No. 32.
Carnoy No. 2. Sebillot No. 16. E. Laboulaye, Contes bleus3 1869, No. 1:
„Yvon et Finette". Archivio 1, 525, No. 10. 2, 73. Consigiieri-Pedroso
No. 4. Braga No. 6. Biblioteca de las trad. pop. esp. 1, 194. Webster 128.
Grundtvig, D. F. 2, No. 7. Bondeson No. 78; dazu Nyrop, Svenska Lands-
mann 2, CVIII. Berutsen 1, No. 25. Arnason 2, 379 = Poestion No. 26;
vgl. auch No. 10. Firmenich, Germaniens Yölkerstimmen 1, 331. [Andrews
No. 14. 21. Curtze, Yolksüberlief. aus Waldeck 1860, S. 47. No. 8.]
56. Vom Grafen und seiner Schwester.
Pitre, Fiabe No. 7 [= Kaden S. 99]; Nuovo saggio No. 3. Gargiolli,
Novelline delle Marche No. 1. Finamore No. 35. Comparetti No. 52. De
Nino No. 58. Giamb. Basile 1884, p. 93. Coelho No. 55.
57. Von dem, der sich vor nichts fürchtete.
Pitre, Nov. pop. tose. Nu. 39. 40. Comparetti No. 12, II. De Gubernatis
No. 22. Rondallayre 3, 20. Schleicher, Litauische M., S. 79. Finamore
No. 20 „Giuvanni senza pahura" (nur Titel). — Zu Schneller No. 52 vgl,
Wolf, D. M, No. 10. Papanti, Novelle No. 12. Straparola IV, 5. Nerucci
No. 44. Pitre, Nov. pop. tose. No. 39. — Zu Grimm No. 4 „Fürchten
lernen" vgl. Menzel, Gesch. der d. Dichtung 1, 133. Ey 74. Schönwerth
3, 147. Strackerjan 2, 635. Hansen, Zs. d. Ges. f. schlesw.-holst. Gesch.
7, 227, No. 6. Zs. f. d. Phil. 8, 83. Schulenburg, Wend. Volkstum 1882,
S. 25. Leskien - Brugman No. 36. Schneller No. 35. 36. 37. Bondeson
No. 12; Sv. F. No. 15. Bergh, Sogur 26. Wigström, Svenska Landsmälen
5, 1, 59 (Sven Orädd. Schraubstock). Berutsen 1, No. 16. Cosquin No. 67.
Coelho No. 37. Leite de Vasconcellos, Trad. 2^.
58. Von den vier Königstöchtern.
Köhler bei Schiefner, Awar. Texte No. 2 und Archiv f. slav. Phil. 5, 27,
No. 42. Cosquin No. 1 und 52. Melusine 1, 110. Deulin, Contes du roi
Canibrinus p. 1. Sebillot, Litt, orale 81; Contes pop. 1, No. 6. 2, No. 26.
Zeitachr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. \\
164 Köhler-Bolte:
Pitre No. 80 [= Crane No. 7], 83; Otto fiabe No. 1. De Gubernatis No. 19;
Zool. Myth. 2, 187. Imbriani No. 5. Visentini No. 18. 32. 49. Tuscan
fahy tales No. 3. Corazzini No. 19. Coraparetti No. 19. 35. 40. Zingerle
(N. A.) No. 10. 44. Zeyneck 339. Jecklin 1, 101. Veckenstedt 244.
Leskien-Brugmau No. 16. Mijatovics. Miklosicli No. 2. 4. Legrand 191.
Janson No. 11. Madsen S. 11. Ralston S. 73. 144—146. [Komania 5, 87.
8, 583. Jahn, Vin. aus Pommern 1, — . Prym-Socin No. 39. 46. Clouston,
Eastern Romances 1889, p. 493. Chalatianz, Armenische Märchen 1887,
No. 2. 3.]
60. Vom verschwenderischen Giovanninu.
Pitre No. 84 und Var. Nerucci No. 59. De Nino No. 56. Comparetti
No. 24. 27. Sebillot 2, No. 28. Deulin, „Le petit soldat". Webster 106.
Coelho No. 18. Madsen 36. Wuk S. 27. Krauss 1, No. 81. 88. 90.
Radioff 4, 502. Jecklin 1, 127. Archivio 3, 540 (Finamore). [Archivio
10, 316.] — Schlafnadel bei Schott No. 21.
61. Von einem mutigen Königssohne, der viele Abenteuer erlebte.
Der Prinz schneidet sich die Beine ab und giebt sie dem
Adler zu fressen: Pitre 2, 209. 235. 248. Comparetti No. 24. Tuscan
fairy tales No. 3. Cosquin zu No. 52. Sebillot, Litt, orale 84; Contes 2,
No. 26. Deulin a. a. O. Webster 111. Cerquand 4, 69. Dozon No. 5
und 15. Mijatovics S. 123 „Sir Peppercorn." Köhler, Archiv f. slav. Phil.
2, 637, No. 33. Schiefner, Awar. Texte No. 2. Folklore-Journal 1, 320.
Kamp, Danske Folkeäventyr 1, 226. Godin S. 8 (Heldin schneidet sich die
Brüste ab). [Radioff 3, 317. Jahn, Vm. aus Pommern 1, 127, No. 19.]
Der Prinz tritt beim Hofschneider in Dienst: Leskien-Brugman No. 16.
Tuscan F. T. No. 3. Pitre No. 70.
Die Prinzessin muss mit ihm in ein kleines Häuschen ziehen: Ger-
mania 15, 180.
Die Brüder müssen sich einen Fleck auf die Schulter machen
lassen: Webster 117. Comparetti No. 62 (Siegel auf den Schenkel mit
glühendem Eisen). Prym-Socin No. 26 (Grindkopf. Löwenmilch. Siegel
auf dem Hintern). Roumanian Fairy Tales p. 39 (Brankmarke). Sebillot
3, 107 (Maultierfuss). Stier-Gaal No. 8. Glinski 1, 62 = Godin 199. Pitre
2, 137. Goldschmidt 38. 40 (Zehen und Ohren abschneiden). Grundtvig
No. 15, S. 188. Madsen 78 (Ohrläppchen). Spitta-Bey No. 12.
64. Die Geschichte von der Fata Morgana.
Drei Brüder bewachen nach einander nachts einen Baum: Vogl,
Slavon. M. No. 1. Asbjörnsen No. 83. Kennedy p. 47*). Germania 15, 184
(lappisch). Steere, Swahili Tales No. 6. Pitre, Otto fiabe No. 1. [Imbriani
No. 5, p. 33. Krauss 1, 352. 388. Georgeakis-Pineau, Lesbos 1894, p. 35. 4L]
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten siciliamschen Märchen. 165
Der Prinz bindet einen Stein an den Strick, an dem ihn seine
treulosen Brüder emporziehen wollen: Leskien-Brugman No. 16.
Drei Königssöhne sollen ihrem Vater ein Yerjüngungsmittel
bringen: Schiefner, Awar. Texte No. 10. Radioff 3, 518 Campbell No. 9.
Yernaleken No. 52 u. 53. Simrock No. 47. Zingerle 2, 226. Ortoli p. 44.
Drei Granatäpfel wirft -der verfolgte Königssohn auf den Rat
seines Pferdes hinter sich, die sich in einen Strom, in Dornen und Feuer
verwandeln (2, 55): Imbriani, Conti pomigl. p. 50; Novellaja fior.2 No. 2,
p. 413. 416. 418. Finamore No. 4. 12. 40. 41. Archivio 2, 79 (Kamm,
Flasche, Stein). De Nino No. 11. Corazzini No. 10. [Cosquin No. 12;
1, 141. 2, 27.] Sebillot, Contes 3, 133 (brosse, etrille, bouchon = foret,
montagne, montagne); 3, 87 (bouchon, bross, etrille = etang, foret, montagne).
Maspons 1, No. 9. 19. Bibliot de las trad. pop. esp. 1, 193. Consiglieri-
Pedroso No. 2. 13, p. 57. Coelho, Contos nac. No. 15. Braga No. 6 (Asche,
Salz, Kohlen - Nebel, Meer, Nacht), No. 1 1 (Zweig, Stein, Sand = Wald,
Gebirge, Meer). Romero p. 20. Cerquand 4, 85 (Büchse im rechten Pferde-
ohr = See, Stein im linken Ohr = Mauer). Pogatschnigg No. 8 und 9 [in
Carinthia 1865, 404. 438]. Volkskunde 3, 112 (Spiegel, Rosskamm, Degen).
Nicolaissen, Sagn og Eventyr S. 63 (Flasche, Baumzweig, Stein). Berntsen
1, 37 (Holz, Eisen, Flasche = Wald, Gitter, Wasser). Wigström in Sv.
Landsmälen 1884, 5, 1, 31 (drei Knäuel), S. 70 (drei Goldäpfel), S. 75 f.
Poestion, Island. M. S. 151. Poestion, Lappl. M. No. 21. 22. Schreck,
Finn. M. No. 14. 15. Veckenstedt S. 216 (Bürste, Fläschchen, Schere).
Leskien-Brugman S. 380. 527 f. 539 f. Goldschmidt S. 161. 164. Krauss 1,
No. 89. 2, No. 57. Baissac, Folklore de File Maurice No. 15 (Ei, Besen,
Sagaie = Meer, Wald, 1000 Sagaies). Folklore-Journal 1, 234. 286. 323.
2, 131. Lewin, Progressive colloquial exercises in the Lushai Dialect of
the Dyo or the Küki language p. 85.
65. Vom Conte Piro.
Pitre No. 88 [= Crane No. 33, p. 347]. Köhler, Archiv f. slav. Phil.
1, 286, No. 12. Schiefner, Awar. Texte, No 6. Schiefner, Ind. Erz., S. 747.
[Bull, de l'Acad. de St. Petersbourg 21, 484.] Radioff 4. 358. Imbriani
No. 8. Finamore No. 4(5. Revue des langues rom. 3, 396 (1872). Xeoe/.bjr.
'Aval. 1, 14, No. 3: 'O axpevrrjg 6 Totooocoyäg [= Misotakis S. 37, No. 5].
Ein Soge-Bundel 57. Goldschmidt S. 108. Steere, Swahili Tales S. 13.
[American Folklore-Journal 1, 227. Jacobs No. 5.]
G6. Von dem Hahne, der Papst werden wollte.
[Übersetzt bei Crane No. 88, dazu p. 377. Crane No. 87 = Bernoni,
Trad. pop. venez. 3, 69.] Cosquin No. 45. Sebillot, Contes 1, No. 57. 2,
No. 63; Litt, orale p. 239. Rolland, Almanach 3, 105. La Tradition 4, 23. Revue
des langues rom. 3. 391). Pitre, Nov. pop. tose. No. 52. Braga No. 125.
11*
166 Köhler-Bolte:
Caballero 123. Leite de Vasconcellos, Tradic. 151. Kennedy, Leg. fictions
of the irish Celts 1866, p. 5 (auch bei Marmier, L'arbre de noel). Bondeson
No. 11; Sv. F. No. 5. Svensen in Svenska Landsmälen 2, 7, S 10, No. 3
(1882). Kristensen 2, No. 46—49. Madsen 67. Skattegraveren 1, 92.
Soge-Bundel 4. Asbjörnsen No. 61. Schulenburg, Wend. Yt. 23. Krauss 1,
No. 23. Schreck, Finn. M. S. 224. Joos No. 86.
[Bolte zn H. Sachs' Meisterliede „Das Käcklein under 12 Wölfen"
v. ,T. 1551, Zs. f. vgl. Littgesch. 7, 454. Jacobs No. 5. 20. Kühler, Zs. f.
roman. Phil. 3, 617. Kamp, Danske Folkeaeventyr 2, No. 2.]
67. Von Paperarello.
Pitre No. 71, Var. Biamunti.
68. Yom goldnen Löwen.
Pitre, Nov. pop. tose. No. 5. Comparetti No. 20 [= Kaden S. 134].
Biblioteca de las trad. pop. esp. 1, 178. Haltrich No. 40.
Der Held steckt sich in einen goldnen Löwen und lässt sich
verkaufen: Imbriani, Nov. fior. p. 286 (Bärenfell) und 302 (S. Antonius).
De Nino No. 67 (organo). Pitre No. 95. 96. 21. Comparetti No. 20 [= Crane
No. 13, p. 343. Räuber bei Leskien - Brugman No. 78. Lemke 2, 101.
Gorra, Studj di critica letteraria 1892, S. 33. 104. 316. 391. Toldo, La
novella francese clel XV. e XVI. secolo 1895, S. 114 zu Comptes du monde
adventureux No. 2].
69. Löwe, Pferd und Fuchs.
Köhler, Archiv f. slav. Phil. 1, 279, No. 6 [: Pitre No. 273. Comparetti
No. 67 = Crane 1889, No. 38, dazu p. 354. Morosi, Studj sui dialetti greci
1870, S. 75, No. 4 = Crane p. 354. Joannidis, 'IoroQia xai omnonxy Tgane-
Covvrog 1870, p. 266. Neugriechisches Volksbuch IIaQajuvi% T^g alovjiovg,
Athen 1872. Deulin, Cambrinus 1874, p. 141. Asbjörnsen, Norske folke-
aeventyr, ny saml. No. 95. Schiefner, Küninische Studien 1873, No. 3 in
Memoires de l'acad. de St. Petersbourg, 7. Ser., vol. 20, No. 2, p. 91.
Bastian, Geograph, u. ethnolog. Bilder 1873, S. 239. 278]. Wollner bei
Leskien-Brugman No. 2. Oesterley zu Kirchhof, Wendunmut 5, 121. Hoff-
meister S. 49 (Bauer u. Schlange, Bär u. Fuchs). [Curtze, Volksüberl. von
Waldeck S. 24.] Firmenich, Germaniens Völkerstimmen 3, 838 = Svenska
Landsm. 1, 664. Haltrich, Märchen2 No. 87 - Zur d. Tiersage S 35, No. 29
[=- Zur Volkskunde S. 64. 516]. Soge-Bundel S. 1. A. E. Vang, Gamla
Regio aaRispo ifraa Valdris 1850, S. 57, No. 17 (Schlange, Mann; Stute, Kuh,
Fuchs). Blade 3, 153. Revue des trad. pop. 1, 137. 140. Romero p. 190.
El Folk-Lore andaluz 1882-83, S. 319. Coelho, Revista 138. Arabische
Fabel aus der Sammlung ,Le compagnon qui raconte des aneedotes, ou
delassement des esprits et des ämes' mitgeteilt von A. Cherbonneau, Poly-
Zu den von Laura Gonzenbacli gesammelten sicilianischen Märchen. 167
biblion 1879, fevrier p. 168 f. (Mensch und Schlange; Palmbaum, Quelle,
Fuchs). Sudanesische Fabel bei E. Marno, Heise in die egyptische Äquatorial-
Provinz2 1876, S. 267—269 (Mensch und Krokodil. Fuchs). Remisch, Die
Nuba-Sprache 1, 191 u. 206 (Beduine und Krokodil, Fuchs). Bleek, Reineke
Fuchs in Afrika S. 8 (Weisser u. Schlange, Schakal). 10 (Holländer und
Schlange, Hase, Hyäne, Schakal). 10 f. (Pavian und Schlange, Schakal).
94 (Ochse und Hyäne, Elephant). Steel and Temple, Wide-awake Stories
1884, No. 12 (Brahmane und Tiger, Pipalbaum, Büffel, Weg, Schakal).
Grünbaum, Jüdisch-deutsche Chrestomathie S. 411. [Baissac No. 23.]
70. Von dem listigen Schuster.
71. Von Sciauranciovi.
Pitre No. 157 [= Crane No. 105, dazu p. 381. 22]. Cosquin No. 10
u. 20. Köhler, Gott. Gel. Anz. 1871, 1407 und Zs. f. roman. Phil. 2, 350.
Revue des langues rom. 3, 386. Cerquand 2, 12. Kehrein 2, 98. Bleek,
Ikotofetsy and Mahaka Cap. 8. Thorburn p. 184. 194. Germania 17, 322.
18, 153. Asbjörnsen No. 101. Arnason-Powell 2, 581. Bondeson, Sv. F.
No. 9. 11. 80. Wigström bei Hazelius, Ur de nordiska folkens lif 2, 82,
No. 1 (1882). Bartsch 1, 488. 2, 480. Leskien-Brugman No. 38. Schulen-
burg, Wend. Volkstum, S. 40. Veckenstedt, Sztukoviz 1885, S. 20. 26.
Krauss 1, No. 53. Knoop S. 110 (nur Schluss des Unibos). Hibernian
Tales 61. M. Buch, Die Wotjäken 1882, 8. 120, No. 10. Sebillot, Litt,
orale 112 (Meisterdieb). Fleury p. ISO. Archivio 1, 200. Visentini No. 13.
Nerucci No. 21 (= Imbriani). De Gubernatis, Florilegio p. 139 (2. Teil).
Zenattis Ausgabe der Storia di Campriano angez. von Novati, Giornale stör,
della lett. ital. 5, 258. Giamb. Basile 1883, No. 8, p. 59. Folk-lore Record
3, 54. NeoeMrjv. 'Avdhxra 2. 93 (vgl. Hahn No. 42). Pio S. 113. La
Enciclopedia 1880, No. 6 („Los dos compadres"). Bibliot. de las tradic.
pop. esp. 4, 55. Vinson p. 103. Riviere p. 61 (I/orphelin). [Bolte zu
V. Schumanns Nachtbüchlein 1893, Xo. 5—6. Moulieras, Si Djeha 1892,
No. 36. 46. 48. 49. Mango, Novelline pop. sarde 1890, No. 18. Lehemrbe,
Volksvertelsels 1893, No. 14. Giorn. stör, della lett. ital. 16, 220. Baissac No. 5.]
72. Don Giovanni di la Fortuna.
Knoop, Volkssageu aus Hinterpommern 1885, No. 1. Gress, Holzland-
sagen 1870, S. 24 („Bastian der Bärenhäuter")- Veckenstedt, Wendische
Sagen 1880, S. 65. Ralston p. 364. Kristensen 1, No. 28. 29. 30. Bondeson,
Sv. F. No. 57. [Jahn, Volksmärchen 1, No. 44. 46, S. 373.]
73. Von dem Könige, der eine schöne Frau wollte.
[Übersetzt bei Crane No. 25.] Bernoni No. 16. De Nino No. 64.
Coelho No. 65. Godin S. 41.
Igg Köhler-Bolte:
74. Von einem, der mit Hilfe des hl. Joseph die Königstochter
gewann.
Pitre No. 104. Coronedi-Berti No. 4. Pellizzari, Piabe e canzoni pop.
del contado di Maglie 1, 89 (1884). Pio S. 212. Maspons 1, No. 15.
Sebillot, Contes No. 13. 2, No. 7. Litt, orale 247. Bondeson No. 2.
Kamp S. 1. Asbjörnsen No. 79. Germania 15, 184 (lappisch). Poestion
No. 24. Leskien - Brugman S. 565. Goldschmidt S. 69. Radioff 4, 460.
[Archiv f. Littgesch. 12, 137, No. 13. Archiv f. slav. Phil. 2, 631 No. 29.
640, No. 34. 5, 44 No. 48. Jahn, Vm. aus Pommern 1, No. 18—19.]
Das Einschlafen des Läufers und das Erwecken durch den Schützen:
Jahrb. f. rom. Phil. 12, 412 (Novella del Fortunato). Zs. f. d. Phil. 22, 100.
113. Carinthia 1866, 470. [Lemke 2, 49. Sercambi, Novelle inedite 1889,
No. 11; dazu Rua, Ztschr. f. Volkskunde 2, 252 f.]
Das zu Land und zu Wasser fahrende Schiff: Veckenstedt 58.
Teilung der Frau: [Hippe, Sir Amadas. Herrigs Archiv 81, 141 ff.
175.] Paspati, Etudes sur les Tchinghianes 1870, No. 2. Kletke, Märchen-
saal 2, 62. Krauss 2, 310, No. 133. [Jahn 1, No. 34. 35. Kamp 2, No. 15.]
— S. 250, Z. 13 lies „Treue" statt „Frau".
75. Von Ferrazanu.
[Pitre No. 156 = Crane No. 98 = Kaden S. 237.
Ferrazanu erzählt der Königin, seine Frau sei taub, und
seiner Frau, die Königin sei taub: Bandello, Novelle 4 (1573) No. 26: „II
Gonella fa una burla ä la marchesa di Ferrara e insiememente ä la propria
moglie; e volendo essa marchesa di lui vendicarsi, egli con subito argomento
si libera." Buffonerie del Gonnella 1588, Str. 16—19 bei F. Gabotto, La
epopea del buffone (1893); vgl. p. 76. Ebenso: t'Leuen en Bedryf van
Clement Marot, Amsterdam o. J. (um 1730) S. 105: „Aerdige trek van
Marot tegens de koninginne." Des Periers, Les nouvelles recreations 1558,
No. 10: „De Fouquet, qui fit accroire au procureur en Chastellet, son
maistre, que le bon homme estoit sourd, et au bon liomme que le
procureur l'estoit" = Tresor de recreations, Rouen 1611, p. 139; danach
Loockmans, 71 lustige historien, Thantwerpen 1589, No. 31 = Tijdschr.
voor nederl. taal- en letterk. 13, 11. Neithart Fuchs V. 2212 (Bobertag,
Narrenbuch 1884, S. 230). H. Sachs, 75. Fastnachtsspiel (1560) V. 357.
Barthol. Krüger, Hans Ciawerts werckliche Historien 1587, No. 1: „Wie
Hans Ciawert zum Handtwerck gebracht wardt vnnd seinen Meister mit
einem Pauren zusamen brachte." Zinkgräf, Teutsche Apophthegmata 1644,
3, 302 (Frau und Wäscherin). J. P. de Memel, Lustige Gesellschaft 1656,
No. 309. J. L. Talitz von Liechtensee, Kurtzweiliger Reyssgespahn 1645,
No. 64. Taubmanniana 1703, S. 192. Der kurtzweilige Hanss-Wurst von
Frölichshausen 1718, S. 56. Halecius Eyer-Platz (= J. P. Waltmann), Der
Zu den von Laura Gonzenback gesammelten ssiciliauisclien Märchen. 169
in allen Wissenschaften erfahrne Pickelhering 1720, No. 133 = 2. Aufl.
1733, No. 147.
Ferrazanu lässt den Brief, der dem Überbringer Prügel eintragen
soll, durch einen andern besorgen. Krüger, Hans Ciawert No. 9.]
76. Die Geschichte von Giuseppinu.
Pitre No. 116. Arlotto p. 81; ed. Ristelhuber No. 28. Magalotti in
den Novelle di alcuni autori fiorentini 362. Landau, Beiträge zur Gesch.
d. ital. Novelle 1875, S. 148. Busk p. 422. Melusine 1, 158 f. Max Müller,
Lectures 2, 552. Child, Ballads 8, 165. Germania 9, 278. Poestion No. 11.
Ralston 43; Notes 10. [Bolte zu V. Schumann 1893, No. la. Roxburghe
Ballads ed. by Ebsworth 7, 578. Volkskunde 1, 71. 2, 235. Baumgarten,
Linzer Musealbericht 1864, S. 97. Bechstein, Sagenschatz des Thüringer-
landes 4, 127. 1838. Nie. de Troyes, Grand paraugon 1869, No. 10. Zeit-
schrift f. Volkskunde 1, 183. 429. Ward, Catalogue of romances 1, 868.]
79. Die Geschichte von den zwölf Räubern.
Pitre No. 108. Nerucci No. 54. Visentini No. 7. Ortoli p. 137
[Romania 13, 173]. Carnoy p. 273. Maspons y Labros 2, No. 14. Meier
No. 53. Am Urdsbrunnen ."». 151. Thiele, Danmarks Folkesagn 1, 242.
307. Jahrb. f. rom. Litt. 11, 385.
Ein Mass zum Geldmessen entliehen: Pitre 2, 56, No. 59. Crane
p. 152. Cosauin No. 20. 22. Carnoy No. 7. Sebillot, Litt, orale 12s. 133.
Miklosich No. 12.
80. Die Geschichte vom Cacciaturino.
Archivio 1. 523. Stokes No. 11 und 24. Spitta-Bey No. 2. [Cos-
(|iiin 1, XXX.] — Zum Schlüsse vgl. Melusine 1, 63.
81. Die Geschichte von den drei guten Ratschlägen.
[Das Märcheu gehört zu einem bunten Kreise von mittelalterlichen
und vielfach noch jetzt im Volksmunde fortlebenden Erzählungen, deren
Held eine Reihe von Weisheitslehren, meist drei, empfängt und ihre
Richtigkeit in mehreren Abenteuern erprobt. Noch Gustav Freytag hat in
seinen „Ahnen" das alte Motiv geschickt verwertet, wenn er dem jungen
Immo aus dem Munde des Mönches Bertram vier solche Lehren zu teil
werden lässt. Unter jenen Ratschlägen erweist sich jedesmal einer, in der
Regel der letzte, als der wichtigste und hauptsächlichste; und nach der
Verschiedenheit dieser Pointe können wir jene Erzählungen in mehrere
Gruppen scheiden. Zwei dieser Gruppen, in denen die Hauptlehre lautet:
„Handle im Zorne nicht voreilig" und „Vertraue deiuer Frau
kein Geheimnis an", behandelte Köhler in einem 1869 im Weimarer
Mittwochsvereine gehaltenen Vortrage, der noch handschriftlich vorliegt,
170 Köhler-Bolte:
aber, weil sein wesentlicher Inhalt später in andrer Form Veröffentlichung
fand, nicht unter die 1804 aus seinem Nachlasse gedruckten Aufsätze auf-
genommen wurde.
Die erste Hälfte jenes Vortrages rekapitulierte Köhler 1870 kurz in
seiner Anmerkung zu dem sicilianischen Märchen, in dem die Vorschriften
folgendermassen lauten: 1. Sei nicht neugierig, 2. Geh denselben Weg
zurück, den du gekommen bist, und 3. Lass deinen Zorn ruhen bis
zum nächsten Morgen. Zu seinen Nachweisen fügte er 1882 in Seilers
Ausgabe des Kuodlieb S. 51 noch hinzu: Pitre, Fiabe No. 197 [■-- Crane
No. 41, dazu p. 357, 23]. Nerucci No. 53. Gradi, La vigilia di pasqua 1860,
p. 83. Maspons, Rondallayre p. 50. La Enciclopedia 1879, 5. mai. Pio
p. 222. Jecklin, Volkstümliches aus Graubünden 1, 116 = Roman. Studien
2, 110. T. Costo, II fuggilozio 1601, p. 557 (übersetzt von Ens, Pausilypus
1631, p. 121). — Gesta Romanorum 103 (Kaiser Domitian kauft drei
Lehren: 1. Quidquid agis, prudenter agas et respice finem, 2. Nunquam
viam publicam dimittas propter semitam aliquam, 3. Nunquam de nocte
hospitium cape, ubi est dominus valde senex et uxor iuvencula). Trebutieu,
Le dit des trois pommes 1837. Hucher, Le Saint Graal 1874. Killinger,
Erin 6, 47. Hibernian Tales p. 55. C. Bede, The white wife 1868, p. 141.
W. Bottwell, Traditions of West Cornwall, 2. ser. 1873, p. 77.
Später hat Köhler noch notiert: Laistner im Anzeiger f. d. Alt. 9, 79
bis 91 (Ruodlieb). Notes and Queries, 6. Ser. 1, 510. 2, 33. 118. 168.
298. 11, 104. 209. 315 (1880 und 1885). In Bd. 11, S. 209 ein römisches
Märchen „Gl' avvertimenti di Salomone" von R. H. Busk (1. Lass den
Zorn vom Abend bis zum Morgen, 2. Verlass den alten Weg nicht für
einen neuen; 3. Sei nicht neugierig). Palumbo, Les trois conseils du roi
Salomon, conte populaire greco-salentin (Museon 3, 552. 1884. Verlass
den alten Weg nicht für den neuen. Was du heut thun kannst, verschiebe
nicht. Bedenke, was du thust, vorher). Ortoli p. 118. Archivio 1884,
97. Braga No. 100. Cerquand No. 110. Armana de Lengado 1878, p. 51
(Lou counsel. 1. Geraden Weg; 2. Sich nicht einmischen). Luzel, Legendes
chretiennes de la Bretagne 2, 193. Peters, Germania 33, 224 (lothringisch).
Schleicher, Lit. Märchen S. 39 = Germania 29, 336 (1. Geraden Weg;
2. In kein Wirtshaus, wo ein alter Wirt und eine junge Wirtin; 3. Die
Hälfte deines Zornes lass auf morgen). Kristensen 2, No. 25. 26. Kamp
No. 893. Krauss 1, No. 68. Duval, Les dialectes neo - arameens 1883,
p. 65 (Patience est salutaire. Resiste au courroux. Ce qui plait ä Thomme
dans le monde, c'est beau pour lui). Liebrecht, Zur Volkskunde 1879,
S. 214. Misotakis S. 16. Mango, Novelline pop. sarde No. 11. Clouston
1892 in der Zs. Folklore 3, 183. 556. Jahrb. f. roman. Litt. 12, 297.
In einer anderen Gruppe von Erzählungen liegt die Pointe in der
Lehre: Vertraue deinem Weibe kein Geheimnis an. Nachdem
Mussafia 1870 in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 64, 612
Zu den von Laura Gonzeiibach gesammelten siciliauischen Märchen. 171
mehrere solche Novellen1) zusammengestellt hatte, wies Köhler in den
Göttinger Gelehrten Anzeigen 1871, 124 auf Grund des erwähnten Vortrages
noch vier weitere nach: Curtze, Volksüberlieferungen aus Waldeck 1860,
S. 161; Mich. Somma, Cento racconti 1859, No. 74; Radioff in Ermans
Archiv f. Kunde v. Russland 22, 35 (kalmükisch); T endlau, Fellmeiers
Abende 1856, No. 34. — Vgl. ferner ein mingrelisches Märchen im Magazin
für die Litt, des In- u. Auslandes 1883, 540. Harsdörffer, Schauplatz lust-
und lehrreicher Geschichte 1651, 2, 105, No. 129. Melusine 3, 473. 513. 529.
4, 166 „Les trois conseils de Salomon". Jahn, Volksmärchen aus Pommern
1, 222, No. 40 (Weiche nie ab von der Strasse; Bleib nie zu Nacht, wo
der Wirt alt und die Frau jung; Sei nie neugierig).
In andern Novellen lautet das eine der Verbote des sterbenden Vaters:
Heirate keine Frau, deren Familie du nicht genau kennst (non duces
filiam adulterae); der Sohn übertritt aber alle drei Verbote und hängt, als
er dadurch zu Schaden gekommen, zur Warnung drei Erinnerungszeichen
in seinem Saale auf; eins davon sind die Hosen des Liebhabers seiner
Braut. Vgl. Gualterus Mapes, Nugae curialium 2, 31 ed. Wright L850
(Liebrecht, Zur Volkskunde S. 36). Sacchetti, Novelle 16. Cent nouvelles
nouvelles 52. Malespini, Nov. 1-1. Grundtvig, Gamle danske minder 3, 39.
Kennedy, Legendary fictions of the irish Celts 1866, S. 73. Langbein,
Gedichte 1788, S. 68 „Lobesans Schicksale". Bergström och Nordlander,
Sagor 1885, S. 3 in Svenska Landsmälen 5, 2. Auch Kryptadia 1, 253,
No. 70 (1883) beruht wohl auf dieser Erzählung.
Über andere Erzählungen mit der Lehre „Reite an keiner Kirche
vorbei" oder „Bedenke das Ende" vgl. Seiler a. a. O. Mussafia a. a. O.
Pitre, Giornale napoletano della domenica 1882, 20. Aug. Archivio 3, 97.]
82. Uie Geschichte vom klugen Poppe.
Cosquin No. 81. Busk p. 338 (verkleideter Doktor). Asbjörnsen Nu <S0.
[Romania 13, 175, 2.]
83. Die Geschichte von Caruseddu.
I. Caruseddu und der Menschenfresser. Köhler zu Schiefner,
Awar. Texte No. 3. Archiv f. slav. Phil. 1, 282, No. 9. |5, 75, No. 58.]
Pitre No. 33. 35. [Crane No. 18, p. 345.] Coelho No. 21. Webster 16. 77.
Asbjörnsen No. 1. Hylten - Cavallius No. 3. Grundtvig 1. 205. Poestion
5. 179. Carinthia 1866, S. 505. Ralston p. 148. Miklosich No. 9.
1) Straparola, Notti I, 5, danach Bäckström, Svenska folkböcker, öfversigt S. 89.
Trattato dell' ingratitudine (15. Jahrh. Propugnatore 2, 401). Livre du Chevalier de la
Tour Landry ed. Montaiglon 1864, letztes Cap. Hans Sachs, Comedia vom Marschalk mit
seinem Sohn 1556 (Folio 3, 2, 163 = 13, 52 ed. Keller). — Rua, Giornale storico della lctte-
ratura italiana 16, 218. Ainalfi, Un fönte dei Cento racconti di M. Somma 1892, p. 27.
Levi, Revue des etudes juivcs 11, 227.
172 Köhler-Bolte:
Caruseddu vertauscht die Kopfbedeckungen der Töchter des
Menschenfressers mit denen seiner Brüder: Pitre No. 35. Imbriani, Nov.
fior. p. 340. Coronedi-Berti No. 17. Kivista di lett. pop. 1, 82. Oberlin,
Essai 161. Powell 2, 474. Poestion p. 298. Kennedy p. 3.
II. Caruseddu und die Tochter der Königin mit den sieben
Schleiern: Pitre No. 34. Comparetti No. J4. 16. Pinamore No. 11. De
Nino No. 39. Tuscan F. T. No. 8. Rondallayre 3, No. 1. Caballero 55.
Cerquand No. 102. Cosquin No. 3. 73. Sebillot 3, No. 13. 13bis- Luzel,
4. rapport p. 181 u. 191; 5. rapport p. 2 [in Archives des missions scienti-
fiques et litteraires 2. serie, tome 7 (1872) und 3. ser., 1 (1873)]. Veillees
bretonnes 148. Troude et Milin 65. Revue linguistique 5, 248 (rumänisch).
Bartsch 1, 483, No. 7. Kristensen No. 21. 22. Miklosich No. 9. Leskien-
Brugman No. 5. Köhler, Archiv f. slav. Phil. [1, 271 No. 1; 280 No. 7]
5, 77 zu No. 58. Schiefner, Awar. Texte No. 1, S. VIT. Spitta-Bey No. 4.
Radioff 4, 373. [Krauss 1, 341. Georgeakis-Pineau, Lesbos p. 68.]
84. Die Geschichte vom Lignu di scupa.
Cosquin No. 27. [Köhler, Zs. f. rom. Phil. 2, 351.] Prato, Romania
13,158. Visentini No. 22. Webster 56 (Marie Kirikitoun). Cerquand 1, 41.
2, 8. L. Aranyi, Eredeti nepmesek 1862, S. 277 (Panczimanczi). Archiv
f. Littgesch. 14, 446. L. de Baecker, De la religion du nord de la France
1854, S. 179 (Kwispiltatje). Wigström in Sv. Landsmälen 5, 1, S. 77.
Powell 2, 27. [Clodd, Folk-lore Journal 7, 135—163. Romania 13, 158.
J. G. Müller, Straussfedern 2, 1. 1790.]
Namen eines Zwerges oder bösen Geistes erraten (oder nicht
vergessen dürfen): vgl. ferner Grimm, D. Mythol. 515. 976. Müllenhoff,
Sagen No. 410 (Kirchenbau. Vater Zi). 411 (desgl. Vater Fiun). Strackerjan
1, 274. Möller, Folkesagn p. 3 (Fader Siig). Fischer 374. Castren,
Kleinere Schriften S. 248. Müllenhoff, Sagen No. 416 (Teufel hilft einem
Manne zu Geld. Knirrficker). 418 (Männchen führt den König auf den
rechten Weg. Tepeatieren). 419 (Zwerg lässt ein Mädchen nur frei, wenn
sie seinen Namen weiss. Ecke Neckepenn). Hansen, Fries. Sagen 1858,
S. 158 = 2. Aufl. 1875, XIII (Ekke Neckepenn). Harrys 1, No. 5 = Cols-
horn No. 29 (Zwerg u. Mädchen. Holzrührlein, Bonneführlein). Temme,
Pommersche Volkssagen No. 216 (Zwerg und Mädchen. Doppeltürk).
Zingerle 2, 278 (Zwerg u. Mädchen. Kugerl). Vernaleken No. 2 (Winter-
kölbl). Pröhle, KM. No. 23 (Teufel hilft einer Braut zu Geld. Hipche
Hipche). Pröhle, Harzsagen S. 193 (Fidlefitchen). Zingerle 1, No. 36
(Zwerg trifft einen Grafen auf seinem Gebiet. Purzinigele). Schönwerth
2, 354 (Zwerg durch das Erraten seines Namens erlöst. Spitzbartl). Ver-
naleken S. 344. Baumgarten, Aus der Heimat [Linzer Musealber. 1862]
1, 142 (Teufel und Bauernbursche. Spitzbartl). Zingerle, Sagen 344 =
Alpenburg 307 (Hanenkikerle). Müllenhoff, Sagen No. 594 (Mädchen hat
Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianiscben Märchen. 173
einen Bräutigam, der seinen Namen nicht sagt. Hans Donnerstag). Zingerle,
Sagen S. 273 (Kälberfuss). 60 (Waldkügele). Meier, Sagen No. 65. —
Eiben wollen nicht, dass man ihren Namen weiss: Zingerle S. 28. 29. 34. 37.
— Namen merken (nicht vergessen): Zingerle 1, No. 2 (Cistl im Körbl).
Yernaleken No. 3 (Kruzimugeli). Kuhn, Westfäl. Sagen 1, 298. — Carnoy
No. 1. Sebillot No. 48; Trad. 1, 131. [Lemke 2, 130: Ettle-Pettle.]
85. Vom Crivöliu.
[Übersetzt bei Crane No. 60.] Pitre No. 117. [Grässe, Märchenwelt
S. 169. 208. Sakellarios No. 3, im Jahrb. f. rom. Litt. 11, 386.]
86. Von dem frommen Kinde.
Pitre No. 112; Nov. pop. tose. No. 25. [Crane p. 211. 366.]
87. Vom Saut1 Oniriä.
[Köhler, Archivio 2, 117. Crane p. 208.]
88. Die Geschichte von Spadönia.
Pitre No. 111 = Crane No. 62, p. 212. 366. — Köhler zu Blade, Contes
pop. de 1' Agenais 1874, p. 156. Comparetti No. 14 (Wasser-, Blut- und
Milchfluss). Consiglieri-Pedroso No. 5 (desgl.): No. 13, p. 54. Wuk Xo. 17.
Sebillot No. 44; Trad. 2, 39. Revue celtique 2,293. 30:». 317. Notesand
Queries 6. Ser. 10, 103 (Kriza, Szekler Märchen NO. 14). Ausland 1880,
S. 257 (Zigeunermärchen aus Rumänien). Asbjörnsen Xo. 62. Wigström I,
No. 8, S. 284. [Schneller S. 215. Veckenstedts Zeitschrift für Volkskunde
1, 355: Schafe und Apfelbäume. Kuhn, Byzantin. Ztschr. 4, 249.]
90. Die Geschichte von San Japicu alla Lizia.
[Übersetzt bei Crane No. 61.] Webster 202. [A d'Ancona, Sacre
rappresentazioni 1872, 3, 435.]
Die Äpfelprobe: Webster 202. Finamore No. 36. Aurbacher, Volks-
büchlein 2, 167 (Die Standeswahl. Drei Brüder müssen nach einander je
einen Apfel unter sich teilen). [Köhler, Archiv f. slav. Phil. 5, 41, No 48.]
92. Die Geschichte vom Einsiedler.
[Gering, Islendzk Aeventyri 2, 247 (1883). Österley zu Gesta Rom.
Cap. 80. Levi, Revue des etudes juives 8, 64. 202 (1884). Crane zu
Jaques de Vitry, Exempla 1890, No. 109 und Italian populär tales 1889,
p. 210. 365. Nie. Bozon, Contes moralises ed. Meyer et Smith 1889, No. 31.
Grünbaum, Jüdisch-deutsche Chrestomathie S. 215. 393. Amalfi, Zs. d. V.
f. Volksk. 5, 76. Holland, Moritz von Schwind 1873, S. 201. Kaufringers
Gedichte hsg. von Euling No. 1. Krauss 2, 207. Jarnik, Veckenstedts Zs.
f. Volkskunde 2, 345.1
174 Köhler-Bolte : Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten sicilianischen Mlrchen.
Anhang: Pervonto.
Oben S. 69 ist erwähnt worden, dass ein Zug aus No. 25 (Der König
soll einen goldenen Apfel gestohlen haben) in einer Reihe anderer Märchen
vorkommt, die zum Pervonto-Kreise gehören. Über diese mit der Gonzen-
bachschen Erzählung „von dem Kinde der Mutter Gottes" nur in losester
Verbindung stehende Märchengruppe mögen hier einige Nachweise folgen.
Pervonto heisst bei Basile (Pentamerone 1, 3) ein fauler Tölpel, der
für eine den Feen erwiesene Gutthat die Gabe erhält, dass seine Wünsche,
sobald sie ausgesprochen sind, sich erfüllen. Er wünscht der ihn ver-
spottenden Prinzessin Vastolla ein Kind. Sie gebiert wirklich Zwillinge,
die Pervonto als ihren Yater begrüssen. Der ergrimmte König lässt darauf
seine Tochter samt den Kindern und Pervonto in einem Fasse den Wellen
preisgeben; aber der Tölpel braucht seine Wundergabe, um seiner Familie
einen herrlichen Palast herbeizuzaubern und seinen zornigen Schwiegervater
zu versöhnen.
In anderen Versionen, namentlich in der ältesten Straparolas (Piacevole
notti 1550, III, 1. Rua, Giornale storico della lett. italiaua 16, 229) ver-
leiht statt der Feen ein Thunfisch dem Helden die Wundermacht. Italienisch
noch bei Pitre, Otto fiabe No. 3 „Lu cuntu di Martinu" und Fiabe popolari
siciliane 3, 344, No. 188 „Lu loccu di li passuli e ficu". Pitre, Novelle
popolari toscane 1885, No. 30 „La favola del Falchetto". Busk, Folklore
of Kome 1874, p. 119 „Scioccolone". Visentini, Fiabe mantovane 1879,
No. 47 „II matto della Tegna". Nerucci, Novelle pololari montalesi 1880,
No. 38. [Andrews, Contes ligures 1892, No. 56. Imbriani, Novellaja fio-
rentina 1877, p. 390.] — Hahn, Griechische Märchen 1864, No. 8 „Der
halbe Mensch" (ähnlich Straparola). Coelho, Contos populäres portuguezes
1879, No. 30. Braga, Contos tradicionaes do povo portuguez 1883, No. 26.
Consiglieri-Pedroso, Portugiese Folk-tales 1882, No. 17 „The baker's idle
son". Armana provencau 1880, 100. Sebillot, Litterature orale de la Haute-
Bretagne 1881, No. 20. Troude et Milin, Le conteur breton 1870, p. 303.
Luzel, Legendes chretiennes de la Basse-Bretagne 1, 60 (1881). — Ztschr.
f. d. Mythol. 1, 38. Kuhn, Mark. Sagen und Märchen 1843, S. 270 „Der
dumme Michel". Müllenhoff, Sagen der Herzogtümer Schleswig -Holstein
1845, S. 431 „Der faule Hans". Strackerjan, Aberglauben und Sagen aus
Oldenburg 2, 346 (1867), No. 633 „Die Zauberflöte". Grundtvig, Gamle
danske minder 2, 308 (1857) „Den dovne dreng" und Folke-aeventyr 1876,
No. 9 [= Dänische Volksmärchen, deutsch von Leo 1878, S. 8 „Fiddiwau"].
Kamp, Danske Folke-aeventyr 1879, No. 15 „DovenLars der fik Prinsessen".
Berntsen, Folke-aeventyr 1, No. 7 (1873). Bondeson, Halländska sagor 1880,
No. 7 „Dan lade pägen" und Svenska folksagor 1882, No. 75 „Smör-Lasse"
und No. 76 „Pojken och fisken". Friis, Lappiske Eventyr 1871, No. 20
= Poestion, Lappländische Märchen 1886, No. 23 „Der Riese, die Katze
Kunze: Volkskundliches vom Thüringer Walde. 175
und der Junge". Schreck, Finnische Märchen 1887, No. 8. Chodzko,
Contes des paysans slaves 1864, p. 331 = Godin, Polnische Volksmärchen
S. 20 „Vom Dümmerling Ofenhocker und von der Prinzessin Dammlieh".
Dietrich, Russische Volksmärchen 1831, No. 13 „Von Emeljan dem Narren".
Ralston, Russian folk-tales 1873, p. 263. Radioff, Volkslitteratur der türk.
Stämme Südsibiriens 4, 7. 405 (1872). [Landes, Contes et legendes anna-
mites 1885, No. 59; Contes tjames 1887, No. 3 „Tabong le paresseux".
F. H. v. d. Hagen, Erzählungen und Märchen 1, 209. 2, 334 (1825).]
Volkskiiiidliches vom Thüringer Walde.
Aus der Wied.ersbach.er Chronik des Pfarrer Möbius
herausgegeben von F. Kunze.
(Schluss.)
Gebräuche, die auf kirchliche Handlungen Bezug haben
„Wir blicken zunächst auf das Vorläuten oder Einläuten. An jedem
Sonnabend, desgleichen an den sogenannten „heiligen Abenden" vor den
Festen, die in die Woche fallen, wird um 2 Uhr tags vorher erst ein Puls
mit der grossen Glocke, sodann mit allen Glocken zusammen geschlagen
und an dem ersten Festtage der drei hohen Feste, gleich nach beendigtem
Nachmittagsgottesdienste, durch Läuten mit allen Glocken der andere Festtag
angezeigt. Auch an dem ersten Festtage wird — statt sonst mit der grossen
Glocke — mit allen Glocken „das Erste" geläutet, was besonders feierlich
klingt und festlich stimmt. Am Totenfeste ist es zwar Anordnung (am
Karfreitage wird während des Hauptgottesdienstes mit allen Glocken ge-
läutet) bei einbrechender Nacht zu läuten, allein da zu dieser Zeit die
Leute auf dem Lande, im Stalle oder in der Küche beschäftigt sind, so
habe ich angeordnet, es solle erst gegen 6 Uhr zusammengeschlagen werden,
damit der Eindruck, den ich selbst von dieser Stunde jedesmal habe, ein
Genuss für jedermann sei. Was nützt auf dem Lande das Läuten zu einer
Zeit, wo niemand darauf hört? Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht
lebendig. —
Sonst war es Sitte, das neugeborene Kind gleich am anderen Tage
durch die heilige Taufe dem Herrn zu weihen. Jetzt wird meist, auch
in Gerhardsgereuth, ein passender Sonntag ausgewählt, an welchem dann
dem Pfarrer observanzmässig ein Viertel Kuchen und ein Viertel Bier
(stets preussisch Mass) in die Pfarrstube zu Gerhardsgereuth gebracht wird.
damit er sich von den Mühen des Weges erhole. Arme oder die, welche
kein Taufmahl geben, reichen ein Äquivalent an Geld. Sobald die Ge-
|76 Kunze:
vattern die Kirchgasse heraufkommen, wird mit der kleinen Glocke1)
„geklingelt" und die Kinder, auch wohl einige erwachsene Mädchen, eilen
der „Klingelkirche" zu, sammeln sich auf den beiden Emporkirchen und
beobachten den Taufaktus, nachdem sie, wie es eingeführt ist, aus dem
neuen Gesangbuche No. 354 (1—2) vor der Handlung oder bei Zwillingen
No. 344 („Für diese Kinder beten wir") gesungen haben. Der Name des
Kindes und der Putz der Gevattern ist ihnen die Hauptsache. Sonst reichte
der Pfarrer nach verrichteter Taufe den Gevattern die Hand und sprach:
„Wollet ihr das thun2), so sagt mir's an Eides Statt hier vor der christ-
lichen Kirche." Jetzt wünscht er ihnen zu ihrem Vorhaben des Herrn
besten Segen. Anno 1662 war bei der Kirchenvisitation anbefohlen, die
Geistlichen möchten acht haben, dass man den Täuflingen bei der Taufe
keine Korallen3) noch sonst etwas Anderes anhänge, sondern dass der-
gleichen Aberglaube, sowie der Missbrauch des Taufwassers vermieden
werde. Doch reibt, wie ich höre, die Hebamme zu Wiedersbach dem
Kinde mit dem Wasser das Zahnfleisch, „damit es die Zähne leichter be-
komme". Bemerkenswert ist der Zug in welchem die Gevatterschaft (hier
in Wiedersbach meist bloss ein Pate, Zeuge) zur Kirche kommt: 1. der
Kindesvater, 2. der Gevatter, 3. die Frau des Gevatters, 4. die Hebamme,
die in der Kirche das Kind trägt, um welches die Wöchnerin ein Tuch
gebreitet, das oft bis zur Erde reicht. Aus der Kirche heraus in demselben
Zuge trägt die Gevatter das Kind und breitet noch ein ähnliches Tuch
über das Kindtuch her. Dieses Tuch ist ein grosser Zierrat in den Augen
der Eingeborenen, obgleich es meist grell gegen die dunkle Kleidung der
Gevattern absticht. Früher hatte man ganz eigens dazu gearbeitete weisse
Tücher mit breiten Fransen, über welche die bunten so abgesteckt wurden,
dass bloss die Fransen sichtbar waren. Sobald die Gevatter der Wöchnerin
das Kind wieder verabreicht, spricht sie: „Einen Heiden haben wir fort-
getragen, einen Christen bringen wir Dir wieder" — und wünscht zur
Erziehuug des Kindes Glück. Sodann wird ein einfaches Mahl, wozu
ausser den Gevattern der Pfarrer und der Lehrer geladen zu werden pflegt,
eingenommen und gegen 10 Uhr, selten viel später, geht die Gesellschaft
auseinander. Früher mag in dieser Beziehung viel Missbrauch eingeschlichen
sein, deshalb erging am 13. Juni 1768 der obrigkeitliche Befehl, „dass in
Zukunft 1. alle und jede bei dem Gevatter-Bitten seither im Schwange
o-eo-ano-ene Schmaussereien, wozu öfters die Nachbarn und Bekannten ge-
zoo-en, oder selbigen doch Semmeln, Blutwürste und Wein ins Haus geschickt
1) Diese heisst im Henneberg, allgemein „das Kennelesglockle" (Kinderglöckchen),
in Suhl „das Taufglöckchen".
2) d. h. den Inhalt des Taufgelübdes berücksichtigen.
3) ltote Korallenketten am Halse sollen das ungehinderte Zahnen der Säuglinge be-
fördern, (ci'r. Wuttke, Volksaberglaube der Gegenwart', S. 369; Schmidt, Sitten und
Gebräuche bei Hochzeiten etc. in Thüringen, 1863, S. 70.)
Volkskundliches vom Thüringer Walde. 177
worden, gänzlich eingestellt, — ferner 2. die üble Observanz, dass das zu
taufende Kind von dessen Taufzeugen mit kostbaren Hauben, welche auf
2 — 5 Keichsthaler angeschafft werden müssen, beschenkt werden, abgeschafft,
vielmehr 3. ausser dem Patengeschenke, so nach der Fürstl. Verordnung
1678 bei Bauersleuten nicht über 12 Gulden, bei Bürgern und Handwerks-
leuten nicht über einen Reichsthaler, bei anderen Honoratioribus aber nicht
mehr als 2 Reichsthaler betragen soll, ingleichen auch ausser der Gabe
aufs Bett, welche, wo sie Herkommens, obigermassen einzurichten, der
Wöchnerin oder dem Paten bei einem oder dem anderen Besuche etwas
an Geld, Silber, Zitz = Cattoun, Leinwand oder sonstigen Geschenken, wie
sie nur Namen haben mögen, nicht mitgebracht oder gegeben, nicht minder
4. der Pate im vierten oder fünften Jahre oder wenn es das erste Mal
zum heiligen Abendmahle geht oder zu Weihnachten und Neujahrszeiten
oder sonst, nicht gekleidet, noch weniger, wenn 5. selbiger in der Jugend
verstirbt auf Kosten derer, die ihn aus der Taufe gehoben, eingelegt und
begraben, noch 6. wenn er im Gegenteil erwächst und sich verheiratet,
besonders als Pate ausgestattet werden solle. Wie nun hierdurch sich auch
die aus vorangeführten Missbräuchen entstandene schädliche Gewohnheit,
dass gewisse Personen und junge Anfänger, welche bei vorgekommener
Gelegenheit bereits viel aufgewendet oder die Präsumtion des Aufwandes
vor sich haben, zu ihrem unverantwortlichen Ruin binnen ein oder zwei
Jahren mehrmalen zu Gevatter stehen müssen, ferner auch, dass die Kinds-
väter, in Hoffnung des Gewinnstes an Stand ungleiche und öfters L;;my.
unbekannte Personen zu Taufzeugen wählen, meistenteils von selbst auf-
hören werden" und wird auf die Übertretung 3 — 10 fl. Strafe gesetzt.
Jedoch bestehen die „Schmaussereien", abgerechnet die übrigen Ge-
bräuche, wie in Henneberg überhaupt, so hier insbesondere, so dass es
jedem Leid sein muss, wenn er ein Kind aus der Taufe heben soll (Super-
intendentur-Akten Bd. VIII, 5). Schon im Jahre 1542 wurde verboten,
bei den Tänzen mit Frauen und Jungfrauen sich des unzüchtigen, un-
verschämten Umtreibens, Aufstampfens, Herumschwenkens, unziemlichen
Laufens und Abstossens u. s. w. zu enthalten, sondern „ehrbarlieh mit
zugedeckter Scham" seinen Tanz zu vollbringen.
Noch zu Michaelis 1806 war es hier Gebrauch, die Kinder zweimal
im Jahre einzusegnen. Die Prüfung der Konfirmanden ist, weil sie die
Handlung übermässig ausdehnt, den Geistlichen unterbricht, die Rührung
und Bewegung der Kinderherzen aufhebt, die Kinder überhaupt befangen
macht und bei dem rauhen Klima hier der Andacht mehr hinderlich als
förderlich ist, 1838 von der Handlung selbst abgetrennt worden und wird
Freitags vorher, nach der Predigt, vor versammelter Gemeinde gehalten.
Dom. Palmarum versammelten sich die Kinder in der Schule und gingen
dann, nachdem sie vorher sich selbst überlassen und von Neugierigen um-
geben waren, allein in die Kirche auf die für sie bestimmten Plätze. Das
17g Kunze:
war meinen Gefühlen zuwider, und ich habe sie darum in die obere Stube
meines Hauses versammelt, damit sie, vom Geräusche der Umgebung ge-
trennt, sich sammeln können. Draussen läutet es zur Kirche. Die Gemeinde
ist schon eine halbe Stunde früher versammelt, um Platz zu erhalten, da
der Andrang an diesem Tage grösser als sonst ist. Aus dem Hause vor-
angehend, folgen mir Paar und Paar, erst Knaben, dann Mädchen, zur
Kirche. Bei unserem Eintritt ins Gotteshaus schweigen die Glocken, und
die Orgel ertönt. An den Stufen des Altars setzen sich die Kinder auf
eigens zu diesem Tage bestimmte Sitze, stehen aber auf, sobald die Rede
gehalten wird. Einer aus ihrer Mitte spricht das Glaubensbekenntnis; sie
beantworten die Bundesfragen und geben knieend einer dem andern den
Handschlag. Sobald der erste zum Handschlag hinzutritt, wird mit allen
Glocken geläutet, bis der letzte den Segen empfangen. Nach beendetem
Gottesdienste kommen sämtliche Kinder mit ihren Eltern noch einmal in
die Pfarre, bedanken sich für den empfangenen Unterricht und der Pfarrer
nimmt Veranlassung, hier nochmals zu den Herzen beider zu reden. Am
Karfreitage gehen die Konfirmierten mit ihren Eltern allein zum heiligen
Abendmahl, während sie früher, nach meinem Ermessen höchst unzweck-
mässig, mit der dritten Klasse beichteten. Die Privatbeichte war sonst
hier allein üblich, jetzt ist zwar die allgemeine Beichte eingeführt, ohne
dass erstere jedoch aufgehoben wäre. Während der Beichte stehen die
Männer auf der Emporkirche.
Die Kommunikanten hiesigen Kirchspiels in matre et filia (in der
Mutter- und der Tochterkirche) sind nach Klassen verteilt, deren Reihe
abwechselnd 9 Wochen fortläuft und 9 WTochen still steht. Diese Klassen
sind geordnet: 1. in W. a) Alte und Witwer, b) alte Männer und Frauen,
c) alle, die bei der einen oder anderen Klasse nicht gehen konnten. -
2. in G. 4 Klassen (diese Klasseneinteilung ist höchst zweckmässig, findet
sich schon im 17. Jahrhundert vor und ist dem Geistlichen, der sie ein-
gerichtet hat, nicht genug zu danken). Während des heiligen Mahles
stellen sich die Kirchenvorstandsmitglieder hinter den Altar, und die Sage
berichtet über diesen Brauch: man habe vor Zeiten die geweihten Hostien
aus dem Munde genommen und an die Jäger verkauft, von denen sie dann
an einen Baum genagelt und geschossen worden wären. Aus der ge-
schossenen Hostie sei Blut geflossen, und der Jäger, der sie durchlöchert,
habe dann sicher jedes Wild schiessen können1). Das Presbyterium sollte
nun über diesen Brauch wachen und die Entheiligung des Abendmahls-
brotes hindern. — Diese Sage scheint Grund zu haben, da noch heute mit
geweihten Hostien allerlei Aberglaube verbunden wird. Doch ist jedenfalls
1) Bekanntlich ist dieser Aberglaube in fast allen Gegenden Deutschlands vertreten,
wie aus unserer volkskundlichen Litteratur ersichtlich ist. Vergl. z. B. Kuhn, Westfäl.
Sagen I, S. 339; Mühlhause, Urreligion S. 38; Kuhn und Schwartz, Norddeutsch.- Sagen
S. 429 u. s. w. Zingerle, Sagen aus Tirol. 2. A. No. 7G7 m. Aura.
Volkskundliches vom Thüringer Walde. 179
eine andere Absicht dieser Einrichtung massgebend gewesen, nämlich dass
während der Kommunion jede Unordnung verhindert werde.
Bei der Kommunion gehen alle Teilnehmer Massenweise nach dem
Altar — mit Ausnahme der Weiber, die nach der Keihenfolge ihrer Stände
heraustreten — bloss der Schulze geht in seiner Klasse voran, wie er auch
in Wiedersbach einen besonderen Kirchensitz hat.
Die Verlobung, die hier „Hingäbes"1) heisst, kann hier eigentlich
so gut als gar nicht gehalten werden, da die meisten sich nicht früher
versprechen, als bis sich das Mädchen in gesegneten Umständen befindet.
Auf Neigung, Gesundheit, Charakter, Sitten etc. wird hier keine Rücksicht
genommen, sondern allein nach Geld oder Gütern gefragt, daher das Sprich-
wort: „Reicher Leute Kinder werden bald gross und armer Leute Säue
bald fett." Ist jedoch einmal eine Verlobung, so wird in Gegenwart der
Paten der Handschlag gegeben; die Braut erhält einen Fingerring, einen
Verlöbnis-Thaler und einen Dukaten an die Halskette. Der Bräutigam
dagegen wird mit einem leinenen Hemd und mit einem Halstuch bedacht.
Sonst wurde die Braut ganz gekleidet, jetzt ist es sehr willkürlich, meist:
Schürze, Spenzer, Brautschuhe, auch hin und wieder ein Mantel. Während
des Aufgebotes besucht das Brautpaar im Brautstaate die Kirche seines
Geburtsortes; sie warten dabei, bis alle Leute in der Kirche sind, damit
sie hier wie auf dem Wrege ja von allen Leuten recht betrachtet werden
können. Voran geht bei diesem Zuge der Bräutigam, dann folgt die Braut-
jungfer, und die Braut macht den Schluss. Nach dem zweiten Aufgebot
wird dem Paten die Trauung nochmals angezeigt und erhalten die weib-
lichen Paten von der Braut entweder eine Schürze oder einen Wams, ein
Paar Schuhe und ein tüchtiges Halstuch, der männliche Pate ein Hemd
und ein Halstuch. (Sonst wurden wie in anderen Parochieen „die stillen
Trauungen" vor dem dritten Aufgebote verrichtet; ich that es nie.)
Die Hochzeiten wurden sonst mit grossem Pomp und zwar vom $
bis "$ gefeiert. Der Aufwand war unbeschreiblich, wie für die Gäste so
für den Wirt, denn die ersteren mussten ebenfalls Kuchen backen, dieselben
im Hochzeitshause auflegen, so dass der Kuchen oft bis zur Decke in dem
Hochzeitshause aufgeschichtet lag. Die sogenannten „Kirmesbündel" 2)
wurden natürlich damals sehr gross. Der Zug- wurde mit Musik bis zur
1) In manchen Gegenden Thüringens wird die "Verlobung ebenfalls „Hingebet" be-
nannt (cfr. Schmidt a. a. 0. S. 13). Vgl. über die altdeutsche Vermählung K. Weinhold,
Die deutschen Frauen im Mittelalter 1, 2lJ6— 413, 2. Ausg.
2) Die Kuchen- und Bratenproben, welche die Kirmesgäste von der Kirchweih mit
nach Hause bringen, um auch den Angehörigen, die wohl oder übel das ..grösste Pest"
vorbeigehen lassen mussten, auch eine Freude zu machen, bilden in ihrer Gesamtheit das
sprichwörtlich gewordene „Kirmesbündel", am Unterharze auch „Ihrbingel" (d. h. Ähren-
bündel, weil zusammengelesen; genannt.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. 12
180 Kunze:
Kirchthür begleitet, wo die Musikanten stehen blieben, bis sämtliche Gäste
in der Kirche waren, was freilich gegen die kirchliche Feier gewaltig ab-
gestochen haben mag. Die Ordnung des Zuges war sonst folgende: Musik,
Bräutigam (mit diesem ging von der Pfarrwohnung aus der Geistliche),
der Pate, männliche Hochzeitsgäste, Brautjungfer („Brautmagd"), Braut-
führer mit der Braut und Weiber. Jetzt, wo selten ein öffentliches Hoch-
zeitsfest ist, geht auch — freilich abgeschmackt genug! — der Bräutigam
voran und nach drei oder vier Schritten folgt die Braut. So oft sie auch
schon darauf aufmerksam gemacht worden sind, aber keiner will den
Anfang machen, es zu ändern.
Sonst führte der Brautführer die Braut bis an ihren Kirchenstand, öffnete
die Thür an demselben und beide verbeugten sich gegen einander. Sie
trat in ihren Stand, verbeugte sich wieder und machte die Thür zu (er
trat in den gegenüber befindlichen Stand), während der Bräutigam mit den
männlichen Gästen in dem Stande hinter dem Altare Platz genommen hatte.
Sobald der Pastor an den Altar trat, kam der Bräutigam allein zum Altare,
der Brautführer holte unter denselben Ceremonien die Braut und führte
sie auch vor den Altar. Beide Brautleute neigten sich zuerst vor dem
Pfarrer, sodann gegen einander, nun die Braut vor dem Brautführer, der
dann wieder nach beendigter Trauung in seinen Stand zurückging. Die
Ceremonien nach der Trauung waren dieselben wie vorher, ebenso auch
der Zug nach Hause gleich dem Hergange.
Am ersten Tage der Hochzeit musste der Bräutigam die Gäste be-
dienen; der Brautführer hatte die Braut an seiner Seite, musste aber auch
für dieselbe bezahlen, so oft der Teller herumging. Wenn der Brautführer
von seinem Platze neben der Braut aufstand, so konnte er auf seinen Sitz
ein Messer stecken, oder, wenn sich ein anderer auf diesen Platz setzte,
die Braut auslösen. Am zweiten Tage, wo die Braut bediente, änderten
sich die Hochzeitsgebräuche in sehr eigentümlicher Weise. In dem Hofe
wurden mehrere Tische aneinandergestellt und Braut und Bräutigam im
festlichen Schmucke, an der Seite ihrer Eltern, stehen vor dem Tische,
dass zwischen ihnen und dem Tische einer bequem hindurchgehen kann.
Die Musik schweigt und zuerst treten die Paten hinzu, schenken das hier
übliche Kissen oder einen kupfernen Kessel („Kasseroll"), wünschen, um
den Tisch gehend, Eltern und Brautleuten Gottes Segen zu ihrem Vor-
haben. Ihnen folgen sämtliche Gäste in gleicher Weise nach. Die Ge-
schenke hier bestehen meistens in zinnernen Hausgeräten.
Dieser Augenblick ist rührend und feierlich, und ich habe, die Be-
deutung dieses Brauches erwägend, dies nie ohne Thränen ansehen können.
Freilich verbittern unzeitige Spässe oftmals diesen feierlichen Augenblick.
Zu bemerken ist hierbei, dass der sogenannte „Rocken", das Hochzeits-
geschenk, den Brautleuten gehört, aber das eingelegte bare Geld erhält
der Hochzeitsvater, er musste es denn den Brautleuten freiwillig überlassen.
Volkskundliches vom Thüringer Walde. 181
Auch war es sonst gebräuchlich, dem Brautpaare aus der Gemeinde ein
Geschenk an Brennholz zu machen, doch ist das jetzt aufgehoben. Die
Schüler erhielten bei einer solchen öffentlichen Hochzeit eine Mahlzeit und
Bier, bei einer jetzigen 8 Batzen, d. h. 48 Kreuzer Rheinisch. Am dritten
Tage wird der Hahn geschlagen; die Mädchen laufen nach einem Kuchen,
die Burschen nach einem Tuche.
Bei einem Sterbefalle singt der Wächter auf seinen acht Ruforten
einige Yerse aus dem Liede No. 728 (Einst gehe ich etc.) und zeigt damit
sehr oft der Gemeinde den Todesfall erst an. Bei grossen (d. h. öffent-
lichen) Leichen wird einige Stunden nach dem Tode „Zeichen" geläutet,
d. h. mit allen Glocken. Yorgeläutet wird bei Kindern mit der kleinen,
beim jungen Volke mit der mittleren und bei Verheirateten oder Alten
mit der grossen Glocke. Der Wächter meldet dann Haus für Haus, auch
in den Nachbardörfern, den Todesfall und ladet zur „Leiche" ein, wofür
er in jedem Hause ein Stück Brot erhält. Gewöhnlich werden die Nach-
barn, welche zugleich auch das Grab machen, zu Trägern ausersehen. Die
Särge sind alle bunt, mit vielem geschmacklosen Geschnörkel versehen,
oft auch mit goldenen Leisten und anderen Verzierungen ausgestattet. Die
schönsten Särge nach hiesigem Geschmack sind die mit gewölbten Deckeln.
Den Leichen werden die Brautkleider zum letzten Gange angezogen; die
sogenannten „Sterbekittel", in Form eines Hemdes, jedoch oben offen,
sind erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aufgekommen. Oft werden
den Weibern und Kindern neue seidene Kleider angeschafft, damit sie,
was hier in der ganzen Gegend gebräuchlich ist, rechtes Aufsehen erregen;
ja — horribile dictu — man schnürt denjenigen Toten, die man gern aus-
stellen möchte, die aber schon zu verwesen anfangen, mit einem Bande
oder einer Schnur den Hals zu, damit sie nicht übergehen. Ehe das
Leichentuch ausgebreitet wird, öffnet man den Sarg noch einmal. Die
Schule zieht mit dem zweiten Läuten vor das Haus, singt eine Arie und
ein Lied, währenddessen einer der Träger für die Schuljugend, sowie für
alle Kinder, die überhaupt zugegen sind, selbst die im Mantel nicht aus-
genommen (d. i. die kleinen, die noch auf dem Arm von dem Mantel der
Wärterinnen umhüllt getragen werden), einen Korb voll Semmeln heraus-
bringt und unter sie verteilt, während ein anderer der anwesenden Leichen-
begleitung Bier oder Schnaps darreicht. Den Chor-Adstanten wird aufs
Buch ein Geldstück gelegt (3 oder 6 Kreuzer). Mit dem Anfange des
zweiten Liedes, welches auf dem Wege gesungen wird, treten die Träger
mit entblösstem Haupte nahe an die Bahre, zwei zum Haupt, zwei in die
Mitte und zwei zu den Füssen, und beim nächsten Verse bewegt sich der
Zug in folgender Ordnung aus dem Leichenhause zu dem Friedhofe: der
Kreuzträger (merkwürdig, dass in Wiedersbach am grossen Kruzifix zwei
12*
182 Kunze:
Körper hingen, von denen ich aber 1840 einen abtrennen Hess), Schule,
Pfarrer und Lehrer, männliche Leichenbegleitung, das Leichenkreuz mit
Name, Stand und Alter des Toten (das Kreuz ist bei den Kindern rot mit
weisser oder schwarzer Schrift, bei erwachsenen Unverehlichten blau mit
weisser oder schwarzer Schrift), die Leiche, Totenfrau, Leidtragende und
endlich weibliche Begleitung. Bei öffentlichen Leichen geht es vom
Gottesacker zur Kirche. „Leichenpredigten sind Lügenpredigten". Das
Leichenkreuz kommt auf das Grab und ist bei Kindern und jungen Leuten
mit einem Kränzchen geziert. Das Leichentuch für Kinder hat eine
himmelblaue Farbe. Sind auf dem Sarge viele Kränze, so wird hernach
über das Kreuz ein Schränkchen gemacht, in welchem Krone und Kränze
aufbewahrt werden.
Ein Teil der Leichenbegleitung geht ins Leichenhaus und spricht dort:
„Ich wünsche dir Glück zum Leid, dass viel Freude darauf folgt" — und
nimmt mit einer Mahlzeit von Käse und Brot oder auch mit Kuchen und
Kaffee vorlieb und trinkt Bier und Schnaps. Gegen 7 — 8 Uhr kommen
auch die Träger und erhalten dasselbe. Früher waren diese Leichenmahle
förmliche Schmausereien und noch in neuester Zeit hiess es in Schleusingen:
„Die Leichen werden versoffen"1). — Die Trauer dauert hier sehr lange;
das geschieht für viele Familien mit grossem Aufwände.
Was die Predigten anbetrifft, so wird am 10. post Trinit. die Zer-
störung Jerusalems gelesen, am 23. p. Trin. die Eidespredigt gehalten.
Merkwürdig, dass sich die Männer am Busstage herumdrehten und auf die
Bank knieten, wo sie sassen." —
Soweit die Notizen jeuer handschriftlichen Chronik, wie sie sich auf
Sitten und Gebräuche beziehen. Beigefügt sei in nachstehenden Zeilen
noch eine Anzahl sprichwörtlicher Redensarten, Bauernregeln etc., welche
ebenfalls dort verzeichnet stehen, wenn auch nicht in Verbindung mit
obigen Ausführungen. Diese volkskundlichen Sächelchen lauten wie folgt:
„Wenn auf Michaelis der Mond im Zunehmen ist, bleibt Heu übrig
fürs Spätfrühjahr, und umgekehrt.
Wenn Michaelis die Luft von Morgen oder Norden kommt, giebts
einen harten Winter.
Wenn die Vogelbeeren geraten, so gerät auch das Winterkorn.
Wenn die Pfarrwiese gemäht wird, dann regnets.
Wer soll das thun? Wer hats gethan? Stets der Pfarrer.
Alte Regel und junge Flegel gelten nichts.
Grosse Kälte vor Weihnachten, giebt grossen Schnee zu betrachten.
1) Es heisst eigentlich: „Das Fell wird versoffen", eine Eedensart, die man in fast
allen Gegenden Deutschlands antrifft. (VergL z. B. Am Urquell I, S. 113—115; 139 und
II, S. 81, 147, wo sich besonders Reinhold Köhler in lichtvoller Weise darüber auslässt.)
Volkskundliches vom Thüringer Walde. 183
Holz und Unglück wächst alle Tage.
Wenn der Fuchs Lichtmessen seinen Schatten sieht, so kehrt er nach
vier Wochen zurück (in sein Loch), und es wird dann ein langer Winter
kommen.
Christmette hell, dunkel in den Stadeln (Scheuern), d. h. es wird eine
gute Ernte folgen.
Wenn es in den zwölf Nächten duftet, dann gerät das Obst. (Duft
= Reif.)
Sind die Lichtmessen hell und klar, folgt ein fruchtbares neues Jahr.
Sind die Lichtmessen dunkel, dürfen die Schäfer zum Weine gehen. J)
Wenn der Schnee von der Sonne weggeleckt wird, bekommen wir
kalte und schwere Gewitter.
Wer handelt, dass er verdirbt, den muss man schlagen, dass er stirbt.
Wenns zur Trauung regnet, wird das Brautpaar reich.2)
Wenn man auf den Krebs Leinen säet, wird er nicht lang.3)
Auf den Fisch4) darf mau keine Kartoffeln stecken, sonst werden sie
wässerig.
Wenn man ein hartes Zeichen hat (Steinbock oder Krebs), darf mau
keine Hülsenfrüchte säen, sonst kochen sie nicht.
Auf Gallus (16. Okt.) darf man kein Kraut einmachen, sonst wird es
bitter.
Ein trockener April ist nicht der Bauern Will.
Wer sein Gut bringt an den rechten Erben, der kann sanft und selig
sterben.
Hat der Vincenz (22. Januar) Sonnenschein — kriegen wir vielen und
guten Wein."
1) Im Henncbergischeu sieht mau überhaupt am Lichtmesstage (2. Febr.) nicht gern
den Sonnenschein, -weil er ein ungünstiges Jahr verkündet, aber „wenn es am Lichtmess-
tage recht dunkel ist, folgt ein fruchtbares Jahr" (cfr. Düringsfeld, Das Wetter im Sprich-
wort, S. 86), was auch dem Hirt zugute kommt.
2) Vgl. auch Meier, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, S. 488, sowie Witzschel,
Sitten und Gebräuche aus Thüringen II, S. 233. In Hessen, Schlesien, Ostpreussen,
Niedersachsen etc. ist man derselben Ansicht, während andererseits, z. B. am Oberharz,
das Brautpaar nicht eher nach der Hochzeitskirche geht, als bis der etwa sich eingestellte
Regen aufhört, denn fällt er in den Brautkranz, so bedeutet das Unglück.
3) Weil der Krebs rückwärts geht,
4) d. h. im Tierkreiszeichen „Fische". Die Fische erinnern an das „feuchte Element".
Derselbe Aberglaube ist auch im Erzgebirge heimisch (Wuttke a. a. 0. S. 398).
184 Unger:
Aus dem deutschen Volks- und ßechtsleben
in Alt-Steiermark.
Von Theodor Unger, 1. Adjunkt am steir. Landes Archiv.
I. Johannis Minne und Johannis Segen.
In Bayern, Tirol, Vorarlberg, in einigen Gegenden Österreichs und
Böhmens, in Schwaben, im Bistum Hildesheim lebt noch heut der früher
über Deutschland verbreitete Brauch, dass am Gedächtnistage des heiligen
Johannes Evangelista, d. i. am 27. Dezember, Wein von dem Priester ge-
weiht und den Gläubigen am Speisegitter in der Kirche mit den Worten
gereicht wird: Bibe amorem sancti Joannis in nomine patris et filii et
spiritus sancti. Dieser Wein hiess deutsch die Johannis-Minne. Die Segens-
formel ist aus einer S. Florianer Handschrift des 14. Jahrhunderts in der
Germania (Zeitschr. f. deutsche Altertumskunde XXVIII, 120) abgedruckt.1)
In Steiermark und dem benachbarten Kärnten haben sich drei Urkunden
über diesen alten volkstümlichen Gebrauch erhalten. Es sind fromme
Stiftungen des Mittelalters, damit an dem Festtage des Heiligen den
Gläubigen der Minnetrunk gereicht werden könne. So giebt im Jahre 1321
der Chorherr Chunrat dem Chor zu Werde2) ein Gut zu Seelgeräte, mit
der Bestimmung, dass jährlich eine Pinte Kaynfal (Prosecco-Wein) oder
March-Wein dem Volke an diesem Tage gegeben werde.
Die zweite Urkunde, welche vom Jahre 1352 datiert, versetzt uns in
das Mürzthal. Der Pfarrer von St. Lorenzen daselbst erkauft zu seiner
Kirche zwei Weingärten zu Hettmannsdorf in Nieder- Österreich. Der
Ertrag derselben ist für Johannes Minne gewidmet. Auch zu Ostern soll
den Kommunikanten Wein gereicht werden.
Die dritte Urkunde von 1384 spielt zu Leoben. Ein Schneidermeister
Namens Wernczlein daselbst stiftet sich und seiner Gattin in der dortigen
Klosterkirche der Dominikaner einen ewigen Gedächtnistag, welcher all-
jährlich am St. Johannestag zu Weihnachten abzuhalten ist. Aus dem
Stiftungsfonde sind 4-6 Pfennig für Wein zu verwenden, damit das Volk
mit der Johannis Minne erquickt werde.
Heute wird die Johannis Minne in Steiermark Johannis-Segen oder
kurzweg Wein-Hansel genannt. Hören wir einige Stimmen aus dem Lande
darüber.
1) Vgl. auch Gelasius di Cilia canonicus ord. s. Augustini: Locupletissimus The-
saurus continens Benedictiones, Conjurationes, Exorcismos etc. Ausg. v. 1756, S. 19. —
Über Johannissegen und Gertrudenminne, von Ign. Zingerle, in den Sitzungsberichten
der Wiener Akad. der Wissensch. Ph. H. Kl. Bd. XL, 177-229 (1862).
2) Maria Wörth am Wörther See.
Aus dem deutschen Volks- und Rechtsleben in Alt-Steiermark. 185
Rosegger1) sagt: Am Johannestag lässt der Landmann eine Flasche
Wein in der Kirche weihen. Bei Tische, wenn die Knödel kommen, er-
hebt der Bauer sein Weinglas und sagt: „Gsegn Gott Johannessegn" und
trinkt. Das Glas macht die Runde am Tisch, jeder trinkt und sagt seinem
Nachbar: „Gsegn Gott Johannessegn". Das ist das einzige Mal, dass um
den Bauerntisch das Weinglas kreist." — Und weiter in seinem Volks-
leben II, 226: „Der Johannes-Segen stärkt die Glieder, schützt vor dem
Taubwerden, bei Mann und Frau heilt er die Gicht, der Greis, der ihn
trinkt bedarf des Stabes nicht." — Dass man im Hause einen Trunk
Johannis Segen auf den Tisch setzte, beweist das Kellerregister des Stiftes
Seckau von 1657 mit der Eintragung: In festo sancti Joannis Evangeliste
gibt man in dem Thumbstifft Joannen Wein auf ieden Tisch ein Trunk,
den Spitallern auch, sunst Niemant. —
Die alte Legende, zufolge welcher Aristodemus dem heil. Johannes
einen Becher vergifteten Wreines mit dem Beifügen anbot, Christ zu werden,
wenn er den Trunk ohne Nachteil geniessen könne, soll Anlass zur Weihe
des Johannisweines gegeben haben. Der christkatholische Unterricht, ein
zu Graz 1747 von der Marien-Bruderschaft herausgegebenes Büchlein, be-
lehrt seine Sodalen auf fol. !»:
„Aristodemus setzte dem Evangelisten Johannes einen mit Gift ver-
mischten Wein vor. Der Heilige segnete denselben mit dem Zeichen des
Kreutzes und trank ihn ohne Schaden."
Sein Festtag ist daher in einem um die Wende des XV. .Jahrhunderts
erschienenen Kalender, sowie in den noch fortlebenden Bauerkalendern
mit einem Kelche, aus dem sich eine Schlange emporwindet, gekenn-
zeichnet. 2)
Auch bei Trauungen wird Wein von dem Priester gesegnet, dem
Brautpaare, deren Trauzeugen und den Hochzeitsgästen in der Kirche un-
mittelbar nach der Kopulation gereicht. Auch der Priester trinkt davon.
Dieser Wein heisst Johannes Segen. K. Weinhold, Die deutschen Frauen
in dem Mittelalter, 2. Aufl. Wien 1882. Bd. 1, 383.
B. F. Hermann erzählt uns in seinem Reisehandbuche für Österreich,
Steyermark, Kärnten u. s. w. (Wien 1784) III, 06, von dieser Gepflogen-
heit. Die Kaltenbaeckische Austria für das Jahr 1847 (VI, 226), Dr. Schlossar
in seinen Kultur- und Sittenbildern aus Steiermark S. 163 und das Kron-
prinzenbuch Österreich-Ungarn in Wort und Bild bestätigen uns mehrfach
diesen Gebrauch.
Eine Stimme aus dem Volke sagt:
„Wounn di Praidlaid zsoummgebm senn, waichd da Gaisdlichi a poa
Moss Wain, gip davann zeascht zwoa Glasin an Praidlaidtn, de davaun
1) Sittenbilder aus dem steir. Oberl. 170.
2) Steiermark. Geschbl. III, 227.
186 Unger:
koustn und an Johannassegn iadn Paistantn pringah; de gebm an Warn
waida und de Praidfiara schaun drauf, dass a niadä Hozadmensch von
Johannassegn wos z'koustn kriagg."1)
Die Sitte vor dem Abschiede einen Trunk Johaunis-Segen zu sich zu
nehmen ist schon im Mittelalter belegbar. Damit sollte der Keisende Glück
und Schutz auf der Reise gewinnen. In Ottokars österreichischer Reim-
chronik, welche zwischen 1300—1320 gedichtet ist, finden wir 97 882 die
Stelle: „ez het der furste höchgeborn sin reisekleider an, dar truoc man im
sän sant Johannes Minne." — Ursprünglich wird es meist von Priesterhand
gesegneter Wein gewesen sein; später, als man den letzten Trunk im
Wirtshause, den der Wirt den Abfahrenden kredenzte, auch Johannes-
Segen nannte, fehlte die kirchliche Weihe. So finden wir in dem Kapfen-
berger Ratsprotokolle von 1684—1709 (258) die Stelle: „Zuleczt aber
habe er (in der Herberg) von den Herrn Tattern 1 Viertel Johannswein
begehrt, 1 Halbe sollte der Herr Vatter zallen und 1 Halbe er Gehepauer —
sey auch ervolgt worden." Ein Mürzthaler Weihnachtslied aus dem Aus-
gange des vorigen Jahrhunderts bringt uns eine einschlägige Stelle: „Da
habs a Flaschl Wein mit an Stuck Brod — Trinkts an Johannissegn —
Dass Glück hab's intawegn." —
Woher die Sitte der Johannisminne oder des Johannis-Segens stamme,
diese Frage hat J. von Zingerle in lichtvoller Weise behandelt.3) Ich
folge seinen Ausführungen im folgenden. J. Grimm wies schon nach, dass
derartige Minnetränke aus dem Heidentume stammen und sie ursprünglich
die Bedeutung von den Götttern gebrachten Trankopfern hatten. Im
YIII. Jahrhundert waren die Baiern, wie uns Bischof Aribo von Freising,
(f 784) in seiner Tita Corbiniani und Emmerami erzählt, noch solche Neu-
linge im Christentume, dass die Väter aus demselben Kelche ihren Söhnen
die Minne Christi und der Heidengötter zutranken. In Deutschland war
es dann Brauch geworden, den Minnetrank Heiligen anstatt Göttern zu
bringen. Karl der Grosse schritt gegen die Minne des heiligen Stefan ein.
Die Vermutung, dass auch der Johannis Minne ein alter heidnischer Opfer-
trunk zu Grunde liege, und dass dabei der Apostel Johannes an Stelle
eines alten Germanen-Gottes getreten sei, ist daher wohl berechtigt. Viel
Berührungspunkte bestehen zwischen dem Lieblingsjünger Christi Johannes
und dem Gotte Freyr (Frö) der altnordischen Götterwelt (? d. H.).
1.
1321, 24. April, Wörth.
Von dem gute (fol man) den herren hie ze Werde vnd oucli anderen priestern, die
ouf dem cliore vnd datz der pfarre meffe fprechent, l'ouil opfer weines geben ze allen
meffen, vnd fi fein ze rechte dar zu bedürfen, vnd gutes weines Raynuol oder marchwein.
1) Firmenich, Germ. Völkerst. IT, 758.
2) Ausg. v. J. Seemüller, Hannover 1893. (Deutsche Chroniken V. 2, 1268).
3) Sitzungsbcr. d phüos -hist Klasse d k. k. Akad. d. Wissensch. Bd. 40, S. 177
Aus dem deutschen Volks- und Bechtsleben in Alt-Steiermark. 187
Man fol ouch desfelben weines alle wege an des guten fände Johanns tage Ewangeliften
ze Weynachten eine mazze kegen ainr Villacher pinte ze fände Johanns minne geben, da
mit man daz volch des tages verrichten fol als verre, als div mazze weines gewert, Vud
fwaz des obrigen ift ouf dem gute vber den opferwein, daz fol man ouf fand Michels liecht
ze vordrift legen vnd ovf andriv liecht in den munfter, fwa fein dürft ift, vnd fol der opfer-
wein immer vnd immer gewern. (Urk. No. 1887 des steierm Landesarchivs.)
1352, 27. März, Neunkirchen.
Ich Waltber der Päuschinkch vnd ich Ann fein hausvraw vnd ich Dietmar fein prüder
vnd ich Margret fein hausvraw vnd all vnser erben veriehen offenbar mit difem brief allen
den, di in fehent oder hörnt lefen, daz wir redlich vnd recht mit gunft vnd willen aller vnfer
erben, vrawn vnd man, vnuerfprochenlich verchaufft haben ze der zeit, do wir ez wol getun
mochten, zwen Weingarten, di weilen gewefen find vnsers prüder Wülfings des Paüfchings
fäligen, die gelegen find ze Hettenftorf, der haizzt ainer der Hettenftorfer vnd dient fümf
virtail wein flechter mazz gen Admünd vnd drey meczen habern in Räbleins hofftat ze
Hettenftorf vnd ain pfenninch hintz fand Lorentzen pey Newnchirchen. Der ander wein-
gart haizzt der Semmelzipf vnd dient fümf virtail wein flechter mazz gen Göss vnd zwen
metzeu habern in des Darfmaifters hof ze Hettenftorf vnd zwaintzich pfenning vnd nicht
mer. dem erfamen hcrren hern Helmweigen pfarrer ze fand Laurenczen in dem Mürtztal
vud feinem gotshaus vnd allen feinen nachchomen mit allen den rechten vnd nützen, als
feu vnfer prüder vnd wir in purchrechts recht inn haben gehabt vmb vierzehen pfunt
Wiener pfeuing, der wir gar vnd gantz gericht fein, alfo daz wir noch vnfer erben fürbaz
dhain anfprach hintz den vorgenanten Weingarten nimmermer haben füllen, vnd habn im
die aufgeben mit des perchmaifters hant, der genant ift der Darfmaifter, vnd auch inge-
antwurt in fein aygens gewer. Auch füllen wir dem vorgenanten herren hern Helmweigen
vnd feinen gotshaus vnd feinen nachchomen di vorgenanten Weingarten getrewlich fchennen
vor aller anfprach, als purchrechts recht ift nach des landes gewonheit ze Steypr. Tat
wir des nicht, fwelhen fchaden des der egenant herr Eelmbeig, fein gotshaus oder [ein
nachchomen namen, den fi pey irn trewn gefagen mochten vngefworn. den füll wir in
abtun vnd füllen daz haben auf vnsern trewn vnd auf alle dew, vnd wir haben. Ez ift
auch zewizzcn, daz der vorgenant her Helmweich di vorgenanten Weingarten daruinb aller
maift gechaufft hat, daz man in der heiligen zeit ze Oftern gautzen wein do von geh ge-
mainchlich allen den, di lieh mit gots leichnam berichtent. vnd auch ze fand Johanns tag
ze weichnachten iärlich wein da von geb ze fand Johans minn allen den, di ze fand Johans
minn gen wellen zu dem altr, vnd auch feinem jartag ze hilf, daz der defter paz begangen
werd mit acht prieftern, als er in emaln geftift hat. Daz daz allez ftäl vnd vuzebrochen
beleih, darüber gebn wir disen brief ze einem vrchünd der warhait verfigelten mit vnfer
paider anhangenden jnfigeln vnd mit des erbern manns jnsigel Nyclas des Petzleins,
purger ze Newnchirchen, den wir darumb gepeten haben, daz er ez an dielen brief ge-
hangen hat ze einer pezzern gezeugnüfs dil'er fache im an fchaden. Der brief ift gebn ze
Newnchirchen do von Chriftes gepurd ergangen warn dreuzehen hundert jar darnach in
dem zway vnd fünftzkiften jar des naften Ertags vor dem Palmtag.
Urig.-Pgmt. im steir. Landesarchiv. (Abgedr. Schoettgen Diplomat. I, 60.)
3.
1384, 1. Sept., Leoben.
Ich prueder Hainrich di zeit prior des chlofters zu Lewben prediger orden vnd der
gancz conuent der prueder deffelben chlofters, die nu darum find oder noch fürbazz
ewichleich dar in choment, wier vergehen mit dem offen brief vnd tuen chund allen den,
di den brief fehent oder hörnt lefen, daz wir vns mit gueter vörbetrachtung vnd mit ver-
aintem rat willichleich vnd gern verlübt vnd verpunden haben dem erbern mann Werncz-
lein dem sneyder purger zu Lewben geng feiner hausfrawn vnd gen allen irn erben vmb
einen ewigen jartag, den wir iu ewichleich alle iar begen vnd haben fchullen an fand
Johanns tag in den weynachten, des nachts mit einer gefuugen vigily vnd des morgens
188 Kossinna:
mit einem gelungen felampt vnd mit dreyn gefprochen meffen, dem almechtigen got
vnd vnser vrawn zc lob vnd ze dienft vnd Wernczleins des sneyder feiner wirtinn feinen
chindern vnd allen feinen vordem vnd nachkomen fein ze hilf vnd ze troft zu dem ewigen
leben. Auch fchüll wir ir gedechtnüfs offenlich an dem lekker1) alle iar haben an dem
obgenanten fand Johannstag, vnd daz der jartag alfo genczleich vnd ewichleich von vns
vnd von vnferm conuent vnd nachkomen volpracht vnd aufgericht werd, dar vmb fo hat
vns vnd vnferm conuent der obgenant Wernczel der sneyder, fein hausfraw vnd all ir erben
gewidempt, geben vnd gemacht ein ewigs halbphunt gelts gueter Wienner phening auf
dem haws vnd hof gelegen zu Lewben in der ftatt an dem markcht zwifchen des Rayndler
vnd Öttleins des Smyerer hewser, da sew di zeitt felb inn gefezzen sind, daffelb halb
phunt gelts fchüllen few vns oder wer daz haws vnd hof inn hat, ewichleich alle iar dyenen
vnd raichen an fand Johanns tag in den weynachten an als vercziehen vnd daz fol dann
der prior vnder vns obgenant prueder des chlofters gleich tayln, daz ainem als vil geuall
als dem andern; denn alain aufgeczogen vier phening oder fechs von dem halben phunt
fchull wir voraus fenten vmb weyn an fand Johannstag zu weynacht vnd da von fand
Johanns mynn geseng'2) vnd dem volch gemainchleich in der chirchen davon ze trinkchen
geben, als verr daz gelangen mag. Waer awer daz wir vorgenante prueder vnfers chlofters
mit vigily vnd mit felmezzen zu rechten tegen nicht genczlich volprechten als oben ge-
fchriben ftet vor ehafter not (an) geuerd, daz fchüll wir zehant in den acht tagen darnach
genczlich mit ein gewizzen eruollen. Gefchech des nicht wan few dann vnfer maifterfchaft
dem prouincial oder vnferm vicari den prief zaigent oder an rüffent, der fol vns dar vmb
pezzeru vnd fol vns dar zu halten vnd noeten, daz wir alles daz ftet laiften vnd volfürn,
des wir vns mit dem prief verpunden haben. Vnd des zu vrkund der fach fo geb wir jn
den offen brief befigelt mit meins obgenanten prüder Hainreichs aigen anhangunden jnfigel
vnd auch dar zu mit des ganczen conuent anhangundem jnfigel. Der prief ift geben, do
man zalt von Christi gepurd drewczehen hundert jar darnach in dem vier vnd achczigiftem
jar an fand Gylgen tag.
Orig.-Pergament mit 2 Siegel-Resten, No. 3498 a im steir. Landesarchiv.
Folklore.
Von Gustaf Kossinna.
Die Schätze des Berliner „Museums für Volkstrachten und Erzeugnisse
des Hausgewerbes" führen trotz ihrer Reichhaltigkeit leider immer noch
ein gar zu beschauliches Dasein in der stillen Verborgenheit der Kloster-
strasse. Es gebührt daher dem rührigen Vorstande des Museumsvereines
besonderer Dank dafür, dass infolge seiner Wirksamkeit während dieses
Sommers ein Teil der Museumsschätze inmitten der Berliner Gewerbe-
Ausstellung weitesten Kreisen des Publikums nahe treten wird. Bereits
in den ersten Monaten des Jahres lenkten die Berliner Zeitungen, um
dafür Stimmung zu machen, in längeren Artikeln oder kürzeren Notizen
die Aufmerksamkeit auf das Museum und seine Bedeutung innerhalb des
grossen Kreises verwandter Anstalten. Einer der anziehendsten Aufsätze
1) lectorium.
2) d. i. gesegenen.
Folklore. 189
befand sich in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung vom 16. Febr.
d. J. Nicht ganz glücklich ist jedoch der Verfasser in der Einleitung,
worin das Volkstrachtenmuseum als Keim eines Museums für deutsches
Leben, als der erste Ansatz für eine neue Wissenschaft betrachtet wird,
die nicht das Originelle, sondern das Alltägliche zum Gegenstand ihrer
Untersuchung macht. Das Studium des wirklichen und wahrhaftigen All-
tagslebens bezeichnet der Verfasser als „die neue Wissenschaft, die
man mit ihrer dänischen Benennung, nordischen Bahnbrechern
zu Ehren, Folklore nennt".
Bei diesen Worten stocken wir unwillkürlich und legen das Blatt,
staunend über diese Erklärung von „folklore", aus der Hand. Gerade
der Verein für Volkskunde beschäftigt sich ja berufsmässig mit dem so-
genannten Folklore. So wird ein kurzes WTort über dies Wort hier am
Platze sein.
Folklore ist erstens nicht die Wissenschaft vom Alltagsleben, zweitens
keine dänische Benennung, drittens nicht nordischen Bahnbrechern zu
Ehren so benannt, viertens keine neue Wissenschaft, fünftens überhaupt
nicht Wissenschaft.
1. Nehmen wir vorläufig mit dem Verfasser Folklore als gleich-
bedeutend mit Volkskunde, was offenbar seine Meinung ist — wie es die-
jenige weitester, auch gelehrter Kreise in Deutschland ist — , so richtet
diese Wissenschaft ihren Blick durchaus nicht besonders auf das Alltags-
leben des (deutschen) Volkes, nein ebenso sehr und in erhöhtem Masse
auf das Feiertagsleben, worüber es wohl keiner weiteren Ausführung bedarf.
Wesentlich ist nur, dass es sich bei Folklore um die von der städtischen
Kultur noch unberührten Kreise des Volkes handelt, die aber nicht, weil
sie ländliche oder kleinstädtische sind, uns besonders interessieren, sondern
weil sie gewissermassen eine geschichtlich fernliegende, in städtischen
Kreisen längst verschwundene Epoche des (deutschen) Kulturlebens mit
einer uns fremden Weltanschauung in lebendiger Wirklichkeit darstellen.
2. Dass Folklore kein dänisches Wort ist, darauf brauche ich ebenso-
wenig näher einzugehen, als
3. darauf, dass diese Benennung nicht nordischen Bahnbrechern zu
Ehren gegeben worden ist. Welche Bahnbrecher sollen das denn sein?
Das Wort ist überhaupt niemand zu Ehren aufgebracht worden. Wenn
aber irgend eines Bahnbrechers hierbei zu denken ist, so ist es
Jakob Grimm, der wenigstens in gewisser Weise bei der Taufe Pate ge-
standen hat.
4. 5. Die Wissenschaft vom Folklore ist nicht neu, denn sie war lange
vorhanden, ehe das Wort erfunden wurde. Und das Wort selbst feiert in
diesem Jahre bereits seinen 50. Geburtstag.
In der bekannten englischen Wochenschrift „The Athenaeum", die nun
seit bald sechzig Jahren einen Sprechsaal der englischen Gelehrtenwelt für
190 Kossinna:
alle möglichen Einzelfragen der verschiedenen Wissenschaften bildet, er-
schien am -22. August 1846 (S. 862) ein „Folklore" überschriebener Artikel
von Ambrose Merton. Der Verfasser preist darin Jakob Grimms
„Deutsche Mythologie", die in ihrer zweiten Auflage (1844) trotz der von
ihrem Schöpfer behaupteten Unvollkommenheiten ein so bedeutungsvolles
Werk sei, wie es das Jahrhundert bis dahin kaum noch hervorgebracht
habe. Kein Volk habe etwas annähernd Ähnliches dem an die Seite zu
stellen, am wenigsten die Engländer. Es sei nicht abzusehen, wann für
die britischen Inseln ein „James Grimm" erstehen werde. Und doch sei
Grimms Werk im Grunde nur eine Sammlung zahlloser Einzelheiten, die
freilich in meisterhafter Weise zu einem System verwoben seien. Darum
müssten sich alle, die etwas von „populär mythology" wüssten, aus allen
Gegenden Grossbritanniens zusammenthun, um Material zu sammeln. Das
Athenaeum wäre die richtige Sammelstelle für einzusendende Mitteilungen,
da es schon oft seine Spalten dem geöffnet habe, what we in England
designate as Populär Antiquities, or Populär Literature (though by-
the bye it is more a Lore than a Literature, an would be most aptly
designed by a good Saxon Compound, Folk-Lore — the Lore of the
People [,not of the books' ergänze ich den Gedanken des Verfassers]).
Auch Deutschland würde für solche Thätigkeit dankbar sein bei dem
nahen Zusammenhang zwischen dem Folklore beider Länder. Dazu die
interessante Parenthese: „Remember I claim the honour of introducing
the epithet Folk-Lore, as Disraeli does of introducing Father-Land, into
the Literature of this country". Der Verfasser selbst habe ein grösseres
Werk über den Gegenstand vor (Folk-Lore bei Shakspeare). Inhaltlich
umfasse Folklore: manners and customs, observances, superstitions, ballads
and proverbs etc., d. h. also Sitten und Herkommen, abergläubische Ge-
bräuche und Meinungen, Lieder, Reime, Sprichwörter, Rätsel, Sagen und
Märchen.
Man sieht also, dass Folklore keine Wissenschaft ist, sondern höchstens
Gegenstand einer Wissenschaft sein kann, da es Wissen oder Weisheit des
Volkes, in der Hauptsache also die mündlich fortgepflanzte Volksüber-
lieferung bedeutet (more a Lore, than a Literature). Das „Alltagsleben"
als solches fällt somit auch nicht unter den Begriff Folklore, denn ,Manners
and customs' werden doch nur soweit berücksichtigt, als sich in ihnen eine
eigenartige, uns fremde Weltanschauung zeigt, und die Volkstrachten auch
nur, soweit bei ihnen ein altertümliches Herkommen in Betracht kommt.
Auf die Anregung des Athenaeums hin liefen zahlreiche Beiträge über
Folklore von Grossbritannien und anderen Ländern ein und man unterliess
dabei nicht, das neugeprägte Wort in Umlauf zu setzen. Schon im nächsten
Jahre konnte Ambrose Merton den in der Mitarbeit so eifrigen Lesern des
Athenaeums einen Dankartikel widmen (Athenaeum 1847, No. 1036, S. 937,
vom 7. Sept.), worin er zugleich sein Pseudonym enthüllte. Der Schöpfer
Folklore. 19 L
des Wortes Folk-Lore war William John Tlioms, ein um die ältere
englische Litteratur und die englische Volkskunde hochverdienter Gelehrter
(f 1885). Die Redaktion des Athenaeums fügte dem Artikel eine An-
merkung hinzu, worin es hiess: „we may be permitted to express some
satisfaction at the universal adoption of this name [Folk-Lore] — invented
by our correspondent Ambrose Merton. Tu less than twelve months it has
almost attained to the dignity of a household word."
Erst dreissig Jahre später, 1877, wurde dann in London die , Forke-
lore-Society' begründet; aber erst als diese Gesellschaft ihren ,Record- in
ein ,Folklore- Journal1 (seit 1882, neuerdings bloss ,Folklore' genannt) ver-
wandelte und daneben eine grosse Reihe wichtiger Einzelwerke zu ver-
öffentlichen begann, scheint das Wort Folklore eine internationale Ver-
breitung gewonnen zu haben. So finden wir 1883 in Spanien eine Gesell-
schaft ,Folklore', die auch ihrer ,Biblioteca de las tradiciones populäres
espanoles' das Wort ,Folklore' vorgesetzt hat, 1885 in Sevilla ein ,Boletino
folklörico espanol' daneben ist das Wort in Finnland aufgenommen, auch
wohl bei Italienern und Franzosen, doch haben letztere ihre ,Tradizioni
popolari' (Archivio seit 1882) und .Traditions populaires1 (Societe und
Revue seit 1886) ruhig beibehalten. Dass sich die deutschen Gelehrten
ein so herrliches Fremdwort nicht entgehen Hessen, obwohl nicht das ge-
ringste Bedürfnis für eine solche Entlehnung vorlag, da wir den völlig
genügenden Ausdruck „Volksüberlieferungen" besitzen, ist leider nur zu
begreiflich. Während aber die anderen Nationen sich jedes Fremdwort,
das sie entlehnen wollen, erst sehr genau ansehen, sowohl auf seine Be-
deutung als auf seine Unentb'ehrlichkeit hin. glauben wir Deutsche das
nicht nötig zu haben. Wir besitzen ja fast für jedes einheimische Wort
schon einige Fremdwörter als guten Ersatz; so kommt es uns oft genug
gar nicht darauf an, die Fremdwörter in der Bedeutung zu gebrauchen,
die ihnen nach ihrem Ursprünge allein zukommt, sondern wir legen ihnen
eine beliebige mehr oder weniger verwandte bei, ein Umstand, der freilich
für diejenigen recht ärgerlich ist, die in einer uferlosen Fremdwörterflut
das beste Mittel zur Vorbereitung der heissersehnten Weltsprache erblicken.
So haben wir es auch mit dem Worte Folklore gemacht, das wir entgegen
der Absicht nicht nur des Schöpfers des Wortes, sondern auch entgegen
dem Gebrauch aller anderen Nationen stets in der Bedeutung unseres
Wortes „Volkskunde", d. h. Wissenschaft vom Folklore, verwenden. Unsere
gelehrten Fremdwörterimporteure haben eben vergessen, im geeigneten
Augenblick das Taschenwörterbuch nachzuschlagen, haben engl, lore ein-
fach mit „Lehre" übersetzt und „Lehre" wieder in der Bedeutung „Wissen-
schaft" (wie z. B. in „Seelenlehre") gefasst, . So erhielten sie dann die
Gleichung „Folklore = Volkskunde". Dass Folklore als Ersatz für unsere
,Volkskunde' noch viel unerträglicher ist, als für ,Volksüberlieferung(en)',
kam dabei wohl nicht in Betracht. Wir sehen hier eben wieder an einem
192 Pedersen:
anschaulichen Beispiel, wie der Gebrauch von Fremdworten einerseits zu
Unklarheiten führt, andererseits durchaus nicht, wie die Fremdwortschwärmer
immer behaupten, sich an die Einfuhr fremder Kulturschöpfungen zu knüpfen
braucht, sondern weit überwiegend einem reinen Modebedürfnis entspringt.
Denn wenn eine Wissenschaft eine deutsche Schöpfung genannt werden
muss, so ist das bei der Volkskunde der Fall.
Wer aber einmal von ,Folklore' nicht lassen kann, brauche das Wort
hinfort wenigstens richtig in der Bedeutung Yolksüberlieferung, nicht in
der Bedeutuns; Volkskunde, Wissenschaft vom Folklore.
Zu den neuirischen Zaubersprüchen.
Von Holger Pedersen.
Dass die Schreibung, Transskription und Übersetzung der vier von
F. N. Finck veröffentlichten Zaubersprüche (oben S. 88—92) im wesentlichen
richtig ist, kann ich nur bestätigen. Trotzdem sind einige sprachliche und
sachliche Irrtümer mit untergelaufen, welche ich hierdurch berichtigen möchte.
Ich fasse mich dabei möglichst kurz, da ich einige hierher gehörigen
Fragen bei anderer Gelegenheit ausführlich zu erörtern haben werde.1)
a) Phonetik und Sprachform. Die auffälligste Eigentümlichkeit der
neuirischen Aussprache ist die Mouillierung, die bei allen Konsonanten
mit Ausnahme von s, s (und h) möglich ist. Dieser Eigentümlichkeit ent-
spricht in Fincks Schreibung eine vierfache Bezeichnung: 1. Nach dem
Muster der polnischen Orthographie und in Übereinstimmung mit dem in
der Indogermanistik herrschenden Usus, wird die Mouillierung durch einen
kleinen Strich bezeichnet (/.: n u. s. w.). Diese Bezeichnung hätte bei allen
Konsonanten verwendet werden sollen; wenn dadurch typographische
Schwierigkeiten entstanden wären, hätte ein Apostroph als Surrogat für
1) Ich werde in einem Buche „Die Aspiration im Irischen" hei der Darstellung der
Geschichte des irischen Konsonantismus auch die neuirischen Lautgesetze detailliert mit
reichlichem Material illustrieren; andererseits werde ich in einem zweiten Buche eine
Auswahl von neuirischen Märchen, Liedern, Ptätseln und Sprichwörtern in phonetischer
Schreibung mit Übersetzung und Glossar herausgeben; ich besitze nämlich eine derartige
Sammlung von 400 Quartseiten, die ich 1895—96 auf der Insel Arran aufgezeichnet habe.
Dabei war mein Haupt-Gewährsmann ein 71jähriger Bauer Martin Connely aus dem Dorfe
Ballinacregga ; derselbe konnte nicht lesen und schreiben und sprach nicht englisch, war
aber eine fast unerschöpfliche Quelle für irische volkstümliche Traditionen; ich habe auch
mit ihm in täglichen Gesprächen die verschiedenen Seiten des Lebens der Arranbewohner
besprochen und dadurch ein Glossar von 3000 Wörtern gesammelt, das noch durch Excerpieren
meiner Texte vermehrt werden kann.
Zu den neuirischen Zaubersprüchen. 193
den Strich dienen können. Statt dessen finden wir bei Finck 2. ein be-
sonderes Zeichen für das mouillierte d und t, und zwar Zeichen, die weder
nach dem sprachwissenschaftlichen Usus noch in irgend einer historischen
Orthographie eine solche Bedeutung haben (/, c); und 3. fungiert das
Vokalzeichen i als Bezeichnung der Mouillierung in vwga u. s. w. Ein
Übergangslaut i wird zwischen dem v und dem 0 nicht gesprochen, sondern
beide Artikulationen sind gleichzeitig.1) 4. In vielen Fällen wird die
Mouillierung überhaupt nicht bezeichnet, z. B. in bam ,Frau' (nach meiner
Schreibung b'mi). Vielleicht nimmt Finck auf (TDonovan gestützt an, dass
die Labiale nicht mouilliert werden können; diese Behauptung trifft aber
für Arran gar nicht zu; man spricht z. B. Nominativ Lüb, aber Dativ er d
lüU (geschrieben lüb, air an lüib); das geschriebene sibh wird Mb'
gesprochen, wobei die Mouillierung ganz besonders deutlich zu hören ist,
wenn ein „breiter" Vokal folgt, z. B. pe by kügd d wil" Hb' ün ,jede Provinz,
wo Ihr seid'. Was das Wort Van betrifft, so ist die Mouillierung so
deutlich, dass das ausländische Ohr manchmal einen Übergangslaut zwischen
dem b und dem a zu hören glaubt; dass man wiederum manchmal die
Mouillierung kaum bemerkt, ist nur das gewöhnliche Schwanken des
akustischen Eindruckes einem fremden Laute gegenüber, was beseitigt wird,
sobald man den Laut nachsprechen lernt (und dies ist nicht schwer).
Während Finck die Mouillierung von n und /, mit n l giebt (statt mit n
//), lässt er regelmässig die Mouillierung von dem gewöhnlichen n l un-
bezeichnet. Die Mouillierung dieser Laute ist mit dem dänischen mouillierten
n und l (in Jütland) vergleichbar und tritt z. B. in einem WTorte wie ainm,
,Name', (Finck cenm; ich schreibe ahm) so deutlich hervor, dass man sich
überhaupt nicht täuschen kann, wenn man darauf achtet. Aber auch nach
% (z. B. in rn/in, ,Mehll, til\ , Wille') habe ich die Mouillierung ganz deutlich
gehört. Von diesen Fällen abgesehen, fehlt die Bezeichnung der Mouillierung
bei Finck noch in mehreren einzelnen Wörtern. Deutlich mouilliert ist
der gutturale Nasal in aingeal, ,Eiigel' (nach dem Nasal wird kein g
gesprochen, wie Finck in seiner phonetischen Schreibung angiebt), das k
in mhic, das g in aig (eg, nicht eg, wie Finck schreibt), das r in aris
,wieder' und in Criost u. s. w. Umgekehrt wird der Vokativ aird mit
nicht mouilliertem r gesprochen (nach meiner Schreibung ard'\ Finck un-
richtig ürj; mouilliert ist dagegen das r in päirc, gesprochen park u. s. w.).
Nach diesen Erörterungen muss ich behaupten, dass Fincks Schreibung in
Bezug auf die Mouillierung nicht zuverlässig ist. Aber dies ist fast das
einzige, was ich in Bezug auf die Phonetik auszusetzen habe. Hinzu
kommt noch, dass er vielfach n schreibt, wo n gesprochen wird; es soll
heissen 9N ahm 9N är ,im Namen des Vaters' 9N ard (Spruch 3). So wird
1) Ebenso sind in Muire, ,Maria', die beiden von Finck mit m und u bezeichneten
Artikulationen pddchzeitijr.
194 Pedersen:
auf Arran immer gesprochen, und dieselbe Aussprache ist für Connacht
bezeugt. Ferner M sy ,die neun', sicher auch hönän (Spruch 4), da immer
l nach r gesprochen wird, wenn die beiden Laute zu demselben Worte
gehören (dagegen wird z. B. im Satzzusammenhang nach der Präposition
air [gespr. ef\ ein anlautendes l oder i zu l und /'). In Bezug auf die
Vokale bemerke ich, dass fear und bean denselben Vokal enthalten; nach
der Arran-Aussprache kommt man für die kurzen «-Laute (von den Diph-
thongen abgesehen) mit einem Zeichen aus, da die Verschiedenheiten von
der Moullierung oder Nicht-Mouillierung der umgebenden Laute abhängen;
dazu zwei Längen ^7 und ä. Die Präposition ,ohne' heisst nicht gan,
sondern gn. Für ,Fieber' habe ich nur fldwrds gehört. Auf den Satz-
sandhi (der im Irischen eine ungeheure Rolle spielt) hat Finck nicht
immer geachtet, tild gd ist nicht durch den Rhythmus hervorgerufen,
sondern auch in der alltäglichen Sprache tritt ein solches d zwischen einem
mouillierten und einem nicht mouillierten Konsonanten häufig ein z. B.
kud'd gd, geschrieben cuid do ,ein Teil von" u. s. w. Es heisst zwar Hindu
fc/N (Spruch 1), aber in der folgenden Zeile t'ix'ds kyn. Es soll in der
Eingangsformel nicht sprit Nyv heissen, denn das d des geschriebenen
spiorad, Gen. spioraid (das proklitisch gesprochen wird) schwindet vor
dem xv. Eine nicht wirklich gesprochene Form ist „w-9 ZavV (für n ist at
zu schreiben); das Wort ist nämlich immer einsilbig; es ist überhaupt ein
Lautgesetz, dass ein d nach einem Diphthongen ganz ebenso wie nach
einem Vokal schwindet. Dadurch sind auch z. B. aghaidh Besicht1 und
gab ha , Schmied' einsilbig geworden. Wenn Finck wirklich ein d gehört
hat, muss dieser Laut zum folgenden Worte gezogen werden. In athair,
Gen. athar habe ich auf Arran in der wirklichen Volkssprache niemals
ein h gehört; und auch in allen analogen Fällen ist das h ganz geschwunden,
und die ursprünglich getrennten Vokale kontrahiert.
b) Transskription, Übersetzung und sachliche Behandlung. Das oben
erwähnte „n-? laia" darf nicht i n-a leaghadh transskribiert werden;
denn das l ist ganz deutlich „breit" (nicht mouilliert); ausserdem könnte
nach den Lautgesetzen ein traditionelles i n-a leaghadh nicht die vor-
handene Aussprache repräsentieren. Noch weniger steht dies leaghadh
für leagadh, erstens weil g nicht zu gh werden kann, und zweitens weil
,Werfen, Legen' (was übrigens auf Arran i!agn heisst) nicht die erforder-
liche Bedeutung ist. Es ist weiter nichts als das gewöhnliche i n-a luighe
,liegend\ gn celik darf nicht go 'n t-elc transskribiert werden, erstens
weil vor dem Possessivpronomen kein Artikel stehen darf, zweitens weil
das Wort elc (neuirische Schreibung wäre jedenfalls ealc, höchstens eile)
meines Wissens im Neuirischen nicht vorkommt, und drittens weil dies
Wort unter allen Umständen nicht elik lauten könnte; denn der Svarabhakti-
vokal tritt zwar zwischen l und g, nicht aber zwischen l und c ein, vgl.
ole, gesprochen olk (mit geschlossenem o). Die sehr feinen und inter-
Zu den neuirischen Zaubersprüchen. 195
essanten Gesetze der irischen Svarabhakti werde ich anderswo darlegen.
gn celik ist don t-seilg. Das Wort sealg (altirisch selg) habe ich in
der Bedeutung ,Milz' nicht gehört; dagegen wurde es mir als Name einer
Krankheit mitgeteilt; darüber werde ich Ausführlicheres in meinem Glossar
mitteilen (gesprochen wurde das Wort sehe), was dem geschriebenen seiig
entspricht). Gegen diese Krankheit findet sich ein Spruch in dem unten
zu erwähnenden Buche von O'Faherty. da toelik darf nicht als Kompositum
von do- und bolg betrachtet werden, denn, um von anderen Einwänden
ganz abzusehen, müsste ein solches Wort auf der ersten Silbe betont sein,
was nicht der Fall ist. Es handelt sich um ein Substantiv de, Plur. deaxy
, Schmerz', das auch in einem von mir aufgezeichneten Spruche gegen
Zahnschmerz vorkommt; in dem englisch-irischen Wörterbuch von Mac
Cuirtin (Paris 1732) findet man unter pain: „doigh theinnis; a pain in
the head: doigh chinn", und ferner unter side: „to have a pain in one's
side: doigh do bheith attaobh aoin". In einer entstellten Form kommt
das Wort in den Zaubersprüchen bei O'Faherty S. 134 als diaidh vor.
Dasselbe Wort steckt auch in dem de iakl des vierten Spruches. — In
der letzten Zeile des vierten Spruches darf x yn nicht gach aon trans-
skribiert werden; denn gach aon lautet auf Arran xen und kann nicht
, zusammen' bedeuten. Das Wort muss aryn geschrieben werden und
choidhehe transskribiert werden; es bedeutet ,je', eng. ,ever'. Das aus-
lautende n stammt von der häufig darauf folgenden Negation, z. B. xy(n)
Ni akd tu n sumrd so ,Du wirst niemals dies Zimmer verlassen'. — Ich
habe auch selbst ein paar Zaubersprüche nach der Mitteilung des alten
Martin aufgezeichnet; der eine ist mit No. 3 bei Finck fast identisch.
Finck hat in der Litteratur nichts Vergleichbares gefunden; ich erlaube
mir deshalb auf ein treffliches Büchlein hinzuweisen: Siamsa an Gheimhre,
a collection of stories and poems, by D. O'Faherty, a Schoolmaster in
West Connaught, Dublin 1892, 8°, 144 S. Das Buch enthält auf S. 133
bis 137 nicht weniger als 15 Zaubersprüche, welche für die Untersuchung
über die neuirischen Zaubersprüche durchaus mit in Betracht gezogen
werden müssen. No. 8 ist mit Finck No. 4 identisch :
Ortha an diaidh fhiacail.
Chuaidh Peadar go sruth-for-län ;
Thäinic Criost ös a chionn.
„Cia'rd sin ort a Pheadair?"
„O, m'fhiacail ata tinn."
Eirigh a Pheadair 's bi slän;
Ni thusa acht feara Fhäil."
Aon duine a gheillfeas nö a dearfadh an ortha,
Ni bheidheadh i n-diaigh na h-ortha diaidh in aon deud amhäin.
In ainm an Athar agus an Mhic agus an Spioraid Naoimh. Amen.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. 13
196 Boerschel:
Hier ist in der ersten Zeile von dem Flusse Jordan keine Rede; und
es wäre daher wünschenswert, wenn Finck mitteilen würde, ob er seine
Übersetzung- von seinem Gewährsinann hat, oder ob sie auf seiner eigenen
Interpretation beruht. Im letzteren Falle wird seine Übersetzung falsch
sein. Übrigens ist wohl auch die Schreibung bei O'Faherty falsch. Es
giebt auf Arran ein Wort srür fem. „das Wasser zwischen zwei ins Meer
hinauslaufenden, bei der Ebbe trockengelegten Felsenstrecken". Das ist
wohl altir. sruthar s. Windisch, Irische Texte mit Wörterbuch; das Wort
steht z. B. Leabhar na hUidhre 57 a 32. Es giebt ferner auf Arran ein
Wort sriirLän ,eine Rinne, worin das Wasser von einer Quelle wegläuft'.
Dies Wort steckt offenbar in unserem Zauberspruch. Der Gewährsmann
Fincks hat offenbar gewusst, dass in diesem Worte früher ein h gesprochen
wurde, was nicht wunderbar ist, da der Schwund des intervokalischen h
auf Arran offenbar ein junger Vorgang ist.
Herr Dr. F. K Finck hat einen gerechten Anspruch auf den Dank
der Sprachforscher und Folkloristen, weil er das schwierige Studium des
ungemein wichtigen Neuirisch an Ort und Stelle unternommen hat. Möge
er die vorhergehenden Zeilen, worin naturgemäss nur diejenigen Punkte
erörtert wurden, in denen ich mit ihm nicht übereinstimme, als ein Zeichen
des Dankes für seinen Aufsatz betrachten.
Greifswald.
Abzählreime ans dem Posenschen.
Gesammelt von Ernst Boerschel.
1. Kurz und lang
Hobelbank.
2. Rummeldebux
Ikajensen de schnux.
Während einer den Reim spricht, drehen sich die anderen schnell im
Kreise herum; wer dann nach der letzten Silbe zuerst stehen bleibt, tritt ab.
3. Eins, zwei, drei
Du bist frei!
4. a) Ich und du b) Ich und du
Müllers Kuh, Bäckers Kuh
Müllers Esel, Müllers Esel
Das bist du! Das bist du!
b. a) Ennchen, dennchen, dittchcn, dattchen,
Zeberde, beberde, bittchen, battchen,
Zeberde, beberde, bittchen, buh
Raus bist du!
Abzählreime aus dem Posenschen.
197
b) Enje den je datje
Zeberde beberde batje
Zeberde biberde bu
Ich oder du!
G. Ene mene^rning mang
Kling klang
Ohse, pose packe dich
Eia weia weg!
7. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
Meine Mutter die kocht Rüben,
Mein Vater schneid't Speck,
Du bist weg!
8. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
Meine Mutter die kocht Rüben,
Mein Vater flickt den Rock
Du bist ein Ziegenbock!
9. a) Eins, zwei, drei, vier
Eine Flasche Bier
Eine Flasche Rum
Du bist dumm.
10. Eins, zwei, drei, vier
Auf dem Klavier
Sass eine Maus
Die muss heraus.
11. Eins, zwei, dnei, vier, fünf, sechs,
[sieben
Komm, wir wollen Kegel schieben
Kegel um Kegel um
Böttcher, Böttcher, bum bum bum.
Böttchers Frau, die alte Grete
Sass auf dem Balkon und nähte
Fiel herab, fiel herab
Und das linke Bein war ab.
Kam der Doktor Pumpelmann
Näht das Bein mit Spucke an
Tippe tappe teck
Du bist weg.
b) Eins, zwei, drei, vier
Eine Flasche Bier
Eine Flasche Wein
Du musst's sein!
12. Eins, zwei, Polizei
Drei, vier, Offizier
Fünf, sechs, alte Hex
Sieben, acht, gute Nacht
.Neun, zehn, schlafen gehn
Elf, zwölf, heulen die Wolf
Dreizehn, vierzehn, blaue Schürzen
Fünfzehn, sechzehn, Raben krächzen
Siebzehn, achtzehn, gute Nachtzen
Neunzehn, zwanzig,
Die Franzosen zogen nach Danzig;
Danzig, das fing an zu brennen,
Die Franzosen mussten rennen,
Ohne Strumpf und ohne Schuh,
Ritten sie nach Frankreich zu!
13. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12
Wie tief ist das Gewölf?
Wie tief ist das Grab?
Ich oder du bist ab!
14.
1, 2, 3
Rische, rasche, rei
Rische, rasche
Plaudertasche
Du bist frei!
15. 1, 2, 3, 4
Kommt her zu mir
Mädchen, das sind goldne Engel,
Jungens, das sind Gassenbengel
Mädchen tragen Lorbeerkränze
Jungens tragen Rattenschwänze.
13*
198
Joerschel: Abzählreime aus dein Posenschen.
16. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9
Wie hoch ist die Scheun?
Wie hoch ist das Haus?
Du bist raus!
17. Ene mene meine muh
Nege bitze deine Ruh
Iffi halles ledangu
Ene mene meine muh!
18. A, B, C
Die Katze lief in'n Schnee
Als sie wieder raus kam
Hat sie weisse Hosen an.
19. Auf einem Baum ein Kuckuck sass,
Es regnete, er wurde nass,
Da kam ein heller Sonnenschein
Es müssen hundertdreissig sein:
10, 20, 30, 40, 50, 60, 70,
80, 90, 100, 110, 120, 130.
20. Vater, Vater, was ist das?
Unterm Bette raschelt was,
Kind das kann ich dir nicht sagen,
Da musst du die Mutter fragen:
Mutter, Mutter, was ist das
Unterm Bette raschelt was?
Kind das kann ich dir nicht sagen,
Da musst du die Köchin fragen:
Köchin, Köchin was ist das
Unterm Bette raschelt was?
Kind das kann ich dir wohl sagen
Das ist eine Maus
Die rnuss heraus.
21. Eine kleine Kaffeebohne
Wollte gern nach England gehn
Engelland war zugeschlossen
Und der Schlüssel war zerbrochen
Wieviel Stunden musst' sie stehn?
Die bestimmte Zahl der Stunden wird
nun hergezählt und wen die letzte
trifft, der tritt ab.
22. Ri ra rutsch
Wir fahren in der Kutsch
Wir fahren in der Kaiserkutsch
Ri ra rutsch.
23. Eine kleine Mies Maus
Lief ums Rathaus
Schöne wipp, schöne wapp
Du bist ab!
24. Endenntinus
Zurakatinus
Zurakaticatus
Feuer pam piis.
25. Muschebär
Schickt mich her
Ob der Kaffee fertig war.
Nein mein Kind du musst noch warten
Geh solange in den Garten,
Uhre acht, Uhre neun
Wird der Kaffee fertig sein
26. In der bimbambolschen Kirche
Geht es bimbambolisrh zu
Tanzt der bimbambolsche Ochse
Mit der bimbambolschen Kuh.
27. Mutter gieb mir einen Dreier,
Dreier will ich dem Bäcker geben,
Bäcker wird mir Semmel geben,
Semmel will ich der Katze geben,
Katze wird mir Leder geben,
Leder will ich dem Schuster geben,
Schuster wird mir Schuhe geben,
Schuhe will ich der Braut geben,
Braut wird mir Ringe geben,
Ringe will ich dem Pastor geben,
Pastor wird uns trauen.
Dann gehen wir nach Haus
Und machen einen Schmaus,
Trinken Bier und Wein
Du musst's sein!
28. Bohle, bohle Tintenfass
Geh in die Schule und lerne was,
Lernst du was, so kannst du was,
Lernst du nichts, so kriegst du was!
29. Eppe deppe riesnpa
Dodo dididi
Ulle bulle praedica
Dodo dididi.
Clarinette, nie polette
Indenapriko, iednoidentro.
Trotz dieses Wirrwarrs von Wörtern wird
der Reim doch häufig ausgezählt.
30. Wide wide witt, mein Mann ist
[Schneider,
Wide wide witt, macht schöne Kleider,
Wide wide witt, und Knöpfe dran,
Wide wide witt, washab' ich für'n Mann !
Kosch: Die adelichen Bauern von Turopol. 199
31. Ecie pecie gdzie jadziecie?
Ele wele na wesele
Endry, wendry na olendry.
Stammt aus dem Polnischen und wird sowohl von polnischen wie deutschen
Kindern ausgezählt.
Wenngleich sämtliche aufgeführten Reime in Posen abgezählt werden,
so lässt sich doch von keinem einzigen behaupten, dass er dort ent-
standen ist, denn viele Reime findet man auch in anderen Gegenden
wieder. Vgl. Arnim-Brentano, Des Knaben Wunderhorn; Frischbier, Volks-
reime; Simrock, Das deutsche Kinderbuch; Birlingers Alemannia, die ver-
schiedenen Bände der Zeitschrift d. Vereins f. Volkskunde u. s. w.
Posen.
Die adeliclien Bauern von Turopol.
Von Marie Kosch.
Vor zwei Jahren machte ich mit meiner Tochter eine Reise nach
Kroatien zu meinen Verwandten, welche vor 25 Jahren aus dem nordwest-
lichen Mähren auswanderten und sich, eine Fahrstunde von Agram ent-
fernt, ein grosses Landgut kauften. Dasselbe schliesst sich an ein Dorf
an, welches Velika Mlaka heisst und 80 Hausnummern zählt. Ich suchte
mich nun mit Hilfe meiner Verwandten mit den Verhältnissen der Dorf-
leute bekannt zu machen.
Die dortige Gegend, eine sehr grosse, fruchtbare Ebene, wird auf
kroatisch Turopol, das ist: Türkenfeld, genannt. Zum Lohne für ihre
Tapferkeit in den Kriegen gegen die Mongolen (Türken) hat der ungarische
König Bela IV. (12:35 — 1270) das Land, sowie einen grossen Eichenwald
den dortigen Bauern mit verschiedenen Gerechtsamen geschenkt. Zudem
hat dieser König allen Bauern den Adel verliehen, den sie bis auf
den heutigen Tag noch führen und auf den sie nicht wenig stolz sind.
Auf diesem grossen Türkenfelde befinden sich 24 Dörfer und der erwähnte
Eichenwald, der ein Ausmass von 14 000 Joch hat. Dieser Wald ist ge-
meinschaftlicher Besitz und hat eine eigene Verwaltung. Der Vorstand
der Bauern heisst Comes und wird alle drei Jahre neu gewählt, muss aber
ein Turopoljer, das ist Mitbesitzer der Landschaft sein. Seit vielen Jahren
besitzt dieses Vorrecht die Familie Josipovic, Gutsbesitzer in der Nähe
von Gross Mlaka. Die Beteiligten haben das Recht, sich aus dem Walde
Brennholz nach Bedarf zu führen, jedoch nur mit eigenem Zugvieh, ferner
Bauholz so viel sie brauchen. Zudem haben sie das Recht, ihre Schweine
in die Eichelmast, zu treiben. Im Herbste, wenn die Eicheln fallen, ist
200 Kosch:
der Wald von Tausenden von Sehweinen bevölkert; ebenso wimmelt es dort
von Hirten. Zur Aufrechthaltung der Ordnung wählen sie unter sich ein
Oberhaupt, einen Hirten, zu dem sie das meiste Vertrauen haben. Dieser
bekleidet das Amt eines Richters, wenn Streitigkeiten ausbrechen und hat
absolute Gewalt. Er diktiert Strafen, Stockprügel, oder mildere Strafen, denen
sie sich gutwillig unterwerfen. Die Turopoljer sind ein friedliches Volk, das
Beleidigungen leicht verzeiht. Wirtshansraufereien kommen bei ihnen
selten vor, obwohl sie gern Wein trinken, ihr einziges Vergnügen, ja ihre
einzige Leidenschaft. Für einen Liter Wein kann man den Bauer zn allem
haben, sein Gewissen wird dann sehr weit. Eine besondere Eigenheit der
Bauern ist ihre Vorliebe für den Handel, denn sie arbeiten nur so viel,
als sie müssen, um für ihren Bedarf die nötigen Lebensmittel zu erbauen.
Pferde- und Geflügelhandel wird stark betrieben.
Bis vor ungefähr 20 Jahren haben die Bauern noch echt patriarchalisch
in der Kommune gelebt, oft Urgross-, Grosseltern, Kinder und Enkel alle
zusammen in einem Hause. Dem hat aber die ungarische Regierung ein
Ende gemacht, indem sie in den siebziger Jahren ein Gesetz erliess, wo-
nach die Güter geteilt werden können. Von diesem Gesetz haben viele
Familien Gebrauch gemacht, was zu ihrem Untergang führte; denn sie
verarmten, während sie früher in einem gewissen Wohlstand lebten. Die
alten und kranken Glieder wurden erhalten von den arbeitsfähigen; der
älteste war das Oberhaupt, dem sich alle anderen unterordnen mussten.
Sehen wir uns nun an, wie es in so einem altadelichen Bauernhaus,
das noch in der Kommune lebt, aussieht: Von aussen und auch von
innen sind alle Häuser gleich gross und gleich gebaut. Sie sind von dicken
Eichenbalken gezimmert, und gleichen ungefähr den amerikanischen Block-
häusern, nur sind die Balken glatt behauen. Die Fenster sind sehr klein,
und am Dache ist kein Rauchfang zu sehen. Der Hof, in den man
eintritt, ist sehr gross, und mitten darin ein schmaler, sehr hoher Verschlag
von Holz, der sogenannte Kukuruzkorb, in dem der geerntete Mais auf-
bewahrt wird. Zu beiden Seiten des Hofes steht ein Wohngebäude Man
tritt ins Vorhaus, wo es von einer Unzahl Kinder, in allen Grösseu,
wimmelt, und von da in die Küche. Ich habe schon erwähnt, dass sich
am Dache keine Esse befindet, und wenn ich noch sage, dass in der
Küche auch kein Herd ist, sondern dass auf dem Boden in einer läng-
lichen seichten Grube bei ganzen Holzscheiten das Mahl für alle
Familienglieder, deren es oft bis dreissig oder noch mehr giebt, gekocht
wird, und dass der Rauch beim Dache und Sommers auch beim Fenster
hinaus ziehen muss, so wird man sich einen Begriff von solchen Küchen
machen können. Gekocht werden nur Speisen, die selbst gebaut wurden,
kleine bräunliche Bohnen, welche zwischen dem Kukuruz wachsen, dann
Kraut, Kartoffeln und Kukuruzsterz. Andere Speisen giebt es, ausgenommen
zur Winterszeit Schweinefleisch und bei besonderen Festen Mehlspeisen.
Die adelichen Bauern von Turopol. 201
Brot wird von Kukuruzmehl gebacken, worunter zuweilen Weizenschrot
gemischt wird. Beim Mahl sitzen die Männer auf Bänken um einen Tisch,
der in einer Ecke steht, und essen alle aus einer Schüssel; die Weiber
müssen zwischen ihnen stehen, und zwischen ihren Schultern, oder über
ihren Köpfen in die Schüssel langen. Die Kinder bekommen ihr Essen
in kleinen Schüsselchen, wobei sie sich auf die Erde oder sonst wohin
setzen. Das Kraut wird nicht gehobelt, sondern in ganzen Häupteln ein-
geschwert und gesäuert; ich habe mir sagen lassen, dass es so viel besser
und schmackhafter werden soll, als wenn es, wie bei uns, zuvor gehobelt
wird. Das Turopoler Kraut ist weit berühmt; überhaupt ist die dortige
Gegend ein Gemüseboden ersten Ranges. Und diesem wunderbaren Boden
wissen die Bauern nichts anderes abzugewinnen als Kukuruz, und wenn
dieser missrät, sind sie geschlagen; denn trotz ihrer geringen Bedürfnisse
brauchen sie Geld, um die hohen Steuern zahlen zu können. Einst zahlten
sie gar keine, dann später nur geringe, und gegenwärtig, wo die ungarische
Regierung Geld, viel Geld braucht, wird die Steuerschraube immer mehr
angezogen.
Nach dieser Abschweifung führen wir den geneigten Leser in das
Wohnzimmer. Dasselbe ist ziemlich gross, geht über die ganze Längsseite
des Hauses und macht durch die vielen Betten, welche darin reihenweise
aufgestellt sind, den Eindruck eines Spitals. Ja, es bleibt fast gar kein
Raum zum Gehen, indem zwei oder drei Reihen Betten neben einander
stehen. Diese haben so hohe Füsse, dass man nur mittels eines Schemels
hinauf gelangen kann, und die Polster sind so gelegt, dass derjenige, der
sich darin befindet, mehr sitzt als liegt, Nachts werden die Wiegen unter
die Betten geschoben. Sie haben keine Füsse und bestehen nur aus
einem länglichen Kasten, an dem zu beiden Seiten eiu halbrundes Holz
angebracht ist, das eine schaukelnde Bewegung hervorbringt. Dies ist das
Wohnzimmer; ein zweites, hinteres nennen sie die Komora (Kammer), in
welchem sie ihren ganzen Reichtum, nämlich Wäsche und Kleider, in
grossen Truhen aufbewahren. Der Fussboden ist durchgehends Tenne.
Im Wohnzimmer befindet sich ein grosser weiss getünchter Ofen, in
dem zur Winterszeit Tag und Nacht geheizt wird, wobei der Rauch bei
den Dachluken hinauszieht. Da sie ihre Speisevorräte auf dem Boden
haben und zwar Mehl, Käse und dergl , so riecht alles nach Rauch. Im
Wohnzimmer findet man auch die bekannten kroatischen Stickereien, an
denen, wenn Zeit ist, die Frauen arbeiten. Diese gestickten Tücher werden
gewöhnlich zu Schürzen oder Wiegendecken verwendet, aber nur, wenn
das Kind in der Wiege zur Taufe getragen wird.
Die Kleidung der Männer und Frauen besteht durchgehends aus
selbstgefertigten Hanfleinen. Der Hanf wird zwischen dem Kukuruz
gebaut, nach der Ernte bearbeitet und im Winter zu Garn versponneu und
verwebt. Sonntags, wenn alle frischgewaschene Kleider anhaben, macht
202 Kosch:
das weisse Gewand einen angenehmen Eindruck. Die Männer haben bloss
eine Hose an und ein langes Hemd von sehr grober Leinwand. Erstere
ist weit und unten offen, ungefähr so, wie die der mährischen Slowaken
bei Lundenburg, und das Hemd wird um die Taille etwas herausgezogen,
so dass es ein Rad bildet und fast einer Jacke gleicht. Zur Winterszeit
wird ein Pelz darüber gezogen. Die Frauen haben weite Röcke von der-
selben Leinwand, die um die Taille in Stehfalten gereiht sind; ferner haben
sie ein Hemd, bis zum Hals geschlossen, mit weiten halblangen Ärmeln,
dazu ein anliegendes Leibchen, alles weiss, mit einem sehr schmalen und
tief ausgeschnittenen Rückenteil, auf dem der Name und die Haus-
nummer der Trägerin mit rot und blauem Garn gestickt ist.
Sagen wir etwas von den Hochzeitsgebräuchen. Das Brautwerben
geschieht immer nach Drei Königen, in der Faschingszeit. Zuerst erkundigt
sich der Freier um die Verhältnisse und gefallen ihm diese, so nimmt er
sich einen Freiwerber, welcher für ihn das Wort führt. Mit Wein ver-
sehen, erscheinen sie im Hause der Erkorenen. Gewöhnlich empfängt sie
bloss die Mutter, die Tochter versteckt sich hinter den Ofen und beobachtet
ungesehen mit Neugierde den Freier. Die Mutter giebt auf die Anfragen
des Brautwerbers ausweichende Antworten und ladet den Burschen ein,
am nächsten Tage wieder zu kommen. Nach einem Familienrat den
nächsten Tag, wenn der Bursche kommt und sein Werben angenommen
wird, so überreicht ihm das Mädchen ein rotes Tüchel mit verschämtem
Antlitz, und mit dieser Gabe, welche das Jawort bedeutet, ist die Verlobung
geschlossen; sie sind Braut und Bräutigam. Gewöhnlich folgt bald dar-
nach die Hochzeit. Am Vorabend derselben erscheint der Bräutigam mit
Wagen und Musikanten im Hause der Braut, um ihre Ausstattung in
Empfang zu nehmen, die zumeist in Wäsche und Kleidungsstücken besteht,
und gewöhnlich ihr ganzes Vermögen ausmacht. Der Wagen mit derselben
wird unter Sang und Klang in das Haus des Bräutigams überführt, wobei
sehr viel getrunken wird. Die Tracht des Bräutigams am Hochzeitstage
ist sehr hübsch. Dunkelblauer Rock, schwarz verschnürt und verbrämt,
enges Beinkleid von derselben Farbe, ebenfalls verschnürt, dann zum
Zeichen seines Adels der Säbel an der Seite. Die Kleidung ist
selten Eigentum des Burschen und wird gewöhnlich ausgeliehen. Es sind
nur wenige Familien in jedem Dorfe, die diese Kleidung besitzen, indem
sie sonst niemals getragen und nur zu Hochzeitszwecken verwendet wird.
Die Braut ist ganz in weisse dünne Stoffe gekleidet, und um den
Hals werden ihr ringsherum rote Bänder festgesteckt, eins neben dem
anderen, welche ungefähr 1 m lang sind und lose herunter hängen, so dass
sie eine Art Mantel bilden. Der Anzug ist hübsch, nur entstellt ihn die
Haube, welche aus Silberflittern, bunten kleinen Federn und Blumen be-
steht. Zur Kirche gehen die Leute immer zu Fuss, auch wenn sie weit
dahin haben, voran drei Musikanten (zwei Violinen und eine Bassgeige),
Die adelichen Bauern von Turopol. 203
dann kommen drei Brautführer, der erste mit einer Fahne, und alle drei
haben die Pflicht zu springen und zu tanzen. Dann kommt der Bräutigam
und hinter ihm erst die Braut; die Brautmutter beschliesst den Zug.
Nach erfolgter Trauung kehren sie in das Haus der Braut zurück. Der
Brautvater erwartet, unter der Thür stehend, den Hochzeitzug — dem
sich die ganze Dorfjugend, singend und johlend anschliesst — mit einer
Flasche Wein in der Hand, welche die Runde bei den Ankommenden
macht, und dann ladet er sie erst ein ins Haus zu treten. Das Brautpaar
wird in das hintere Zimmer geführt, wo ihm eine Schüssel Milch vorgesetzt
wird, und nachdem sie noch etwas Fleisch gegessen haben, begeben sie
sich in das vordere Zimmer, wo sich die Gäste befinden. Das Paar bekommt,
wie überall, den Ehrenplatz, darf aber nicht viel sprechen, die Braut gar
nichts, auch dürfen sie sich nicht am Tanz oder sonstigen Lustbarkeiten
beteiligen, nichts trinken und müssen sich still und ernsthaft verhalten.
Nach dem dritten Gang kommt der Dar, das sind Geschenke. Jeder der
Gäste muss etwas schenken, entweder Hanf, Leinwand oder Geld, welches
die Brautmutter in Empfang nimmt. Die Braut steht während dem abseits,
mit dem Rücken gegen die Gesellschaft gekehrt, und kommt erst wieder
zu Tisch, bis niemand mehr etwas giebt. In wohlhabenderen Häusern
bleibt die Hochzeitsgesellschaft zwei bis drei Tage beisammen, sogar vier
Tage bis alle Vorräte verzehrt sind. Dann ist die Hochzeit zu Ende, und
man begiebt sich in das Haus des Bräutigams, wo sich das Ganze wieder-
holt, hier aber nur einen Tag dauert. Beim Eintritt in das Haus wird
der Braut von ihrer Mutter, die Haube abgenommen, und dieselbe dem
Bräutigam übergeben, der sie auf die Spitze seines Säbels steckt und
damit einigemale um sich selbst herum tanzt, worauf er sie der Mutter
zurückgiebt. Mit dieser Zeremonie ist das Fest beendet, und das Mädchen
heisst nun snah, das ist Frau. Heiraten aus Liebe sind bei diesem Volke
eine sehr grosse Seltenheit, und eben so selten ist auch die eheliche Treue
bei ihnen. Das Mädchen ist unzugänglich, aber desto zugänglicher die
Frau. Auf ihren Adel sind sie sehr stolz; Heiraten zwischen einem
Adelichen und einem Nichtadelichen werden als Mesalliance betrachtet und
kommen selten vor.
Bei allen ihren Festen spielt der Wein eine grosse Rolle, und ehe
ein neuer Weltbürger das Licht des Tages erblickt, wird schon für Wein
gesorgt, um ihn würdig empfangen zu können. Der Mann muss ein Fass
Wein anschaffen. Wenn das Weib ihre schwere Stunde herannahen fühlt,
wird ihr Wein zu trinken gegeben und zwar viel Wein, so dass sie
gewöhnlich etwas benebelt wird; auch im Verlauf des Wochenbettes
muss sie immer eine Flasche Wein zur Hand haben. Auch der Mann,
sowie die Taufpaten und Besucher thun das Ihrige, um das Fass bald
leer zu trinken, welches je nach den Verhältnissen oft bis vier Eimer
enthält.
204 Bolte;
Die neugeborenen Kinder haben keinerlei Wäsche und bleiben ganz
nackt. Sie werden die erste Zeit bloss in ein Stück Zeug eingewickelt und
eingeschnürt und in der Wiege zur Taufe getragen. Den Namen be-
stimmt immer der Priester.
Bei Sterbefällen wird der Tote Tag und Nacht bewacht, damit die
bösen Geister ihm nichts anhaben können. Die weiblichen Verwandten
singen monotone Klagelieder, in denen sie die guten Eigenschaften des
Toten aufzählen und ihren Schmerz in Worten Ausdruck geben. Auch
werden bezahlte Klageweiber angenommen. Das letzte Geleite geben den
Toten immer nur Weiber, Männer beteiligen sich niemals daran, selbst
nicht, wenn ihnen der nächste Angehörige stirbt. Ein alter Mensch ist
überhaupt keiner Thränen mehr wert, man trauert nicht um ihn, weil er
nichts mehr nützt in der Welt. Nach dem Leichenbegängnis versammeln
sich alle Leidtragenden im Sterbehause zum Totenmahl. War der Ver-
storbene ein Mann, so werden die Gäste mit 13 Speisen bewirtet, das sind
immer nur Mehlspeisen und Hülsenfrüchte, sowie Reis und alles darf nur
in Wasser gekocht sein. Bei einem Weibe erscheinen zwei Speisen
weniger und beim Kinde, ob männlich oder weiblich, kommen nur sechs
Speisen auf den Tisch.
Die Zustände dieses Volkes reichen bis ins hohe Altertum zurück.
Wie lange wird es aber dauern uud alles ist verschwunden und vergessen !
Durch das Gesetz der Ackerteilung geht es einem raschen Verfall entgegen.
Ebreichsdorf in N.-Österreich.
Setz deinen Fuss auf meinen!
Von Johannes Bolte.
(Nach Rc inhold Köhlers Kollektaneen.)
Es ist ein weit verbreiteter Volksglaube, dass jemand die Gabe erhält,
in die Ferne zu schauen, selbst in die Geheimnisse der Hölle, wenn er
seinen Fuss auf den eines mit höherer Wissenschaft Begabten, eines Geist-
lichen oder Hexenmeisters, stellt. Das älteste Zeugnis hierfür liefert uns
ein mittelhochdeutsches Gedicht des Strickers1). Ein reicher Sünder, so
berichtet der Verfasser, ging aus Rom zu einem Einsiedler und wurde auf
dessen Rat sein Genosse. Als er jedoch nach Verlauf eines Jahres in
seinen bussfertigen Vorsätzen wankend wurde, sprach der Einsiedler zu
1) J. v. Lassberg, Liedersaal 1, 503. — Über die aus der Arseniuslegende entlehnten
Visionen vgl. Bolte, Ztschr. f. deutsche Phil. 22, 334.
Setz deinen Fuss auf meinen. 205
ihm: „Tritt auf meinen rechten Fuss!" Der Sünder that dies; da hiess
ihn jener aufschauen und fragte ihn, was er sähe. Der Sünder erblickte
einen Mann, der eine Last Holz nicht zu tragen vermochte und trotzdem
noch mehr dazu lud, dann einen anderen, der mit einem bodenlosen Eimer
Wasser schöpfen wollte, endlich zwei, die eine lange Stange quer tragend
in eine enge Thür hineinstrebten. Diese Gesichte deutete der Einsiedler
auf die Thorheit des Sünders, der sich durch des Teufels Rat von der
begonnenen Busse abbringen lasse.
Genau wird die Stellung in einer Schweizer Sage aus dem Kanton
Wallis1) beschrieben, in der ein Pater einen seiner Schüler die armen
Seelen im Aletsch-Gletscher sehen lässt, indem er zu ihm sagt: „Komm
hinter meinen Rücken, stelle deinen rechten Fuss auf meinen linken
und schaue über meine Achsel auf den Gletscher hinüber!" — Ebenso
zeigte nach einer Aargauer Sage2) ein Gast im Wirthaus zu Unter-Entfelden
dem ungläubigen Dorfinüller von Aarau den Spuk des verstorbenen Tauben-
stütze, indem er ihn hinaus zu einem gewissen Platze führte und ihm
gebot, mit dem linken Fusse auf seinen rechten zu treten und ihm über
die linke Schulter zu blicken. Was er nun sah, brachte ihn in solche
Furcht, dass er nicht heimzugehen wagte, sondern im Wirtshause über-
nachtete. — Aus Graubünden teilt E. Meier8) den Volksglauben mit, dass
man Geister erblicken könne, wenn man jemanden auf den rechten Fuss
trete und ihm über die linke Schulter sehe; auch darf es der linke Fuss
und die rechte Schulter sein.
Anderwärts soll schon das Blicken über die Schulter allein dieselbe
Wirkung haben, ohne dass es erforderlich ist, den andern auf den Fuss
zu treten4). So erzählt man sich in Thüringen5), dass am Helmeufer
zwischen Wallhausen und Martinsrieth allnächtlich die Geister zweier
Männer, deren einer den anderen einst erschlagen und in den Fluss ge-
worfen hat, mit einander kämpfen. Doch nicht jedem ist die Gabe ver-
liehen, die gespenstischen Wesen zu sehen; mancher hat sie genau gesehen,
mancher nicht. Wer aber über die linke Schulter eines andern hinsieht,
kann die beiden Streitenden ganz deutlich erblicken. — In einer west-
fälischen Sage6) führt ein verzaubertes Fräulein einen Schäfer in den
hohlen Berg und gebietet ihm, über ihre linke Schulter zu sehen, worauf
er reiche Schätze gewahr wird. In einer anderen 7) erblickt der Fährmann,
1) M. Tscheineu und P. J. Ruppen, Walliser Sagen 187 1, S. 13.
2) Rochholz, Schweizerische Sagen aus dem Aargau 2, 1G0, vgl. 1(52 (1856).
3) Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben 2, 543, No. 439 (185:2).
4) Simrock, Deutsche Märchen 1864, No. 5 (Zauberspiegel). Auch das Schauen durch
den eingestemmten Arm macht geistersichtig. Grimm, Mythologie3, S. 891.
5) H. Grössler, Sagen der Grafschaft Mausfeld 1880, S. 170, No 193.
6) Kuhn-Schwartz, Norddeutsche Sagen 1848, S. 241, No. 268.
7) Ebenda S. 242, No. 270, 1. Eine übereinstimmende hessische Sage bei Grimm,
Mythologie3, S. 428.
206 Bolte:
der bei Nacht viele Unterirdische über die Weser gesetzt hat, diese erst,
als er dem kleinen Manne, der ihn gedungen, über die rechte Schulter
schaut. — In einer hildesheimischen Erzählung1) zeigt ein Sonntagskind
auf dieselbe Weise einem Bekannten einen geisterhaften Leichenzug. Nach
einer in Westfalen verbreiteten Meinung2) kann aber der Geisterseher seine
verhängnisvolle Gabe gerade durch dies Mittel auf den Menschen oder
Hund, den er über seine linke Schulter blicken lässt, nicht bloss für den
Augenblick, sondern für immer übertragen und selber ihrer ledig werden.
Sogar der Blick über die eigene linke Schulter, den ein Mädchen in der
Matthiasnacht nach dem künftigen Freier thut, soll zauberische Wirkung
haben3). — Rätselhaft dagegen bleibt die Kraft dieser Gebärde in einem
dunklen Märchenbruchstücke vom Teufel und Fortuna, das J. Grimm in
den Altdeutschen Blättern 1, 297 veröffentlicht hat. Ein Knabe, den seine
Eltern schon vor seiner Geburt dem Teufel versprochen haben, bricht die
Macht des Bösen, indem er ihm sagt: , Tritt mir auf den linken Fuss und
schau mir über die rechte Schulter!' Denn das vermag jener, ohne ein
Kreuz zu machen, nicht und entweicht. Vielleicht liegt ein Zusammenhang
mit dem alten Brauche vor, dass bei der Vindikation des entfremdeten
Viehes der schwörende Eigentümer es mit Hand und Fuss berühren
musste*).
Ausserhalb Deutschlands stossen wir auf ähnliche Überlieferungen. In
Dänemark glaubt man, dass ein Hexenmeister durch diese Gebärde einem
verborgene Dinge zeigen kann5). Die Südslaven meinen, dass ein „AVolfs-
hirt" den Anblick der nur ihm sichtbaren Wölfe auch einem andern ver-
schaffen kann, wenn dieser ihm auf den rechten Fuss tritt6). Ebenso ver-
mag nach griechischem Volksglauben ein Zauberer auf diese Weise jemand
das erkennen zu lassen, was er sieht7). — In einer korsischen Erzählung8)
sagt ein Priester zu einem Bauern, dem er seinen verstorbenen Vater zum
Himmel fahrend zeigen will: „Setz deinen Fuss auf meinen und gieb acht!"
— Eine bretonische Sage9) erzählt, wie ein Mann seine meineidige Frau,
die plötzlich von einem Sturme entführt worden war, in der Hölle, nach-
dem ein ihm begegnender Herr ihn angeredet hatte: „Si tu veux voir ton
1) Seifart, Sagen, Märchen, Schwanke und Gebräuche aus Hildesheim 1854, S. 39,
No. 29. Ebenso bei Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie 1, 238, No. 446 (1852) aus
der Wetterau.
2) Kuhn, Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen 1859, 1, 187, No. 206. 2, 55,
No. 160. Grimm, Mythologie 3, 472, No. 996 und 476, No. 1111.
3) Kuhn, Sagen aus Westfalen 2, 124.
4) Grimm, Rechtsaltertümer S. 589 f.
5) Kamp, Danske Folkeminder 1877, No. 1398.
6) Krauss, Sagen und Märchen der Südslaven 2, 263 (1884).
7) Fenger, Om det nygraeske Folk og Sprog 1838, S. 22.
8) Ortoli, Contes populaires de l'ile de Corse 1883, S. 275.
9) Sebillot, Traditions et superstitions de la Haute Bretagne 1, 197 (1882).
Setz deinen Fuss auf meinen. 207
epousee, mets ton pied sur le mien!" — In einer anderen Erzählung
desselben Landes1) wird ein ehrlicher Pächter, dessen Herr verstorben war,
ohne ihm über die bezahlte Pachtsumme eine Quittung auszustellen, von
einem Unbekannten aufgefordert: „Mettez votre pied sur le mien, et vous
allez voir votre maitre." Er sieht sich alsbald in die Hölle versetzt und
kann sich von seinem dort Pein leidenden Gutsherren die gewünschte
Quittung geben lassen.
Nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren werden so in einer
Sage aus Wales2) den Gefährten Llewellyns für überirdische Dinge ge-
öffnet. Indem Llewellyn seinen Fuss auf den Rand eines „Elfenringes"
stellt und seine Genossen, einen nach dem andern, auf seinen Fuss treten
lässt, hören diese das Harfenspiel der Elfen und erblicken sie. — Und
von der Quelle des heiligen Martin weiss das französische Landvolk zu
berichten3), dass der Heilige als Schulknabe plötzlich den fernen Ruf
seines Brotherrn, dessen Kühe er hütete, vernahm und dem Lehrer, der
dies nicht glauben wollte, erwiderte: „Setzt Euren Fuss auf meinen, und
Ihr werdet ihn ebenso wie ich hören."
Auch in Märchen und Volksliedern ist derselbe Volksglaube anzutreffen.
In einem Märchen von der Insel Femern4) sagt Goldmariken, die das
Wünschen gelernt hat, auf ihrer Flucht mit Prinz Goldfeder aus dem
Hause der Hexe, zu dem Prinzen: „Tritt mir auf den linken Fuss und
sieh mir über meine rechte Schulter, ob jemand kommt!" — Ganz
ähnlich ist die Situation in dem Märchen der Gräfin D'Aulnoy „Gracieuse
et Percinet"5). Hier führt der Prinz, der die Gabe der Zauberei besitzt,
die Prinzessin Gracieuse, die gern wissen möchte, was am Hofe ihres
Vaters vorgeht, auf einen Turm und fordert sie auf, „de mettre son pied
sur le sien, et son petit doigt dans sa bouche. puis de regarder du cöte
de la ville", worauf sie sieht, was zu Hause vorgeht.
In einem bretonischen Volksliede6) dient das Zaubermittel dazu, ähnlich
wie in der französischen Martinslegende, ein fernes Glockenläuten hörbar
zu machen:
Garan Le Briz disait Puisque tu en es ä cinq cents lieu s?'
Un jour, au milieu de l'armee: ,Mettez votre pied sur le mien,
,Arretez, raon capitaine, arretez un peu, Et vous les entendrez corame rv. :
J'ai entendu les cloches de Cavan!' II a mis son pied sur le sien,
,Et comment pourrais-tu les entendre, Et a entendu les cloches de Cavan.
1) Ebenda 1, 199.
2) Th. Keightley, The Fairy Mythology 1850, S. 415.
3) Brunet, Eevue des traditions populaires 1, 147 (1886).
4) Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder von Schleswig-Holstein 1845, S. 399.
5) Cabinet des Fees 2, 28.
6) Luzel, Chants populaires de la Basse-Bretagne 1, 101.
208 Lehmann :
Eine von Legrand1) in der Normandie aufgezeichnete Ballade berichtet,
wie eine Dame in Abwesenheit ihres Gemahls von ihrer Schwiegermutter
gezwungen wird, die Schweine zu hüten und nach sieben Jahren des Elends
endlich ein elfenbeinernes Hörn ergreift und bhäst. Der Ritter vernimmt
den Ton und kehrt heim:
11 dit ä son page: ,Entends-tu rien corner?
Co sont helas! je crois, les cornes de rna femme.'
,Vous vous trompez, mon maitre, c'est qu'il vous Fest avis.'
,Mets ton pied sur le mien, tu l'entendras aussi.'
Mit son pied sur le sien, il l'entendit aussi.
Kleine Mitteilungen.
Zum Bahrgericht.
Durch das Buch A. Schönbachs über Hartmann von Aue 1894, S. 29fi werde
ich auf einen Bericht aufmerksam, der schon wegen seines Alters, sodann aber
auch wegen der Behandlung des Gegenstandes von Wert ist. Petrus Monoculus,
in den Jahren 1179 bis 1186 Abt von Clairvaux, berichtet von einer Visitations-
reise über einen Mord an einem Abt und die Entdeckung des Mörders folgender-
massen:
Accidit cnim ante paucos hos dies, ut in domo Tri um Fontram, quae prima
est in ftliabus nostris, visitationis ageremus officium; et ecce abbas ejusdem loci
sacrarium ecclesiae, ubi altare B. Bernardi nuper erexerat, peculiarem orationem
solito celebraturus ingreditur, quatenus post haec missarum solemnitatibus celebratis
devotior nobis et negotiis instantibus redderetur. Cumque^ ibi moram faceret, et
cum angelis Dei assisteret coram Domino, adfuit etiam inter eos Satan, permissus
in cum extendere manum suam: ut ille innocentissimus Pater ibi reciperet mortem,
ubi vitae requirebat auctorem. Ingressus est namque post eum vir Belial nomine
Simon, qui clauso ostio ut occideret in abscondito, Patrem suvim praedictum abbatem
vibrata in caput ejus acie securis aggreditur, nee prius a vultus et verticis con-
cisione destitit, quam ille non jam miser, sed adhuc miserabilis Pater laureatus
suo sanguine spiritum in ejus quem orabat manibus expiraret. Post haec una
ora transaeta abiit crudelissimus parrieida, et missam celebrare non timuit, ut
velamentum sceleris devotione sibi ascisceret sacerdotii. Diu enim prae tumultu
lugentium et coneurrentium monachorum ignoratus parrieida delituit, quamvis
vox sanguinis sine intermissione fluentis virum sanguinum, quoties
feretro cominus accessisset, stillicidiali quodam testimonio demon-
straret. Unde postmodum pro his et aliis quibusdam conjeeturalibus
signis ad rationem positus reuin se patrati facinoris confitetur.
1) Eomania 10, 370.
Kleine Mitteilungen. 209
Die Stelle findet sich bei Migne, Bd. 201, S. 1396. Sie ist eine schätzens-
werte Stütze für die Auffassung1), nach der das Bahrgericht ursprünglich ein In-
quisitionsmittel war. Denn der Berichterstatter hebt ausdrücklich hervor, dass
noch andere „conjecturalia signa" da waren, die berechtigten zur Rechenschaft zu
ziehen und das Geständnis zu erlangen. Das Bahrgericht erscheint also weder als
Gottesurteil noch als leibliche Beweisung. Der Bericht zeigt andererseits, dass
der Glaube damals bereits festeingewurzelt war. Über den Ursprung des Glaubens
giebt er freilich keinen Aufschluss, aber die Thatsache, dass er gerade in kirch-
lichen Kreisen herrschte, scheint doch mehr auf kirchlichen, als auf heidnisch-
volkstümlichen Ursprung hinzuweisen.
Rostock. Karl Lehmann.
Zum Verwuntlerungsliede.
Unter den Kinderreimen, welche Schell in der Zeitschrift des Vereins für
Volkskunde V, 66 ff. und 451 ff. veröffentlicht hat, finden sich zwei Sprengstücke
eines weitverbreiteten deutschen Kinder- oder Volksliedes, die in diesem Zusammen-
hang betrachtet von nicht geringem Interesse erscheinen. Im Korrespondenzblatt
des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Jahrg. 1878, Heft 1, S. 7 ff. hat
W. H. Mielck die Reste und Varianten jenes Liedes verfolgt und zusammengestellt,
die er ajs das „Verwunderungslied" bezeichnet, und dessen Hauptinhalt die drastische
Schilderung einer höchst verwunderlichen Wirtschaft derTiere in einem menschen-
verlassenen Land, in einem Hause oder einer Mühle bildet. Mielck hat das Lied
besonders im niederdeutschen Rüstengebiet verbreitet gefunden, aus Mittel- und
Oberdeutschland kennt er nur wenige und dürftige Bruchstücke desselben, darunter
auch das von Schell a. a. 0. 451 unter Xo. 7 aus Heidelberg angeführte „Katz
kehrt Stuwwe aus. Maus dräschd de Dreck deraus, Hockt e Vechele aufm Dach,
Hot sich halber schebb gelacht", das hier an einen ganz andersartigen Abzählreim
angesetzt ist. Um so beachtenswerter ist dieses Bruchstück und zwar wegen der
letzten beiden Reihen. Dem Schreiber dieser Zeilen ist nämlich aus seiner Kinder-
zeit eine Fassung des „Verwunderungsliedes" bekannt die wahrscheinlich aus „Des
Knaben Wunderhorn"2) stammt, und diese Passung endete mit den Versen:
„Sitzt ein Männlein unter' m Dach, Hat sich fast zu Tod gelacht". Entsprechende
Schlussverse fehlen in den Varianten, die Mielck a. a. 0. aufgeführt hat, und nur
in drei dort mitgeteilten Fassungen aus Ostfriesland findet sich eine Schlusswendung,
die auf etwas derartiges hindeutet: „Baben wahnt de rike Mann, De lett woll allens
got wassen, got Haver un got Gassen u. s. w., 1s dat nich wol got Husgerat?"
Mannhardt hat, wie Mielck a. a. 0. S. 9, Zeile 2 ff. bemerkt, in diesen Schluss-
versen heidnisches Altertum und somit wurzelechten Bestandteil der Tradition erblickt,
meines Erachtens mit Recht: die von mir mitgeteilte Fassung aus dem Wunderhorn
bestätigt und präcisiert es. Das Männlein unterm Dach ist der Hauskobold, der
bald segenspendend, bald neckisch boshaft über dem Hause waltet, und sich über
die drollig verkehrte Wirtschaft, die er angestellt oder zugelassen hat, halb tot
lachen will. Aber diese Wendung des Liedes, die einst vielleicht die Pointe war,
wurde mit dem Verblassen des alten Glaubens unverständlich und wurde entweder
1) Vgl. meine Abhandlungen über das Bahrgericht in den Germanist. Abhandlungen
für K. Maurer, einige weitere Belege in Zeitschr. für deutsches Altertum XXXIX, S. 6.
Für Dänemark einige Hinweise auf das dort spät auftretende Bahrgericht bei Matzen,
Foreläsninger over den danske Retshistorie II, S. 63.
2) Ausgabe von 1876, Bd. II, S. 777.
210 Bernheim:
weggelassen oder durch verständlichere Vorstellungen ersetzt. In der angeführten
Fassung aus Ostfriesland ist der Koboldcharakter des Männleins so weit verwischt,
dass man unter „dem Manne, der haben wahnt", den Heben Gott verstehen kann,
obwohl der letzte Vers „Is dat nich wol got husgerat (in anderer Version husrat)"
deutlich das alte Gepräge erkennen lässt. In dem erwähnten Bruchstück im
Heidelberger Abzählreime ist aus dem Männlein unterm Dach ein Vögelchen auf
dem Dache geworden, und mit Hinblick hierauf wird man auch den Anfang einer
solchen Reimerei aus dem Bergischen als Bruchstück unseres Liedes ansehen,
welche Schell in dieser Zeitschrift V, 67 unter No. 7 mitgeteilt hat: „Et sot en
Düffchen op dem Dach, Dat hat sich baul kapott gelacht".
Mielck hat a. a. 0. S. 9 f. gemeint, das „Vervvunderungslied" sei spezifisch
niederdeutsch und die wenigen Spuren desselben im übrigen Deutschland, darunter
die ihm bekannte im Heidelberger Reim, seien aus niederdeutscher Vorlage ent-
nommen. Davon kann schwerlich die Rede sein, wenn man in den beiden Schluss-
versen des Heidelberger Bruchstückes, wie erwähnt, einen wurzelechten Bestand-
teil des Liedes erkennt, der sich gerade in den niederdeutschen Fassungen meist
nicht erhalten hat. Übrigens habe ich noch aus dem Munde einer Bäuerin aus
Neudorf bei Strassburg im Elsass vor Jahren ein Kinderlied gehört und mir auf-
gezeichnet, das ebenfalls ein Stück des „Verwunderungsliedes", und in eigentüm-
licher Version enthält:
Es stet ein engele (oder: kindele) an der wand,
Het ein gekkele in der band,
Möcht's gern side,
Het ken glide,
Möcht's gern esse,
Het ken messer.
Da fallt'n messer vum himmel (oder: von oben) herab,
Schnid dem engele 's täpele ab.
Engele lauft zum doktor (oder: barbirer),
Doktor is nit daham.
Engele lauft zum perrückes,
Perrückes is nit daham.
Müs fegt de stub' üs,
Katz trägt'n dreck 'nüs,
Springt über'n brunnen,
Findt'n kind.
Wie soll's heissen?
König oder kaiser, so soll's heissen.
Auch hier wird sich schwerlich an Entlehnung aus dem Niederdeutschen
denken lassen. Vielmehr scheint das „Verwunderungslied" eine recht alte gemein-
germanische Schöpfung zu sein. Es lohnt sich, wenn diese Ausführung richtig
ist, ohne Zweifel um so mehr, die Untersuchung Mielcks fortzusetzen und weiter
auszudehnen. Namentlich wäre die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Ein-
leitungen des Liedes zu richten, unter anderem in der Hinsicht, ob die Verbindung,
worin die Bruchstücke aus der verkehrten Wirtschaft in den Elsässer und Heidel-
berger Reimen auftreten, auch vielleicht ursprünglichen Zusammenhang habe.
Greifswald. Ernst Bernheim.
Kleine Mitteilungen. 211
Der Tod der ist ein grober Mann.
Tn der Gaststube eines Wirtshauses im Ötzthal in Tirol findet sich gross an
die Wand gemalt:
Der Tod der ist ein grober Mann,
Er kommt herein und klopft nicht an.
Zu diesem deutschen Memento mori vergleichen sich aus Youngs Nacht-
gedanken die Verse
— and death
Already at the door? He knows, we hear him,
And yet we will not hear.
Man erinnert sich ferner des kleinen Gedichts von Goethe, das er am 14. Febr.
1814 an Zelter schickte:
Das Alter.
Das Alter ist ein höflich Mann,
Ein Mal übers andere klopft er an,
Aber nun sagt Niemand: herein!
Und vor der Thür will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heisst's, er sei ein grober Gesell.
Zuerst 1815 gedruckt. In der Weimarschen Ausgabe II, 288; in G. v. Loepers
Ausgabe von Goethes Gedichten (Berlin 1883) II, 214, dazu v. Loepers Anmerkung
S. 489. K. W.
Meidericher Rechtssprichwörter.
1. Twe sind frei.
Dieses Sprichwort hörte ich unlängst von einem alten Meidericher. Ich fragte
ihn, welchen Sinn er mit demselben verbinde. Er erklärte: „Von den am Weg
stehenden Obstbäumen durfte der Vorübergehende sich zwei Äpfel oder Birnen u. s. w.
aneignen, ohne dass er sich dadurch eines Diebstahls schuldig machte; er hatte
aber die Pflicht, das Genommene offen in der Hand zu halten und sofort zu ver-
zehren." Ich fragte nun: ,,Was glauben Sie, ist der Grund gewesen, dass man
dies erlaubte?" Er meinte: „Man licss sich wohl von der Ansicht leiten, dass der
Betreffende einer Erquickung bedurfte." Ich erinnerte nun an das Matth. 12, 1 — 8
und Luc. 6, 1 — 5 Mitgeteilte. Er erwiderte: „Aber die Pharisäer haben doch
-Christo einen Vorwurf daraus gemacht, dass seine Jünger Ähren ausrauften?"
„Die Geschichte", schaltete ich ein, „ist Ihnen dem Anscheine nach im Augenblick
nicht recht gegenwärtig; die Pharisäer behaupten nicht, dass die Jünger eine an
sich strafbare Handlung begehen, sondern sie tadeln nur, dass dieselben die
Sabbatvorschrift übertreten. Das geht aus der Geschichte unzweideutig hervor.
Wenn man sich vergegenwärtigt, wie wohlthätig gerade die Israeliten sich gegen
Arme erwiesen, so liegt die Annahme, dass auch bei ihnen die von Ihnen erwähnte
Sitte geherrscht habe, sehr nahe."
Ich forschte nun nach, ob sich für obige Erläuterung vielleicht eine Grundlage
gewinnen lasse und ermittelte, dass in verschiedenen Teilen Deutschlands that-
sächlich der Brauch bestanden hat, den Vorübergehenden den sogenannten Mund-
raub zu gestatten und dass ähnliche Gründe, wie der angegebene, für diese Ver-
Zeitschr. d. Vereius f. Volkskunde. 1896. 14
212 Dirksen:
günstigung massgebend gewesen sind. Als höchste zulässige Zahl wird „drei"
bezeichnet; darum in anderen Gegenden: „Drei sind frei." — Nach dem Bochumer
Landrecht (Grimm, Rechtsaltert., S. 209) § 74 durfte sogar der an einem Kornfelde
vorbeikommende Fuhrmann für seine Pferde drei Garben von den zum Trocknen
aufgestellten Haufen nehmen, welche an Ort und Stelle zu verfüttern waren. Damit
nicht Unschuldige in den Verdacht der Thäterschaft kämen, sollte er „die orte
(d. h. die Überreste) auf dem weg liegen lassen." Dass in einigen Gegenden
wieder der Mundraub sehr streng, sogar mit dem Tode bestraft wurde, mag
nebenbei erwähnt werden. Die Const. Crim. Carolina will in Art. 167 den Mund-
raub bloss bürgerlich, nach Ortsgewohnheit bestraft wissen:
„Wo jemandt bei tag essendt frücht nem, vnd damit durch wegtragen, der-
selben nit grossen geuerlichen schaden thett, der ist nach gelegenheyt der personen
vnd der sach, bürgerlich zu straffen, wie an dem selben ende da der schad ge-
schieht, durch gewonheyt oder gesetz herkommen."
2. Ras my drei finger afhaue!
Hässlich klingt es, wenn man hierorts von Erwachsenen oder Kindern hört:
„Wenn das nicht wahr ist, so kannst Du mir drei Pinger abhauen." — Gemeint
sind die drei Finger der beim Schwur erhobenen Rechten, welche dem Mein-
eidigen bekanntlich abgeschlagen wurden. Aus Art. 102 der peinlichen Hals-
gerichtsordnung Kaiser Karls V. erfahren wir, dass diese Strafe allgemein zur
Anwendung gelangte; auch obige Gerichtsordnung will „dieselbigen gemeyne ge-
wonlichen leibstraff nit endern."
Diese Strafart war längst abgekommen, als die Erinnerung daran im Volke
noch fortlebte, wie auch eine Stelle in Pestalozzis „Lienhard und Gertrud"
(Reclamsche Ausgabe S. 202) zeigt, in welcher der Gutsherr über den des Meineids
überführten Vogt folgendes Urteil fällt:
„Der Scharfrichter soll Dich morgen unter den Galgen von Bonnal führen,
Dir daselbst Deine rechte Hand an einen Pfahl in die Höhe binden und Deine
drei ersten Finger mit unauslöschlicher schwarzer Farbe anstreichen."
3. De kerk mut midden in därp bliwe.
Neben der Kirche, welche in früherer Zeit unstreitig fleissiger besucht wurde
als heute, lag stets auch der Begräbnisplatz (Kirchhof). Als man anfing Schulen
zu errichten, wurden auch diese in der Nähe der Kirche erbaut. Sämtliche Be-
wohner des Ortes hatten mithin ein Interesse daran, dass die Kirche an einem
geeigneten Platze liege. Man bestimmte nun wohl, dass sie mitten im Dorfe zu
errichten sei. Die Lage fast sämtlicher Kirchen bestätigt unsere Annahme.
Vorstehende, besonders auf den geschäftlichen Verkehr übertragene Redensart
wird jetzt gewöhnlich solchen Personen gegenüber angewendet, welche sich eine
Überforderung zu schulden kommen lassen.
4. Wen et aste in de möl kömp, den malt 6k et aste.
Vorstehende Parömie kommt nicht nur in Meiderich, sondern auch anderwärts
vor. Sie ist zweifelsohne älter als die gleichlautende gesetzliche Bestimmung des
Sachsenspiegels (II, § 59) und des Schwabenspiegels (312, 10).
„Malen" hat man mit „sprechen vor Gericht" erklärt, indem man es mit alts.
mahljan identificierte ; die Parömie würde demnach ausdrücken, dass derjenige,
der zuerst kommt, zuerst vom Richter gehört werden müsse.
Dass das indes nicht der ursprüngliche Sinn derselben sein kann, zeigt § 59
des Sachsenspiegels zur Genüge. Die obigem Rechtssprichwort unmittelbar vor-
hergehenden Worte in § 59 lauten: „Der leere Wagen soll ausweichen dem ge-
Kleine Mitteilungen. 213
ladenen"; „welcher Wagen zuerst auf die Brücke kommt, der soll zuerst überfahren,
er sei leer oder beladen" u. s. w. Der Sachsenspiegel giebt hier bestimmte Bei-
spiele und überlässt es dem Richter, darnach analoge Fälle zu beurteilen. Ich
nehme die Vorschrift wörtlich; erst später hat sich der Sinn derselben verall-
gemeinert, was bereits zu Anfang des 16. Jahrh. der Fall ist, wie Tunnicius 393
zeigt: „De ersten kumt, de nimt de beste stede."
Meiderich (Bez. Düsseldorf). C. Dirksen.
Beschwörung des Alps.
Herr Professor Dr. Heyck in Heidelberg schickte mir vor einiger Zeit folgenden
Segen, den er von einem sehr alten Manne in Schriessheim an der Bergstrasse
gehört hatte:
1. Albe du sollst dich niederleigen,
Sollst auf alle Bäume l) steigen,
Und alle Bäume blatten
Und alle Wasser baden
Und alle Winkel durchstreichen,
Dann sollst du (dich) niederleigen.
Aus Böhmen, Mähren und Schlesien gebe ich dazu ATarianten. In Bodenbach
an der Elbe lautet der Spruch so:
"_'. \lp. Alp, du bist geboren wie ein Kalb.
Alle Wasser musst du waten.
Alle Bäume musst du blaten,
Alle Kirchen musst du meiden-),
Und eb3) du das wirst thun,
Derweile werde ich gut ruhn.
(Grohmann, Aberglaube und Gebräuche aus Böhmen, S. 23.)
Im nördlichen Böhmen, in Welhotta, segnet man sich so gegen den Alp:
3. Olp, 01p, 01p, ich sage dir,
Kumm mr heute ne zu mir,
Olle Wosser wota,
Olle Beine blota,
Olle Berche steicha,
Olle Gottshäuser meida.
Sollst a heute vo mr scheida. (Frz. Knothe, Wörterbuch der
schles. Mundart in Nordböhmen. Hohenelbe 1888. S. 59.)
Im Kuhländchen in Mähren spricht man:
4. Ich lae mich heint wie nachte,
Gott behitt mich vir Nockwers Knächte,
Gott behitt mich vir dam laidige Olp,
Ar hot a Kepple wi a Kolb,
Olle Wosser wote,
Olle Baemer blote,
Olle Bärge staige,
Olle Ki'chespeitze maide! (Meinert, Alte deutsche Volkslieder
in der Mundart des Kuhländchens, Wien 1817. S. 44.)
1) Berge ist das richtige, vgl. No. 3. 4. 5. 6. 8. 2) Vgl. auch No. 3. 3) eb,
14*
214 Weinhold:
In Gurschdorf in Österreichisch Schlesien segnet man sich vor dem Schlafen-
gehen also:
5. Olp ond 01p,
Ich weich dir heute aus,
Doass du nech kemmst ei mei Haus.
Olle Lönda (Linden) musst du bloata,
Olle Wasser musst du woata,
Olle Bärge musst du steiga!
Bis der himmlische Hohn kräht.
Koan mer der Olp ond Olp
Nischte me oahoan1).
(Vernaleken, Mythen u. Bräuche des Volkes in Österreich. Wien 1859. S. 273.)
Unvollständig ist die Überlieferung aus dem Meininger Unterlande:
6. Das Wallala
Alle Berge durchtra (durchtrabt)
Alle Wasser durchbat
Alle Blütlich äblat (abblattet)
Onnerdesse wörds Täk. (Aus Emmerichs Meininger Taschen-
buch für 1800 wiederholt von Stertzing in Haupts Ztschr. f. d. Altert. 3, 360.)
Aus dem flämischen Belgien hat J. W. Wolf einen Segen gegen die Mar in
seinen Niederländischen Sagen (Leipzig 1843) S. 689 mitgeteilt, der mit dem
Pfälzischen und dem Ostdeutschen noch verwandt ist:
7. 0 Maer, gy lelyk dier,
Komt toch dezen nacht niet weer!
Alle Waters zult gy waeyen,
Alle Boomen zult gy blaeyen,
Alle Spieren Gerst zult gy teilen,
Komt my toch dezen Nacht niet k wellen.
(0 Mar, ihr hässliches Tier, kommt doch diese Nacht nicht wieder! Alle
Wasser sollt ihr durchwaten, Alle Bäume abblatten, Alle Gerstenähren sollt ihr
zählen. Könnt mich doch diese Nacht nicht quälen!)
Der oberharzische, von H. Pröhle in Lerbach aufgezeichnete Spruch gegen
die Marte ist nahe verwandt:
8. Marte, ehr de mik wull berien,
Sasse erst alle Bärge und Däler overstrien,
Alle Grassspiere einknicken,
Alle Lofbläre afflicken,
Alle Stern am Himmel teilen,
Jindess werd wol Dag sin. (Wolf, Z. f. d. Mythol. 1, 198.)
Stark verderbt, schon durch die Übertragung aus dem Plattdeutschen, woraus
nur „teilet" sich erhielt, ist der paderbornische Marsegen:
9. Hier leg ich mich schlafen,
Keine Nachtmar soll mich plagen,
Bis sie schwemmen alle Wasser,
Die auf Erden fliessen,
Und teilet alle Sterne,
Die am Firmament erscheinen. (Kuhn, Westf. Sagen II, 191.)
1) Nichts mehr anhaben.
Kleine Mitteilungen. 215
In diesen mit einander verwandten, auf eine Grundform zurückgehenden Be-
schwörungen des Alps oder der Mare, die ein zum Schlafe gerüsteter spricht, um
nicht von dem Quälgeist heimgesucht zu werden, wird dem Alp aufgegeben, auf
alle Berge zu steigen, alle Wasser zu durchwaten, die Bäume abzublatten, die
Ähren zu zählen (oder zu knicken und die Sterne zählen). Bis er dies vollbracht,
wird der Hahn krähen und der Tag erscheinen. Dann hat das Nachtgespenst
keine Macht mehr.
Anklänge finden sich in einem anderen Alpsegen: „Drudenkopf, ich verbiete
dir mein Haus und Hof", der (wahrscheinlich durch den Druck1) auch ziemlich
verbreitet ist: Schreibers Taschenbuch für Süddeutschland 1839, S. 321. Kuhn
und Schwartz, Nordd. Sagen S. 461, No. 458. Rochholz in Wolf-Mannhardts Ztschr.
f. deutsche Myth. 4, 113 (aus der Schweiz), v. Leoprechting, Aus dem Lechrain,
S. 26. A. Peter, Volkstüml. aus Österreich-Schlesien 2, 230. Die darin enthaltene
Formel — „bis du alle Berge steigest und alle Zaunstecken zählst, und über alle
Wasser steigest (reitest) so kommt der liebe Tag wieder in mein Haus" stimmt
zu unserm Segen. Besonders sei auf die lechrainische Formel hingewiesen: „bis
du alle Bichel (Bühel) grattelst, alle Wasser watteist, bis du alle Zaunstecken
melkst und alle Läublein an Bäumen zählst, bis kommt der liebe Tag" —
(Leoprechting 26).
Adalbert Kuhn hat in seiner Zeitschrift 13, 118 ff. einen Spruch aus dem
Atharva Veda besprochen, der die Apsaras und Gandharven bannen und an der
verliebten Verfolgung und Bedrängung menschlicher Männer und Frauen hindern
soll. Er hat dabei auch auf einige der oben citierten deutschen Segen Bezug
genommen (No. 7. 6. 8. 9), denn die Apsaras werden zum Fluss und zur Wasser-
furt und zu den gipfelhohen Bäumen verwiesen (a. a. 0. 119), wie unsere Mare.
Die Gandharven werden mit Indras Pfeilen bedroht, wie in unseren Sprüchen der
Nachtgeist mit dem Erscheinen des Tages. Also verwandte Schösslinge aus ver-
wandten Keimen!
Geringerer Anklang ist in einem schottischen Segen gegen Schmerzen von den
Orkneys zu entdecken, den A. Kuhn aus den Choice notes 63: a. a. 0. 124 mitteilte.
In diese ganze Beschwörungsreihe gehört auch eine Bannformel gegen allerlei
elbisches Volk in einer Münchener Handschrift des 15. Jahrh. (Cod. lat. Monac. 615),
die Fr. Keinz in den Münchener Sitzungsberichten Ph. hist. Kl. vom 1. Juni 1867
mitgeteilt hat, aus der ich diese Stelle aushebe:
alp und elbelin, ir sult niht lenger bliben hin!
albes swestir and vatir ir sult varn obir den gatir!
albes mütir, trute und mar ir sult üz zu dem virsten var,
noch (salj mich di mare drucke, noch mich di trute zucke,
noch mich di mar rite, noch mich di mare beschrite.
K. Weinhold.
Zur Volkskunde aus Anhalt.
Von Oskar Härtung.
Krankheitsbeschwörungen.
Bei Entzündungen nehme man von den Genitalien eines Ziegenbockes drei
Haare, bestreiche damit das kranke Glied und werfe sie dann in ein fliessendes
Wasser mit den Worten:
1) Darauf weist die' genaue Übereinstimmuog der Formel in den verschiedenen
Quellen. Sie steht im sogenannten Romanusbiichlein.
216 Härtung:
Bocksbiidelwulle (Bocksbeutelwolle) un Hirsebrand,
Fahret bede näh Engelland!
Im Namen Gottes u. s. w. Frose (Kr. Ballenstedt.l
Um ein krankes Pferd zu heilen spreche man folgenden Spruch:
N. N.'s schwarzer Wallach,
Der hat Würmer,
Graue, blaue, rote.
Unser Herr Jesus ging über 'ne breite Brücke,
Da begegnet ihm nichts als Blut und Wasser.
Im Namen Gottes u. s. w.
Sollen tot sein! Wulfen.
Um die Zahnschmerzen zu vertreiben, gehe man bei abnehmendem Monde
abends in den Garten zu einem Birnbäume, falle dort nieder und spreche:
Bernbom, ek klähe (ich klage) dek,
De rode Worm, de stickt mek. Frose.
Ähnlich sagt man eben dort gegen die Gicht:
Bernbom, ek klähe dek,
De hilige (heilige) Gicht, de plähet (plaget) mek.
Gegen die Rose und andere Übel teilte mir der alte Gemeindehirt von Frose
folgenden Segen mit:
Alle Glocken angeklungen,
Alle Messen sein gesungen!
Böses Kraut,
Du musst vergehen und verwesen!
Gegen die Gicht heisst es in Zehmitz:
In Gottes Namen greif ich an den wilden Ast,
Der von mir nimmt die schwere Last.
Fussgicht, Sckwindel und Reissen
Sollen aus meinem Leibe entweichen
Und in den wilden Ast 'reinschleichen,
und ebendort „für den kalten Brand"1):
Ich und mein Heiland, wir gingen beide über Land.
Da begegnete uns ein Stock, der war schwarz gebrannt.
Darauf legte er seine weisse Hand.
Da verging der Rotlauf und der kalte Brand.
Um die Rose zu büssen, spricht man ebendort:
Maria und ihr liebes Kind,
Die spielten beide um einen Ring.
Maria verband ihr liebes Kind.2)
und gegen Zahnschmerz:
Hiob sprach zu Josaphat:
Warum stehst du hier so müssig?
„Soll ich denn nicht müssig stehn?
Mir thun ja meine Zähne weh.u
Hiob sprach: Wasch dich rein!
Deine Schmerzen sollen weg sein!
1) Vgl. Bartsch, Mecklenb. Sagen II, S. 383, No. 1802. 1803. 1806 a. 1811. 1825 u. a.
2) Vgl. Bartsch a. a. 0. S. 426, No. 1980.
Kleine Mitteilungen. 217
Um „die Schwulst zu versprechen", wird in Zehmitz folgender Segen an-
gewandt:
Lauf, Schwulst, lauf, die Glocken klingen!
Die Schwulst, die soll verschwingen !
und ein anderer, um „die Schmerzen zu benehmen":
Unseren Heiland seine Wunden,
Die heilten und waren nicht verbunden.
Sie schworen nicht,
Sie körten (?) nicht.
Beim Erscheinen eines Raubvogels sprechen die Rinder, welche die jungen
Gänse hüten, in Thurau (Kreis Cöthen):
Hulewih, du Trickel, Trummel,
Deine Gänschen sind verschwund'n,
Sind mit rotem Blute begossen.
Hulewih, dein Haus brennt!
und in Gross-Badegast:
Hulewih, du dicke Trunirnel,
Deine Gänschen sind verschwungen,
Sind in'n grossen Rasten geschlossen,
Sind mit rotem Blute begossen.
In Ziebigk lautet der Segen so:
Hulewih, du dicke Tonne,
Deine Jungen sind verschwund'n,
Liegen schon längst als Leichen
In unseren grossen Teichen,
Sind mit rotem Blute begossen.
Hulewih, jetzt wirst de erschossen.
und in Fr ose fand ich folgende Fassung1):
Weihe, Weihe, witte Tunge,
Mine Jungen sin verschlungen,
Säten op der Hecken,
Wollten sek verstecken.
Alte Weihe, 16p (lauf),
Mine Jungen sin tot.
In Zuchau endlich begegnete ich dem Spruche in dieser Gestalt:
Ulewih, du dicke du (?)
Deine Gänschen sind verschlossen,
Sind mit rotem Blute begossen,
Ulewih flieg!
Ulewih flieg!
Deine Mutter ist im Rrieg!
1) Eine Variante dazu aus Gr. Alsleben bei Fiedler, Volksreime und Volkslieder aus
Anhalt-Dessau (Dessau 1847), S. 95.
218 Jiriczek:
Bücheranzeigen.
Handbuch der germanischen Mythologie von W. Golther. Leipzig,
S. Hirzel, 1895. XL 665 Ss. 8°.
Golther will mit möglichster Klarheit erzählen, was wir aus verlässigen Be-
richten wissen und sucht innerhalb der Überlieferung die Entwicklungsgeschichte
festzustellen; das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung, da das Buch nicht aus-
schliesslich für Fachleute geschrieben ist; „so weit nur irgend möglich schliesst
sich dieses Handbuch an Uhland an, besonders auch bei Erzählung nordischer
Sagen" (S. 16). Litteratur- und Quellennachweise sollen das Handbuch auch zum
Nachschlagen und schnellen Überblick dienlich machen. Der Stoff ist in eine
Einleitung über die Geschichte der Wissenschaft und die Quellen zur germanischen
Mythologie und in vier Hauptstücke gegliedert, welche die niedere Mythologie, den
Götterglauben, Weltschöpfung und Weltende und endlich die gottesdienstlichen
Formen behandeln. Die „Gestalten des Volksaberglaubens " (niedere Mythologie)
werden nach dem Plane des Buches, schon in der Anordnung des Stoffes die
Entwicklung zu veranschaulichen (S. III), in der Anordnung: Seelen und Maren,
Übermenschliche Wesen, die aus Maren und Seelen hervorgingen, Elbe und Wichte,
Riesen vorgeführt; zweckentsprechend wäre es gewesen, auch hier wie bei den
Göttersagen Wesen und Art einerseits, Erzählungen (Sagen) andererseits gesondert
zu behandeln. Die Ronstatierung der Erzählungstypen in schematischer Weise, die
das gesamte germanische Material der volkskundlichen Verwertung zurechtlegt, ist
eine dringend notwendige Arbeit, deren Lösung selbstverständlich nur auf mono-
graphischem Wege möglich ist; doch hätte bereits die vorhin angedeutete Sonderung
einen nutzbringenden Schritt in dieser Richtung bedeutet und andererseits die
mythisch-genetische Erklärung präciser zu formulieren gestattet. Sie war weniger
unter dem Gesichtspunkte: „Der Volksglaube scheint unwillkürlich aus der Ver-
anlagung des menschlichen Gemütes zu entstehen" (S. 72), als vielmehr aus dem
primitiven Schlussvermögen und Bedürfnis des menschlichen Verstandes nach Her-
stellung eines kausalen Zusammenhanges abzuleiten. Über die getroffene Einreihung
der verschiedenen Gestalten unter die gewählten Gesichtspunkte kann man mitunter
verschiedener Meinung sein, aber zu Sicherheit im einzelnen wird die Forschung
auf diesem Gebiete kaum je gelangen, zum mindesten nicht auf einzel-ethnischem
Boden, da die Grundfragen allgemein ethnologischer Natur sind. Jedenfalls ist es
dankenswert, dass G. der niederen Mythologie einen verhältnismässig so breiten
Raum gegönnt hat und sie in sehr übersichtlicher Weise mit guter Belegauswahl
und besonnenem Urteil vorführt. Mehr Berücksichtigung hätte der Belegstoff ver-
dient, der sich in mittelhochdeutschen Gedichten findet, die heimische Sagenmotive,
in fremdartigen Aufputz gekleidet, zum Aufbau ihrer phantastischen Kompilationen
verwenden, wie z. B. der Pleier, an dessen Werken E. H. Meyer in Haupts Zeit-
schrift XU, 470 ff. sehr schön gezeigt hat, wie reich dieser noch kaum angebrochene
Schacht ist, oder Strickers Daniel vom blühenden Thal, wo Rosenhagen Ähnliches
aufgewiesen hat, vgl. z. B. seine Anmerkungen zu V. 1225, 1284, 3164, 4038, 4128;
speciell letztere Anmerkung würde verdient haben, im Kapitel von den Wasser-
geistern verwertet zu werden. Auch Laistner im Rätsel der Sphinx berührt vieles.
Einer ausgedehnteren Benutzung für mythologische Zwecke steht allerdings heute
Bücheranzeigen. 219
— und wohl noch für lange — der Mangel an monographischen Stoffuntersuchungen
im Wege. Für den Zusammenhang von Wassergeistern mit Seelen Ertrunkener
bietet die fseröische Sage Köpakonan (Fser. Anth. I, 345) einen reineren Beleg als
die angezogene isländ. Volkssage von Faraos liffar (S. 149). Im Abschnitte über
Götterglauben wird Tius an die Spitze gestellt; Freyr und Donar-pörr gehen der
Behandlung Wodan-Odins voraus, den Beschluss bildet die Reihe der dii minorum
gentium, woran sich ein Abschnitt über die Göttinnen anschliesst, in welchem in
dankenswerter Weise den germanischen Göttinnen auf römischen Inschriften und bei
antiken Autoren ein eigener Paragraph gewidmet ist; wie weit hier die eklektische
Vorführung der verschiedenen aufgestellten etymologischen Erklärungen das Richtige
betont, fällt der Entscheidung linguistischer Spezialisten anheim, da die Probleme
hier hauptsächlich sprachlich-etymologischer Natur sind. In den zwei Abschnitten
über Götterglauben und Kosmogonie sowie Eschatologie hängt das Urteil über das
Gebotene in vielen Stücken wesentlich von der Stellungnahme zu Bugges Ansichten
ab; bei dem schon in den Vorfragen und der ganzen Vergleichs- und Schluss-
methode durchaus gegensätzlichen Standpunkt des Verf. und des Ref. wäre es
zwecklos, gegen Einzelheiten zu polemisieren, wo eine gemeinsame Basis der Ver-
ständigung fehlt; neues „Material" für die von Bugge übernommenen Ansichten ist
nicht beigebracht, und die Frage, die schon von den verschiedensten Seiten
diskutiert worden ist, steht somit nach wie vor auf demselben Fleck. Aber auch
wenn man in objektiver Enthaltsamkeit auf das Geltendmachen aller Vorfragen,
die nicht an Golthers Popularisierung, sondern an vorausliegende Erscheinungen
anknüpfen, verzichtet, so kann doch nicht unbemerkt bleiben, dass — unbeschadet
des Standpunktes, den der Verf. gewählt hat — mehrfach vorsichtigere Formulierung
sich empfohlen hätte. Für den Mistelzweig der Baidersage wird wiederum der
Kohlstengel vorgeführt; aber nach Singers Mitteilungen (Ztschr. d. Ver. f. Volks-
kunde II, 293) ist schon der chronologische Einwand kaum zu beseitigen. Einen
richtigeren Gesichtspunkt bot übrigens die Einreihung dieses Zuges unter das
weitverbreitete Motiv von der Unverletzlichkeit eines Gottes, Helden oder Dämons
ausser an einer Körperstelle, durch eine Waffe oder durch ein Ding; in nächster
Analogie, die dennoch kein Zusammenhang ist, steht z. B. die indianische Variante,
dass von zwei Göttern der eine nur durch den Schlag einer Farrenkrautwurzel, der
andere nur durch den einer blühenden Binse tötbar ist (in verschiedenen Varianten
vgl. z. B. Leland, The Algonquin Legends, passim; Rand, Legends of the Micmacs,
No. LX; Journal of American Folklore, Vol. VIII, 196). Die Zusammenstellung
der Unterweltsfahrt Thorkills mit dem antiken und christlichen Motiv der Höllen-
fahrt, S. 289, ist richtig, aber eine Ableitung daraus zum mindesten sehr zweifel-
haft, wenn man, wie billig, die Motivvergleichung weiter erstreckt und die weite
Verbreitung des Motivs bei zahlreichen Völkern der Erde berücksichtigt, über die
Tylor, Prim. Cult. Kap. XIII orientieren konnte. Wenn S.366 die Trias von Erklärungen
Heimdals als St. Michael (Bugge), Christus (E. H. Meyer), Jupiter Ammon (Falk)
in der Anmerkung bibliographisch vorgebracht wird, so durfte nach Heinzeis Aus-
führungen im Anz. f. d. A. XVI, 344, die Vergleichung der Geburt Christi mit der
Heimdals doch kaum beachtenswert („verdient Beachtung") genannt werden; viel-
mehr verdiente die Richtigstellung der lexikalischen und interpretatorischen
Missverständnisse, auf die sich der Vergleich zum grössten Teile aufbaut, Be-
achtung. Für die Wette Lokis mit den Zwergen, für die Golther an Marsyas und
Apollo erinnert (S. 420), hat E. H. Meyer schon im Anz. f. d. A. 13, 23 ff. ganz
andersartige Parallelen beigebracht, die meines Erachtens durchaus das richtige
treffen und auf die zum mindesten hinzuweisen war. S. 478 wird in der Anmerk.
220 Jiriczek:
die Buggesche Ableitung des Netzes Räns aus Aranea casses in alto suspendit
wiederholt; wozu aber zweifellose Irrtümer wiederholen, wenn der Gegenbeweis
schon in dem, was die Note sonst mitteilt, liegt? Heranzuziehen waren auch noch
Vogts Bemerkungen zu Rosenhagens Daniel -Ausgabe am oben angeführten Ort.
Garmr wird im Text zu Kerberos gestellt, obwohl Mogk in Indogerm. Forsch.,
Anz. III, 30 die richtige Etymologie (norweg. garma, brüllen) angegeben hat, die in
der Note dann natürlich auch fehlt. In dem Baiderabschnitt ist des zweifellosen
Zeugnisses für die Existenz derselben Sage in früher Zeit, die in der Episode von
Herebeald und HaeÖcyn in Beowulf liegt (Sarrazin, Beow.-Stud. 44; u. a.) nicht
gedacht. In der Litteratur zum Svipdagsmythus fehlt Hjalmar Falks umfänglicher
Aufsatz in Ark. f. nord. Fil. IX und X, umso merkwürdiger, als er einen neuen
Beleg für Bugges Theorie zu konstatieren sucht. Bei der Behandlung des Odins-
glaubens verdienten Kauffmanns Gesichtspunkte Idg. Forsch. II, Anz. 80 Erwähnung;
doch sie führen allerdings ab von der Ansicht, die G. vertritt, und ihre Verwertung
hängt davon ab, wie man sich mit den Vorfragen abfindet, wie man sich z. B.
vorstellt, dass der deutsche Odinsglaube nach dem Norden wanderte, wenn nicht auch
Mythen, die Odin in Deutschland eben als den höchsten der Götter erscheinen
Hessen, mitwanderten, und noch so manches andere, was aus diesem Grunde nicht
berührt werden soll. Die Reichhaltigkeit dieser Abschnitte des Buches und die
geschickte Durchführung des richtigen Prinzipes, Mythen und Sagen, deutsche und
nordische Quellenzeugnisse auch in der Darstellung zu sondern, sollen damit nicht
in Schatten gestellt werden; die gleichen Eigenschaften kann man dem vierten
Hauptstück nachrühmen; die darin berührten Probleme sind zum grossen Teile
weniger mythologisch als vielmehr rechtshistorisch; zur Beurteilung ' der davon
gegebenen Darstellung bin ich daher inkompetent.
Inkongruenzen, die aus der schwer in einem Buche vereinbaren Absicht, ein
wissenschaftliches Handbuch und zugleich eine nicht für Fachleute ausschliesslich
bestimmte populärwissenschaftliche Darstellung zu geben, hervorgehen, will ich
nicht breittreten, umsoweniger als Golther im allgemeinen mit Geschick beiden
Zwecken gerecht geworden ist. Mitunter aber lassen sich Bedenken gegen den
eingeschlagenen Mittelweg zwischen wissenschaftlicher Förderung und populari-
sierender Darstellung nicht abweisen, auch wenn man, wie recht und billig, berück-
sichtigt, dass die eigentliche Aufgabe eines Handbuches nicht in neuen Unter-
suchungen einzelner Probleme, sondern nur in der Zusammenfassung der Special-
litteratur liegt, wodurch die Einzelheiten in das rechte Licht gerückt werden und
die Wissenschaft als Ganzes übersichtlich wird. Solche Bedenken treffen vor allem
die Einleitung. Weitausholend beginnt sie mit dem wüsten Notizenkram der poly-
historischen Richtung des 17. und 18. Jahrh. und giebt sogar S. 13 ein Verzeichnis
der wichtigsten popularisierenden oder dilettantischen Bücher, die auf dem vor-
grimmischen Standpunkt stehen. Da die Popularlitteratur nicht in ein wissenschaft-
liches Handbuch gehört, die Titel an sich zur Charakterisierung der im Rontexte
hinreichend gekennzeichneten Richtung nichts beitragen, ein Verzeichnis der
Popularlitteratur aber, um bibliographischen Wert zu besitzen, dann doch auch die
spätere Zeit berücksichtigen müsste, ist der Zweck dieser Liste unverständlich.
Dagegen vermisst man tieferes Eingehen auf wirklich bedeutungsvolle Fragen in
den zwei Abschnitten: „Volkssage und Heldensage in ihrem Verhältnis zur My-
thologie" (4) und „Die Wanderung der Mythen" (7). Beide enthalten bloss Rai-
sonnements, der erste über J. W. Wolf nebst seiner Schule und über Müllenhoff, der
zweite über Gruppes bekanntes Werk und Vodskovs Einleitung zu seinem be-
gonnenen Buche Sjseledyrkelse og Naturdyrkelse, dessen Besprechung übrigens nur
Bücheranzeigen. 221
in losem innerem Zusammenhange mit den Gruppeschen Theorien steht; von der
Sache selbst ist nicht die Rede. Und doch wäre das in beiden Abschnitten sowohl
verdienstlich als notwendig' gewesen. Es wäre verdienstlich gewesen, wenn der
Verfasser der Frage nach dem Verhältnis von Märchen — die Sage erhält in einem
anderen Abschnitte eine bessere Beleuchtung — zur Mythologie wirklich näher
getreten wäre; aber weder sind Bemerkungen über Wolfs falsche Methode — das
Schliessen auf Zusammenhang aus losen Anklängen und zufälligen Überein-
stimmungen wuchert übrigens in Golthers Buch ebenso üppig in alter Weise
fort, nur dass das Ziel ein anderes ist — eine Behandlung der Sache, noch
kennzeichnet ein Hinweis auf Benfeys Pantschatantra den Stand der Forschung.
Von verschiedenen Seiten — namentlich der uns leider so jäh entrissene Laistner
hat in seinem Rätsel der Sphinx schon vieles berührt und noch mehr in Aussicht
gestellt, was nun mit dem hochbegabten Manne zu Grabe getragen ist — bricht
sich die Auffassung immer mehr Bahn, dass die Märchen einen grossen Teil der
Motive zum Aufbau erzählender Götter- und Heroensagen beigesteuert haben, und
auf dem Gebiete epischer Phantasie dieselbe Präexistenz und analogen Einfluss
haben, wie auf dem mythischen die Vorstellungskreise der niederen Mythologie.
Davon unabhängig ist die Frage nach dem Aufkommen der Märchen und ihrer
Motive, auf die natürlich nicht eingegangen werden konnte noch sollte; aber ungern
vermisse ich einen Hinweis auf Andrew Lang, dessen Name mir im ganzen Buche
nicht begegnet ist, während Werke wie Custom and Myth und Myth, Ritual and
Religion u. a. nicht bloss für diese abseits liegende Frage, sondern für eine Reihe
von Problemen, die in der Einleitung berührt werden, von hervorragender Wichtig-
keit sind, unbeschadet des Standpunktes der subjektiven Auseinandersetzungen mit
ihnen. Ebensowenig kommt die für die germanische Mythologie noch wichtigere
Frage nach dem Verhältnis von Heldensage und Mythologie zu ihrem Rechte.
Fünfundzwanzig Zeilen über Müllenhoff mit einer Aufzählung seiner hierher
fallenden Aufsätze (der Hinweis auf den Orendelpassus der DAK. durfte nicht
fehlen) und einigen allgemeinen Betrachtungen über die Schwierigkeit des Problems,
die in dem Schlusssatze gipfeln „Die Mythologie kann mit derlei Hypothesen nicht
rechnen, ohne vollends ins Grundlose zu geraten'', können selbst der wohl-
wollendsten Kritik nicht genügen; weder die Sache, noch Müllenhoffs Forschung
ist damit berührt. Zweifellos ist und bleibt vieles an den Ergebnissen Müllenhoffs
hypothetisch, aber ebenso bleibt vieles aus induktiven Schlüssen gewonnene, dessen
Nichtberücksichtigung ein tadelnswerter Verzicht auf wertvolles mythologisches
Material ist. Müllenhoff ist überhaupt in der Beurteilung zu kurz gekommen; die
Bedeutung von Müllenhoffs tiefgehender Prinzipienkritik in DAK , V. 1 ist damit
nicht berührt, wenn es an der Stelle, wo von der Aufnahme der Buggeschen
Studien die Rede ist, nur heisst: „In Deutschland that sich Müllenhoff mit groben
polternden Ausfällen gegen die historische Erklärung hervor." Die Benennung
„historische Erklärung" ist übrigens Schulsache und schliesst einen Vorwurf gegen
Grimm, Unland, Müllenhoff ein, dem entgegenzutreten überflüssig ist. Auch der
Abschnitt „Wanderung der Mythen" berührt die Sache mit seinem kurzen Referat
über Gruppe und Vodskov nicht. Die weitaus wichtigste Seite des Gegenstandes
— da der Kult zum mindesten für die Buggeschen Theorien, auf die es gerade
hier ankommt, kaum eine Rolle spielt — ist die Wanderung der Erzählungsstoffe
und Motive, die in der Göttersage ihre Verwendung gefunden haben. Dieses Thema
fällt vollständig unter die allgemeine Frage nach Stoffwanderungen, ein Gebiet,
wo es weder an massenhafter Speziallitteratur über das Material noch an Theorien
fehlt, das schon seit Jahrzehnten Gegenstand einer tiefgehenden Forschung ist (ich
222 Jiriczek:
nenne hier nur aufs Geradewohl ein paar Namen, die zugleich verschiedene Rich-
tungen, bezw. Nuancen charakterisieren: Benfey, R. Köhler, Cosquin, A. Lang,
Bedier, Laistner, Gaidoz, W. W. Newell); wer diese Litteratur berücksichtigt, hat
den Vorteil, den nordischen Specialfall im grossen allgemeinen Zusammenhange
erörtern und sich auf eine ausgebildete umfassende Wissenschaft gründen zu
können. Diese Fragen liegen nicht abseits, denn Bugges Studien stützen sich ja
eben auf Zusammenstellungen von Motiven und Typen und bieten als Frucht seiner
staunenswerten Belesenheit und seines Scharfsinns Sammlungen, deren absoluter
Wert von ihrer Verwendung im Dienste seiner Theorie nicht berührt wird; die
Schlüsse, die aus diesem Material gezogen sind, müssen generell und fallweise
auch aus dem Gesichtspunkte der vergleichenden Stoffgeschichte und an der Hand
der Litteratur über die Wandermotive beurteilt werden. Da nun zweifellos ein
Teil der Motive und Erzählungstypen, die uns in der nordischen Litteratur be-
gegnen, solche internationale Wanderthemen sind, konnte G. hier manches Rüst-
zeug für Bugge holen, wie anderseits andere vieles dagegen daraus ziehen werden:
dass nämlich die wandernden Stoffe den grossen unsichtbaren Unterstrom der
Litteraturen bilden und daher zwei litterarische Quellen, die einen gemeinsamen
Wanderstoff enthalten, nicht aus einander abgeleitet werden dürfen; dass diese
Wanderungen nichts mit Manuskripten und Mönchsgelehrsamkeit zu thun haben,
sondern dass die mündliche Tradition von Volk zu Volk eine hervorragende Rolle
gespielt hat; dass, will man nach dem verwerflichen Schlüsse post hoc propter hoc
immer und in allen Fällen die antiken Völker als Ausgangspunkt oder Mittelglied
in der Wanderung solcher Stoffe und Motive zu den germanischen Völkern be-
trachten, die Berührungen zwischen beiden auf kontinentalem Boden um ein Jahr-
tausend älter und länger dauernd, tiefer und unmittelbarer sind als die zweifelhafte
Einwirkung irischer Mönche auf die nordischen Piraten, und dass der Erhaltungs-
zustand übernommener ganzer Erzählungen, möge man auch noch so viele Varianten
betrachten, völlig verschieden ist von den genialen Neuschöpfungen, die den
Vikingern beigemessen werden. Diese Genialität einzelner Skalden — „die Edda-
mythologie ist in wesentlichen Stücken als Erdichtung der Skalden zu erachten"
(S. 42) — verstösst nicht nur gegen alle historisch-psychologischen Möglichkeiten
(was Schönbach, citiert von Heinzel, Anz. f. d. A. XVI, 342 über die angebliche
Thätigkeit Saemunds bemerkt, gilt Zug für Zug auch von diesen angenommenen
Mythendichtern), sondern hat schon in der Edda selbst ihr Gegengewicht. Es ist
doch auffällig, dass diese Thätigkeit ausschliesslich auf dem Gebiete der Göttersage
sich manifestierte; die Heldenlieder sind trotz aller nordischen Umformungen und
Sonderzüge, die auch bei den Götterliedern niemand in Abrede stellt, wahre
Stümpereien, verglichen mit den genialen Neuschöpfungen, die in den Götterliedern
vorliegen. An die Skalden knüpft in der Einleitung noch so mancher Satz, der
eine Korrektur herausfordert, so der Riss, der zwischen Skaldendichtung und
Volksverständnis gähnen soll; aus Finnur Jonssons litterarhistorischer Darstellung
ist zu ersehen, wie weit denn doch die Kreise waren, in denen die Skalden Ver-
ständnis fanden, ganz zu schweigen von der pulirdichtung. Dass der Glaube höher
gebildeter Stände ein anderer war als der einfacher Bauern, dass die poetische
Form, die eine Göttersage im Munde von Dichtern erhielt, anders war als die
einfache Erzählung, die im Volke umlief, ist eine richtige Thatsache, die in der
griechischen Mythologie schon längst geltend gemacht worden ist; nur darf man
daraus nicht folgern, dass die Skalden eine neue Mythologie erfanden. Ebenso ist
es vollkommen richtig, dass die Eddalieder dem skandinavischen Stamme angehören
und im 9. — 11. Jahrh. gedichtet worden sind; aber über Alter und Herkunft des
Bücheranzeigen. 223
Stoffes ist nach keiner Seite etwas gesagt. Wenn Golther den Satz aufstellt: „Nur
also wer den Inhalt völlig von den Denkmälern trennt und den nordischen Dichtern
des 10. Jahrh. ein zähes Festhalten an uralter Überlieferung beimisst, mag ein
weit höheres Alter des Stoffes behaupten, wie es Finnur Jönsson auch thut" (S. 42),
so ist der Satz in seiner Allgemeinheit sehr unvorsichtig; die Nibelungensage ist
um Jahrhunderte älter als das Nibelungenlied, die Wielandssage ist nicht nordisch,
weil es die Völundarkviöa ist, und G. negiert damit einen Erfahrungssatz, der in
allen Sphären traditioneller Stoffe Geltung hat, dass das Alter der litterarischen
Aufzeichnung und Behandlung an sich gar keinen Massstab giebt für das Alter
und die Herkunft des Stoffes; darüber entscheiden immer erst specielle Unter-
suchungen. Mit der offenen Aussprache solcher Bedenken, die sich vielfach nicht
abweisen lassen, soll aber keineswegs ein Gesamturteil über den "Wert des Buches
ausgedrückt werden, der ihm in gewissen Grenzen als einem sehr übersichtlichen
und hübsch geschriebenen Handbuch zu eigen ist.
Breslau. 0. L. Jiriczek.
Barlaam and Josaphat. English lives of Buddha, edited and induced by
Joseph Jacobs. London MDCCCXCVI, published by David Nutt.
(Bibliotheque de Carabas Yol. X). SS. CXXXII. 56. 8°.
In diesem neuen Bande der Bibliothecme de Carabas sind nicht die Neudrucke
zweier unbedeutender englischer Bearbeitungen der Barlaamlegende die Hauptsache,
sondern die umfängliche Einleitung des wohlbekannten Gelehrten Mr. Joseph Jacobs.
Angezogen durch die Parabeln, welche der Legende des heiligen Barlaam, hinter
dem bekanntlich kein geringerer als Buddha verborgen ist, eingelegt sind, hatte
Mr. J. J. sich mit dem weitverbreiteten Barlaamstoffe und seiner Litteratur be-
schäftigt, als die Arbeit Ernst Knhns „Barlaam und Josaphat. Eine bibliographisch-
litteraturgeschichtliche Studie" in den Abhandlungen der Münchener Akademie von
1893 erschien, in der Mr. J. J. nicht bloss, was er selbst gefunden und zusammen-
getragen, fand, sondern auch noch etwas mehr, wie er selbst in seiner Vorrede
sagt. Trotzdem hat er seine Arbeit fortgesetzt, weil er einiges anders als E. Kuhn
auffasste, und weil er kein streng gelehrtes Buch schreiben wollte, sondern eine
leicht zugängliche Orientierung über die Barlaamlitteratur und besonders über die
Parabeln. Ob in den Abweichungen von E. Kuhn Mr. J. J. Recht hat, sei dahin
gestellt. Für die Leser, die er im Auge hat, leistet seine Introduction sehr dankens-
wertes. Nützlich für die Orientierung ist der litterarhistorische Stammbaum über
die Legende und der zweite über die Parabel von den drei Kästchen, die aus
Shakespeares Kaufmann von Venedig weltbekannt ist. K. W.
Dit zijn Vlaamsche Wonder-Sprookjes, het volk naverteld door Pol de
Mont en Alfons de Cook. Gent, A. Siffer, 1896. 296 S. 8°.
Für die Sammlung des im vlämischen Volke fortlebenden Märchenschatzes
haben seit J. \V. Wolf und Lootens verschiedene Freunde der Volkskunde gewirkt
und gesorgt, sowohl in Zeitschriften') wie in besonderen Büchern. So hat Amaat
1) Zu John Meiers Bibliographie in Pauls Grundriss der germanischen Philologie 2,
1, 807 (1893) trage ich die Zeitschrift ,Kond den heerd' nach; Amaat Joos ist dort fälschlich
nur mit seinem Vornamen citiert.
224 Bolte:
Joos in vier Bänden ,Vertelsels van het vlaamsche volk' (Brügge, Thielt, Gent
1889 — 1892) nicht weniger als 219 Nummern zusammengebracht; 33 Sagen und
Märchen aus der Provinz Antwerpen veröffentlichte L. Lehemrbe (Volksvertelsels.
Lier 1893); Juul van Landschoot gab in seinen ,Volksvertelsels afgeluistert in
het meetjesland' (Gent 1895) 17 Märchen und Tierfabeln ohne genauere Bezeich-
nung des Ursprunges. Diese Bestrebungen, denen sich auf wallonischem Gebiete
die hübsche Publikation von A. Gittee und J. Lemoine (Contes du pays wallon.
Gand 1891. 41 Nummern) gegenüberstellt, haben in der neuen Sammlung von Pol
de Mont und Alfons de Cock, den beiden Herausgebern der Genter Zeitschrift
Volkskunde, eine treffliche Portsetzung gefunden.
Wir erhalten 38 Märchen aus verschiedenen Gegenden des vlämischen Sprach-
gebietes in schlichter, volksmässiger Darstellung. Sie enthalten sämtlich bekannte
Motive, hier und da in neuer Verbindung oder (wie in No. 8 und 9) mit einer
nicht ursprünglichen Schlusswendung; öfter begegnen eingestreute Reime und
typische Schlussformeln. In einigen Fällen, wo die Rücksicht auf jugendliche
Leser eine Änderung wünschenswert machte, ist die ursprüngliche Lesart in den
Anmerkungen am Schlüsse des Bandes angegeben. Ebenda weisen die Heraus-
geber auf andere ungedruckte Varianten in ihrem Besitze hin. Wenn somit das
Buch in wissenschaftlicher Hinsicht mehr leistet als die oben genannten Vorgänger
und wir alle Ursache haben, das Gebotene dankbar hinzunehmen, so wünschte ich
doch, die verdienten Herausgeber hätten sich dazu entschlossen, auf ein oder zwei
Blättern sämtliche bisher in vlämischen Zeitschriften und Büchern gedruckte Auf-
zeichnungen der einzelnen Märchen zu verzeichnen und dazu etwa auf die aus-
führlichen Anmerkungen zu verweisen, die den deutschen Märchen der Brüder
Grimm, den sicilianischen von Laura Gonzenbach und den lothringischen von
E. Cosquin beigegeben sind. Den Inhalt der Sammlung bringt wohl am raschesten
eine kurze Vergleichung mit dem Grimmschen Werke dem deutschen Leser nahe.
No. 1. De man zonder ziel; vergl. oben S. 66 zu Gonzenbach No. 16. —
2. SmouteboUeken. Grimm No. 5. — 3. Van den kasleelheer en de drie gezusters
(Blaubart). Gr. 46. — 5. Van het schoone wüte katteken. Gr. 106. — 6. Van Sieg-
fried, den koningszoon van Duitschland. Gr. 136 (das Märchen vom Grindkopf mit
den neu eingesetzten Namen Siegfried und Hilda von Spanien). — 7. Van drie
gebroeders. Gr. 120+129 + 191 (Polyphem). — 8. Van de drie hären van den duivel.
Gr. 29. — 9. Van het zwarte paard, den gouden toom en het vogelken. Gr. 68. —
10. Van de drie visscherszonen. Gr. 60. — 11. De koning van Zevenber gen. Gr. 193.
— 12. Van den jongen, die aan den duivel verkocht was. Gr. 92. — 13. De zeven
winnaars der koning inne van Mississippi. Gr. 71. — 14. Van een forschen kerel.
Cosquin No. 36 + Grimm 166 (Gonzenbach 58). — 15. Het sabelken en de tvoee
leeuwkens. Gonzenbach 26. — 16. De toorerlamp. 1001 Nacht, Breslauer Über-
setzung 7, 114: Aladdin. — 17. Van den koopman en zijne drie dochters. Gr. 68;
das Gleichnis vom wiedergefundenen Schlüssel auf S. 144 schon in No. 12. — 18.
Van schaapsvel. Gr. 136. — 19. Van Sloddeken-vuil. Gr. 179 + 21, Anm. — 20.
Van de schoone schildersdochter , de booze zwarte Griet en Kokodeike. Gr. 135. —
21. Van drie wonderdokters. Gr. 118. — 22. Van den hertog van Brunswijk. Be-
ruht auf dem Liede bei Höffmann von Fallersieben, Niederländische Volkslieder2
No. 2. — 23. Van twee knechten. Gr. 107. — 24. Van doopvader Dood. Gr. 44.
— 25. Van den wunderen bol, die speelde zijrf rol. Gr. 36. — 26. Het ßeschje van
Victoria. Gr. 28. — 27. De avonturen van Fernand, vgl. No. 15. — 28. Van de
koningsdochter en den bakkersknecht. Gr. 166. — 29. Van den eenigen zoon. Gr. 22.
— 31. Van het meisje zonder banden. Gr. 31. — 32. Van de booze moeder en den
Bficheranzeigen. 225
straffenden noteboom. Gr. 47. — 33. Van Janneken Tietentater en het vischje uit de zee.
Qr> 19, — 35. Van drie koningszoons en vier toovervoorwerpen. Gr. 54. — 36. De
dankbare dieren. Köhler, Jahrbuch für roman. Litt. 7, 132. — 37. Van den zingenden
vogel. Gr. 57. — 38. Van het tooverstokje, de gouden pluim en het sprekend ezeltje.
Gr. 106; der Eingang' wie Gr. 44.
Berlin. J. Bolte.
Heidnische Kultusstätten in Thüringen. Vortrag gehalten in der Erfurter
Akademie von Dr. Zschiesche. (Aus den Jahrbüchern der Akademie
N. F. Heft 22.) Erfurt 1896. S. 37. 8°.
Der Verf. will sich nicht nur auf eigentliche Kultusstätten beschränken, sondern
auch solche Orte heranziehen, die im allgemeinen als heilige bezeichnet werden
dürfen, wobei es auf das Zusammentreffen gewisser Merkmale ankommt. Als
solche betrachtet er Einhegungen, namentlich durch Wälle, wodurch zugleich
Zufluchtstätten für die Umwohnenden entstanden; ferner altarähnliche Felsen und
Reste von Topfscherben und Tierknochen, von Asche und Gräbern. Besonders
wichtig ist, wenn an Stätten mit solchen Zeichen schon früh Kapellen oder Kirchen
errichtet worden sind, namentlich solche, zu denen man wallfahrtet, an die sich
Sagen knüpfen oder deren Heiliger einen der alten Götter vertritt, wie das ja für
gewisse Heilige feststeht. Auch der Name der Örtlichkeit selbst weist mitunter
auf das Heidentum. Je mehr solcher Merkmale zusammentreffen, desto eher werden
wir an eine alte Kultusstätte denken dürfen. Der Verf. sucht nun eine Anzahl von
Örtlichkeiten des nördlichen und mittleren Thüringens als alte Kultusstätten zu
erweisen, unter anderem den Kyffhäuser, den Singerberg bei Stadtilm, die Martins-
kirche, ebenfalls an der lim, den Ruppberg bei Mehlis, den Bonifaziusberg auf der
Schmücke, woselbst sich früher ein Stein mit hufeisenförmigen Vertiefungen befand.
Solchen Steinen wird ein Exkurs gewidmet. Die angegebenen Berge hält der
Verf. für Wodansberge. Er spricht dann kurz von den Donnersbergen und Peters-
bergen, von den Bergen, in welchen Frija oder eine Vertreterin von ihr haust und
schliesst mit solchen Stätten, die man nicht wohl einer bestimmten Gottheit zu-
eignen kann (die Heinrichs- oder Himmelsburg im Ilmthal, den Himmelsberg bei
Etzleben, den Heiligenberg bei Gross-Furra, die Tretenburg, die er als eine Art
von Nationalheiligtum der alten Thüringer betrachtet; die Monraburg und Wenden-
burg auf der Schmücke u. s. w.). Im Prinzip wird man gegen das Verfahren
Zschiesches nichts einzuwenden haben, nur schwankt begreiflicherweise bei den
einzelnen Orten die Wahrscheinlichkeit der Auslegung. Besondere Vorsicht wird
sich bei Benutzung der Namen empfehlen. So können die Osterberge und Oster-
haine, wie Z. schon selbst sagt, nicht alle auf die Göttin Ostara bezogen werden, um
so weniger als ihr Dasein problematisch ist. In den Diebessteigen, wie wenig
bekannte, schmale Bergpfade öfters heissen, möchte ich mich denn doch nicht
durch Kuhn und Schwartz (Nordd. Sagen S. 428) verführen lassen, Tivessteige,
Steige des Tiu oder Ziu zu sehen. Auch Asenberge tauchen wieder auf, die die-
selben Forscher populär gemacht haben (a. a. 0. 498). Es muss immer wieder
daran erinnert werden, dass das altnord. äss im Deutschen ans lautet, was durch
zahlreiche Personen- und Ortsnamen sicher ist. Für sich allein kommt ans schon
im Althochdeutschen nicht mehr vor, und es ist zu bezweifeln, ob man es in den
Namen noch verstanden hat. Jedesfalls ist äs und 6s in deutschen Namen nicht
damit zusammen zu weifen, und die Ochsenberge, Osenberge, Ossensteine sind
eher nach dem Rindvieh als nach den Göttern benannt; man vergleiche die Schaf-
226 Weinhold:
berge, Rehberge, Geissberge u. s. w. Es käme hier überall darauf an, möglichst
alte Belege für die Namen beizubringen Der Verf. des anregenden, hübsch ge-
schriebenen Heftchens legt auch ganz richtig auf diese Kennzeichen ein minderes
Gewicht.
Berlin. Max Roediger.
Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache.
Gesammelt auf Veranstaltung der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich
unter Beihilfe aus allen Kreisen des Schweizervolkes. Dritter Band.
Bearbeitet von Fr. Staub, L. Tobler, A. Schoch, A. Bachmann und
H. Bruppacher. Frauenfeld, J. Huber 1895. Spalten 1574. 4°.
Von dem grossen schweizerdeutschen Wörterbuch liegt nun auch der dritte
Band fertig vor uns. Er enthält die mit J. K. L. anlautenden "Worte und die dazu
gehörigen Zusammensetzungen. Wir haben über das bedeutende lexikalische Werk
wiederholt berichtet und dasselbe allen empfohlen, die für unsere grosse reiche
Sprache als Forscher oder verständige und patriotische Liebhaber Augen und Herz
haben. Es ist eine der reichsten Fundgruben in diesem Schweizerischen Idiotikon
aufgethan, und nicht bloss für die Wortkunde, sondern auch für die Volkskunde,
wie wir stets betonten, vgl. unsere Zeitschr. I, 221. IH, 107. IV, 338. Der dritte
Band oder die Hefte 21 — 30 reihen sich den vorangegangenen in gleichem Werte
an; das grosse Unternehmen, in dem sich das deutsche Schweizervolk ein schönes
Denkmal errichtet, schreitet sicheren, festen Trittes vorwärts und wir rufen ihm
von Herzen Heil zu!
Aus der Reihe der Mitherausgeber und Bearbeiter hat der Tod einen der
Begründer abgerufen, Professor Ludwig Tobler in Zürich. Wir haben ihm in
unserer Zeitschrift V, 456 einen Nachruf gewidmet. K. Weinhold.
0. Bremer, Beiträge zur Geographie der deutschen Mundarten in Form
einer Kritik von Weukers Sprachatlas des deutschen Reichs (Sammlung-
kurzer Grammatiken deutscher Mundarten, Bd. III). Breitkopf und
Härtel, Leipzig 1895. XV u. 266 S.
G. Wenker und F. Wrede, Der Sprachatlas des deutschen Reichs. N.
G. Elwert, Marburg 1895 (1.).
Es ist traurig, dass in Deutschland kein grösseres wissenschaftliches Unter-
nehmen begonnen werden kann, ohne bald einer über das Ziel heraus schiessenden
Anfeindung zu begegnen. Kaum war das grosse Nationalwerk des Grimmschen
Wörterbuches im Gange, als auch schon eine überscharfe Kritik die Verfasser mehr
erbitterte als belehrte. Dem höchst verdienstlichen Unternehmen, die Sprach-
verschiedenheiten des deutschen Reichs kartographisch festzustellen, ist es nicht
ganz so schlimm ergangen; aber leider war doch auch hier der Angriff in der
Form durchaus, im Inhalt vielfach so unglücklich, dass zur Besserung wirklicher
Übelstände durch diese Kritik so wenig geholfen wurde wie einst durch die von
Wurm und Sanders.
In der Einleitung zu Mentz' vortrefflicher Bibliographie der deutschen Mund-
artenforschung hatte Bremer gesagt: „Nach meinen Erfahrungen, welche mir von
einer Reihe von Gelehrten bestätigt werden, sind die Wenkerschen Linien zum
Bücheranzeigen. 227
grossen Teil nicht zuverlässig und daher nur mit äusserster Vorsicht für die
Gruppierung der deutschen Mundarten zu benutzen." Diese Art, eine schwere
Anklage ganz allgemein und ohne die geringsten Belege zu erheben, noch mehr
aber die unschöne Berufung auf ungenannte Gewährsmänner erfuhren dann von ver-
schiedenen Seiten mit Recht scharfe Abwehr. Um seine Aussage aufrecht zu
erhalten, hat Bremer nunmehr ein ganzes Buch veröffentlicht, in dem elf Karten
des Sprachatlas als Proben genauer durchgesprochen werden. Da sein Werk eine
direkte Bereicherung unserer Dialektkenntnisse eigentlich nicht einmal anstrebt, ist
der Titel einigermassen irreführend; doch reizte es vielleicht den Verf., den aus
der Litteraturgeschichte berühmten Namen „Bremer Beiträge" mit ganz anderer
Bedeutung zu erneuern. Was nun seine Kritik selbst angeht, so konnte Wenker
in der Gegenkritik ihm höchst bedenkliche Cngenauigkeiten in der Benutzung und
Nachzeichnung der elf Kärtchen nachweisen; er konnte ferner wiederholt darthun,
dass Bremer durch prinzipielle Gründe von allzu stark apriorischem Charakter
sich verleiten lässt den Thatsachen Gewalt anzuthun (S. 18 f.). Wenn aber durch
diese Nachweise Bremers Kritik im wesentlichen erledigt wird (einige kleine Be-
richtigungen bleiben bestehen), so kann man doch nicht leugnen, dass durch diesen
Kampf selbst erhebliche Bedenken gegen die Technik des Sprachatlas erweckt
werden. Wenn die Benutzung der Karten eine so schwierige ist, dass bei speziellster
Beschäftigung mit ihnen ein geübter und sachkundiger Bearbeiter so oft irren
kann, wie Bremer nach Wenkers Nachweisen es gethan hat, so wird man gut
thun, nicht alle Schuld auf den Benutzenden allein zu werfen. Man wird das um
so weniger thun dürfen, wenn Wrede selbst in seinem Vortrag zugiebt, die richtige
Interpretation sei schwierig (S. 45) und die Orthographie der Karten sei nicht
ohne weiteres phonetisch zu verstehen (S. 37 f.). Wrede selbst fordert mit jenem
schönen Eifer, der die Mitarbeiter an dem nationalen Werk des Sprachatlas erfüllt,
zu einer „höheren Bearbeitung" desselben (S. öl) dringend auf; wenn er aber
gleichzeitig eigentlich nur die zur Benutzung befähigt glaubt, die in jahrzehntelanger
mühsamer Herstellung der Karten sich die gehörige Vertrautheit mit dem gesamten
Atlasmaterial und -mechanismus erworben haben (S. 46), so wird dies schwerlich
eine rege Lust zum Anfassen jener lockenden Aufgaben erwecken können. Es
liegt uns fern, den verdienstvollen Kartographen in Marburg Vorschriften geben
zu wollen; aber es ist nur zu natürlich, dass eine so lange und anstrengende
Arbeit zuletzt auch billige Rücksichten auf die, die lernen wollen, vergessen lässt.
Es scheint dringend nötig, dass den einzelnen Karten verdeutlichende Fingerweise
auf das Verhältnis von Schreibung und Aussprache, auf die zur Ergänzung am
meisten geeigneten anderen Karten, auf zweifelhafte oder befremdende Punkte
beigegeben werden, falls die Technik des Sprachatlas (wie wohl möglich) eine
deutlichere, unzweideutigere Darstellung nicht gestattet. Wenker und Wrede
werden nicht bloss für einen engen esoterischen Kreis gearbeitet haben wollen;
mögen die Bedenken und auch die Versehen Bremers sie warnen und ihnen zu einer
allgemeineren und fruchtbaren Ausbeutung ihres Lebenswerkes die Wege weisen!
Berlin. Richard M. Meyer.
Pfaff, Friedrich, Deutsche Ortsnamen. Berlin, Druck von Trowitzsch und
Sohn, 1896. S. 16. 8°.
Die kleine Schrift ist, wenn wir nicht irren, ein Sonderabdruck aus der Zeit-
schrift Das Land. Sie giebt eine Ausführung über die historische Wichtigkeit der
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896.
15
228 Weinhold:
Ortsnamen, wobei der Verf., Universitätsbibliothekar in Preiburg i. Br., wesentlich
das badische Land im Auge hat und sucht Perioden der Ortsnamenbildung aufzu-
stellen, sowie die örtliche Verbreitung darzulegen. Weiterhin werden die Orts-
namen, die meist Composita sind, nach dem zweiten (Grundwort) und dem ersten
Teil (Bestimmungswort) behandelt und einige Volksetymologien und Verunstaltungen,
an denen nicht selten sprachunkundige Kartographen und Vermesser schuld sind,
aufgeführt. Die kleine, von einem Fachmann verfasste Schrift kann anregend und
belehrend auf weitere Kreise wirken.
A. Cutrera. I Ricottari (La mala vita di Palermo). Contributo di socio-
logia criminale. Palermo, tipografia Fratelli Vena, 1896. S. 80. 8°.
Ein besonderer Zweig der Volkskunde, der noch sehr der Fruchtbarmachung,
ja selbst der Beachtung harrt, ist die Volksmoral, und zu dieser liefert die vor-
liegende Schrift, die Frucht langer und schwieriger Beobachtungen, einen sehr
interessanten Beitrag. Sie handelt über die Prostituierten und über ihre sogenannten
Beschützer in Palermo. Das Titelwort i riccottari bezeichnet die letzteren; es ist,
wie der Herr Verf. sagt, unübersetzbar, da der riccotaro zwar in gewisser Hinsicht
mit dem französischen souteneur denselben faulen, auf Kosten der Prostituierten
lebenden Burschen bezeichnet, aber doch mit manchen Unterschieden. Der Palermi-
taner riccotaro unterscheidet sich selbst von dem Neapolitanischen, und zwar zu
seinem Vorteil, da er ein Mensch voll Mut ist, mit der Haltung eines Kavaliers,
immer bereit, mit dem Messer jede Beleidigung seiner innamorata zu rächen, und
dabei Leben oder Freiheit Preis zu geben. Die Schrift enthält wertvolle Beiträge
zur Volksmoral und gewährt merkwürdige Einblicke in die mala vita.
K. W.
Neudrucke von Schriften und Karten über Meteorologie und Erdmagnetismus
herausgegeben von Prof. Dr. G. He 11 mann. No. 5. Die Bauern-
Praktik 1508. Facsimiledruck mit einer Einleitung. Berlin, A. Asher
u. Co. 1896. S. 72. ßl. (». 4°.
Die vorliegende neue Nummer der Hellmannschen meteorologischen Neudrucke
bringt einen Facsimiledruck der ersten Ausgabe der Bauren-Praktik von 1508, eine
genaue Wiedergabe des Holzschnitts zu der Zweitältesten datierten Ausgabe von
1512 und eine Einleitung von Prof. G. Hellmann, die eine sorgfältige Bibliographie
dieses verbreitetsten aller meteorologischen Bücher giebt, die Frage nach den
Quellen der Bauernpraktik aufwirft und über den Wetteraberglauben zuletzt sich
äussert. Derselbe wird aus langen Beobachtungen der verschiedenen Völker sich
gebildet haben, welche bei der Gleichheit der Erscheinungen zu denselben Schlüssen
führten. Man hatte die Bedeutung der Sonnenwende im Mittwinter ebenso gut
erkannt, wie die im Mittsommer. Die Tage vom niedrigsten Stande der Sonne
bis zum Beginn einer einigermassen merklichen Aufwärtsbewegung wurden Gegen-
stand besonderer Aufmerksamkeit, und da diese zwölf Nächte zugleich in dem
Glauben und Kultus eine heilige Zeit waren, ist begreiflich, dass sie auch Nächte
der Weissagung und verschiedenen Zaubers wurden. Nach Indien zurückzugreifen
in die sogenannte indogermanische Urzeit ist gar nicht nötig. — Die Ausstattung
des Buches ist vorzüglich. K. W.
Bücheranzeigen. 229
ftesk.V Lid. (Das Böhmenvolk.) Herausgeber Dr. C. Zibrt. Prag 1896,
Jahrg. V, Heft 3 und 4, Ss. 193—384.
Den Löwenteil der Illustrationen, in geringerem Masse auch des Textes be-
ansprucht noch immer die vorjährige, so ausserordentlich gelungene und lehrreiche
ethnographische Ausstellung, ein der Initiative weniger entsprungenes Werk, an
dem dann das ganze Volk freudig mitschuf. Auch ein der Sprache Unkundiger
bekommt aus den vielen, gediegenen Vollbildern Anschauung von der Fülle des
Stoffes; doch hätte die Redaktion wohl gethan, wie sie mit den Titeln der Ab-
handlungen verfährt, so auch den Vollbildern eine französische Bezeichnung hinzu-
zufügen. Von anderem Material sei ein Studium über die Gregorsaufzüge der
Schuljugend, Beiträge zu Volksschauspielen, Sammlungen alter Rätsel (namentlich
biblischer) u. dgl. m. erwähnt; die Geschichten, die von böhmischen gewaltigen
Zechern ein dem akatholischen Volke feindlich gesinnter Pole aus dem Anfange
des XVII. Jahrhunderts erzählt, stammen samt und sonders aus dem eigentlichen
Lande der Zecher, aus Deutschland. Viel interessantes Material enthält der Brief-
kasten der Redaktion; reichhaltig ist auch der bibliographisch-kritische Teil.
Im Anschlüsse an diese böhmische Zeitschrift nennen wir zwei umfassendere
akademische Publikationen. Zuerst: Bibliograficky Pi-ehied Ceskych Narodnich
Pi'sni (Bibliographische Übersicht der böhmischen Volkslieder) von dem
unermüdlichen Dr. C. Zibrt zusammengestellt und von der böhmischen Akademie
der Wissenschaften herausgeben: Prag 1895, 326 Ss., gr. 8°. Es werden hier
sämtliche Handschriften und Drucke böhmischer Liedersammlungen und Einzellieder
genannt; besonders interessant ist die folgende Abteilung, S. 58— 122, wo alle
Übersetzungen in fremde Sprachen aufgezählt und viele Proben (mit dem böhmischen
Texte daneben) vollständig mitgeteilt werden. Den Hauptteil der äusserst müh-
seligen Arbeit macht das alphabetische Verzeichnis aller Liedereingänge mit den
Drucknachweisen aus. Für jeden, der sich auf diesem Gebiete orientieren will,
leistet das Buch wertvollsten Dienst. Man vergleiche auch die interessanten Studien
von Dr. 0. Hostinsky über das böhmische Volkslied, welche im Lid (V, 215 ff.)
fortgesetzt werden.
Eine andere akademische Publikation ist die erstmalige Herausgabe des alt-
böhmischen Textes der Gesta Romanorum durch Dr. J, V. Xoväk (Staroceska
Gesta Romanorum, Prag 1895, XIV und 259 Ss. gr. 8"). Zu Grunde gelegt sind
drei Handschriften vom Jahre 1443, 1473 und eine (undatierte) aus der Mitte etwa
des XV. Jahrhunderts. Der Text der drei Handschriften geht im letzten Grunde
auf eine einzige Übersetzung zurück — doch stehen sich die Texte von 1443 und
1473 näher, im Anhange wird daher der (undatierte) Text, auch weil er in der
Orthographie stark abweicht, vollständig mitgeteilt. Die Übersetzung stammt aus
dem Lateinischen — ohne deutsche Vermittelung, die man früher angenommen
hatte: doch gehörte das lateinische Original derselben Redaktion der Gesta an,
welche auch der deutschen Übersetzung zu Grunde lag, ein neuer Beleg für die
gleichmässige geographische Verteilung dieser Gesta über Deutschland, Böhmen
und Polen. Der alte böhmische Text stimmt mit dem von A. Keller heraus-
gegebenem deutschen in Zahl und Reihenfolge der Erzählungen vollständig überein
(112 Kap., nur das 106. Kap. ist bei Keller ungleich ausführlicher).
Endlich sei ein Abdruck zweier älterer böhmischer Überlieferungen über Volks-
bräuche (des Jesuiten Albr. Chanovsky aus der ersten Hälfte des XVII. Jahrh.
und des Herrn Hauptmann J Jenik von Bratfice, der als 80 jähriger Greis 1838
in Prag seine Jugenderinnerungen schilderte) erwähnt, der, wieder von Dr C. Zibrt,
15*
230 Eoediger:
im Anzeiger der böhm. königl. Gesellschaft der Wissenschaften 1895, No. XXIV
(26 Ss. 8°) veranstaltet wurde; die Angaben betreffen vor allem Volksfeste und
Feiern an den heiligen Tagen des Jahres; zur Ergänzung können Angaben jesuitischer
Missionare über Aberglauben und dergi. des Volkes aus der zweiten Hälfte des
XVII. Jahrhunderts herangezogen werden, die Dr. Podlaha im Lid IV, 289 ff.
abgedruckt hat. A. Brückner.
Lud. Organ towarzystwa ludoznawczego we Lwowie pod redakcy Dra.
Ant. Kaliny. (Das Volk. Organ der Lemberger Gesellschaft für
Volkskunde) II, 1. Lemberg 1896. 96. Ss. 8°.
Trotz des kurzen Bestandes dieser Zeitschrift hat sich bereits eine sehr vorteil-
hafte Wandlung an ihr vollzogen: statt etwas fadenscheiniger Monatshefte erscheint
sie jetzt vierteljährlich und beschränkt sich, statt in weite Fernen zu schweifen,
auf Sammlung und Erläuterung einheimischen Materials. Vergleichende Ausblicke
werden dabei doch nicht ganz verschmäht; besonders gehört hierher ein Studium
über die Wanderung und Verbreitung des „Wir alle drei" („ums Geld" „und so
ist's recht" — die einzigen Worte, welche drei Brüder u. s. w. sprechen können,
zu ihrem Verderben u. s. w.) durch ganz Europa: als Resultat wird die Existenz
einer westeuropäischen Anekdote der Art angenommen, die mit Teufelssagen und
Erzählung vom gierigen Wirt verknüpft wurde (J. Polivka). Vielleicht würde
sich empfehlen, wenn die Redaktion dem von Mitarbeitern gelieferten Materiale
Erläuterungen oder Hinweise, wäre es nur auf Liebrecht oder Clouston (Populär
tales und Book of noodles) hinzufügte, z. B. vermissen wir solchen Hinweis —
der dann die Endfragen nach dem woher und wann überflüssiger gemacht hätte
— namentlich bei der Parallele zwischen einem polnischen Lied und einem
hebräischen Hagadatexf (S. 22—30). Auf andere Einzelnheiten können wir hier
nicht eingehen und heben nur noch das für Galizien sehr charakteristische, ausser-
ordentliche Überwiegen von Volksschullehrern und Landgeistlichen in der Mit-
gliederzahl des Vereins hervor: auf diese Weise gewinnt eine Zeitschrift für Volks-
kunde am ehesten eine breite, sichere Grundlage, den Zusammenhang nämlich mit
denjenigen, die zwischen Tradition und Litteratur zu vermitteln zunächst berufen
erscheinen. A. Brückner.
Aus den
Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 28. Januar 1896. Herr Oberlehrer Dr. Rieh. Bethge spricht
über Essen und Trinken bei den alten Germanen. Der freie Germane enthielt
sich möglichst der Arbeit. Zum Unterhalt seines Hauswesens trug er durch Kriegs-
und Jagdbeute bei. Jagdbare Tiere waren nicht nur die heute noch in unseren
Wäldern vorhandenen, sondern auch Bären, Elche und Auerochsen, sowie das
Pferd, das in grossen Heiden wild lebte. Aber auch zu zähmen verstand man es,
wobei wahrscheinlich. die Jazygen, ein iranischer Stamm im Quellgebiet der Theiss,
Protokolle. 231
ihre Lehrer waren. Zum Reiten benutzte man das von Osten eingeführte, kleine
und unansehnliche Steppenpferd, während das in Europa einheimische, dessen
Überreste im Diluvium gefunden worden sind, und von dem unser gemeines Haus-
pferd stammt, ein schweres, starkknochiges Tier war. Das Fleisch des letzteren
war bis tief in die geschichtliche Zeit hinein eine beliebte Speise, gegen die, als
etwas heidnisches, die Kirche einen langwierigen Kampf fühlte. Vor den Wagen
hat man dieses Pferd erst in der fränkischen Zeit gespannt. Das Reitpferd war
ein hochgeschätzter Besitz, wie unter anderem daraus hervorgeht, dass die vor-
nehmsten Götter reiten. Das Waidwerk der Fischerei wurde hauptsächlich von
den Küstenstämmen betrieben. An essbaren Haustieren waren Rind, Schaf, Ziege
und Schwein vorhanden, noch kein Geflügel, das erst in späterer Zeit nach dem
Vorbild der Römer in Zucht genommen wurde. Ein Rind zu schlachten wird man
sich so leicht nicht entschlossen haben, da seine Milch (vielleicht neben der Milch
gezähmter Stuten) ein zu willkommenes Nahrungsmittel bildete. Aber ein Schaf
oder eine Ziege wird eher geschlachtet worden sein, vor allem Schweine, denen
die Wälder reichliche Eichelmast gewährten. Deutsche Schinken waren in Rom
geschätzt, und der Schweinebraten ist bis auf den heutigen Tag der Festbraten des
deutschen Bauern geblieben. Das Wild wurde frisch genossen, nicht mit haut-goüt,
was die Römer vorzogen. Dagegen liess man die Milch auf natürliche oder künst-
liche Weise säuern, was Plinius umständlich beschreibt, stellte auch Butter aus
Kuh-, Schaf- oder Ziegenmilch her. Man benutzte sie zuerst als Salbe für den
Körper, worauf noch die dialektischen Benennungen Anke und Schmer deuten;
Butter ist Fremdwort Zum Fleisch ass man einen ungesäuerten und gerösteten
Kornbrei, das Derbbrot; die Hefe muss schon früh gebraucht worden sein. Der
Ackerbau war den Germanen schon bekannt, als sie in ihre neuen Wohnsitze
einwanderten, wurde nur noch nicht intensiv betrieben. Man baute Weizen, Gerste,
Roggen, Hafer. Auch Rüben, Rettiche und Spargel ass man, wenn sie auch noch
nicht in Gärten gepflegt wurden, und die Römer wussten sie zu schätzen. Wildes
Obst und Beeren worden die Nahrungsmittel vervollständigt haben; das veredelte
Obst stammt wieder von den Römern, ebenso eine schmackhaftere Zubereitung
der Speisen, wie die entlehnten Benennungen beweisen Aus Weizen und Gerste
wurde auch Bier gebraut, das die südlichen Schriftsteller als eine schlechte Art
von Wein bezeichnen. Die Herstellung war sehr einfach, namentlich wurde das
Bier nicht gehopft und frisch getrunken. Alte Bezeichnungen des Bieres sind
Bier und Ale. Ob die Germanen es erfunden haben, steht dahin; wir finden es
auch bei den Ägyptern, Iberern, Ligurern, Armeniern, Phrygern, Thrakern, Illyriern,
Pannoniern und Kelten. In Italien und Griechenland fand es zur Kaiserzeit beim
Volke Eingang. Hopfen wuchs in Deutschland wild, wurde aber erst sehr allmählich
dem Biere zugesetzt, das man früher durch andere Ingredienzien bitter machte.
Neben dem Biere wurde Met aus dem Honig der wilden Waldbiene und ein Obst-
wein (got. leipus, ahd lid) bereitet, Der Wein drang sehr allmählich in Germanien
ein, Weinbau betrieben die Germanen erst, nachdem sie die Moselgegenden erobert
hatten. Auch alle hierauf bezüglichen Ausdrücke stammen aus dem Lateinischen.
— Im Anschluss hieran wies Herr Waiden auf die in Niedersachsen vorkommende
Verwendung der Stutenmilch als Kräftigungsmittel für Kinder und auf die Fort-
dauer der Metbereitung hin. Auch an die primitive Art des Bratens in einer
Lehmumhüllung auf Kohlen erinnerte er. Die Herren Professoren Roediger,
Ascherson und Geheimrat Friede 1 reihten die alteinheimische Bohnenart, die
Saubohnen, den Nahrungsmitteln an. — Darauf hielt Fräulein E. Lemke einen
Vortrag über Kamm und Taschentuch im Volksleben. Sehr allmählich erst tritt
232 Roediger:
in den ältesten Funden eine grössere Zahl von Kämmen auf, nämlich erst seit der
Zeit, wo man den Toten einen Kamm mit ins Grab gab und wo sie sich auch in
Urnen finden. Alle sieben Trojaburgen, deren älteste wir wohl nun bis ins dritte,
vielleicht vierte Jahrtausend v. Chr. zurückschieben dürfen, haben nur einen
Kamm ergeben. Massenhaft kommt er in den Gräbern der römischen Epoche
vor, meist am Hinterhaupt der Leiche liegend. Alle Kämme weisen Verzierungen
auf; auch Einschlagkämme, die man im Gewände bei sich tragen konnte, finden
sich. Alle sind aus mehreren Stücken zusammengesetzt und haben zum Teil
weiter und enger von einander stehende Zähne. Teils dient der Kamm zum Ent-
wirren des Haares, teils als Schmuckstück zum Einstecken ins Haar; letztere
haben vielfach eine gabelförmige Gestalt und sind am Griff verziert oder mit
Federn und dergleichen geschmückt. Zur Herstellung dient mancherlei Material.
I >ie Vortragende gab eine grosse Anzahl von Zeichnungen verschiedenaltriger und
verschiedenartiger Kämme herum und führte reiche Beispiele für die eigenartige
Benutzung bei den einzelnen Völkern an Hervorgehoben seien besonders grosse
Frauenkämme, die fast den ganzen Hinterkopf panzern und die z. B. in der Propstei
vorkommen, und Kämme, die dem Geistlichen bei der Predigt das Haar zurück-
halten sollen. Das Mitgeben ins Grab kommt bei allen Völkern vor und zwar so,
dass teils der gebrauchte Kamm mitbestattet wird, teils ein besonders dazu be-
stimmter. In Bengalen bei den Kukis überreicht der Priester dem neuvermählten
Paar zwei Kämme, einen zum Gebrauch für beide, den andern als Grabbeigabe
für den zuerst Sterbenden. Sogar in Sage und Märchen spielt der Kamm seine
Rolle. — Auch das Taschentuch begegnet uns allerwärts und in der manigf altigsten
Verwendung. Die Rednerin beschränkte sich hier vorwiegend auf Deutschland.
Es gilt als ein Zeichen höherer Bildung und wird daher gern in der IJand getragen.
In Ostpreussen beschenken sich die Brautleute mit Taschentüchern, bei den Hummel-
bauern trägt es der Bräutigam am Hochzeitstag als Schürze. Besonders fein ge-
stickte findet man im Alten Lande. Praktisch verwendet man es als Tragemittel.
Eine besondere Spezies bilden die Erinnerungstücher, deren Herr Geheimrat Friedel
eine Anzahl älterer und moderner, gewöhnlicher und feiner aus dem Märkischen
Provinzial-Museum ausgelegt hatte. Diese und andere gaben noch zu mancherlei
Bemerkungen Anlass. In Märchen und Sagen ist es gleichfalls eingegangen und
hängt dort vorwiegend mit Herzensangelegenheiten zusammen, wie ja auch in der
Wirklichkeit. — Herr Geheimrat Friedel wurde zum Obmann des Ausschusses
erwählt.
Freitag, den 27. März 1896. Herr Professor Dr. C. Frey sprach über alt-
christliches Kult- und Begräbniswesen. Er schilderte einleitend die Stellung der
Christengemeinden innerhalb des römischen Reichskörpers, die als erst geduldete,
dann verfolgte Kultgemeinschaften kein öffentliches Eigentum erwerben oder be-
sitzen durften. Dann ging er auf das Begräbniswesen der Christen genauer ein.
Anlage, Einrichtung und Schmuck der altchristlichen Grabstätten oder Katakomben
wurden eingehend erörtert. Der Redner hob die durchgehende Anlehnung an die
hergebrachte Art der verschiedenen Länder hervor, die vor einem Zusammenhang
mit heidnischem Brauch nicht zurückschreckte. Er trat auch der irrigen Meinung
entgegen, als ob diese unterirdischen Grabanlagen zu gottesdienstlichen Zwecken
oder als Zufluchtstätten bei Verfolgungen gedient hätten: letzteres ist aus-
geschlossen, weil die Lage der Katakomben den heidnischen Mitbürgern bekannt
war. Es handelt sich also ganz und gar nicht bloss um Märtyrergebeine in
ihnen, obgleich der fromme Glaube unterschiedslos in den massenhaft daraus ent-
nommenen Knochen die Überreste von Heiligen erblickt hat. Mit altem Brauch
Protokolle. 233
hängt die Mitgabe von allerhand Schmuck und Gerät ins Grab zusammen, und
auch die schmückende Kunst benutzt anfangs heidnische Typen, die sich erst langsam
zu besonderen christlichen entwickeln. So namentlich bei der ganzen Gestalt und
dem Kopfe Christi, deren Ausbildung genauer verfolgt wurde. Daneben kamen
gewisse Symbole, wie der Namenszug Christi, der Fisch u- s. w. zur Sprache.
Der zweite Teil des Vortrages behandelte, der vorgerückten Zeit wegen mehr
skizzierend, das Kultwesen der altchristlichen Kirche nach der Anerkennung des
neuen Glaubens als Staatsreligion, vornehmlich die Entwicklung des öffentlichen
Kultgebäudes aus dem privaten Betsaal oder sonstigen Orte der Zusammenkunft.
Die viel erörterte Frage nach der Herkunft der Basilika führte der Vortragende
unter kurzer Kritik der Hypothesen darüber vor und entschied sich selbst für
einen gewissen Eclecticismus, der sowohl an das römische Privathaus als auch
an die gerichtliche Basilika anknüpfte. Er sprach dann noch über die beiden
wichtigsten Bautypen der Kirche, den longitudinalen und zentralen. Er schilderte
ihr Aussehen nach aussen und innen, die Einteilung, Bedeutung und allmähliche
Entwickelung der einzelnen Räume unter den Anforderungen des Kultus, wobei
die Kirchenmöbel und Kirchengeräte vorgeführt wurden. Der reiche Mosaikschmuck,
den namentlich die Langwände erhielten, bildete den Anlass, einen christlichen
Bilderkreis auszugestalten. — Indem er in das germanische Heidentum zurück-
lenkte, besprach Prof. Dr. M. Roediger eine Schrift des Herrn Dr. Zschiesche
über heidnische Kultusstätten in Thüringen. Es wird über diese Broschüre
S. 225 unserer Zeitschrift Auskunft gegeben. Herr Geheimrat Dr. Schwartz
knüpfte einige Bemerkungen über Zuiluchtstätten in Luch und Moor an.
Max Roediger.
Freitag, den 24. April 1896. Herr Sanitätsrat Dr. Bartels sprach über
den Regenbogen. Seine Mitteilungen machen keinen Anspruch auf Vollständigkeit;
er habe nur einige volkskundliche Auffassungen der eindrucksvollen Naturerscheinung
zusammengestellt. Der Regenbogen werde vielfach als besondere Gottheit angesehen,
in Siam bedeute sein Name „der das Wasser aus dem Meere Heraufpumpende".
Dieselbe Vorstellung finde sich in Bayern, Schwaben und Ungarn. Da er alles
in seinen Bereich gelangende in die Höhe zieht, muss man sich — nach einer
ungarischen Tradition — hüten, mit dem Finger auf ihn zu weisen. Interessante
Zeichnungen der schlanktailligen Regenbogengöttin der Navajö-Indianer in Arizona
wurden vorgewiesen. Bei den Bororö in Süd-Amerika, bei den Persern und den
Adelis in Kamerun gelte er als Schlange; in Indien als Atem einer unterirdischen
Schlange, bei den Australiern als Rauch. Die Esten fassen ihn als „Sense des
Donners" auf. Als Brücke zum Himmel gelte er in Neuguinea, bei den Serben,
auch beim österreichischen Landvolk (Seelenbrücke), ebenso bei den alten Germanen
(Bifröst). Ovid bezeichne ihn als die Brücke, über die die Götterbotin Iris schreitet.
Andere Auffassungen seien die als Gürtel, als Bogen, z. B. des Apollo Eine
vielverbreitete Auffassung sei, dass seine unteren Enden von Engeln gehalten
werden und zwar auf goldenen Schüsseln. Daher stammt der Name der Regen-
bogenschüsselchen. Es sind dies alte keltische Goldmünzen, die auf der einen
Seite konkav, auf der andern konvex sind, und die ab und zu im Erdboden ge-
funden werden, hauptsächlich in Böhmen. Auch an die biblische Auffassung als
Zeichen des Bundes zwischen Gott und allem Lebenden nach der Sintflut wurde
erinnert. In der chinesischen Mythologie entstehe der Regenbogen aus dem
Kampfe des hitze- und des kältebringenden Prinzips. — Herr Professor Dr. Lange
behandelte die öffentlichen Erzähler in Japan. Ehe die Volksschule eingerichtet
war, waren sie mit wichtige Verbreiter der Volksbildung; auch jetzt sind sie
234 Minden: Protokolle.
noch sehr beliebt. Man unterscheidet zwei Klassen: A) Die Hanaschka erzählten
früher nur Anekdoten, jetzt auch moderne (auch ausländische) Novellen. Sie gesti-
kulieren mit einem Fächer. Es giebt auch einen Engländer Mr. Black, der in
europäischer Kleidung seine japanischen Vorträge hält und in die Zunft offiziell
aufgenommen ist. B) Die Köschak'schi. Sie sitzen an einem Tischchen und haben
ausser dem Fächer noch eine Art Taktstock. Sie erzählen historische oder an-
geblich historische Begebenheiten. Man sagt: „Mit dem Fächer und dem Takt-
stock schlägt der Köschak'schi Lügen aus dem Tisch hervor". Im allgemeinen
ist die soziale Stellung der öffentlichen Erzähler keine sehr hohe; doch sind die be-
rühmtesten unter ihnen recht angesehen. Diese werden gut bezahlt und in vornehme
Gesellschaften eingeladen. Es wurden einige Erzählungen wiedergegeben, unter
anderem wie eine Frau die Liebe ihres Gatten zu ihr dadurch prüft, dass sie
ein Porzellangefäss hinwirft und abwartet, ob der Gatte sich zuerst nach ihrer
etwaigen Verletzung oder nach dem Zustand des hingefallenen Porzellans erkundigen
werde.
G. Minden.
Kulturgeschichtliches aus Islaud.
Nach dem Isländischen von M. Lehinaiin-Filhes.
Im „timarit hins fslenzka bökmenntafelags" („Zeitschrift der isländischen
litterarischen Gesellschaft") vom Jahre 1892 befindet sich ein Aufsatz „Vor
40 Jahren" von Thorkell Bjarnason, Pfarrer zu Reynivellir in der Kjösar-
sysla im südlichen Island. Der Verfasser hat bis vor etwa 80 Jahren im
Distrikt Skagafjördur im Xordlande gelebt und dort namentlich deu ärmeren
Teil der Bevölkerung- genau kennen gelernt. Da sich um die Mitte unseres
Jahrhunderts ein tiefeingreifender Umschwung auf verschiedenen Gebieten
des isländischen Lebens zu vollziehen begann, wählte er jenen Zeitpunkt,
um seinen Landsleuten manche damals noch vorhandene, jetzt aber meist
ausgestorbene Sitten, Einrichtungen und Zustände zu schildern, wobei es
natürlich unmöglich war, die angedeutete Zeitgrenze immer streng inne
zu halten. Uns Deutschen ist durch Reisebeschreibungen und gute Bücher
reichliche Gelegenheit geboten, uns mit den Eindrücken, die ein Island
bereisender Ausländer empfängt, bekannt zu machen; gerade deshalb
scheint es mir gewinnbringend, nun einmal einen blander über Island
sprechen zu hören. Nicht nur wird er, obwohl von älteren Zuständen
redend, uns noch manches Neue zu erzählen wissen, sondern uns u. a. auch
belehren, wie einzelne Übelstände, die von jetzigen Reisenden hier oder
da noch angetroffen werden, keineswegs ihre Begründung im heutigen
Kulturzustande der Insel haben, vielmehr in der Denkweise der Mehrheit
des Volkes bereits zu den überwundenen Hingen gerechnet werden. Ich
gebe auf den folgenden Seiten den Inhalt der Schrift mit erheblichen
Kürzungen wieder, wobei ich in der Form von Anmerkungen einige zum
besseren Verständnis beitragende Erkläruugen hinzufüge. Die mit < >. S.
bezeichneten Notizen sind einer 1894 gleichfalls im timarit erschienenen
umfangreichen Kritik dieses Aufsatzes entnommen, die den Danebrogsmann
ölafur Sigurdsson zum Verfasser hat. Etwas älter als der Pfarrer Thorkell
Bjarnason, hat er sein ganzes Leben im Skagafjördur zugebracht, wo er zu
As in der Landschaft Hegranes wohnt. Er findet manche besonders un-
günstige Schilderung des ersteren übertrieben, was aber seinen Grund
darin haben mag, dass beide Verfasser nicht ganz die nämlichen Schichten
der Bevölkerung im Auge hatten. Aber auch manche wertvolle Ergänzung
und interessante Einzelheit liefert er. wovon, wie gesagt, manches hier
seinen Platz gefunden hat.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde- 18%. -j^g
23(> Lehmann-Filhes:
I. Die Häuser.
Vor 40 Jahren waren die Häuser bedeutend anders gebaut und ein-
gerichtet als jetzt. Die Gebäude1) eines Gehöftes waren zwar gewöhnlich
die nämlichen wie gegenwärtig, nämlich ein Raum zum Wohnen und
Schlafen (badstofa2)), Speisekammer (bür), Küche (eldhüs) und Hausgang
(baejardyr), ausserdem häufig eine Schmiede (smidja) und ein Haus für
Vorräte und Gerätschaften (skemraa), deren es auf grossen Höfen auch
wohl mehrere gab. Stuben (stofur) besassen nur Pfarrer, sehr reiche
Bauern uud Bezirksvorsteher. Alle diese Baulichkeiten sahen aber anders
aus als jetzt. Der Hausgang war bei den ärmeren Leuten nur eine Ver-
längerung des zur badstofa führenden engen und niedrigen Ganges; aus
diesem führten ein wenig vor der badstofa zwei Thüröffnungen (dyr), eine
rechts, eine links, in Speisekammer und Küche; das bür war durch eine
Thür (hurd) verschliessbar, die Küche aber hatte oft keine Thür. Beide
Thüröffnungen waren meist so niedrig, dass man nur gebeugt hindurch
gehen konnte und nur die Gewohnheit und die Unkenntnis besserer Zu-
stände machte das fortwährende Bücken erträglich. Auch die beiden Räume
selbst waren sehr klein und niedrig; auf kleineren Gehöften selten mehr
als 3 Ellen breit und 3—4 Ellen lang, und ein grosser Mensch konnte
gerade nur darin stehen. In dem Rasendache, das man überall durch die
Dachlatten hindurch sah, war eines jener oft nur handgrossen Fenster
(skjägluggi); ein hölzernes Band wurde zu einem Ringe zusammengebogen
(oder auch wohl ein länglicher oder viereckiger Rahmen angefertigt), mit
der Eihaut eines Kalbes (liknarbelgur; likn = Gnade, Erbarmen, belgur =
Balg, Haut) bespannt und in die zu diesem Zwecke hergestellte Dachöffnung
gepasst Diese dünne Haut wurde oft zerstört, bald durch den Wind,
bald durch die Katze, die, wenn man sie aussperrte, sich gern mit den
Krallen Einlass durch das Fenster verschaffte; man musste daher stets
Vorrat an solchen Häuten haben und es lag der Stallmagd ob, bei der
Geburt eines Kalbes den liknarbelgur zu verwahren und zu reinigen,
andernfalls verlor sie ihren Anspruch auf den „Darmkäse" (garnaostur,
ein aus den gereinigten, in Salzwasser gekochten, zusammengewickelten
und gepressten Kälberdärmen bereitetes Gericht).
Der Hausgang war in der Mitte oder gerade vor Speisekammer und
Küche durch eine Zwischenthür (skellihurd: skella = laut zuschlagen) ab-
1) Auf einem isländischen Gehöfte (bser) ist bekanntlich jeder Raum ein Gebäude! für
sich und mit einem besonderen Dach versehen, doch sind die liier genannten dicht an
einander gebaut mit Ausnahme von skemma und smidja.
2) Die Benennung badstofa (Badstube) stammt aus alter Zeit, wo sie den auf jedem
Gehöfte befindlichen, mit einem grossen steinernen Ofen versehenen Raum zum Baden
bezeichnete. Als die Sitte des Badens mehr und mehr abkam, hiess badstofa ein heizbares
Gemach, das den Bewohnern zum Aufenthalt diente. Daher ist der Name badstofa drin
gemeinschaftlichen Wohnraum geblieben, auch wenn derselbe keinen Ofen hat.
Kulturgeschichtliches aus Island. 237
geschlossen. Vorn im Eingänge befand sich eine niedrige Holzwand, welche
unten auf jeder Seite ein Loch (hundagätt) hatte, damit die Hunde bei
Nacht, wenn das Gebäude verschlossen war, aus- und eingehen konnten.
Am hintersten Ende des Ganges kam man in die badstofa; sie stand
gewöhnlich quer zu den anderen Häusern und hatte den Eingang an ihrem
einen Ende. Dieser Raum konnte verschieden beschaffen sein. Die
bekkbadstofur1) hatten fast immer das Erdreich zum Fussboden; an
beiden Längswänden standen die Betten, die nackten Erdwände hinter
ihnen waren grauweiss von Schimmel und Feuchtigkeit, An der hinteren
Giebelwand waren zwischen den Betten ein oder zwei wagerechte Bretter
angenagelt; dies war der bei den Betten der Eheleute übliche Tisch.
Wandbretter waren an beiden Giebelwänden befestigt, auf die man Schüsseln,
Tassen u. s. w. stellte. An beiden Enden der Betten standen Pfosten, die
oft bis an die Dachsparren reichten und marar hiessen; die Seitenwand
der Betten war aussen daran festgenagelt. Zwischen den marar war oft
ein Strick ausgespannt, an welchem der Inhaber des betreffenden Bettes
seine Kleider, Handschuhe u. dergl. aufhing. — Die pallbadstofur hatten
einen pallur, d. h. einen aus Brettern hergestellten erhöhten Fussboden,
etwa eine Elle über der Knie, auf welchen Stufen führten. Unter dem-
selben war es dunkel; hier bewahrte man Brennholz u. dgl. oder hielt
daselbst Lämmer. Zuweilen ging quer durch die badstofa in halber Manns-
höhe ein Balken, um sie zusammen zu hallen: wer den Raum durchschritt,
kroch darunter hindurch. Wie hinderlich ein solcher Balken werden
konnte, zeigt folgende Geschichte. Der Pfarrer Jon Petursson, der 1817
bis 1839 auf Höskuldsstadir wohnte, kam zu einein gewissen Sigurdur auf
Fannlaugarstadir, um einen kranken Knecht zu besuchen. Sigurdur war
wohlhabend, aber durchaus nicht prachtliebend, und so ging durch seine
badstofa auch ein solcher Balken. An so vornehmen Besuch nicht gewöhnt.
wollte er den Pfarrer recht ehren und ihn ganz hinten auf sein eigenes
Bett setzen: während er selber nun gewandt unter dem Balken hindurch-
kroch, zog der Pfarrer es vor, darüber hinweg zu steigen. Da g-reift
Sigurdur plötzlich nach einem Stück Zeug, das über den Balken hinüber
hängt, und zieht aus Leibeskräften daran, indem er ausruft: „Habe ich
1) Das "Wort bekkur bedeutet eigentlich eine Bank. Herr Dr. Valtyr Guffmundsson,
Verfasser des Werkes ,.Privatboligen paa Island i Sagatideir hatte die Güte, mir über
die Bezeichnung bekkbadstofa folgende Auskunft zu geben: „Das Wort wird jetzt für eine
Wohnstube gebraucht, in der sich kein erhöhter Bretterfussboden oder lopt befindet. Dies
ist aber sicher nicht die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, vielmehr bezeichnete es
eine Stube mit Erderhöhuugen auf beiden Seiten (vgl. bekkur in ..Privatboligen", S. 212)
auf der die Betten standen, -während der Erdfussboden in der Mitte niedriger war — also
einen Gegensatz zu Stuben mit hölzernem pallur, denn die eine oder andere Erhöhung
hatten zur Zeit der Entstehung des Wortes wohl alle badstofur. Später hatte man auch
solche badstofur, in denen der Erdfussboden über den ganzen Baum gleich hoch war und
übertrug da den Namen auf diese."
10*
238
Lehmann-Filhes:
euch nicht verboten, ihr Mädchen, eure Lappen über den Balken zu hängen,
wenn anständige Leute kommen!" Worauf der Pfarrer ganz sanftmütig
sagt: „Dies gehört nun aber zu mir, mein Sigurdur", denn Sigurdur hätte
ihm beinahe den Eockschoss abgerissen. — Der pallur konnte auch ein
sogenannter götupallur (von gata = schmaler Steg) sein; wenn dies auch
in eine etwas frühere Zeit gehört, erinnert sich der Verfasser doch, als
Kind einen solchen gesehen zu haben1). Dieser pallur nahm die hintere
Giebel- und die beiden Langseiten, nicht aber die Mitte der badstofa ein;
er war so breit, dass vor den Betten, die rechts und links darauf standen,
noch ein schmaler Raum frei blieb, so dass man auf dem Bette am Spinn-
rocken sitzen und sonst noch manches hier aufstellen konnte. — Endlich
konnte eine badstofa auch portbyggd2) sein; eine solche war mittels einer
Dielung in einen unteren und einen oberen Raum abgeteilt; letzterer hiess
lopt3). Der untere Raum wurde selten bewohnt, denn er war sehr dunkel:
1) Vgl. „Isländische Volkssagen, aus der Sammlung von Jon Ärnason etc." I, S. 13S
oben.
•2) Portbyggd badstofa (von port = Thor, Pforte, und byggja
= bauen) hiess sie deshalb, weil bei ihr die Querbalken, die das
lopt trugen, nicht oben auf den Ständern ruhten, sondern, um
das lopt höher zu machen, ein Ende weiter unten in dieselben
eingefügt waren.
?>) Wie man sich ein solches badstofulopt zu denken habe,
geht aus einigen Stellen des Romans rmadur og kona" („Mann
und Frau") von Jon Thüroddsen, I. Kap., hervor. „Eine Kammer
(lopthüs) war an dem einen Ende, das war das Gemach (herbergi)
des Ehepaares; ihre Betten standen beiderseits verlängs an den
Seitenwänden und zwischen ihnen mitten an der Giebelwand ein
kleiner Tisch. Vorn auf dem badstofulopt ausserhalb des Ein-
ganges zur Kammer (lopthüsdyr) waren die Betten der Knechte
und Mägde und quer vor dem Giebel das Lager eines alten Weibes, einer Gemeinde-
armen." „Die Hausfrau steht auf und tritt vor in den Kammereingang (hüsdyr);
derselbe war offen, denn es war keine Thür (hurd) vor der Kammer" „Das alte
Weib springt plötzlich auf und läuft den ganzen Kaum (lopt) entlang bis zur Bodenöfihung
(loptsgat), dort spuckt sie in die Öffnung hinab und sagt" „Das Licht war an
dem Thürpfosten der Kammer in der Weise aufgehängt, dass oben in den Thürpfosten
(dyrastafur) ein Loch gebohrt und der Henkel der Lampe hineingeschmiegt war. Das
Licht war aber deshalb hier angebracht, damit es die Kammer (hus) sowohl als vorn den
grossen Raum (lopt) erleuchten sollte und man in der ganzen badstofa nur ein Licht
brauchte. Unten am Thürpfosten innen in der Kammer an der Seite, wo das Licht war,
stand ein Stuhl mit einem Kissen darauf; hier pflegte die Hausfrau des Abends zu sitzen,
wenn sie nähte oder eine andere Arbeit machte, zu der sie Licht brauchte. Ausserhalb
der Kammer an der anderen Seite des Einganges nach der Bodenklappe zu stand eine
mit einer zusammengefalteten Decke belegte Truhe; das war der Sitz des Knechtes Thor-
steinn, der abends dort sass und allerlei ausbesserte und schnitzte und dazwischen die
Aufgabe hatte, Geschichten (sögur) vorzulesen und lange Gedichte (rimur) aufzusagen."
Die drei Mägde sitzen auf ihren Betten und spinnen, während ein anderer Knecht ihnen
die Wolle kratzt und der Bauer an einem RosshaargefLecht arbeitet Vorn an
der Hausthür wird gepocht, es ist aber nicht Christensitte, nach Tagesschluss unten zu
pochen, anstatt auf das Dach zu steigen und am Fenster zu grossen (guda a glugga, von
gud = Gott), auch sind es nicht drei Schläge, sondern nur einer oder zwei, deshalb getraut
Kulturgeschichtliches aus Island. 239
nur ein Gastbett enthielt er gewöhnlich und manchmal schliefen die
Knechte dort.
In den ärmlichsten badstofur war das Torfdach zwischen dem Latten-
werk sichtbar; bei den meisten waren die auf den Sparren ruhenden
Längslatten mit schräg abwärts gehenden Brettern (reisifjöl) belegt und
nur auf den reichsten Gehöften hatte die badstofa eine süd, d. h. eine
dachziegelförmig angeordnete Bretterlage-, an manchen Orten deckte diese
nur den hintersten Teil der badstofa, wo der Hausherr und seine Frau
schliefen. Nur in den besseren oder besten Häusern w'aren die Wände
über den Betten und am Giebel mit Brettern bekleidet und selten war
eine bekkbadstofa gedielt; auch kam darauf nicht viel an, da man sich
mit Scheuern nicht aufzuhalten pflegte.
Die Giebelwände der badstofur waren damals gleich den übrigen stets
von Rasen und so dick, dass die Fenster im Dache sein mussten. Zur
Zeit des Verfassers waren diese meist von Glas, doch hat er bei sehr
armen Leuten in der badstofa noch skjägluggar gesehen, und seine Mutter,
die 1811 geboren war, erinnerte sich ans ihrer Jugend keiner anderen
Fenster; junge Mädchen, die auf sich hielten, haben den liknarbelgur so
gut als möglich gewaschen und geschabt, bevor sie ihn in das Fenstercherj
über ihrem Bette brachten, und dann mit ihrer Handarbeit oben auf dem
Bette möglichst nah an dieser Lichtquelle gesessen. Als seine Mutter
etwa acht Jahr alt war, hörte sie viel von einem neuen prachtvollen Glas-
fenster in der badstofa zu Grlaumbaer reden und der strahlenden Helle,
die es verbreitete. Der Verfasser bat dieses Fenster noch gesellen: es
hatte vier, nach heutigen Begriffen gar nicht grosse Scheiben. „Die
meisten Fenster, deren ich mich erinnere*, sagt er. ..halten nur zwei
Scheiben von der Grösse einer tüchtigen Männerhand. In meiner frühsten
Kindheit wohnten meine Eltern in einer etwa 20 Jahre alten badstofa mit
zwei sehr kleinen Glasfenstern im Dache. Hinten war ein Fach" (stafgölf,
der Raum zwischen zwei Hauspfostenpaaren) ..mit Brettern abgeteilt und
hiess „das Haus" (hüsid). Ein wohlhabender Pfarrer hatte es für sich
machen lassen, als er 1824 dorthin zog. Es war 4 Ellen breit, mit reisifjöl
gedeckt und hatte ein kleines Glasfenster im Dache; jene Dachbrett er
waren vom Lampenqualm so geschwärzt, dass die Sonnenstrahlen auf einen
schwarzen Lappen zu fallen schienen, doch fand ich den Sonnenschein
wunderschön und freute mich darüber.*
sich niemaud zu öffnen. Endlich klettert draussen jemand an der südlichen Seite- der
hadstofa empor, legt sich auf das Fenster über dem Bette der Hausfrau und ruft durch
dasselbe hinein: „Hier sei Gott! Gesegnet seien die Leute!-' („Her se Gud! ssell veri
ftflMd!" Der Bauer geht nun hinab und lässt den Fremden ein . . . . ) „und sobald er
mit dem Kopf durch die Bodenöffnung auftaucht, ruft er den Einwohnern einen Gruss zu
und sagt "
240 Lehmann-Filhes :
Man kann sich denken, dass viele dieser baöstofur keinen angenehmen
Aufenthalt boten. Wenn es viel regnete, leckten die Dächer bedeutend.
Dann stellte man tagsüber Troge und andere Gefässe auf die Betten, des
Nachts aber hing man Felle darüber auf oder bedeckte sich damit, und
dennoch blieb das Bettzeug nicht vor Nässe bewahrt. Schlimm wurde von
dem herabtropfenden Wasser auch der Erdfussboden zugerichtet, auf
welchem bei heftigen Güssen zuweilen ein Strom entlang lief. Ein Vorteil
war es hierbei, dass die badstofur oft nur 4 Ellen breit waren, während
sich die Länge nach der Zahl der Bewohner richtete.
Die Staatsstube (stofa) war damals eine Seltenheit, doch wird eine
solche hier beschrieben. Man gelangte in sie rechter Hand vom Haus-
gange her. Sie mag 3—4 Ellen breit und gegen 5 Ellen lang gewesen
sein und gut mannshoch bis zum lopt. Sie war gedielt, die Wände mit
Brettern bekleidet und die Giebelwand, die nach vorn auf den Hofplatz
ging, ganz von Holz. In letzterer waren oben unter dem lopt zwei Fenster,
jedes aus 2 etwa handgrossen Scheiben bestehend; man würde das durch
sie einfallende Licht jetzt kaum hell genug zum Lesen finden, damals galt
aber eine solche stofa als etwas sehr Schönes. — Es sind hier hauptsächlich
die Wohnungen der unteren Klassen beschrieben; die der besser Situierten,
wie z. B. der Pfarrer, reichen Bauern uud Bezirksvorsteher, waren viel
ansehnlicher und geräumiger, der Hausgang oft breit und auf einer Seite
von ihm eine stofa, auf der anderen ein Raum, welcher skäli1) hiess.
Allen gemeinsam aber war der Übelstaud, dass die Fenster klein, der
Raum unter dem lopt meist dunkel, das lopt selbst niedrig und luftlos
war. Jetzt findet sich kaum in der armseligsten Hütte eine badstofa ohne
Bretterbekleidung, Dielung und so grosse Fenster, wie vor 40 Jahren nur
wenige Wohlhabende sie hatten2).
1) Ö. S.: „Diese alten skälar sah ich auf einzelnen Gehöften in der Zeit zwischen
1830 und 1840; in dreien von ihnen war am inneren Ende eine Kammer (herbergi), welche
skälahus genannt wurde, mit Brettern abgeteilt. Man sagte mir, ursprünglich sei dies eine
Schlafkammer für Gäste gewesen, während im vorderen Teil des skäli die Knechte des
Hofes schliefen. Als ich sie sah, war aber das skälahus eine verschlossene Vorratskammer
geworden und der vordere Teil enthielt Kasten und verschiedenes Gerumpel. Die meisten
dieser skälar hatten die Fenster im Dache, ausgenommen wenn ein lopt dawar; in diesem
Falle waren die Fenster in der Wand."
Auch die Bedeutung des Wortes skäli hat manche Wandelung durchgemacht. Nach
Dr. Yaltyr Gudmundsson „Privatb öligen" S. 207 f. scheint es aus skäl (Schale) gebildet zu
sein und ursprünglich ein bienenkorbförmiges Haus, das die Gestalt einer umgekehrten
Schale hat, bezeichnet zu haben. Man kann es z. B. für eine Laubhütte aus zusammen-
gebogenen Zweigen gebrauchen und es bezeichnet daher oft eine zu vorübergehendem
Aufenthalt errichtete Hütte; so wird es stets für die Häuser angewendet, welche die Be-
siedeier Islands sich zuerst zu einstweiliger Unterkunft erbauten, bis sie ihre Hochsitzsäulcn
gefunden und ihre bleibende Wohnstätte bestimmt hatten. Später, besonders vom Jahre
1000 ab, ist der skäli der Schlafraum auf einem Gehöft, doch ist diese Anwendung nun-
mehr auch längst in den Hintergrund getreten.
2) Ö. S.: „Aus dieser Schrift" (vom Probst Gudlaugur Sveinsson vom Jahre 1791)
„ersieht man, dass die Gebäude damals unregelmässig, hässlich und in die Erde gegraben
Kulturgeschichtliches aus Island. 241
Wie alle übrigen Häuser, so waren auch die Kuhställe (fjös) niedrig
und dunkel und hatten meist skjägluggar. Wo es anging, war ein Gang
(ranghall) bis zum Wasser gebaut; man errichtete deswegen den Stall am
liebsten au einem Bach und liess diesen durch das äusserste Ende des
Ganges laufen, damit die Kühe bequem zum Wasser gelangen konnten;
diese Einrichtung nannte man innibrynning. Zuweilen war die Heuscheuer
(hlada, heyhlada) an den Kuhstall angebaut und durch eine Thür mit ihm
verbunden; fehlte die Scheuer, so befand sich an ihrer Stelle wie auch
bei den Schafställen (fjärhüs) eine zur Aufnahme des Heuhaufens bestimmte
Umwallung (fjöstöpt, heytöpt).
IL Die Kleidung.
Die Werkeltagskleidung der Männer bestand um das Jahr 1830 in
einem Wollhemd, gestrickten Unterbeinkleidern, beides gewöhnlich weiss,
einer gestrickten Unterjacke (nasrpeysa; naer nah, peysa = Jacke), die
meist blaugrau und vorn zugeknöpft oder = gehakt war, Weste und Fries-
hosen (vadmälsbuxur). Weste und Hosen waren entweder indigoblau,
schwarzgefärbt oder auch „schafschwarz" (saudsvört). Die Unterjacke
wurde meist unter der Weste getragen. Bei der Heuernte trugen die
Männer gewöhnlich nur Hemd, Weste und Unterhosen (naerbuxur oder
naerbrök), im Winter hatten sie im Freien aber noch die Unterjacke und
einen groben weiten Mantel (ülpa) und auf dem Kopf eine sogenannte
hetta, eine Kappe, die man bis auf die Achseln herunter krempen konnte,
so dass nur Augen, Nase und Mund sichtbar waren. Eine andere Kopf-
bedeckung, die winters im Hause, sommers bei gutem Wetter im Freien
getragen wurde, war die gestrickte Zipfelmütze (skotthüfa); sie war dunkel-
blau und hatte — ebenso der Zipfel — drei bis vier rote oder gelbe Quer-
streifen; der Zipfel hing an der Wange herab und war mit einer etwa
•_' Zoll langen roten oder gelben Quaste versehen. — Die Schuhe waren
stets mit Wollgarn überwendlich bestochen, doch nicht eingefasst, nicht
einmal die Sonntagsschuhe oder die Schuhe, welche die jungen Mädchen
für die Bursche machten, denen sie gewogen waren; heutzutage gehen
waren. Von dem Eingraben sagt der Probst: ...Viele nachlässige Leute verfahren auch
darin sehr saumselig, dass sie beim Beziehen alter Häuser die Erde nur hinaus und an
die Wände oder in die Zwischenräume zwischen den Häusern (hüsasund) schaffen und sie
später dort nicht fort bringen, und daher kommt es, glaube ich, besonders, dass die Ge-
höfte fast überall in die Erde gegraben sind, so dass wenig oder nichts hervor sieht, als
allein das Dach."" — Da (1820) begann man sie höher und stattlicher aufzuführen; man
schüttete die Erde etwa 1V2 Ellen hoch oder mehr in die alten Hausfundamente, so dass
der Fussboden iu den neuen Häusern gleich hoch mit dem Erdboden draussen wurde.
Diese Erhöhung hatte aber den Nachteil, dass die Häuser viel kälter wurden als früher.
Nicht vor 1870 begann man diesem Übel abzuhelfen, Öfen in die badstofur zu setzen und
Keller zur Aufbewahrung von Lebensmitteln zu graben, doch nicht an vielen Orten."
242 Lenmann-Filhes :
sogar die Schafhirten in eingefassten Schuhen und noch dazu an Werkel-
tagen. ')
Im ersten Viertel des Jahrhunderts trug man statt der Weste ein
„bolur" genanntes, ärmelloses Kleidungsstück, ferner kurze Hosen (stutt-
buxur), die bis unter das Strumpfband reichten und an der Aussenseite
bis zum Knie hinauf einen zugeknöpften Schlitz hatten, und die mussa,
eine Jacke, die bis unter die Hüfte hinab ging.2) Aus einem Verse der
Dichterin Sigridur Gunnlaugsdöttir, der zwischen 1820—30 verfasst ist,
kann man schliessen, dass um diese Zeit die mussa der treyja Platz ge-
macht hatte3), denn in dem Verse wird einem Mädchen vorgehalten, es
1) Vom isländischen Schuh sagt Niels Horrebow in seinem Buche „Zuverlässige
Nachrichten von Island" um die Mitte des 18. Jahrhunderts: .Männer- sowohl als Weiber-
schuhe, welche alle vom Frauenzimmer genehet werden, sind gemeiniglich von Ochsen-
häuten gemacht, oder auch in Ermangelung derselben von Schafsfellen, welche sie selbst
bereiten, indem sie nur die Haare oder Wolle abschaben, hernach die Häute oder Felle
trocknen und solche, wenn sie Schuhe davon neben sollen, erst iu Wasser wieder aus-
weichen. Die Schuhe sind also gemacht, dass sie nett um die Füsse schliessen, ohne
Absätze. Aus Schafsfellen werden einige ganz dünne Riemen geschnitten, deren zwey von
den Hinterstücken des Schuhes abgehen und forne über den Reihen zugebunden werden:
zweene andere aber von jeder Seite, wo unsere Schnallenriemen sitzen, werden oben über
dem Fussblat gebunden u — Diese Machart des Schuhes, nämlich aus einem einzigen
Stück ungegerbter Haut, ist noch jetzt in Island üblich.
2) Ö. S.: Die mussa muss etwa 1780—90 aufgekommen sein: sie war meist aus
schwarzgefärbtem grobem vadmäl, ohne Kragen und vorn breit übereinander geknöpft.
Die Ärmel hatten einen Schlitz mit 3 Knöpfen; jedes Knopfloch an den Ärmeln war in
einem dreieckigen Blatt angebracht. 1820 ungefähr kamen sie aus der Mode. Der bolur,
auch Brusttuch (brjöstadükur) genannt, war ebenfalls ohne Kragen und hatte eine rote oder
grüne Einfassung am Halse und an den Rändern und Knopflöcher von derselben Farbe.
Weil der Kragen fehlte, trug man um den Hals zwei Tu-, her, eines über dem andern; das
innere dieser Tücher hatte man später aus weisser Leinewand und liess es oben ein wenig
hervorsehen, bis gegen 1840 die weissen Kragen in die Mode kamen. Die Strümpfe (sokkar)
reichten sehr hoch hinauf, waren weiss, braun oder blaumeliert und hatten oft drei dunkele
Streifen etwas unterhalb des Randes. Dazu gehörten prächtige Strumpfbänder (sokkabönd),
die die Frauen bis 1830, wo die hohen Strümpfe abkamen, „auf ihrem Fusse zu weben"
(ad vefa ä foeti sinum) pflegten (wobei der Fuss das Ende des Aufzuges fest hielt). Die
Strumpfbänder waren stets „frunsuofin" (mit Franzen gewebt), wie man es nannte; einige
mit verschiedenfarbigen Karos (tiglabönd; tigl = Ziegelstein), andere mit Kreuzen (krossa-
bönd); erstere waren die beliebteren.
3) Ü. S.: Um 1810 kamen die kurzen Jacken (treyjur) und die kurzen Westen auf,
dazu die langen Hosen (langbuxur), die zu allererst gestrickt und eng waren; bei einem
Manne sah der Verfasser sie mit hellblauen Streifen. Bald wurden sie aber aus vadmäl
und gehörig weit gemacht. Sie reichten jetzt auch höher hinauf und damit kamen die
Achselbänder auf, die meist spjaldofin (d. h. mit kleinen viereckigen Brettern (spjöld) ge-
webt) waren, was die Frauen damals sehr gut verstanden. (Näheres darüber wird im
V. Abschnitt mitgeteilt werden.)
„Gleichzeitig mit dieser Veränderung, oder in den Jahren 1810—20 kamen die Taschen-
tücher (vasaklütar) auf, die Josephine, Gemahlin Napoleons I., in Frankreich in die Mode
gebracht haben soll; sie sind also wunderbar schnell hierher (d. h. nach Island) gekommen.
Doch muss man die Geistlichen ausnehmen, nach dem, was sira Hallgrimur Petursson in
den Lögbökarvisar (Gesetzbuchstrophen) sagt: „„Die Pfarrer wischen sich Brot und Brannt-
wein mit blauen Tüchern vom Barte ab."" Ebenso sagt Sigurdur mälari (der Maler) im
Kulturgeschichtliches aus Island. 243
sei besser, einen Mann in der mussa, als einen Schurken in der treyja
zu heiraten. Die treyja war sehr kurz, besonders hinten, so dass sie kaum
die Mitte des Körpers erreichte. In den vierziger Jahren gehörte sie
allgemein zum Sonntagsanzuge der Männer, doch sah mau auch dann und
wann in der Kirche und bei Festlichkeiten einen in dunkelblauer gestrickter
Jacke (prjöuapeysa) mit silbernen Knöpfen, die jedoch meist offen gelassen
wurde und die Weste sehen liess. Zur Sonntagskleidung gehörte auch ein
schornsteinähnlicher hoher Filz- oder Baumwollenhut, unter dem bei alten
Männern das Haar bis auf die Schultern hing, was sehr eigentümlich aus-
sah. ') Auch mit seidenen Halstüchern wurde Staat gemacht; bei jungen
Burschen waren sie violfarbig gestreift, bei älteren Leuten dunkel. Kein
Mann aus dem Volke ging in Stiefeln, selbst Wasserstiefel waren selten.
Westen oder Jacken von Tuch (klaedi) galten für unnützen Prunk; mit
Kleidern aus dunkelblauem grobem vadmäl war jeder zufrieden, melierter
vadmäl oder feinere Arten desselben (dükur oder einskepta), mehrfarbig
oder gestreift, wurden damals noch nicht geweht.
Die tägliche Tracht der Frauen bestand über den Unterkleidern aus
einem Rock (pils) und einem Leibchen (upphlutur = oberer Teil; im Nord-
lande kot). Letzteres war meist am Rock befestigt; durch Achselbänder
wurde es oben gehalten; auf dem Rücken waren drei Besatzstreifen aus
geblümtem Sammet «»der geklöppelten (wahrscheinlich wollenen) Spitzen,
ein gerader in der Mitte, zwei gebogene an den Seiten. Vorn war das
kot mit kupfernen oder silbernen Ösen (millur) versehen, und wurde mit einer
messingnen oder silbernen Kette mittels daran befindlicher Nadel zugeschnürt.
Hinter den Ösen entlang gingen bestickte Sanimetborten, die oft von Zacken
aus Gold- oder Silberfaden, auch wohl breiten silbernen Tressen eingefassi
waren; diese reichere Ausstattung gehörte jedoch hei geringeren Leuten
nur zum Feststaat. Bei der ArbeH im Breien trug das Weibervolk über
dem kot eine Art .Mantel (ülpa oder hempa), hei ganz schlimmem Winter-
wetter aber Mänuerkleidung. ")
Katalog der Altertum ersatnmlung, dass unter No. 666 ein Pfarrer im Priestergewandc
(hempa) mit einem grossen Schnupftuch (snytuklütur) in der rechten Hand zu sehen sei,
und hält dafür, dass das Bild um 1700 oder etwas früher hergestellt wurde. Die Geist-
lichen haben also im 17. Jahrhundert blaue Taschentücher gehabt; ob sie aber Schnupf-
tücher oder, wie später die weissen Tücher, ein Zubehör zur Amtstracht gewesen sind,
lässt sich nicht entscheiden."
1) 0. S.: „Ich entsinne mich auch noch zweier anderer Kopfbedeckungen, die ich an
alten Männern sah, als ich juug war; es waren Pelzmützen und dunkelblaue gestrickte
Mützen mit langem Zipfel und einer etwa 4 Zoll langen, baumwollenen Quaste. Sigurdur
mälari erwähnt ihrer in seiner Schrift über die Prauentracht und sagt, aus ihnen habe
sich die Frauenmütze (kvennhüfa) gebildet, die später nach und nach kleiner geworden sei."
2) 0. S. erwähnt „schafschwarzer", gut gewalkter Strickröcke (prjönapils) mit drei
hellblauen Streifen unten herum; sie seien von vielen Mädchen bei der Heuernte getragen
worden.
244 Lehmann-Filhes:
Die gewöhnlichste Festtracht der Frauen war Jäckchen (peysa) und
Mütze (hüfa). Die peysa war gestrickt und am Halse sehr niedrig-, weshalb
man unter derselben Schultern und Brust mit einem Tuch (klütur) um-
hüllte: darüber wurde ein zweites geblümtes oder gestreiftes, meist seidenes
Tuch getragen, man faltete es dreieckig zusammen, legte es auf der Brust
über kreuz und befestigte alle drei Zipfel mit Nadeln. Um den Hals
knüpfte man ein geblümtes seidenes Tuch mit einem Knoten zusammen
und legte die Zipfel auseinander. Mit nichts konnte man sich bei jungen
Mädchen so in Gunst setzen, wie mit schönen seidenen Tüchern. — Die
hüfa hatte wie jetzt eine Quaste (sküfur), meist von dunkler, doch wohl
auch von schön grüner Farbe; der (von der Mitte der runden Mütze aus-
gehende) Schwanz war von einer silbernen röhrenförmigen Hülse (hölkur)
umgeben, in Ermangelung des hölkur aber mit silberner oder vergoldeter
Tresse umwickelt. Eine hüfa mit einem silfurhölkur konnte auch an
AYerkeltagen getragen werden. Der zur Festkleidung gehörige Rock war
aus dunkelblauem vadmäl, zuweilen unten mit grünem oder rotem Tuch
verbrämt; die Schürze (svunta), viel schmäler als jetzt, wTar von aus-
ländischem glattem Stoff (dükur; daher düksvunta) und hatte andersgefärbte
Streifen von oben nach unten; nur Alltagsschürzen waren aus inländischem
Zeuge. Die Schuhe waren, wie die der Männer, nicht eingefasst, sondern
nur bestochen; ringsum am Rande entlang, ausser über der Fussspitze,
waren Riemen eingezogen, über den Spann gelegt und gebunden. Bei den
Sonntagsschuhen waren diese Bänder aus gegerbtem Leder (eltiskinn) und
eitle Mädchen waren darauf bedacht, dass sie recht weiss waren und über
dem Spann möglichst glatt lagen.
Die Kirchentracht (altarisbüningur) war gewöhnlich ein besonderer
Anzug und von verschiedener Art. Manche gingen in dem alten isländischen
Anzüge mit dem weissen, nach vorn gebogenen Kopfputz (krökfaldur;
krökur = Haken, faldur = eine bestimmte Art von Kopfputz). Das Haar
wurde aufgesteckt und der faldur mit Nadeln darin befestigt. Dann wurde
ein seidenes Tuch um den Kopf gebunden, wodurch alles Haar und das
untere Ende des faldur verhüllt wurde; das Tuch wTurde so gelegt, dass
die Stirn in der Mitte bis zu den Haarwurzeln frei blieb, dies nannte man
„ad skauta blesu" (skauta = sich mit einem skaut (Kopfputz) schmücken;
blesa = die Blässe bei Pferden). Zuweilen wurde ein zweites Tuch über
das erste gebunden, so dass die „Blässe" verschwand; dieses Tuch nannte
man „skyla (Hülle, Schutz).1) Um den Hals war ein steifer, nicht breiter,
1) Ö. S.: „Der faldbüningur (d. li. der Anzug, zu dem der faldur getragen wurde,
also die Festtracht) war bekanntlich die Hauptvolkstracht der Frauen hier zu Lande seit
dessen Besiedelung. Hier im Skagafjördur war er ebenfalls die Festtracht vieler älterer
Frauen bis gegen 1840 und einige Vornehmere hielten an ihm fest bis über 1860 hinaus
oder bis der neue kleine faldur, den Sigurdur malari aufbrachte, hier von dem jüngeren
Weibervolk angenommen wurde. Also wurde der faldbüningar hier niemals ganz abgelegt
und jetzt wird hier kaum irgend ein Mädchen anders konfirmiert oder verheiratet als im
Kulturgeschichtliches aus Island. 245
gewöhnlich samraetner gestickter Kragen. Die Staatsjacke (skauttreyja) war
entweder aus Tuch oder vadmäl und auf der Brust zugenestelt; an den
Rändern entlang liefen hinter den Nesteln sammetne, mit Silber- oder Gold-
faden bestickte Borten oder breite silberne oder vergoldete Tressen. Auf
dem Rücken war die Jacke in derselben Weise besetzt wie das Leibchen
(kot). Der faltige Rock (samfella) aus vadmäl, Tuch oder geblümtem
Damast war unten mit wollenen geklöppelten Spitzen oder buntgeblümten
Sammetborten besetzt. Um die Taille ging ein Gürtel, entweder aus
zusammengekettelten silbernen Spangen oder aus gold- oder silbergesticktem
Tuch oder Sammet. Eine silberne Schnalle hielt ihn vorn zusammen
und darüber war ein silberner Knopf, zuweilen aus Filigran mit einem
oder mehreren hängenden Blättern. Manche Frauen trugen entweder an
Stelle der skauttreyja oder, besonders auf Reisen, über derselben eine
hempa; sie reichte bis unter die Kniee herab, lag dem Körper an und
hatte vorn herunter, wo sie zugehakt war, mit Litze besetzte Plüschborten
und unten an den Ärmeln Sammet. — Viele Frauen gingen bei fest-
lichen Gelegenheiten in einem sogenannten dänischen Anzüge, der jedoch
nicht sehr modern sein konnte, da Kleid und Hut gewöhnlich lebens-
länglich dieselben blieben. Ganz vereinzelt sah man auch „Stiefelschuhe"
(stigvelaskor); man nannte sie „schwarze Schuhe" (svartaskör). Es galt
für sehr ungeziemend, sie zu tragen. und die Worte: ..Sic geht in schwarzen
Schuheir' (luin gengur ä svartasköm) bezeichneten die ausgesuchteste
weibliche Hoffahrt, ausser wenn von Vornehmen die Rede war.
Alle diese Trachten, mit Ausnahme von hüfa und peysa, sind jetzt
wahrscheinlich fast ganz verschwunden, nur einzelne alte Frauen halten
noch daran fest.
Das Haar, eine der schönsten Zierden der Frauenwelt (und namentlich
der isländischen), wurde von den jungen Mädchen von jeher mit grösster
Sorgfalt gepflegt und kam vor 40 Jahren noch bedeutend mehr zur Geltung
als jetzt, weil man es damals nicht flocht, sondern es lose (slegid) trug. Es
wurde zu diesem Zweck in drei Teile geteilt, sodann die Spitze jedes
faldbüniiigur. — Bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts trugen die Frauen jeden
Tag einen faldur, doch habe ich nie erfahren, wie dieser Alltags-faldur gewesen ist. Eine
alte Frau aber, die bis 1801 in Skagi bei einer gutsituierten Bauersfrau erzogen worden
war, erzählte mir, ihre Pflegemutter habe sich jeden Morgen mit zwei weissen Linnen-
tüchern geputzt (skautad), die sie so geschickt um den Kopf wand, dass ein faldur daraus
wurde, doch war es wohl nur ein sveigur und kein krökfalduiv (Wahrscheinlich meint
Niels Horrebow etwas derartiges, wenn er sagt: „Um den Kopf winden sie ein grosses
weisses Schnupftuch von grober Leinwand, und darüber ein feineres, welches wie ein Zopf
in die Höhe stehet Darum winden sie ein schön seiden Schnupftuch (zum täglichen
Gebrauch und bey den Armen ist es von Cattun.) eine Hand breit unten bey dem Angesicht.")
„Im neuen Jahrhundert begannen die Frauen sich mit zwei dunkelfarbigen Tüchern zu
koiffieren; das nannte man klütaskaut aber nicht faldur, denn die weisse Farbe war das
Hauptmerkmal des letzteren. Dieses klütaskaut stand nach hinten gerade empor und
wurde nach oben immer dünner. Alte Frauen trugen es bis über das Jahr 1830 hinaus."
2 | ( ; Lehmann-Filhes :
dieser Haarstränge in die Höhe genommen und unter der hüfa befestigt,
eine hinten und eine au jeder Wange, so dass die Haarschleifen in Wellen
um Achseln und Schultern hingen. Zuweilen auch wurde die Spitze des
hinteren Haarstrauges, der gewöhnlich der dickste war, in den Halsaus-
schnitt der peysa gesteckt und dann breitete sich die Schleife über den
Rücken aus, was sehr schön aussah.
Die Bettstücke beim gemeinen Volk waren Unterbett, Kopfkissen,
Laken und Decke. In den beiden ersteren waren Federn; der Überzug
war oft im Hause gewebt, aus vadmal oder gestreiftem glattem Wollzeuge
(einskepta), zuweilen aber auch aus gegerbtem Leder oder aus dicker
Leinwand (boldang). Das Laken war immer aus vadmal; Deckbetten
waren selten; selbst in wohlhabenden Häusern gab es gewöhnlich nur zwei,
eines für das Gastbett, eines für den Hausherrn und seine Frau. Meist
aber schliefen alle ohne Unterschied unter Decken, die dick und fest
gewebt waren.
Aus allem ersieht man, dass die Kleidung und alle Stoffe in damaliger
Zeit einfacher waren als jetzt und fast ausschliesslich aus einheimischem
Gewebe. Tuch und Baumwollen stoffe waren höchst selten, leinene Hemden
hatte man höchstens zum Staat und wo sich leinenes Bettzeug fand, lag
es in der Lade und wurde nur für vornehme Gäste herausgenommen. Das
Nähgarn war meist aus Wolle (hrädur = w. Garn); man vermied so viel
als möglich, ausländische Ware zu kaufen.
III. Die Reinlichkeit.
In keiner Sache ist seit der Mitte des Jahrhunderts ein so erfreulicher
Fortschritt zu bemerken wie hinsichtlich der Reinlichkeit. Dies liegt
grossenteils daran, dass früher manche mangelhafte Einrichtung bestand,
die eine rechte Sauberkeit fast unmöglich machte. Bevor das Petroleum
nach Island kam, was jetzt 30 Jahre her ist, brannte man auf dem Lande
überall Thran (lvsi; das Wort bedeutet auch „Lichtschein", „Erleuchtung'1)
und Pferdefett in kupfernen und eisernen Lampen; als Docht hatte man
Wollgras (fifa Eriophorum). Die Flamme davon war rot und sehr trübe
und qualinte stark, was alten Leuten Beklemmungen verursachte. Jetzt
brennt in der ärmlichsten Hütte an Winterabenden eine helle gute
Petroleumlampe. Von dem Lampenblak färbte sich die badstofa von
unten bis oben schwarz und blieb auch so, denn nie wurden Wände und
Decke gewaschen, was da, wo keine Bretterbekleidimg vorhanden war,
sich allerdings nicht thun Hess; nur mit einem Reisbesen fegte man sie
zuweilen ab. Der Fussboden wurde selbst da, wo er gedielt war, nur
selten und unvollkommen gereinigt und so konnte es geschehen, dass sich
von einer gewissen Helga, die mit ihrem Manne Hjalmar ein Gehöft in
der Hünavatnssysla bewohnte, im ganzen Skagafjördur die Kunde ver-
breitete, sie lasse ihren Fussboden jeden Sonnabend scheuern.
Kulturgeschichtliches aus Island. 247
Zwischen 1840 und 1850 war das gewöhnlichste Speisegefäss des
Volkes der askur1), der noch jetzt viel benutzt wird, ausserdem hatte mau
auch trebollar (hölzerne Teller mit vier Ecken) für festere Speisen. In
Treibholzgegenden, besonders Hornstrandir und Skagi am Skagafjördur,
wurden im Winter viele solche Gegenstände verfertigt und durch herum-
ziehende Händler weit im Umkreise verkauft. Für Gäste hatte man auch
wohl Schüsseln, Teller und Kannen aus Zinu und in manchen Häusern
einiges Geschirr aus Thon. Zum Sammeln und Aufbewahren des skyr2)
fertigte man ein Gefäss aus Treibholz, das man sär (Zuber) nannte; alle
Eimer, Milch tröge, Fässer u. s. w. waren einheimische Arbeit und gewöhnlich
mit hölzernen Keifen versehen, während man dergleichen jetzt vielfach
aus den Kauforten als Blechware bezieht. Leider aber wurde die bei
Holzgefässen doppelt nötige Reinlichkeit sehr vernachlässigt; der askur
wurde oft dem Hunde vorgesetzt, nachdem man daraus gegessen hatte,
und, wenn dieser ihn ausgeleckt hatte, nicht weiter gereinigt. Es wurde
sogar als eine Beleidigung empfunden, wenn der Hund diesen ihm zu-
gedachten Genuss verschmähte; von einer alten Almosenempfängerin, deren
askur der Hund nicht auslecken wollte, ist die Äusserung überliefert: „Ich
glaube, die verfluchten Hunde wissen so gut wie alle anderen, wes Standes
ich bin." Als die Leute zu ahnen begannen, dass der Blasenwurm (Echi-
nococcus) durch die Hunde verursacht würde, und "die Hausherren diese
Sitte zu tadeln begannen, wurde ihnen oft, besonders vx>n älteren Leuten,
entgegnet: „Ich bin nicht ungesünder als andere uud habe doch den Köter
meinen askur auslecken lassen." Einige sollen sogar den Glauben gehegt
haben, dass sie hungriger würden, wenn der askur oder der Teller ge-
waschen würde. Natürlich waren nicht alle Wirtschaften gleich unreinlich
und überall war Weihnachten ein wahres Reinlichkeitsfest. Da wurde
das Hängefleisch (hangikjöt) gekocht und mit dem Sud alle Gefässe und
zuletzt die Bettstellen und Wandbretter gewaschen. Heutzutage steht die
Reinlichkeit in diesen Dingen auf einem ganz befriedigenden Standpunkt
und von der oben geschilderten Unsitte sind die letzten Reste im Ver-
schwinden begriffen.
Ein anderer Übelstand warder, dass Seife, die jetzt massenhaft gekauft
wird, damals noch sehr wenig in Anwendung kam und das an ihrer Stelle
gebräuchliche Ersatzmittel, wenn auch für wollene Sachen gewiss recht
praktisch, doch nichts weniger als appetitlich war, besonders wenn es auch
zur Reinigung der Hände dienen musste. Freilich wurde mit dem in
Island so reichlich vorhandenen herrlichen Wasser fleissig nachgespült.
l)«Ein kleines hölzernes Gefäss aus Böttcherarbeit mit geschnitztem Deckel, der wie
an unseren Bierkrügen mit einem Gelenk am Henkel befestigt ist, für eine Portion Suppe
oder Brei.
2) Skyr besteht aus zusammengelaufener Milch, von der die Molken abgelaufen sind,
und kann lange aufbewahrt werden.
248 Lehmann-Filhes:
So mangelhaft nun auch die Sauberkeit im ganzen beschaffen gewesen
sein mag, so galt es doch stets als eine Schande, ungewaschen und un-
gekämmt in die Kirche zu kommen; wo gegen diesen Grundsatz Verstössen
wurde, war der Schuldige gewiss ein Mann, da die Frauen weit mehr auf
ein reinliches und nettes Äusseres sahen. Der grosse und erfreuliche
Umschwung, der sich in Dingen der Reinlichkeit seither in Island voll-
zogen hat, ist gewiss zum grossen Teil dem Umstände zu danken, dass
sich die obersten Schulen des Landes jetzt in Reykjavik befinden. Dort
lernen die Schüler, die künftigen Führer des Volkes, die Vorzüge der
Sauberkeit kennen und schätzen und es erwacht bei ihnen das Gefallen
an gutgebauten Häusern, höfilichem Benehmen, netter Kleidung und
Reinlichkeit, und dieses Gefühl impfen sie nach und nach denen ein, mit
denen sie später in den ländlichen Bezirken zu thun und umzugehen haben.
IV. Die Nahrung.
Die tägliche Kost hat sich in letzter Zeit wesentlich verändert. In
des Verfassers frühster Jugend trank man Kaifee nur des Morgens nach
dem Aufstehen. In der Zeit der Heuernte wurden in besseren Häusern
folgende Mahlzeiten gereicht: morgens um 6 Uhr (midmorgun) der litli
skattur1), bestehend aus skyr und Milch; um 12 Uhr mittags (hädegi) der
skattur, nämlich Fisch und Butter und nachher skyr und Milch oder hrae-
ringur2) mit Milch; die Mittagsmahlzeit (middegismatur) nach 3 Uhr (nun)
war ebenso beschaffen wie die vorige; wo aber spad (gesalzene Stücke
Hammelfleisch) vorhanden war, wurde oft spadsüpa gereicht. Die Abend-
mahlzeit wurde vor dem Schlafengehen genossen und bestand aus hraeringur
und Milch oder sogenannter mjölmjölk (Mehlmilch). Brot wurde nur beim
Binden des Heus mittags zum Fisch gereicht; es wurde als die grösste
Delikatesse betrachtet, auf die besonders die Kinder sich lange vorher
freuten.3) In den anderen Zeiten des Jahres war die Beköstigung nicht
ganz so reichlich, doch gab es im Winter öfter spadsüpa und auch grjona-
mjulk (Graupenmilch), d. h. in Milch gekochte Gerstengraupen. In der
Schlachtzeit hatte man oft frisches gekochtes Fleisch (slätur = Geschlachtetes)
und an der See im Herbst und Frühling gekochten Fisch (sodning), im
1) Litli skattur, wörtlich „der kleine Schatz"; doch ist skattur nach Cleasby und
Vigfüsson, Isl.-Engl. Wörterbuch, wahrscheinlich verdorben aus skamtur = Anteil, Portion.
2) Hrrcringur (von hrsera = rühren), ein in Island gewöhnliches Gericht, aus skyr und
Wassergrütze zusammengerührt, wird mit Milch gegessen.
3) Nach Ö. S. wurde bei wohlhabenderen Bauern als Morgenmahlzeit eine Suppe
aus Milch, Mehl und zerschnittenen Rüben (rüfur oder nsepur) gereicht, die man nsepna-
mjölk nannte. Auch Kohlrabi (gulröfukal) wurde in Suppe und Grütze gethan; man
bereitete ausserdem ein Gericht aus V, Kohl, Va isländisches Moos und Vi Roggenmehl
und mischte das Ganze mit skyr. Die allgemeine Abneigung gegen alle Kohlgerichte mag
es verschuldet haben, dass der schon recht blühende Gartenbau um 1830 fast ganz wieder
einging und erst nach 1850 sich wieder zu heben begann.
Kulturgeschichtliches aus Island. 249
Frühjahr besonders hrokkelsi (Seehase = Cyclopterus lumpns); arme Leute
benutzten den Rogen des Weibchens, welches gräsleppa genannt wird, zu
Grütze, indem sie ihn zerstampften (strokka = buttern) und mit Mehl zu
einem Brei kochten; man nahm saure Molken (syra) hinzu, um den Fisch-
geschmack zu beseitigen, doch war dies Gericht sehr unbeliebt, Auch zu
einem Gebäck wurde dieser Rogen genommen, indem man ihn mit Mehl
zusammenknetete. — Im Frühling fing man im Skagafjördur viele Vögel
auf der Insel Drangey und verzehrte sie teils sogleich, teils räucherte,
salzte oder säuerte man sie (sürsa; wahrscheinlich legte man sie in syra).
Die Grütze, die man unter das skyr mischte, war gewöhnlich „Gräser-
grütze" (grasagrautur; gras, pl. gros, abgek. aus fjallagrös, Berggräser =
isländisches Moos). Die „Gräser" wurden in lauwarmem Wasser gewaschen,
wobei man alle Unreinigkeiten oben abschöpfte, dann im „Gräserkasten"
(grasastokkur) mit dem „Gräsereisen" (grasajärn) geschnitten und in den
Topf gethau, in welchem man schon Mehl eingerührt hatte; beim Verspeisen
dieses Gerichts musste man aber sehr geduldig sein, weil noch mancherlei
Moose und dergl. darin zurückgeblieben waren und ausgespuckt weiden
mussten.1) Auch in Milch kochte man die „Gräser" zu der sogenannten
Gräsermilch (grasainjölk). — Eine alte, zu Ende des vorigen Jahrhunderts
geborene Frau, Kristin Jönsdöttir, erzählte dem Verfasser, in ihrer Jugend
hätten arme Leute niemals Brot und selten Grütze zu schmecken bekommen:
die Knochen der Fische, z. B. aus Dorschköpfen, wurden so lange in
Wasser gekocht, bis sie mürbe und das Wasser eingekocht war; dieses
Gericht hiess brudning (von brydja = stark kauen?), aber mir der Hunger
soll es geniessbar gemacht haben. Die Knochen von Schafen und grösserem
Vieh wurden ebenfalls in Saures gelegt und gegessen, wenn sie mürbe
geworden waren. Auch Seehundsfleisch diente zu Zeiten als Nahrungs-
mittel.
Jedenfals waren die Nahrungsverhältnisse bei den Armen damals viel
schlechter als jetzt; im späteren Teile des Winters war man oft ganz auf
Milch angewiesen und auch diese ging aus. wenn Heumangel eintrat. Da
gab es denn viele Knechte und Tagelöhner, die im Frühling ihr spad
gegen Schafe austauschten; davon machten arme Leute Gebrauch und
begannen nach Weihnachten von ihren wenigen jungen Schafen die meisten
aufzuessen.
Weihnachten (jöl) war schon damals wie jetzt ein grosses Freudenfest,
am meisten für die Kinder, nicht nur der Kerzen w-egen, die sie da
erhielten und die so sehr die Thranlampcn überstrahlten, sondern auch
1) Ö. S. schildert die Zubereitung der „Gräsergrütze" so, dass die „Gräser" zuerst
allein gekocht und durch Abschäumen von alleu Unreinigkeiten befreit wurden, wonach
das Mehl hinzugethan wurde. Sie wird noch jetzt von vielen dem Brei aus blossem
Roggenmehl vorgezogen.
250 Lehmann-Filhes: Kulturgeschichtliches aus Island.
wegen der mancherlei sonst so seltenen Leckerbissen. Da gab es auch
bei dem Ärmsten süssen Kaffee, allerlei Kuchen (laufabraud, d. h. Blätter-
brot, nämlich zackig ausgeschnittene Kuchen, und lummur, kleine Pfann-
kuchen), Hängefleisch, Brot und Graupengrütze mit Sirupsmilch darüber,
und manche arme Leute, an schmale Kost gewöhnt, thaten da des Guten
zuviel und wurden davon krank, was man aber für unerlässlich beim Feste
hielt. Ein altes Weib z. B. soll die Armut in ihrem Hause mit folgenden
Worten geschildert haben: „So ist es nun einmal jetzt hierin Skard, dass
die armen kleinen Würmer zu Weihnachten nicht einmal Leibschmerzen
bekommen konnten, wie es doch sonst fast immer geschehen ist."
Sehr fröhlich wurde auch der „erste Sommertag" (der Donnerstag
zwischen dem 18. und 25. April) begangen; ausser gutem Essen wurden
die „Sommergabeu" (sumargjafir) verabreicht, die für die Kinder meist in
sogenannten Topfkuchen (pottkökur, dünne Brötchen, in einem eisernen
Grapen gebacken) bestanden. — Ausser den allgemeinen Feiertagen gab
es noch einige andere, an denen die Leute etwas Besonderes zu essen
bekamen; da war z. B. der Tag, an dem man mit der Heuernte auf dem
tun (dem eingehegten Grasfelde beim Gehöft) fertig wurde; mau erwartete
von der Hausmutter, dass sie alsdann die tödugjöld (tada = Heu vom tun,
gjald, pl. gjöld = Bezahlung) erlegte, gewöhnlich Graupengrütze mit Sirups-
milch, oder frisches Fleisch zur Suppe. Allerheiligen nannte man svida-
messa, denn da gab es meist svid (gebratene Schafsköpfe) zu essen. Am
Fastelabend (sprengikvöld; s. „Isl. Yolkss. neue Folge) ass man Hänge-
fleisch, am dritten Weihnachts- und Ostertage sowie am Tage Maria Ver-
kündigung Bohneu und fettes Fleisch oder Fleisch mit Brot, denn letzteres
war immer ein Leckerbissen; wenn Frauen „aus dem Bette aufstanden"
(stigu af samg) thaten sie ihren Leuten etwas zu gute, gewöhnlich Fleisch
und Brot; dies nannte man saengurbiti (biti = Bissen).
In noch früherer Zeit wurden in schlechten Zeiten, wie alte Leute
dem Verfasser erzählten, auch Tang (fjörugrös; fjara = Strand), ein Liehen
(geitnasköf = Liehen proboseideus), ferner die Wurzeln von Silene acaulis
(holtanetur; holt = steiniger Hügel, rot, pl. rsetur = Wurzeln) und njöla-
grautur (njöli — Rumex domesticus) gegessen, ebenso flautir, zu Schaum
gepeitschte frische Milch.1)
An einigen Orten wurden einige Kartoffeln, Rüben und Kohl gebaut,
doch genossen die Leute die beiden letzteren sehr ungern. Ein pflanzen-
und arzneikundiger Mann, Jon Bergsted, der floissig Gartenbau trieb und
selber viel Gemüse ass, wurde deswegen sehr verhöhnt und als eine Magd
sein Haus verliess, weil sie Kohl essen sollte, dichtete man ein Spottlied
1) Ö. S.: Zu flautir wurde der frischen Milch des Abends ein wenig geronnene Milch
hinzugesetzt und sie über Nacht kalt gestellt, wodurch sie nachher beim Quirlen bedeutend
höher aufgelaufen sein soll.
Piger: Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren. 251
auf ihn. Nach 1850 änderte sich vieles; in den Handelsorten wurden
mehr Schafe gegen Cerealien vertauscht, so dass man von da an mehr
Brot und weniger Fleisch ass, und auch der Verbrauch an Kaffee steigerte
sich bedeutend.1)
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel
in Mähren.
Von Franz Paul Piger.
Vorbemerkungen.
Im zweiten Jahrgange dieser Zeitschrift, S. 27-2—285; 382 — 392
schilderte ich die Gebräuche der städtischen Handwerksleute. Dieses Mal
will ich die drei wichtigsten Lebensfeste, Geburt, Hochzeit und Tod, wie
selbe auf dem Lande vor sich gehen, des näheren beleuchten. Viele
Gebräuche und Anschauungen haben die Bewohner unserer Sprachinsel
unstreitig aus ihrer bayerischen") Heimat mitgebracht, einzelne wiederum,
wie es nicht anders sein konnte, von den umwohnenden Slaven entlehnt.
Als slavisch möchte ich das viele Weinen bei der Hochzeit und das zur
blossen Sitte gewordene Klagen und Jammern beim Begräbnisse bezeichnen,
da dies in Ländern bayerischer Bevölkerung meines Wissens nicht vor-
kommt. In dem einen spiegelt sich die Innigkeit slavischer Hausgenossen-
schaft wieder, die nur ungern ein Mitglied ihrer Sippe in eine andere
entlässt, und in dem anderen zeigt sich die mehr weiblich beanlagte Natur
des Slaven, der sich dem Schmerze rückhaltloser hingiebt als der mehr
männlich geartete Deutsche. Beide Erscheinungen finden sich bei allen
slavischen Völkern.
Die symbolische Bedeutung der meisten Gebräuche ist von selbst ein-
leuchtend. Übrigens vergleiche man Weinhold, Die deutschen Frauen in
dem Mittelalter, L. v. Schröder, Die Hochzeitsgebräuche der Esten,
v. Reinsberg-Düringsfeld, Hochzeitsbuch und meine Aufsätze über Geburt,
Tod und Begräbnis in Ober- Österreich im 8. und 9. Jahrgang der Öster-
reichisch-Ungarischen Revue.
1) Ö. S.: Gäste wurden stets höchst freigebig mit dem Besten, was das Haus zu
bieten hatte, bewirtet. Bei ganz flüchtigem Aufenthalte erhielt der Ankömmling wenigstens
eine Zinnkannc voll Milch vorgesetzt; im Winter wurde diese Kanne morgens mit frischer
Milch gefüllt und tagsüber in der badstofa gehalten, damit sie, falls ein Besuch käme,
nicht zu kalt sei.
2) Den Ausdruck gebrauche ich im weiteren Sinne für den ganzen bayerischen Stamm
hüben und drüben der Grenze.
Zeitschr. d. Vereins I. Volkskunde. 1896. 17
252 Piscr:
I. Geburt.
Des Kindersegens hat unser Bauer selten zuviel, er braucht ja Arbeits-
kraft. Daher sieht er ängstlich darauf, dass sein „Weib", wenn es einem
freudigen Ereignisse entgegensieht, sich schont. Nur ungern lässt er sie
während dieser Zeit zu Wagen steigen. Kann es nicht umgangen werden,
so giebt die Bäuerin den Pferden Brot, damit sie auf ihren Zustand
besondere Rücksicht nehmen. Morgens und abends betet sie mit grösserer
Andacht zur schmerzhaften Mutter Gottes, zur hl. Anna, der mächtigen
Geburtshelferin, oder zu den sieben Himmelsriegeln.1) Vor dem Schlafen-
gehen legt sie ein besonders kräftiges Gebet, das für ihren Zustand passt,
unter das Kopfkissen. Vor Leidenschaften und Fehlern hütet sie sich
mehr als sonst, weil diese auf das Kind übergehen. Hässliche Menschen
oder Missgeburten darf die Frau in diesem Zustande beileibe nicht an-
sehen, das Kind könnte Schaden leiden. Sie soll nur Schönes und Freund-
liches anblicken.2) Das Gefühlsleben der Frau ist während dieser Zeit
lebhaft gesteigert, Gespenster und Wahnvorstellungen schrecken sie, und
nur ein geweihter Gegenstand, den sie immer bei sich trägt, kann dagegen
helfen. In ihren Herzensängsten schickt sie gern ein altes Weiblein nach
Mariazell, damit sie dort bei der Gnadenmutter für sie bete. Der Bettel-
mann spricht häufiger in einem Bauernhause ein, in dem man einem
solchen freudigen Ereignisse entgegensieht, denn er weiss, dass die „Wirtin"
jetzt zu geben geneigter ist. Weiss er gar mit Haus- und Zaubermitteln
zu raten und zu helfen, so ist er ein gern gesehener Gast.
Nähert sich die Zeit der Entbindung, so geht die Bäuerin mit ihrem
Manne an einem Sonntage zu besonders befreundeten Nachbarsleuten, um
sie zu „begrüssen" d. h. Patenstelle zu erbitten. Die Bitte darf nicht
abgeschlagen werden. Meistens heben sich zwei Familien ihre Kinder
gegenseitig aus der Taufe.
Ist das Kindlein endlich zur Welt gekommen, bespritzt die Hebamme
den kleinen Heiden vor allem mit geweihtem Wasser, auf dass nichts böses
über ihn komme. Hierauf begiesst sie den ganzen Leib des Kindes mit
kaltem Wasser und die Mutter unterlässt es nicht, mit der Handfläche
seinen Rücken zu schlagen, damit aus ihm ein fester, gegen die Schicksals-
schläge abgehärteter Bauer werde. Sodann legt ihm die Hebamme einen
geweihten Rosenkranz um den Hals, damit es die weisse Frau nicht ver-
tausche und einen Wechselbalg unterschiebe. Häufig wird dem Kinde
1) Die sieben Seufzer oder Gebete, die den frommen Seelen die Riegel des Himmels
öffnen sollen. Ein frommer Einsiedler soll sie gefunden babeu. Sie gelten namentlicb
für Wöchnerinnen als kräftig und wurden durch eine mit derartigen fliegenden Blättern
beschäftigte Druckerei in Znaim (Mähren) verbreitet.
2) Die mährischen Walachinuen glauben, dass sie blauäugige Kinder bekommen, wenn
sie in diesem Zustande oft und langre in das Himmelsblau schauen.
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren. 253
auch ein „Schreckstein", ein herzförmig zugeschnittener, mit einem Öhr
versehener und mit dem Muttergottesbilde bemalter Taufstein, umgehängt,
den Wallfahrerinnen aus Mariazeil mitbringen. Er hilft gegen plötzliches
Erschrecken und gegen die Fraisen. Auf der Wiege und an der unteren
Fläche der Tischplatte ist bereits ein Trudenfuss angebracht, damit die
Trud dem Kinde nichts anhaben kann. In die Wiege legt man neun
Besenruten und neun verrostete Eisenstücke; diese halten ebenfalls die
Trud ab. Manchmal legt man auch eine geschliffene Axt mit der Schneide
nach aufwärts neben das Kind in die Wiege, damit sich die Trud nicht
über dasselbe beugen könne, um ihm die Brustwärzchen auszusaugen. Die
Mutter kann dem Kinde nicht helfen, denn sie fällt beim Nahen der Trud
in tiefen Schlaf und das Kind kann nicht schreien.
Kommt das Kind mit einem „Crlückskleide" oder „Goldhaube" zur
Welt, so sagt man, es habe sein Taufkleid mitgebracht. Ein solches Kind
hat wie ein Sonntagskind besonderes Glück und man schickt es später
gern, um in die Lotterie zu setzen Freilich will man auch beobachtet
haben, dass solche Kinder bald sterben.1) Feldherrn, die kugelsicher
waren, wurden in einem solchen Glückskleide geboren. Dies Glückskleid
wird getrocknet und dem Kinde später, ohne dass es etwas davon weiss,
in das Gewand eingenäht. Geht es damit in die Schule, so lernt es leicht
und im Kriege trifft einen mit einem solchen Zaubermittel Versehenen
keine Kugel. In Ermangelung eines solchen Glückskleides näht man
dem Kinde, sobald es zu Schule gehen soll, einen vierblätterigen Klee in
das Kleid.
Um den abgefallenen Nabel bindet die Hebamme eine Masche und
giebt ihn der Wöchnerin zum Aufheben. Bevor das Kind das erste Mal
in die Schule geht, lässt man es die Masche auflösen, denn dann „geht
auch ihm der Knopf auf1' und es lernt leicht. Manchmal wird der getrocknete
Nabel dem Kinde in das Kleid genäht und auch dieser bewirkt, dass das
Kind leicht lernt,
Ist dem Kindlein die erste Pflege zu Teil geworden, geht die Hebamme
zu den Gevattersleuten, dem Totherrn2) oder der Totfrau, je nachdem das
Kind männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist. Der Herr Gevatter
(oder die Frau Gevatterin), so meldet die Hebamme, möge von der Güte
sein, das neu angekommene Kind aus der Taufe zu heben. Sie bekommt
dafür das vorgeschriebene Mass von Mehl, Brod und Erbsen. — Kommt
der Tag der Taufe, die nicht lange verschoben werden darf, so wickelt
die Hebamme das Kind in ein weisses Kissen, das mit einem brennend
1) Über die Glückshaube, die blasenartige Haut mancher Neugeborener J. Grimm,
D. Myth., S. 829.
2) mhd. tote, totte. Im Oberinnthale heisst der Pate Tot und die Patin Toten.
Schindler, Bayr. Wh. 1-, 633.
17*
254 Pi£er:
roten Bande zusammengeschnürt wird, denn dies hilft gegen das Ver-
schreien. *)
Während des Einschnürens nähert sich der Totherr in unauffälliger
Weise der Hebamme, um heimlich das Eingebinde zuzustecken. Dies
besteht meist aus Silbergeld; manchmal lässt aber ein kinderloser Onkel
auch eine Schenkurkunde über einen Wald oder eine Wiese einbinden.
Bevor man mit dem Kinde die Stube verlässt, wird es allen Anwesenden
zum Küssen gereicht, damit sie es im späteren Leben recht gern haben.
Auf die linke Seite der Brust legt man ihm einen Lärchenzweig, damit
es leicht lerne. Auf dass der erste Ausgang des neuen Weltbürgers ein
glücklicher sei, legt man ein Gebetbuch auf die Thürschwelle und über-
schreitet dann diese mit dem rechten Fusse. Der Vater muss das Kind
zur Taufe begleiten, denn durch seine Gegenwart erkennt er es vor aller
Welt als das seine an. Begegnet man einem Täufling, der zur Taufe
getragen wird, so hat man diesen Tag Glück. Die gebräuchlichsten Tauf-
namen sind Hansai, Seppai und Tonai für Knaben, und Antschi (Anna),
Ritschi (Marie) und Rosi für Mädchen. Zurücktaufen, d. h. dem Kinde
den Namen eines Heiligen geben, dessen Fest schon vorbei ist, darf man
nicht, dies brächte Unglück. Sehr oft nennt man es nach dem Heiligen,
dessen Fest auf des Kindes Geburtstag fällt. Dem Erstgeborenen giebt
man, wenn nach dem Gesagten es möglich ist, den Namen des Vaters.
Nach der Taufe setzt man sich zu einem Mahle, wozu Freunde (Ver-
wandte) und Nachbarsleute geladen werden. Bei jedem Trünke wird auf
den Täufling ein Glückwunsch ausgebracht; dessen Unterlassung würde
ihm schaden. Jeder Gast bekommt von den übrig gebliebenen Speisen
etwas mit nach Hause. Die Gevattersleute lassen sich oft ihren Teil auf
einem Wägelchen abholen. Dafür müssen sie aber genau so viel an Ess-
waren der Mutter des Patenkindes abliefern, die, während sie ihre sechs
Wochen hält, einem schier sprichwörtlich gewordenen Vielessen sich hin-
giebt. Auch die Nachbarsleute beschenken die Wöchnerin reichlich mit
allerlei Esswaren, Schnaps und Wein. Von allen Bekannten wird Seife
in das Haus geschickt zum Waschen der Windeln.
Die Mutter soll sechs Wichen die Stube nicht verlassen, und auch das Kind
darf während dieser Zeit nicht ausgetragen werden. Geht die Wöchnerin,
bevor die sechs Wochen herum sind, aus, so kommt die Wechselfrau,
nimmt das Kind weg und legt einen Wechselbalg in die Wiege. Sie darf
in dieser Zeit kein Wasser holen, sonst verliert der Brunnen das Wasser.
Muss es aber einmal doch sein, soll sie dreimal Wasser schöpfen und es
wieder zurückgiessen. Das Kind darf sie, so lange sie es an der Brust
hat, keine Nacht allein lassen, sonst wird dasselbe eine Trud. Die Nägel
1) Gehen die Kühe das erste Mal auf die Weide wird ihnen ebenfalls ein rotes Hau«
iU'.n Schweif K*'bmiden, als Schutz gegen das Verschreien.
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren. 255
muss man dem Kinde abbeissen, sonst wird es glusterisch, d. h. es bekommt
Gelüst nach fremdem Eigentum. Der Wöchnerin wohnt geheimnisvolle
Kraft inne. Geht sie dreimal um ein brennendes Haus, so erlischt das
Feuer, geht sie dreimal um das eigene Haus, so zündet das Feuer nicht.
Betritt sie innerhalb der sechs Wochen ein Feld, so hat das Gewitter
grosse Macht über sie; besucht sie eine Hochzeit, so wird dabei gerauft.
Erst nach der „Einsegnung" oder „Einführung" kann die Mutter wieder
ohne Furcht ausgehen und mit den Leuten verkehren.1) Auch das Kind
wird jetzt ins Freie getragen; es muss aber, damit es nicht verschrieen
wird, mit einem roten Bändchen geziert sein. Ein ganzes Jahr darf es
nicht angeregnet werden, sonst bekommt es Sommersprossen. Der Tag
des ersten Ausgangs wird von der Familie durch ein kleines Mahl gefeiert.
Kommt das Kind zum ersten Male in ein Haus, so erhält es zwei Eier.
Man versucht damit, ob es schon Zähnchen bekomme, denn wer den ersten
Zahn findet, erhält von der Mutter ein Geschenk. Diese Eier bewirken,
dass das Kind bald zu reden beginnt, und man nennt sie daher Schnatter-
eier oder Plappereier.
Das erste Kleidchen und die ersten Schuhe müssen die Paten bei-
stellen. Sterben die Eltern, so sind sie verpflichtet, als deren Vertreter
für das geistige und leibliche Wohl des Kindes zu sorgen.
II. Hochzeit.
Haben der „Bursch" und die „Diern" siel» endlich ernstlich vor-
genommen, einander zu heiraten, so geht ersterer zu den Eltern seines
Mädchens „auf's G'wisse". Genehmigen die Eltern die Wahl ihrer Tochter,
so findet eine Verlobung statt und die Brautleute tausehen mit einander
Silbergeld aus. Der Vater des ..Bräuggers" schickt sodann den Drusch-
mann2) aus. der ein freilediger Bursche sein muss, um zur Hochzeit zu
laden. Der Druschmann hat einen Stecken in der rechten Hand, der mit
roten Bändchen geziert ist. seinen Hut schmückt ein Strauss künstlicher
Blumen, welchen die erste Kranzeljungfer beistellt. Sobald er sich dem
Hause, wo eine Einladung stattfinden soll, nähert, schiesst er noch hier und
da eine Pistole ab. Der Spruch des Druschmannes ähnelt sehr dem des
Hochzeitsladers in der Steiermark. Der tugendsame Bräutigam lasse guten
Morgen wünschen und lade auf künftigen Dienstag3) zur Hochzeit ein: er
werde es abstatten, ob Freude oder Trauer dazu Gelegenheit biete.
1) Diese Anschauungen weisen wohl darauf hin, dass, wie dies bei einzelnen Volks-
stämmen noch der Fall ist, die Wöchnerin auch bei uns einst als unrein galt; sie weisen
andererseits aber auch auf Zauberkraft dieser Zeitfrist hin. Vgl. auch Wuttke, Der deutsche
Volksaberglaube der Gegenwart, §§ 575-578. 582. 584. 596.
2) Man vgl. das tschechische druzba = Brautführer. Das Wort kommt auch in
Schlesien, in den Lausitzen und in Posen vor.
3) Über den Dienstag als alten und verbreiteten Hochzeittag Weinhold, Deutsche
Frauen im Mittelalter l2, 364. v. Schröder, Die Hochzeitgebräuche der Esten, S. 54.
256 Piger:
Am Sonntag vor der Hochzeitswoche kommen die Verwandten im
Hause der Braut zusammen, um das Freundschafts- (Verwandten-) Mahl
zu halten. Die folgende Woche wird gebacken, wozu von den Nachbarn
Mehl und Mohn beigesteuert wird. Die Braut besorgt die nötigen Einkäufe,
borgt sich den Brautkranz aus, wenn nicht einer im Besitze der Familie
ist, an dem Brautkleid aber darf sie nicht mitarbeiten, denn dies brächte
Unglück in die Ehe, dem Bräutigam aber soll sie ein Hemd nähen, damit
er es am Hochzeitstage trage. Während der ganzen Woche besuchen
Freundinnen die Braut. Sie bewundern lautpreisend die Betten, die
mehrere Meter hoch aufgetürmt sind und als der stolzeste Besitz der
Familie gelten. Die Braut muss die Besucherin umarmen und sie um
Verzeihung bitten, wenn sie selbe je beleidigt haben sollte und fortwährend
weinen. Sollte sie es einmal vergessen, so ermahnt sie die Mutter: „Grein'
(wein') nur, du bist ja Braut." Es gilt das Sprichwort: „Weinende Braut,
lachende Frau, lachende Braut, weinende Frau."
Am Sonntag vor der Hochzeit werden die letzten Flecken oder Go-
latschen1) gebacken, Kuchen, die mit Butter und Zibeben bestreut werden.
Montags fährt der Kammerwagen (Hochzeitswagen) zum Hause des Bräutigams.
Er ist hoch getürmt, und von der Höhe herab winkt ein gewaltiger Strauss
künstlicher Blumen. Mitten zwischen den vielen Betten sitzen verheiratete
Weiber; eine hat den „Schwiegerkuchen" auf dem Schoss, der dann beim
Hochzeitsmahle verzehrt werden soll. An einigen Orten singen noch die
Weiber:
Macht auf, herzliebe Frau Schwieger, das Thürl,
Wir bringen Euch ein sauberreiches Schnürl'-');
Sie wird Euch arbeiten alles so treu und fleissig,
Sie wird Euch betten ein Bettlein kreidenweissig.
Ist die Braut aus einem fremden Dorfe, so wird, wenn sich der
Kainmerwagen dem Dorfe des Bräutigams nähert, von Weibern ein Strick,
an dem ein rotes Tuch flattert, über den Weg gespannt. Der Wagenlenker
muss als „Mautgeld" den Weibern einen grossen Kuchen, eine Flasche
süssen Branntweins und einen Silbergulden geben, um sich die Einfahrt
in das Dorf zu erkaufen. Gelangt dann der Kammerwagen zum Hofe des
Bräutigams, so kommt dieser heraus und bestrebt sich, ein Bett vom Wagen
herunterzureissen, was die Weiber mit Ruten zu wehren suchen. Gelingt
es ihm nicht, so muss er 4 fl den Weibern zahlen, denn der Wagen hat
vier Räder. Das Brautbett trägt der Bräutigam selbst in das Haus. Die
Schlüssel zu den Kasten hat der Fuhrmann, der oft der Bruder der Braut
ist, mit einem roten Bändchen am Leibl (Blouse) befestigt und der Bräutigam
erhält sie erst nach Abgabe eines grösseren Geldstückes.
1) Tschechisch koläc = kreisrunder Kuchen von kolo = Kreis oder Rad.
2) Die Schnur = Schwiegertochter.
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren. 257
Am Dienstage findet die Hochzeit bei „aufnehmendem" Monde statt.
Am Hochzeitsmorgen hat man gern schönes Wetter; dies ist eine gute
Vorbedeutung für einen wolkenlosen Ehehimmel. Geht am Hochzeitstage
der Wind, so vertragen sich die Eheleute nicht. Die Freunde (Verwandten)
des Bräutigams versammeln sich in dessen Hause, alle festlich gekleidet,
den Radmantel um die Schultern, den Hut geschmückt mit einem Blumen-
sträusschen oder Rosmarinzweiglein, das ein rotes Bändchen ziert. Bevor
der Sohn das Vaterhaus verlässt, um sich die Braut heimzuführen, tritt
der Vater vor, macht ihm mit dem Daumen das Kreuzzeichen auf der
Stirn, besprengt ihn mit geweihtem Wasser und spricht feierlich: „Es
segne dich Gott der Vater, der dich erschaffen, es segne dich Gott der
Sohn, der dich erlöset, es segne dich der hl. Geist, der dich geheiliget hat
in der hl. Taufe." Der Sohn kniet vor dem Vater nieder und küsst ihm
Hände und Füsse zum Danke für alle erwiesenen Gutthaten. An manchen
Orten der Sprachgrenze küsst er der Mutter den Schoss, der ihm das
Leben gegeben. Alle Anwesenden bittet er um Verzeihung, wenn er sie
je beleidigt haben sollte. Alle, selbst städtische Hochzeitsgäste, zeigen
Rührung und Ergriffenheit, und selten kann sich einer der Thränen ent-
halten.
Man fährt nun zum Hause der Braut. Dort findet man aber das Thor
abgesperrt1), und erst nach langem Klopfen lässt sich jemand vernehmen:
„man nehme keine Fremden auf. Endlich wird doch geöffnet und man
tritt in die Stube, wo sich Vater und Mutter der Braut und die Verwandten
des Hauses befinden; die Braut lässt sich nicht sehen, sie ist daneben in
der Kammer. Manchmal ist auch die Stubenthür gesperrt und die Be-
gleiter des Bräutigams dürfen erst eintreten, sobald sie etwas gegessen.
Nie aber darf der Bräutigam ohne Aufforderung des Schwiegervaters die
Schwelle übertreten, und in der Stube selbst muss er sich neben die Thür
stellen und darf trotz allen Neckens nichts essen, bis die Trauung vorüber
ist. Nun tritt der Redmann2), der die bürgerliche Vereinigung der Braut-
leute auf sich hat und dies handwerksmässig gegen gute Bezahlung betreibt,
vor die Eltern der Braut und sagt einen langen Spruch herab, der mit
Adam und Eva im Paradiese beginnt und mit einer Bitte um Herausgabe
der Braut endet.3) Er spricht die Anwesenden an als „ehrbare, wohlweise,
grossgünstige Herren und gute Freunde". Er erklärt, der Bräutigam habe
1) Dies ist wohl ein Überrest aus der Zeit des Frauenraubes. Schröder S. 24.
2) Das Wort Redman ist gewiss nicht aus der deutschen Mundart erwachsen, es
hängt, so deutscli es aussehen mag, mit dem tschechischen reönik = Redner zusammen,
das sich der deutsche Bauer übersetzt hat.
3) Die Länge der Reden findet ihre Erklärung in der handwerksmässigen Übung des
Redmannes, die Reden bei der Hochzeit und beim Leichenbegängnisse sind wohl ein
Niederschlag einstiger Hochzeits- und Leichenreden.
:>;>s
Piecr:
sich entschlossen, in den Stand der hl. Ehe zu treten und das Joch Jesu
Christi auf sicli zu nehmen. Es sei nicht gut, dass der Mensch allein sei,
er brauche wie Adam eine Gehilfin. Er bittet im Namen des Bräutigams
die Schwiegereltern um ihr vielgeliebtes Kind als Frau und Hausfrau und
verspricht Treue gegen sie zu halten und sie zu lieben bis in den Tod.
Die tugendsame Jungfrau Braut bitte er um ihren jungfräulichen Ehren-
kranz, den sie von ihrer Kindheit bis auf den heutigen Tag bewahrt habe.
Wie sie über die Gassen und Strassen gegangen wären, hätten sie einen
Täuber gefangen, sie hätten nun gern eine Täubin dazu.1) Die erste
Kranzeljungfer steckt nun dem Bräutigam einen Strauss aus künstlichen
Blumen, den Ehrenkranz der Braut, an die Brust. Dies sei, sagt die
Kranzeljungfer, der Schwanz, der beim Fangen der Täubin ihr in der
Hand geblieben, sie selber sei entwischt, man möge sie nur suchen. Der
Redmann geht nun in die Kammer, um dort nach der ersehnten Täubin
zu spähen. Zum allgemeinen Erstaunen aber — das man auch äussern
muss _ bringt er ein altes Weib zum Vorschein.2) Unter Gekicher und
Lachen, denn nur der Bräutigam in seinem Winkel bewahrt verlegenen
Ernst, führt er sie wieder weg. Wie er wiederum erscheint, bringt er ein
etwa zehnjähriges, hochzeitlich geschmücktes Mädchen. Sie verstehe alles
Mögliche und Unmögliche zu leisten, die Suppe in der Laterne und die
Knödel im Plutzer3) zu kochen. Der Redmann unterlässt es nicht, das
Mädchen zu fragen ob es wohl auch bei diesem Herrn, dem gegenwärtigen
Bräutigam, schlafen wolle. Sie schlafe lieber bei der Mutter, antwortet
sie und darf jetzt abtreten, nachdem sie, wie früher die alte Frau von
dem Bräutigam ein Geschenk erhalten. „Nun", meint der Redmann,
„werden wir ihm eine suchen, die bei ihm schläft." Jetzt erst führt er
die Braut, die in der Kammer natürlich alles gehört hat, in die Stube.4)
Sie erscheint zögernd, schluchzend und weinend, die Augen mit den
Händen verhüllend. Der erste Blick, den sie natürlich nur verstohlen
durch die Finger thun darf, muss dem Bräutigam gelten, damit sie sich
vor ihm in der Ehe nicht fürchtet. Der Redmann führt die Braut dem
Bräutigam zu und sie reichen sich stumm die Hände. Sodann tritt die
Braut vor den Vater, küsst ihm die Hand und spricht: „I bitt1 Enk (Euch), Vater,
wenn i Enk erzürnt hab', verzeiht's mir und sehet mich auch in Zukunft
1) Braut und Bräutigam als Täuber und Täubin zu bezeichnen liegt nahe und ist
auch sonst ziemlich häufig zu finden.
2) Betreffs der falschen Braut vgl. v. Schröder S. GS ff.
3) Plutzer = Kürbis, Gefäss aus Kürbis, bei uns aus Blech bestehend. Auch sonst in
der bayerischen und anderen Mundarten schon längst gebräuchlich: Schmeller, Bayr.
Wb. P, 466.
4) In einzelnen Dörfern wird der Ehrenkranz der Braut dem Bräutigam gegen ein
Silberstück überreicht und der Redmann erklärt in langer Rede die sieben Blumen, aus
denen er bestehe, und deren Bedeutung.
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren 259
gern kommen." Desgleichen bittet sie alle Anwesenden um Verzeihung.
Diese sagen: „Mit Gott!" oder: „In Gottes Namen!". Der Mutter küsst
sie die Hand, Brüdern und Schwestern den Mund.
Jetzt führt der Redmann die Braut abermals dem Bräutigam zu und
übergiebt sie ihm im Namen der Eltern. Die Gäste fordert er auf, das
Brautpaar in die Kirche und sodann in das Haus des Bräutigams zum
Mahle zu geleiten. Den eben jetzt durch das Band der Ehe zu Verbindenden,
sowie allen, die noch durch dasselbe Band jemals verbunden würden.
wünsche er hier Glück und dort die Seligkeit. Mit einem „Gelobt sei
Jesus Christus!" schliesst er, wie er begonnen. Da fällt nun die Braut,
nochmals Abschied nehmend, der Mutter jammernd um den Hals und
wiederholt des öfteren: „Tausendmal vergelt's Gott für alles, was Ös (Ihr)
mir Gutes gethan habt!" Laut weinend verlässt sie mit den übrigen die
Stube.
Vom Hause der Braut geht der Zug, die Musikanten voran, in die
Kirche. Die Hochzeitsgäste sind alle festlich gekleidet in der kleidsamen
Tracht unserer Sprachinsel. Die Braut trägt eine schwere Krone auf dem
Haupte, gefertigt aus Spiegelblumen, Gold- und Silberflitter.1)
Ist die Kirche nicht im Orte und führt der Weg über freies Feld, so
verkünden manchmal noch Pistolenschüsse die Freude des Tages. In einigen
Dörfern wird von der Zeit der ersten Aufkündigung auf der Kanzel bis
zum Hochzeitstage abends täglich mit Pistolen geschossen, damit man
wisse, dass in dem Dorfe eine Hochzeit stattfinden soll.2)
Sehen etwa auf dem Felde Arbeiter den Zug, so eilen sie herbei und
spannen eine Schnur über den Weg. Erst durch Verabreichung eines
Geldstückes macht sich der Bräutigam den Weg frei.'0') Den Begegnenden
wird Wein oder rot gefärbter Schnaps zum Trinken angeboten. Diesen
Minnetrnnk darf niemand zurückweisen.
1) Über das Krönel, Scbappel der Braut Weinhold, D. Frauen P, 387. — Die wich-
tigsten Bestandteile der Iglauer Tracht sind für Männer: hohe Stiefel, lederne Hosen,
kurzes Leibl, darüber bei festlichen Gelegenheiten wie bei Hochzeiten ein feiner Badmantel
aus Tuch, runder, weitkrempiger Hut; für Frauen: Schnallenschuhe, rote Strümpfe, kurzes
blaues Röckcheu, das sich wegen der vielen Unterröcke bauscht, geblümtes Leibchen aus
Seide, vorn mit rotem Bande („Hinundwieder") zusammengeschnürt, weisse Halskrause,
rotgeblümtes, rückwärts in einer Spitze tief herabfallendes Kopftuch, das den Kopf eng
umschliesst. Die Hochzeitweiber umflechten mit diesem Tuche turbanartig den Kopf und
lassen zwei Zipfel vorn über die Brust herabfallen. Den gleichen Kopfputz trägt die
Braut, wenn sie nicht mehr berechtigt ist, den Jungfernkranz zu tragen. Die Haare
der Mädchen sind bei Hochzeiten scheibenförmig am Hinterkopfe aufgesteckt und von
einer breiten Nadel durchstochen. Dieser „Schopfs wird gebildet aus den breit ge-
flochtenen Zöpfen. Wie die Braut tragen die Kranzeljuugfern Kronen, aber leichtere und
einfachere.
2) Vielleicht deutet dieses Schiessen auf den Frauenraub hin, Schröder S. 56.
3) In Tirol sah ich, wie alte Soldaten in voller Uniform mit dem Degen in der Hand
neben der Schnur Wache hielten, mit der sie den Weg sperrten.
260 Pigcr:
In die Kirche sollen die Brautleute mit dem rechten Fusse voran
eintreten, damit sie Glück haben im Ehestande, den zu betreten sie sich
anschicken. Je nachdem die Lichter am Altare hell oder trübe brennen,
herrscht Glück oder Unglück in der Ehe. Brennt nur eines trübe, so stirbt
derjenige der Ehegatten früher, der ihm gegenübersteht. Die Trauung
findet nach der Messe statt. Während derselben drängen sich die Braut-
leute eng an einander, damit nie Zank und Streit zwischen ihnen entstehe. L)
Nach der Trauung gehen die Neuvermählten um den Altar herum zur
Opferung. Hinter dem Altare, wo es niemand sieht, giebt die „neue Frau"
ihrem eben erst angetrauten Manne drei Rippenstösse, damit er das Geld
zum Opfern ihr gebe. Thut er es, so deutet dies an, dass er auch später
der Frau das Geld überlasse und sie eigentlich die „Hosen habe". Um
Macht über ihn zu gewinnen, tritt sie ihm auf den Fuss.'J) Nachdem dann
der Pfarrer, der regelmässig selbst Hochzeitsgast ist, den jungen Leutchen
zugesprochen und sie zu wahrhaft ehelichem Leben ermahnt, begiebt sich
der Hochzeitszug in die Wohnung des Bräutigams, woselbst das Mahl
stattfindet. Die Schwiegermutter wird von der „Schnur" um gütige Auf-
nahme gebeten, sie verspricht ihr, sie in Ehren zu halten, so lange sie
lebe. Damit der jungen Frau nicht bange und sie vom Heimweh nicht
erfasst werde, muss sie in den Rauchfang schauen, der wohl hier den
häuslichen Herd vertritt.
Bevor man sich zu Tische setzt, spricht der Redmann das Tischgebet.
Zu dem gewöhnlichen „Aller Augen u. s. w." fügt er bei dieser Gelegen-
heit noch hinzu:
Herr Gott Vater vom Himmelreich,
Wir sein Deine Kinder allzugleich,
"Wir bitten Dich aus Herzensgrund,
Speise uns in dieser Stund';
Gieb uns Freud' und Einigkeit,
Bewahr uns, Herr, vor teurer Zeit,
Damit wir leben seliglich,
Dein Reich besitzen ewiglich
Durch unsern Herrn Jesum Christum. Amen.3)
Männer und Frauen nehmen auf abgesonderten Tischen Platz.4) An
dem Männertische hat den Ehrenplatz der Bräutigam und die Beistände,
an dem Frauentische die Braut, welche unter dem Kruzifix, im sogenannten
Brautwinkel, Platz nimmt. Neben der Braut sitzt die „Brautmutter"6),
1) v. Schröder a. a. 0. S. 80.
2) Weinhold a. a. 0., I, S. 372: Der Tritt auf den Fuss ist der Antritt der Herrschaft,
3) Das Gebet stammt nach Inhalt und Form aus der Protestantenzeit, die trotz der
Gegenreformation Spuren zurückgelassen.
4) Dasselbe geschieht in Ober-Österreich.
5) Über diese Ehrenmutter, auch Brautfrau genannt, vgl. Weinhold a. a. 0. S. 397.
Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren. 261
welche ein weisses Häubchen trägt, als Beschützerin der Braut: dann links
und rechts die Kranzeljungfern, die Brautweiber und die Brautmädeln.
Die Braut darf die Niedergeschlagenheit noch nicht ablegen und muss bis
Mitternacht nüchtern bleiben (fasten); sie bekommt bloss drei Löffel Suppe.
die ihr die Brautmutter in den Mund giebt. An manchen Orten isst sie ein
wenig, muss sich aber nötigen lassen.1) Vor der Braut liegt ein Laib
Brot. Das „Scherzi" wird abgeschnitten und die Braut steckt ein Silber-
zelmerl hinein. Diese Brotschnitten werden einem Bettler verabreicht
(Scherzi v. scheren = abschneiden, also = Abschnitzl). Die erste Schüssel
trägt der Brautführer auf; sie ist aber wohlweislich bloss mit Wasser und
einigen Semmelschnitten gefüllt. Kommt er nämlich damit bis in die
Mitte der Stube, so beginnt er zu stolpern und lässt die Schüssel fallen.
Natürlich muss jeder diesen Scherz belachen, den er vielleicht schon
hundertmal gesehen. Jetzt erst werden Suppe und die übrigen Speisen
aufgetragen. Von den Speisen sind die meisten versüsst, die Hauptbestand-
teile der Tunkein (.Tunke) sind Zimint und Milch. Was einer nicht essen
kann, legt er bei Seite auf einen Teller und nimmt es mit nach Hause:
man nennt dies das Bschoadessen.2) Um Mitternacht erscheint der
Schlänggelkuchen.3) Während der Mahlzeit bewerfen sich die (niste, wie
dies auch in Steiermark und Ober-Österreich und sonst der Fall ist. mit
Mandeln, Rosinen, Erbsen und Zuckerkügelchen.
Meist vor der Mahlzeit findet der „Einwurf" statt. Auf die Männer-
und Weibertische werden grosse Schüsseln gestellt. Jeder Gast muss in
eine dieser Schüsseln ein Geldstück oder einen Gegenstand legen, der für
den jungen Haushalt passt. Die Geldstücke schüttet man der Braut in den
Schoss. die anderen Gegenstände werden auf dem „Fensterbrettl" zur
allgemeinen Besichtigung aufgestellt.4)
Gegen Ende der Mahlzeit erscheint die Köchin. Die eine Hand hat
sie, als wäre sie wund, verbunden, in der anderen hält sie einen Schöpf-
löffel voll Hirschgasch (Hirsebrei), der bei keiner Hochzeit fehlen darf.
Sie halte die Hände verbrannt und bitte um eine Kleinigkeit für eine
Salbe. Die Hochzeitsgäste werfen Sechserl und Kreuzer in die Gasch.5)
Am Schlüsse der Mahlzeit kommt noch der Brautführer, ein Handtuch um
die Schulter geworfen, in den Händen eine Schüssel mit Wasser, damit
1) Die Städter haben die sprichwörtliche Redewendung: „Du lässt dich nötigen wie
eine häurische Braut/
2) Ich leite das Wort von Scheiden ah Die nämlichen Überbleibsel nennt man in
Nordböhmen Provente (Proviant).
3) Es ist wohl auch dies eine Art Abschiedskuchen, in lind heisst da- Wechseln
der Dienstboten schlänggeln.
4) Derartige Schenkhochzeiten, die den Eheleuten sehr zu statten kommen, waren
auch im Mittelalter üblich, Weinhold a. a. 0. 1, 395.
5) Tn Ober-Österreich und auch sonst ist derselbe Brauch des Trinkgeldes für die
Hochzeitköchin.
262 Pigcr:
sich darinnen die Gäste <lio Hände waschen können. Während des
Waschens muss man Geldstücke in das Wasser fallen lassen, die der
Brautführer für seine Mühewaltung behält. In manchen Orten sagt der
Brautführer, während er die Schüssel zum Waschen hinhält:
Da komm' ich her von Köln am Rhein,
Ich bring ein kühles Brünnelein:
Waschet ab zu dieser Stund
Euren rosenfarbenen Mund,
Eure rosenroten Wängelein,
Wie auch schneeweissen Händelein.
Werfts Dukaten und Thal er 'nein,
Wenns gleich nur Zwanziger und Zehner sein.
Zu der Braut sagt er, nachdem nun das Mahl beendet: „Steht auf
Jungfrau Braut mit Euren Gästen ! Seid Ihr schon nicht satt gegessen, so
seid Ihr doch trocken gesessen. Über Tisch und Eck' mit der Jungfrau
Braut ins Federbett."1)
Nach der Mahlzeit kleiden sich die Gäste um und nun gehts zum
Tanze, der, wenn im Hause des Bräutigams Platz ist, daselbst, sonst im
Wirtshause vor sich geht.
Die Musikanten spielen auf vier Instrumenten, der Klarfidel, Sekund-
fidel, Grobfidel und dem Bass (Ploschperment), einfache schrille Weisen.
Für die Ordnung beim Tanzen hat der Brautführer Sorge zu tragen.
Deswegen hat er auch den Hut auf dem Kopf und trägt ein weisses Tuch
als Schärpe zum Zeichen seiner Würde, das von der linken Schulter bis
zur rechten Hüfte reicht, wo es geknüpft ist. Er schafft dem Vortänzer
Platz und führt ihm die Tänzerin zu. Ein Tanz darf nicht unterbrochen
werden, höchstens kann man seine Tänzerin einem Freunde abtreten. Der
Verheiratete tanzt nur mit seinem Weibe. Fremde ehrt man, indem man
ihnen eine Tänzerin anbietet oder die Musikanten „tuschen" lässt. Natürlich
muss der also Geehrte den Musikanten Bier zahlen. Beim ersten Tanze
treten zuerst an die Braut und der Brautführer, der Bräutigam mit der
ersten Kranzeljungfer und dann die übrigen Gäste nach Hang und Ansehen.
Später freilich lockern sich etwas die Bande in überschäumender Fröhlich-
keit. Der ortsübliche Tanz ist der Hatschöh. Er beginnt als Landler und
steigert sein Zeitmass, indem die Tanzenden unter Hatschöhrufen ver-
schiedene Bewegungen ausführen, bis zum Galopp (dem Hupperischen).
Gegen Morgen zu wird die Braut, nachdem sie sich mit dem Bräutigam
für einen Augenblick in die Kammer zurückgezogen, „angefiedelt" und
„angesungen". Man stimmt vor allem das Ehestandsliod an, das aber nur
geringen poetischen Wert besitzt. Sein Inhalt beweist, dass der Bauer
die Ehe eigentlich als „harte Buss" ansieht, in die man sich geduldig er-
1) In Ober-Österreich springt eine jungfräuliche Braut über den Tisch, eine andere
muss den Bänken nach gehen.
Geburt, Hochzeit und Tod in der Tglauer Sprachinsel in Mähren. 263
geben soll. Interessanter ist ein zweites Lied, das ebenfalls gern gesungen
wird und an Zeiten gar wilden Werbens gemahnt.
Es beginnt:
Es jaget ein Jager ein wildes Schwein.
Er jaget's bei Tag und bei Mondenschein,
Er jaget's über Berg und tiefen Strauch,
Er jaget ein schwarzbraunes Madel heraus. l)
Auch Buhlerlieder2) werden beim „Ansingen" gesungen und je
neckischer der Inhalt ist, desto mehr wird gelacht. Ein Beispiel möchte
ich als Sprachprobe anführen:
A g'scheckerts (geschecktes) Paar Öchsla, a ploscherte Kuh (Kuh mit einer
Blässe oder Stirnfleck)
Dös giebt mir mei Vater, wenn i heiraten thu;
Zwa Hendla (Hühnlein) zwa Hendle. a kruppete Gass (krüppelhafte Geis)
Dös giebt mir mei Mutter, dass der Vater nichts wass.
Zum Frühstück werden am Morgen nach der Hochzeit alle Gäste
zusammengerufen, denn jetzt findet das Verrechnen statt, da jeder (last
den auf Bier und Musik fallenden Teil zahlen muss. Nur das Essen wird
von den Eltern des Brautpaares umsonst beigestellt.
Zum Zeichen, dass die Braut nun wirklich Frau geworden, wird ihr
nach dem Frühstücke von der Brautmutter der Kranz abgenommen und
vom Redmann feierlich der Schöp (Schopf) aufgesetzt. Das grosse rot-
und gelbgoblümte Kopftuch wird ihr um die Stirn gebunden und rückwärts
geknüpft; die Örter (Enden) fallen beiderseits über die Brust. Sodann
wird ihr ein Schopf, der regelmässig aus fremden Ilaaren besteht, aufgesetzt
und darüber von der Brautmutter ein weisses Häubchen gezogen.3) Gegen
das Abnehmen des Kranzes und das Aufsetzen des Schopfes muss sich die
junge Frau möglichst sträuben und sich demselben zu entziehen trachten,
wobei ihr die Kranzeljungfern behilflich sind und sie zu verstecken suchen.
Da ihr dies nicht gelingt, hält sie ein weisses Tüchlein vor das Gesicht
und thut recht geschämig. Auch während des folgenden Tanzes hält sie
noch aus Scham das Tüchlein vor die Augen.
Unterdessen ist der Mittag des Mittwochs herangekommen und mau
setzt sich wieder zum Mahle und die „neue Frau" setzt sich wieder in
den Brautwinkel. Während man sich dem Mittagmahle hingiebt, kriecht
der Brautführer heimlich unter den Tisch und versucht es, der jungen
Frau einen Schuh auszuziehen. Gelingt es ihm, so muss ihn die Braut
mit Geld auslösen.4)
1) Bei den Kleinrussen tritt der Freiwerber als Jäger auf: v. Schröder S. 39.
2) Buhlerlieder ^Lieder der Buhler, Liebesleute) sind Vierzeilige, die man anderswo
Schnaderhüpfel nennt. Sie sind zu Tausenden über unsere Sprachinsel verbreitet.
3) Im Mittelalter hiess es: sie baut ir houbet.
4) Bereits im Mittelalter spielte der Schuh bei Eheschliessungen eine Rolle. Der
Bräutigam reichte der Braut beim Verlöbnis einen Schuh oder trat ihr auf den Fuss.
264 Piger: Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel in Mähren.
Auch etwas derbere Scherze kommen vor, die alle sich darauf beziehen,
dass die junge Frau ihr Magdtum bereits verloren. Man sucht es zu ver-
anlassen, dass der Bräutigam sich unachtsamerweise auf einen polsterartigen
Brustfleck setzt, den bloss verheiratete Frauen tragen. Gelingt es, so
muss er den Frauen Bier oder Kaffee für den folgenden Tag zahlen.
Wenn die junge Frau nach dem Aufsetzen des Schopfes wieder im Braut-
winkel Platz genommen, so kommt häufig ein junger Bursche mit einem
Nünnl1), schaukelt es und reicht es ihr unter Scherzen über den Tisch.
Geht dann endlich das junge Ehepaar zu Bett, so sind sie nicht sicher,
dass sie nicht auch da ein Nünnl im Ehebette antreffen.
Bis Donnerstag zum wenigsten dauert die Hochzeit. Mau besorgt das
Vieh, legt sich vielleicht eine Weile auf eine Bank oder stützt auch nur
den Kopf auf den Tisch, im übrigen wird auch Donnerstag weiter getanzt.
Ja es kann vorkommen, dass von Dienstag bis Samstag mit Ausnahme
einiger Vormittagsstunden ununterbrochen getanzt wird.2)
Am kommenden Sonntag wird, nachdem die junge Frau die Eltern
besucht hat, Nachhochzeit gefeiert. Dabei beteiligen sich nur noch die
näheren Verwandten und die Freude geht nicht mehr so hoch; man hat
bereits angefangen sich ans alltägliche Leben zu gewöhnen.
Ist die Braut aus einem fremden Dorfe, so muss sie, wenn sie das
erste Mal mit ihrem Manne zum Tanze geht, Hanselgeld3) zahlen, dann
erst gilt sie als in die Dorfgenossenschaft aufgenommen. Hat der Bräutigam
eine Braut aus einem anderen Dorfe heimgeholt, so muss er den Burschen
jenes Dorfes gleichsam zum Ersatz für die Wegnahme der Braut ebenfalls
Hanselgeld zahlen.
Iglau.
Weinhold, Frauen P, 37'2. P. Sartori in unserer Zeitschrift IV, 1G6 ff. 173 f. — Die
Walachinnen hoffen noch heute, dass sie, wenn sie dem künftigen Mann einen Pusstritt
geben, ihn in der Ehe beherrschen werdeu. Man vergleiche das oben Bemerkte.
1) Nünnl heisst hier die Puppe (Nönnlein). Nunna (Nonne) ist seit der Protestanten-
zeit in Iglau Schimpfwort.
2) Auch' Kirchweihfeste dauern so ziemlich eine Woche. Die Genussfähigkeit unserer
Bauern scheint unerschöpflich zu sein.
3) Hansel heisst in Österreich allgemein das Tropfbier. Recht bezeichnend für
bäuerliche Denkweise ist es, dass nicht Biergeld, sondern Hanselgeld gezahlt wird. —
Eigentlich bedeutet es Geld zur Aufnahme in eine Hanse, Innung, liier Dorfgemeinschaft
vgl. Weigand, D. Wörterb. I3, 764.
(Schluss folgt.)
Hartmann: Aus dem Volkstum der Berber. 265
Aus dem Volkstum der Berber.
Von M. Hartmann.
Mit der Einnahme Algiers durch Frankreich im Jahre 1830 brach für
die wissenschaftliche Erforschung Nordwestafrikas eine neue Zeit an. Die
politischen und Verwaltungsinteressen wiesen auf eine sorgfältige Bearbeitung-
alles dessen hin, was auf das Land und seine Bewohner Bezug hat. Daneben
fand das rein wissenschaftliche Studium in den Erleichterungen, welche
die Herrschaft einer Kulturnation mit sich brachte, eine unschätzbare
Stütze. Bald richtete sich der Blick auch auf die Nachbarländer Tunis
und Marokko. Das eine ist bereits angegliedert, Die Einverleibung
wichtiger Teile des andern in den nordafrikanischen Besitz Frankreichs
ist eine Frage der Zeit. Auch hier ist von Franzosen bereits viel für die
genauere Kenntnis des Landes gethan worden.
Verhältnismässig schlecht ist hierbei bisher die Volkskunde weg-
gekommen. In Algerien ist viel gesammelt und publiziert worden. Aber
nur zu oft wurden gerade hier unseren westlichen Nachbarn die glänzenden
Eigenschaften einer lebhaften Phantasie, des sprudelnden Geistes und der
rasch fliessenden Feder verhängnisvoll; nur zu Vieles ist minderwertig, ja
irreführend. Ein Standardwerk . wie Lane's Manners and Customs für
Egypten, fehlt für Algerien, so viel mir bekannt, immer noch.
Anzuerkennen ist, dass das Studium der volkstümlichen Erzählung in
Nordwestafrika, besonders auch bei dem berberischen Teil der Bevölkerung,
im letzten Jahrzehnt eifriger gepflegt worden ist. Unter den Franzosen
steht auch hier in erster Linie der unermüdlich thätige Rene Basset. Von
Deutschen kommt Dr. Hans Stumme in Betracht. Die beiden Herren sind
im Augenblick die einzigen wissenschaftlichen Vertreter der Berberologie. Von
Basset liegen vor: Contes populaires herberes (Paris 1887). Die Erzählungen
gehören verschiedenen Gebieten und Dialektgruppen an. Stumme hat uns
in den letzten zwei Jahren die folgenden drei Arbeiten geschenkt:
1. Elf Stücke im Silha-Dialekt von Tazerwalt von Dr. Hans Stumme.
Separat -Abdruck aus dem 48. Bande der Zeitschrift der Deutsch.
Morgenl. Gesellschaft. 1894. — 28 S. 8°.
2. Märchen der Schluh von Tazerwalt von Dr. Hans Stumme. Leipzig
1895. — XII und 208 S. 8°.
3. Dichtkunst und Gedichte der Schluh von Dr. Hans Stumme (Habili-
tationsschrift). Leipzig 1895. — VI und 86 S. 8°.
Stumme hat sich auf das nicht umfangreiche Gebirgsgebiet von Tazer-
walt, nicht weit südlich von der Mündung des Wad Süs im südwestlichen
2fi6 Hartmann:
Marokko, und seinen Dialekt beschränkt. Diese Mundart gehört dem
Schilha an, der Sprache der Schluh, welche das Gebiet zwischen Mogador
und der Mündung des Wad Nun in einer Breite von 270 km und einer
Länge von 400 km bewohnen. Dieses Berbervolk und in ihm wieder die
Leute aus der Provinz Süs, hat in besonderem Masse Neigung und Geschick
zu dem Gaukler- und Seiltänzer-Handwerk, aber auch zu Dichtung, Gesang
und Spiel. So sind denn auch die Gewährsmänner St.'s Akrobaten der
Schluh, und zwar der Erzähler der Geschichten der Haz 'Abdülla Ben
Mhainmed, Direktor einer Truppe, der Geber der Lieder das zwanzig-
jährige Mitglied einer solchen Muläi 'Ali Ben Mhammed, beide aus Tazerwalt.
Ein besonderes Interesse gewinnen die Mitteilungen berberischen Ur-
sprungs dadurch, dass, wenn St. Recht hat (3, p. 1), das Verschwinden
der Berbersprachen zu Gunsten des Arabischen eine Frage der Zeit ist.
Aus dem, was St. selbst in 3. über die reichlich und mannigfaltig schaffende
Sangeslust der Schluh mitteilt, scheint es nicht nötig, so schwarz zu sehen.
Auch in den Erzählungen weht ein frischer Geist, und man kann kaum
glauben, dass ein Volkstum, welches so etwas schafft, bald sollte zu Grabe
getragen werden.
Im einzelnen zeigen die Geschichten von 1. und 2. Züge, welche sich
bei sorgfältigem Nachgehen fast sämtlich auch in anderen Volkslitteraturen
nachweisen lassen werden. St. selbst hat bereits in den am Schluss von
2. gegebenen Anmerkungen zu beiden Sammlungen eine Anzahl Parallelen
nachgewiesen. Die Bedeutung dieser ersten umfangreicheren Mitteilung
aus der berberischen Volkslitteratur mag es rechtfertigen, dass hier auf
die Geschichten von 1. und 2. näher eingegangen wird. Es ist dabei auf
die Rätselsammlungen 1. No. 11 und 2. No. 35 keine Rücksicht genommen.
Ein hervorstechender Zug ist die Vorliebe für Tiergeschichten; von
den 10 Stücken von 1. gehören alle ausser No. 1 und 10 dieser Klasse an;
von 2. die Nummern 27—31, 33, 34. Naturgemäss spielen Tiere oft auch
in den anderen Geschichten eine wichtige Rolle, besonders als die dank-
baren, die den Helden für das erwiesene Gute aus der Not retten. So
kounte der Nachweis zur „Formel der dankbaren Tiere" in 2. p. 207 zu
1. No. 2 aus 2. selbst ergänzt werden: die dankbaren Hunde in No. 4,
der Windhund in No. 8, der Falke in No. 10, vgl. auch Fuchs, Wolf und
Bär bei Schott No. 10; die Affen Tunisische Märchen No. 4 (p. 73). —
Dem Inhalte nach lassen sich die Tiergeschichten meist in die Klassen
einreihen, welche bei der Ordnung nach Formeln oder Motiven sich ergeben.
Hier ist besonders interessant die Wahl von Tieren in einer Schlauheits-
geschichte, in welcher sonst Mensch und Teufel einander gegenüber stehen,
1. No. 3, Teil 1: der Igel — der Reineke Fuchs der Berber — betrügt
den Wolf mit den Zwiebeln und dem Weizen, mit dem hübschen Neben-
zug, dass der Igel die Zwiebeln worfelt und den Weizen drischt, und der
Wolf es ihm nachmacht, dabei aber noch um die Blätter kommt, die ihm
Aus dem Volkstum der Berber. 267
der Wind entführt, und nur Stroh behält, nachdem er sich mit dem Worfeln
und Dreschen geplagt hat. Siehe zu dem Motiv die reichen Nachweise
bei Lidzbarski, Neuaramäische Dialekte in Zeitschr. f. Assyriologie Bd. 9,
p. 261, Anm. 1, zu der von ihm aus Ms. Berlin Cod. Sachau No. 337 mit-
geteilten Erzählung: Der Mossulaner und der Teufel. Teil 2 der neuara-
mäischen Erzählung, Zweikampf des Teufels mit seinem Socius und ähn-
liche Überlistung, fehlt wie den meisten Versionen (Lidzb. kennt nur
Müllenhoff, Sagen etc. bei Grimm III, p. 358) so auch dieser berberischen.
Dagegen ist hier eine andere Reihe von Streichen angeschlossen, die der
Igel ausführt. Sie beginnt mit dem dritten Teil von Grimm, KHM. No. 73
(der vollgefressene Wolf kann nicht mehr heraus, vgl. Goethe, Reineke
Fuchs, Ges. III, Ende; Nachweise Grimm III, p. 124); hier kommt der
Wolf heil davon: er stellt sich auf Rat des Igels tot und wird über die
Gartenmauer geworfen. Dabei hat er freilich ein Stück Schwanz eingebüsst
und muss nun fürchten, erkannt zu werden. Aber der Igel weiss Rat:
er mietet Wölfe zum Dreschen, bindet sie mit den Schwänzen zusammen
und ruft: Die Windhunde sind da! Die Wölfe zerren, jeder verliert ein
Stück Schwanz, und der Schuldige bleibt verborgen. Der betrogene Herr
bringt nun dem Wolf etwas bei, dass er immer keuchen muss; aber wieder
wird er nicht erkannt, denn auf Rat des Igels sagt er beim Vorbeigehen
vor dem Richter: Ich habe eine schöne Schwester Tatach Ifachachachacha.
Der Igel spielt zugleich die Rolle dos Furchtlosen und des Schlauen
in 2. Xo. 27: alle Tiere fürchten sich vor dem Löwen, nur der Igel nicht,
und er wagt allein, das vom Löwen gefesselte Mädchen loszubinden. Er
höhnt den Löwen, und dieser muss froh sein, dass der Stachlige, den er
erschnappt, sich gutwillig aus seinem Maule herausfallen lässt; jetzt wollen
sie mit ihren Heeren gegen einander kämpfen; der Igel häuft, statt Soldaten
zu sammeln, nur holzige Grasstoppeln auf; als der Löwe mit gewaltigem
Heer anzieht, bittet er Gott um einen Wind; die spitzen Stoppeln fahren
den Tieren in den After und sie laufen davon. Durch List siegt der Igel
auch beim Wettlauf mit dem Hasen, Grimm KHM. No. 187 (in ähnlicher
Wettlaufgeschichte siegt die Schildkröte durch Beständigkeit, s. Locmani
fabb. ed. Roediger No. 20 (marqät almagäni I, 70); so auch Lafont. 6, 10).
In 1. No. 4 vom Esel, Halm, Hammel und Hund finden wir zunächst
das Motiv der Bremer Stadtmusikanten, Grimm, KHM. No. 27, aber wie
in den älteren Versionen, die Grimm III, 48 ff. beibringt, sind auch hier
die Gefoppten nicht Menschen, sondern Tiere, und zwar ist es zuerst der
Löwe (Sieg der Verschlagenheit über die Stärke): nachdem sie einen
Löwen durch gemeinsamen Angriff aus der Welt geschafft haben, jagen
sie einen zweiten dadurch in die Flucht, dass sie das Fell des Getöteten
immer von neuem vorführen, so dass jener denkt, sie hätten schon viele
umgebracht. Neue Züge sind: 1. sie klettern auf einen Baum; der Esel
fällt unter die unter ihn gekommenen Tiere; der Hund ruft ihm zu: pack
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 18%. 18
268 Haitmann:
das grösste von ihnen! und nun stieben sie aus einander; 2. das Schwein
soll sie vor den Richter schaffen; sie wollen kommen, wenn es ihre Kleider
trage; sie packen ihm aber Stroh auf, und der Hahn, der sich darauf
gesetzt, zündet es an; das Schwein richtet nun bei allen Tieren Feuers-
brunst an.
Hier seien gleich die anderen Schlauheits- und Dummheitsgeschichten
besprochen. Da ist zunächst No. 9, eine Reihe von Meisterdiebgeschichten,
jener Klasse, deren ältestes und bekanntestes Specimen die Rampsinit-
geschichte bei Herodot ist. Hier treffen sich der Tagräuber und der
Nachträuber, entdecken, dass sie ein und dieselbe Frau haben, und machen
dann verschiedene Diebskunststücke. Der Nachträuber erweist sich als
der geschicktere. — Zu dem Zuge, dass der Dieb dem Vogel die Eier
unter dem Leibe wegnimmt, vergleicht Stumme: Socin-Stumme, Houwära
No. 9. Prym-Socin, Tur Abdin S. 170. Riviere, Recueil de contes popul.
S. 14. — Zur Unterscheidung der Diebe nach Spezialitäten vergleiche den
Landdieb und Stadtdieb in der Zigeunerversion der Rampsinitgeschichte,
die in Sainenu, Basmele romäne (Bucuresci 1895) S. 77 f. mitgeteilt ist.
— Zu der List des Diebes, den Bestohlenen frech als den Dieb zu be-
zeichnen, vergleiche die Geschichte von Dschuha und dem Juden bei
Moulieras, Les fourberies de Si Djeh'a No. 20 (= Camerloher 54), wo der
Jude nicht bloss um das leichtsinnig gegebene Gold, sondern auch um die
geliehenen Sachen kommt (zahlreiche Parallelen bei Basset dazu); ähnlich
das Motiv auch am Schluss von der ,gute Handel' Grimm KHM. No. 7.
Zu dem heimlichen Hinzuthun von Geld zu dem fremden Gelde, das man
auf Grund dieses dem Eigentümer unbekannten Kennzeichens reklamieren
will, vgl. auch meine Schwanke und Schnurren in dieser Zeitschrift 1895,
S. 59.
In 2. No. 13 wird der Holzfäller Vezir Harun Arraschids, weil er
dessen verblümte Aufforderung, die vier Veziere zu rupfen, richtig ver-
standen hat; er hat sich entschuldigt, dass er einem Befehle nicht Folge
geleistet, mit den Worten: ,Ich borgte und sorgte und gab zurück das
Geborgte'. Die Veziere erfahren von ihm die Deutung, wofür sie ihm
aber alles, was sie an und um sich haben, hergeben müssen; dem Sultan
lügen sie vor, sie hätten es in einem Buche gefunden, und werden dafür
geköpft. Die rätselhaften Worte sind Beispiel eines mehrfach vorkommenden
hübschen Zuges, der Kindesliebe; sie bedeuten: meine Eltern haben für
mich als Kind alles gethan; jetzt können sie nicht mehr arbeiten und ich
muss ihnen nun das Gute zurückerstatten; vgl. unten bei No. 10.
In den Kreis der Schlauheitsgeschichten gehört auch 2. No. 22, das
wegen der argen Obscönitäten unübersetzt bleiben musste; der wesentliche
Inhalt ist nach der mir gütigst von Herrn Dr. St. mitgeteilten handschrift-
lichen Übersetzung, dass ein Taleb (Gelehrter, Schulmeister) auf die Wall-
fahrt geht und seine schwangere Frau der Sorgfalt des Muezzin (Gebet-
Aus dem Volkstum der Berber. 269
ausrufers) empfiehlt. Der verführt sie zur Untreue, wird aber von dem
zurückgekehrten Taleb selbst zum Hahnrei gemacht. Die Listen, welche
die beiden Männer den einfältigen Frauen gegenüber anwenden, sind sehr
drastisch, aber nicht ohne Humor dargestellt.
Zahlreich sind Züge von Schlauheit in andere Geschichten eingestreut,
und dann ist mit Vorliebe ein Jude ihr Träger; s. z. B. S. 79. 120 ff.
139. 185.
Sind die Schlauheitsgeschichten meist zugleich Dummheitsgeschichten,
sofern neben dem Prellenden der Geprellte steht, so nehmen die reinen
Dummheitsgeschichten eine besondere Stelle ein.
Vertreten ist hier das Motiv des Behandeins von Tieren wie ver-
nünftige Wesen. In 1. No. 7 verkauft der schwachsinnige Junge einer
Eule die Ziege, die er an den Mann bringen soll, findet aber einen Topf
voll Gold in dem Loche, in das sich die Eule verkriecht. Als dann die
Mutter mit dem Jungen zu der Fundstelle geht, wirft sie immer Bohnen
und Erbsen in die Luft; der Junge erzählt, sie hätten Gold gefunden, als
es Bohnen und Erbsen regnete; so glauben die Leute nicht an den Fund.
Hier spielt die Schlauheit der Mutter als Nebenzug hinein. Ausser dem
von St. in 2. S. 207 Nachgewiesenen vergleiche noch Grimm KHM. No. 7.
Schott No. 22. Ulr. Jahn, Schwanke No. 16 (Kringelregen). Stumme, Tun.
M. S. 131 (der Wurstregen).
In No. 24 werden uns die Schildbürger Marokkos1) vorgeführt, die
Leute aus dem Wad Draa, welches die südlichste Grenze des dem Sultan
unterworfenen Landes bildet. In der ersten der zwei kleinen Geschichten
will der eine von zwei Draa-Leuten durchaus, dass der andere, der ihm
die Grösse eines Brotiladens in der Stadt Marokko dargestellt hat, ihn
grösser mache und sticht ihn schliesslich nieder; in der zweiten kaufen
Draa-Leute Schmierseife für Honig, essen sie zum Brot und wundern sich
über den bitteren Geschmack erst, als nur noch wenig übrig ist.
Tiere sind die Dummen in 2. No. 30: Der Falke hält die alte Eule,
die schon die Federn verloren hat, für einen jungen Falken, der noch
keine hat; schliesslich verrät sich die Eule, indem sie längst Vergangenes
erzählt, das sie gesehen.
Eine bemerkenswerte Form des beliebten Motivs: Der Dumme hört
die Weisheitslehren der Tiere, versteht und befolgt sie aber nicht, ist 2.
No. 31. Die Schildkröte singt; der Falke bemerkt sie dadurch, hebt sie
empor und lässt sie fallen; sterbend ruft sie: ,Wer seinen Mund nicht
schliessen will, dem bringt sein Mund des Lebens Schluss'. Das hört ein
Mann und schenkt das Wundertier dem Könige, dem er dessen Gabe zu
1) Die Syriens sind die Leute von Hirns (s. z. B. Hariris bekannte Makame vom
Schulmeister von Hirns, No. 39 bei Rückert). Der gefährliche Ruf ging auch auf die
Leute von Sevilla über, das den Nebennamen Hirns führte (s. Maqqari 2, 348 f.).
18*
270 Hartman!) :
sprechen preist. Als die Schildkröte nun sprechen soll, thut sie es nicht,
der König hält sich für genarrt und lässt dem unklugen Schwätzer den
Kopf abschlagen. Die in den östlichen Mittelmeerländern übliche Fassung
des Motivs ist die lustige Geschichte vom Vogel und dem Jäger. Vogel:
,Lass mich los, dann lehre ich Dich drei Lebensregeln, die mehr wert
sind als dass Du mich issest, da doch so wenig an mir ist; die eine sage
ich, während ich noch in Deiner Hand bin, die zweite auf dem Baum,
die dritte auf dem Berge. — Jäger: ,Lass hören'. — Vogel: /Trauere nicht
über Verlorenes'. — Vogel auf dem Baum: , Glaube nicht, was nicht möglich
ist'. _ Vogel auf dem Berge: ,Du Dummkopf, hättest Du mich geschlachtet,
so hättest Du in meinem Kropf eine 20 Mitqal schwere Perle gefunden'.
— Jäger betrübt und ärgerlich: ,Nun sag' die dritte Lebensregel'. —
Vogel: ,Wozu, da Du schon die beiden ersten vergessen hast; sagte ich
nicht: trauere nicht über Verlorenes? und nun bist Du traurig, dass ich
Dir entgangen bin; und sagte ich nicht: glaube nicht, was nicht sein kann?
und nun glaubst Du an die schwere Perle in meinem Kropf, während ich
doch mit allem, was an mir ist, noch lange nicht 20 Mitqäl wiege'. So
hat die Geschichte Assarisi nach Magäni 2, 80 f. (No. 119) x); eine etwas
abweichende Version giebt Salhani, Contes arabes S. 96 nach einer Hand-
schrift, die dem Kreise der 1001 Nacht angehört; hier giebt der Vogel
dem Jäger, noch ehe er ihn loslässt, damit er ihn zu zwei grossen Falken
und einem Schatze führe, die drei Lehren: 1. bedauere nicht, was verloren;
2. freue dich nicht über etwas, was erst kommen soll; 3. glaube nicht,
was du nicht mit eigenem Auge siehst; die Thorheit des Jägers ist hier
noch augenfälliger.2)
Ein Dummer, der ohne sein Zuthun als Kluger und Zauberer eine
Rolle spielt, ist der Held von No. 12. Ein armer Junge sieht, wie ein
Tuch der Frauen des Königs von einer Kuh verschlungen wird. Er holt
die Kuh, man findet das Tuch in ihr, und er gilt als Zauberer. Er wohnt
nun beim König; Diebe, die dessen Palast geplündert haben, fürchten,
durch seine Zauberkraft entdeckt zu werden und bringen ihm alles Ge-
stohlene. Nun richtet der König ein grosses Fest her; ein besonderer
Spass sind drei verdeckte Schüsseln mit Butter, Honig und Pech; die
Zauberer sollen sagen, was in den Schüsseln ist. Keiner rät es, und die
Köpfe fliegen. Der Junge sagt: Schöne Butter war das erste, Honig das
zweite, das dritte aber ist das reine Pech; er meinte: der erste Fall sei
so mühelos wie das Hinunterschlucken von Butter gewesen, der zweite sei
1) Ähnlich auch in der Handschrift No. 119 meiner Sammlung, nur giebt hier der
Vogel auch die dritte Lehre: Liefest du auch wie die Gazelle, du bekommst doch nur,
was dir beschieden ist.
2) Welche der beiden Versionen die Handschriften Gotha No. 2197, 3 und 2652, 2
geben, geht aus den kurzen Mitteilungen Cat. Pertsch 4, p. 221 und 404 nicht hervor.
Aus dem Volkstum der Berber. 271
ihm wie Honig vorgekommen, in dem dritten aber werde er wolil nicht
davonkommen. *)
Einen breiten Raum nehmen die Erzählungen ein, welche Erscheinungen
der umgebenden Natur erklären oder Erfahrungen des täglichen Lebens
in belehrender Weise behandeln. Der letzteren Gattung gehört an 1. No. 1,
eine Form des weitverbreiteten Motivs: geliebt wie Salz. Hier hat die
Geschichte einen Schluss, der in der deutschen Version (Grimm KHM.
No. 179) fehlt: die fortgeschickte dritte Tochter wird Köchin bei einem
fremden König; als ihr Vater diesen besucht, kocht sie für ihn Essen
ohne Salz; er untersucht das fade Gericht, findet den Ring seiner Tochter
und erkennt nun die Bedeutung ihres weisen Vergleiches (das Motiv ist
verwertet von Auerbach im Barfüssele). Die anderen Geschichten sind
Antworten auf die Frage: Wie sind Tiere und Pflanzen zu ihrer Gestalt,
wie sind andere Teile der Natur zu ihren Eigenschaften gekommen? Nahe
berührt uns der Anfang von 2. No. 29: woher der Stieglitz sein buntes
Kleid hat (vgl. das bekannte Gedicht von Fr. Kind); nur dass hier der Vogel
nicht als Zuletztgekommener mit den Resten des göttlichen Farbentopfes
bedacht wird, sondern die bunten Sachen gleichsam als Schmerzensgeld
für die Wunden erhält, die er sich beim übermütigen Herumkollern geholt
hat. 1. No. 6 erklärt, wie es kommt, dass der Skorpion keinen Kopf hat
(er will lieber gar keinen haben als so einen wie die Eule); nach 2. No. 33.
34 ist der Reiher ein wegen seiner Bosheit verwandelter Kadi, das Stachel-
schwein eine wegen Holzholens am Feiertage verwandelte Frau (die
Stacheln sind das Reisig); nach 2. No. 32 ist das Seewasser salzig, weil
Gott den Übermnt des süssen Meeres brach, indem er es von einer Mücke
aufsaugen und wieder ausspeien liess. Hier zeigt sich zugleich ein Zug,
der auch sonst vertreten ist: die Freude am Grotesken, an dem Iiivcr-
bindungsetzen von Wesen in einer Weise, die durch ihre Eigenschaften
vollkommen ausgeschlossen ist, im denkbar grössten Widerspruch mit
ihnen steht. So ist es grotesk, wenn in 1. No. 9 das Kamel dem Sperling
auf den Fuss tritt und der, sich dem Kamel auf den Rücken setzend und
auf seinem Buckel herumtretend, ruft: , Wollen wir einmal tüchtig trampeln?'
Nahe verwandt sind die Lügengeschichten, wie 1. No. 20, zu welcher St.
in 2. S. 207 einige Nachweise gegeben hat (vgl. noch die Züge, die sich
in Grimm Hl, S. 193 f. (zu KHM. No. 112) und S. 336 f (aus der serbischen
1) Eine deutsche Parallele zu dem Erraten durch Zufall ist die Geschichte von dem
Sachsen, dem der König von China drei Rätsel vorlegt, deren Nichtlösung ihm den Kopf
kosten soll: 1. Das erste klopft, das zweite klopft, und das ganze klopft auch; der Sachse:
Da harn mer'sch mit'm erschten klei vertorbcn (Hammerschmied). 2. Das erste ein
Buchstabe, das zweite ein vierfüssiges Tier, das ganze macht Lärm. Antwort: Na das
is je widder een Reenfall (Gewitter). 8. Das erste sind Vögel, das zweite ist nicht gross,
das ganze das Lieblingsgericht der Prinzessin. Der Sachse: Nu gönn'n Se kDi'n
Henker holen! Gänseklein). — Zu dem Zauberer wider AVillen vgl. den Arzt wider Willen.
Benfey, Pan6 I, p. 510 11.
->72 Hartmann:
Sammlung Schottkys) finden und den Anfang der Erzählung des Hibäla in
Ibn Südün's nuzhat annufüs1) (Kairo 1280) S. 81). Angeschlossen seien
hier gleich die albernen Geschichten wie 2. No. 25 und 26 (letztere sehr
schwach).
In den Kreis der Geschichten, deren Wirkung eine komische sein
soll, gehört unzweifelhaft auch die von Muhammed Schaflorbeer 2. No. 6.
Der Kleine spielt folgende Streiche: 1. er sagt den Arbeitern als Auftrag
seines Vaters, sie sollten das Gemähte verbrennen; 2. er kriecht einer Kuh
in den Hintern und ruft Leuten zu: Gott verfluche euch; die kaufen die
Kuh und schlachten sie, finden aber nichts, da er in den Kopf gerutscht
ist; 3. aus diesem ruft er der Judenkarawane, die Kopf und Fell gekauft
hat, zu: Prügelt die Juden, ihr Juden; die Juden reissen aus, der Kleine
bringt seinem Vater die Karawane. Man sieht sofort, dass hier das Däum-
lingsmotiv vorliegt; die Kleinheit ist gepaart mit einer starken Dosis Bos-
heit; der Dummschlaue wird schliesslich reich durch das, was die anderen
aus Dummheit sich abnehmen lassen. Zum letzten Zuge vgl. das Glied
der Bürle (Dschuha) = Reihe, wie der Held zu der Herde kommt (s. meine
Schwanke und Schnurren hier 1895, S. 60). — Als ein Kuriosum, das eine
wichtige Lehre enthält, sei hier folgendes festgestellt: Eine jämmerliche,
wahrscheinlich in Kairo hergestellte Lithographie kl. 8°, 55 SS., o. 0. u. J.,
die ganz unverfänglich aussieht und den Eindruck eines echten Volks-
buches macht, giebt unter dem Titel husn alichtirä' fi Sachs qadd
assibä\ d.h. die schöne Erfindung von der fingergrossen Person, in ihrem
ersten Teile eine, wie ich aus Grimm III, p. 318 ff. schliesse, ziemlich
getreue Übersetzung von The Life and Adventures of Tom Thumb III,
37—52; in dem Rest scheint unter anderem auch der daumenlange Hansel
(Linz 1815, nach Grimm III, p. 72 f.) verwertet zu sein. Diese schlechten
Lithographien mit Geschichten haben eine ausserordentlich grosse Ver-
breitung im Orient, und noch weiter dringt naturgemäss ihr Inhalt, zumal
wenn er heiter ist, durch mündliche Überlieferung. Nehmen wir nun au,
die Geschichte bequemt sich arabischen Anschauungen immer mehr an
und wird von einem Sammler in einer abgelegenen Ecke des arabischen
Sprachgebiets nach fünfzig oder hundert Jahren gefunden, so ist in der
That die Gefahr sehr gross, dass in ihr dann ein echtes Produkt des
arabischen Volksgeistes gesehen wird, wie diese Gefahr für ein sicher erst
im Jahre 1804 nach Europa gelangtes, aber schon zu Grimms Zeit ins
Volk gedrungenes Märchen des Siddikür von Benfey (Panc. I, 216) in
scharfer Weise festgestellt worden ist.
Unter den Geschichten, die sich mit der Natur beschäftigen, sprechen
uns durch ihre Sinnigkeit die an, welche die Entstehung von Quellen er-
1) Dieses wichtige arabische Schnurrenbuch, verfasst um !S50 d. FL, mehrfach gedruckt
und lithographiert in Egypten, ist bisher noch fast gar nicht beachtet.
Aus dem Volkstum der Berber. 273
klären. Es sind nicht besondere Erzählungen, sondern sie schliessen sich
immer an andere an, bilden deren befreiend und erfreuend wirkenden
Abschluss. In 2. No. 10 (s. unten) fallen die abgerissenen Finger des
braven Knaben Unamir auf einen Felsen; ,dem entsprangen alsbald fünf
Quellen'; in 2. No. 11 werden die Liebenden an den entgegengesetzten
Enden der Stadt begraben; zwei Palmen entspriessen den Gräbern, ver-
einigen sich und werden erst von dem Juden, der Pech in die Gräber
schüttet, aus dem Wege geschafft; aber nun springen an ihrer Statt zwei
Quellen hervor, die sich in der Mitte der Stadt vereinigen. In 2. No. 8
springt die Quelle dort hervor, wo das Dorf vom Geisterpferd unter den
Erdboden gezaubert ist; diese Quelle macht aber den, der daraus trinkt,
blind.
Auf die eigentlichen Märchen in den Sammlungen 1. und 2. hier
näher einzugehen, muss ich mir versagen, und ich kann es um so eher,
als der Verfasser gerade zu ihnen schon die wichtigsten Parallelen bei-
gebracht hat. Im ganzen ist die Darstellung in diesen Stücken noch
springender, zusammenhangloser als sie sonst in dieser Gattung zu sein
pflegt, und nicht selten wird man geradezu durch die Öde und Leerheit
der unvermittelt auf einander gesetzten Züge abgestossen (so besonders in
2. No. 29, wo mehrere Geschichten ganz lose zusammengeschweisst sind).
Als die Krone der mitgeteilten Märchen möchte ich No. 10 bezeichnen
mit seinem schlicht- innigen, dabei ohne alle Rührseligkeit vorgetragenen
Inhalt. Der junge Ahmed Unamir wird vom Lehrer geprügelt, weil
morgens seine Hände immer von Henna rot sind. Das waren aber die
Engel, die ihm die Hände in der Nacht färbten. Eine Nacht packt er
einen der Engel; der sieht aus wie ein kleines Mädchen. Er muss ihr
sieben Zimmer bauen, eins im andern; die darf aber nur er betreten Die
Mutter findet durch Zufall den von ihm versteckten Schlüssel und geht
bis zum letzten Zimmer zum Mädchen und wieder heraus. Als der Held
kommt, geht ihm in jedem Zimmer das Wasser1) höher, im letzten bis
unter die Achseln. Er muss dem .Mädchen das Fenster öffnen: es fliegt
als Taube davon; er werde es im siebenten Himmel wiederfinden. Dorthin
gelangt er nach wunderbarer Reise; im Palast des Mädchens soll er nie
durch eine Thür gehen, ,die in den Boden hinabführt'. Einst öffnet er sie
doch; er sieht unten auf der Erde seine Mutter, die sich nicht zu helfen
weiss und ruft: ,Wo bist Du mein guter Ahmed, dass Du mir diesen
Hammel schlachtest?' Die Kindesliebe erwacht, er springt durch die
Thür, um der Mutter zu helfen, wird aber von den Winden zerrissen;
seine Finger fallen auf einen Felsen und werden zu fünf Quellen (siehe
oben).
1) Das, wie St. p. 103 Aum. wohl richtig bemerkt, als von den Thränen des Engel-
mädchens herrührend zu denken.
274 Hartmann :
Fast gleich kommt an Smnigkeit 2. No. 11, wo der Liebende vom
zürnenden Vater des Mädchens bei der dritten Frage erkannt wird: was
einer gewissen Blume ähnlich sei, da er antwortet: Deine Tochter; das
Mädchen stürzt sich vom Palast, als der Geliebte geköpft wird; die Quellen
ans ihren Gräbern siehe oben.
Von Motiven und Zügen, die uns besonders vertraut sind, nenne ich
folgende:
Das Hansel- und Gretel-Motiv verbunden mit dem von Brüderchen
und Schwesterchen in 2. No. 1; das zweite Motiv hier stark abweichend
von der Version in Grimm KHM. No. 11.
Das Tischchendeckdich etc. - Motiv in 2. No. 2: nicht sehr abweichend
von Grimm KHM. No. 36, nur ist hier das goldmistende Tier eine Katze.
Zu den Nachweisen bei St. vgl. noch Schott No. 20; auch Grimm KHM.
No. 54 ist heranzuziehen. Das Tischchen als Rute, der Knüppel als
Schäferstab finden sich bei Hahn No. 15 (S. 133 f. und 136). Der Gohl-
esel hat noch eine andere Rolle im Maghrib, und zwar im Dschuha-Kreis:
s. Stumme, Tun. M. No. 14 und Moulieras, Les fourberies No. 46 (Dsch.
macht den Dummen nur vor, der Esel miste Gold).
Das Verleumdungsmotiv oder Genovevam. in 2. No. 3: Die Heldin
o-e währt nicht die verlangte Gunst und wird verleumdet und Verstössen;
sie lebt mit den Gazellen; der Jude bringt sie durch Feuer, an dem sie
sich wärmt, um die Kraft der Kniee, sie wird gefangen und vom König
geheiratet; sie ist aber stumm, und erst der Schreck, als der Jude so tlmt,
als wolle er ihr Kind aus dem Fenster schleudern, lässt das störende Glas-
kügelchen aus der Kehle fahren Wieder wird der Heldin zugesetzt, dieses
Mal von dem Vezir, in welchem St. deu Juden sieht; er tötet aus Wut über
die Abweisung den Knaben. Sie zieht fort, entstellt sich durch ein über
den Kopf gezogenes Schafbauchfell, so dass sie wie ein männlicher Grind-
kopf aussieht und betreibt in einer fremden Stadt eine Ringelbäckerei.
Bei ihr finden sich zufällig Vater, Bruder, Gatte und die beiden Verführer
zusammen; sie erzählt ihre Geschichte und giebt sich am Schluss zu er-
kennen. Die Schuldigen werden bestraft. Der hier vorkommende Zug
mit dem Grindkopf ist ein in diesen Märchen ausserordentlich beliebter,
s. St. 2. S. 200.
Das Motiv von den dankbaren Tieren und dem undankbaren Menschen
in 1. No. 2, für welches schon St. auf Benfey, Pancatantra I, 193 ff. (zu
II, 12S) hingewiesen hat; hier kommt der Zug hinzu, der sich sonst nicht
zu finden scheint, dass der Befreier sich an dem Undankbaren rächt, indem
er sein Gehirn als Mittel gegen die Schlange verwendet.
Das Orpheusmotiv in 2. No. 16 (S. 145): die Kamele tanzen um die
Cisterne, aus der die Zauberflöte tönt; „sie frassen nicht, sondern hatten
nur Sinn für die Melodie". Vgl. dazu die Geschichten von der Wirkung
des huda'- Gesanges auf die Tiere, z. B. in den Kommentaren zu Ibn
Aus dem Volkstum der Berber. 275
Alfarid, Diwan ed. Marseille p. 358 f. — vgl auch Hahn I, No. 34 (p. 222 f.)
und die Varianten II, 238 ff. — Grimm III, p. 342.
Endlich sei noch erwähnt, dass auch die Heiligenlegende nicht fehlt.
In 2. No. 18 sind zwei Stücke solcher Art verschmolzen, 1. vom Sidi
Belabbas und seinem schwarzen Diener Massud (Massud), der durch den
Heiligen, obwohl er ihn auf Veranlassung des Teufels schlimm geärgert
hat, zu der Prinzessin kommt, sie aber aus Sehnsucht nach den Paradieses-
jungfrauen verlässt; 2. vom König Jakob von Marokko (vielleicht anlehnend
an Abu Jüsuf Ja'qüb, dessen Regierung 580 — 595 d. Fl. die Glanzperiode
des Almohadentums bildet) und seiner Frau und Tochter, die nach Kairo
ziehen, von dem Pascha von Kairo, der die Tochter heiraten will, von
den Geisterpferden von Bulaq mit silbernen Hufeisen und goldenen Nägeln
uud von dem Tode und Begräbnis des Königs-Heiligen in den Drusen-
bergen Syriens. Von einzelnem sei erwähnt: in 1. der Mantel des Heiligen,
unter welchem der Diener die Hiebe nicht fühlt (vgl. den Wimdermantel
des Elias), in 2. dürfte bei den Geisterpferden von Bulaq wohl kaum an
die Sphinx von Gizeh gedacht werden, wie St. p. 171 Anm. als möglich
hinstellt; das bulaq ist gewiss identisch mit dem Namen des Zauberpferdes
des Propheten alburäq. Sehr merkwürdig ist die Erwähnung des zbil
eddrüz, des Drusengebirges, am Schluss der Geschichte. Der König-
Heilige will nicht auf dem Dorffriedhof, sondern auf luftiger Bergspitze
begraben sein, und der Tote setzt seinen Willen durch, indem er sich
nicht fortschaffen lässt, bis man beschlossen hat, ihn dorthin zu bringen.
In 3. macht St. interessante Mitteilungen aus der poetischen Litteratur
der Schluh. 39 kürzere Stücke werden dem Sidi llanimu, dem berühm-
testen Spruchdichter (andäm) der Schluh zugeschrieben;, der um 800 d. Fl.
(1397/98 n. Chr.) gelebt haben wird. Ein längeres Gedicht, das wahr-
scheinlich nicht vor 1857 entstanden ist, schildert die Einnahme Algiers.
Das , Gedicht eines Jägers' macht den Schluss. das jedoch nicht das Jäger-
handwerk feiert; im Gegenteil: der Waidmann wird von der Gazelle mit
rührenden Worten gefragt, was sie ihm gethan, dass er sie töten wolle,
und er wird von heftigem Kummer krank. St. weist Parallelen aus
deutschen Sammlungen nach und bringt (S. 17) ein berberisches Märchen,
in welchem einem am Freitag jagenden Schützen der Patron der Jäger
Sidi Ali Ben Nasr erscheint und ihn heftig tadelt; auch trifft der Jäger
seit jener Zeit nichts mehr (entfernt verwandt ist die Geschichte vom
heiigen Hubertus). Sehr verdienstlich sind die sorgfältig gearbeitete Ab-
handlung (S. 1 — 39) über die Dichtkunst der Schluh, die St. den Texten
vorausgeschickt hat und die Anmerkungen, welche die zahlreichen nicht
ohue weiteres verständlichen Stellen der Gedichte erläutern.
Die Übersetzung liest sich in allen drei Sammlungen fliessend; ich bin
mit der Sprache des Originals nicht genügend vertraut, kann also über
ihre Zuverlässigkeit nicht urteilen. Mit bemerkenswertem Geschick sind
276 Tschiedel:
die Stollen behandelt, wo sich die Rede epigrammatisch zuspitzt oder
kindliche und sinnlose Rede nachzuahmen ist (s. S. 111. 143. 187. 188. 193).
Wie die Sprachforscher sind auch die Volkstumforscher Herrn Dr.
Stumme für die drei Gaben zu warmem Danke verpflichtet. Möchten
seine weiteren Mitteilungen aus Nordwestafrika, das er in seinen beiden
Bevölkerungsklassen, der arabischen und berberischen, so gut kennt, wieder
so wertvolle Gaben bringen, wie diese Proben des Volkstums aus jenem
abüeleuenen Südwestwinkel Marokkos, Tazerwalt.
Italienische Volksrätsel.
Gesammelt von Johannes Tschiedel.
1. (a*) Campo bianco, semenza nera. Due la guarda, cinque la mena
(L'ago col filo). Weisses Feld, schwarze Saat. Zwei blickt auf sie nieder,
fünf streut sie aus (Nadel mit Faden).
2. (b) Tondo rotondo, Bacile senza fondo, Bacile non e. Chi l'indo-
vina, e un gran re (Anello). Rundlich rund, Becken ohne Boden, Becken
ists nicht. Wers rät ist ein grosser Held (Ring.)
3. (c) Esso va dentro asciutto e tirato, e vien fuori molle e bagnato
(Biscottino). Wenn er hineingeht, ist er trocken und straff, kommt er
heraus, ist er weich und nass (Zwieback).
4. (d) Son im convento pien de frati drento, Tutti i xe d'un sol colore,
Fora ghe el padre priore (Bocca con denti e lingua). Ich bin ein Kloster
von lauter Paters, alle von einer Färb, und der Prior steckt ausserhalb
(Mund mit Zähnen und Zunge).
5. (d) Du' lucenti, du' pungenti, Quattro zocculi e 'na scopa (Bue).
Zwei leuchtende, zwei stechende, vier Pantinen und ein Besen (Rind).
6. (d) Ebbi giä le budella dentro al corpo, Ed or ho '1 corpo dentro
alle budella (Bue). Einst hatte ich die Eingeweide im Körper, jetzt den
Körper in den Eingeweiden (Rind).
7. (e) Due lucenti, due pungenti, Quattro stanghe e una granata (Bne).
Zwei leuchtende, zwei stechende, vier Stangen und ein Besen (Rind).
8. (a) Piü te li porti addosso, Meno ti pesano (Buchi). Je mehr du
davon auf dir hast, um so weniger wiegen sie (Löcher).
9. (b) Vo vestito di bianco, Ne mai girar mi stanco, E di quel che
mi cade per di sotto, Tanto il goffo mangia quanto il dotto (Buratto della
. *) S. Quellenangabe am Schlüsse des Artikels.
Italienische Volksrätsel. 277
farina). Weissgekleidet bin ich und unaufhörlich dreh ich mich. Was
ich aber unter mich fallen lasse, davon isst der Narr und der Weise
(Mehlsieb).
10. (f) In convento appena intrata, Superiora fui chiamata: Dar aviso
e comandar, Questo e solo il mio da far. Due giornate sole a l'ano Di
riposo a me si dano; Sempre tengo el mio cordone Come la superiora, a
picolone (Campana). Kaum ins Kloster eingezogen hiess ich schon Oberin.
Künden und Befehlen ist mein einzig Geschäft. Zwei Tage nur im Jahr
gönnt man mir Kuh. Immer gerad wie die Oberin hab ich den Strick an
mir herunter baumeln (Glocke).
10 b. (a) Io ho una finestraccia, Che c'e una vecchiaccia Che con im
dente Chiama tutta la gente (Campana). Ich hab ein Fenster, da sitzt eine
Alte, die hat nur einen Zahn und ruft damit alle Leute heran (Glocke).
11. (e) Che e quella cosa che se si butta dal cielo non si rompe e
se si butta nell1 acqua, si? (Carta). Was ist das: Man kanns vom Himmel
herabwerfen und es geht nicht entzwei, ins Wasser geworfen aber sofort?
(Papier).
12. (g) Chi la fa la fa per vende', Chi la compra non l'adopra, Chi
l'adopra non la vede (Cassa di morto). Wer es macht, machts zum Ver-
kauf, Wer es kauft, brauchts nicht, Wers braucht, siehts nicht (Sarg).
13. (g) Alto, alto padre, Spiritata madre, E le sue fijöle So' bone cotte
e crude (Castagne). Hoch der Vater, Verhext die Mutter, und die Töchter
stets vorzüglich, seien sie gekocht oder roh (Kastanien). (Vgl. No. 65.)
14. (d) Alto xe el pare, Spinosa la mare, Moretta la figlia (Castagna).
Hoch der Vater, dornig die Mutter, schwärzlich die Tochter (Kastanie).
15. (g) Qual e quella cosa? Grande e grosso lo vorria, tra le gambe
mel metteria, dritto dritto vorrei che andasse e che mai non scappuzzasse
(Cavallo). Was ist das? Gross und dick wünsch ich ihn, zwischen die
Beine brächte ich mir ihn, geradeaus, wünschte ich, soll er gehen und
niemals entwischen (Gaul).
16. (a) Porta la barba e non e cappuccino, Porta le borse e non e
cercante, Fa la ricotta e non e pastore, Ottura i buchi e non e muratore
(Cazzo). Er hat einen Bart und ist kein Kapuziner, trägt einen Beutel
und ist kein Almosensammler, macht Käse und ist kein Hirte, verstopft
Löcher und ist kein Maurer (Männl. Glied).
17. (g) Io ci ho una cosa che cruda non si trova e cotta non si magna
(Cenere). Ich hab eine Sache, roh findet sie sich nicht und gebrannt ist
sie nicht essbar (Asche).
18. (a) Sotto la zona torrida e focosa Fra mori abitator bianca nacqni
io. Ma fu mia vita al genitor dannosa, che appunto quando nacqui io egli
morio. Mi spirö fra le braccia e puro e mondo AI ciel volö suo spirito.
Ed io infelice qui le macchie a purgar rimasi al mondo. Simbol di peni-
tenza ognun mi dice; Guardatevi perö da quel che ascondo Sotto di questa
278 Tschicdel:
veste ingannatrice (Cenere). In heisser Zone unter schwarzem Volk ward
geboren Ich eine Weisse, einsam verloren. Unheil nur bracht ich dem
Vater, Verderben. Denn als ich entstand, musste er sterben. In meinen
Armen verhaucht er sein Leben, Rein darf sein Geist zum Himmel schweben.
Ich Unglückliche blieb allein in der Welt, Flecken zu tilgen bin ich be-
stellt. Symbol der Trauer nennt mich ein jeder. Doch hütet euch vor
dem, was ich verstecke Unter trügerischer Decke (Asche).
19. (b) Chi e quel che vola e non ha penne o ale e monta sopra i
tetti senza scale? (Cervello). Wer fliegt ohne Federn oder Flügel und
steigt bis auf die Dächer ohne Leitern? (Gehirn).
20. (a) Corre correndo, Ficca ficchendo, Fa quella cosa E poi si riposa
(Chiave). Eilends läuft er, stemmt hinein, Macht jene Sache und ruht
dann aus (Schlüssel).
21. (g) Io ci ho una cosa che a giorno sta a bbocca chiusa e a notte
sta a bbocca aperta (Le ciabatte). Was ist des Tages voll und des Nachts
hohl? (Pantoffeln).
22. (a) Io ho un lenzuolo tutto ricamato, Ne ago ne filo c'e passato
(Cielo). Ich habe eine Decke reich gestickt, und doch ist weder Nadel
noch Faden durchgegangen (Himmel).
23. (a) Ho un lenzuolo grande grande, Non lo posso arrivar a piegar.
Ho taute zecchine d'oro, Non li posso arrivar a contar. Ho una mela
grossa grossa Non la posso arrivar a spaccar (Cielo, stelle, luna). Ein
grosses, grosses Tuch habe ich und kann nicht dazu es zu falten; viele
viele Goldfüchse und kann sie nicht zählen; einen dicken dicken Apfel
und kann ihn nicht aufbrechen (Himmel, Sterne, Mond).
24. (d) Semo quele che va via cantando E che le torna a casa lagri-
mando (Conche d'acqua). Singend ziehen wir aus, weinend kehren wir
heim (Bronzene Wassereimer).
25. (h) Scindo ridendu 'Nchiano chiancendo (Conca). Lachend steig
ich hinunter, weinend komm ich herauf (Wassereimer).
26. (a) Cara signora mettetevi giii, Che vi voglio montare su. Vi
voglio aprire una spaccatura, Vi ci metto una cosa dura (Contadino che
spacca la quercia e vi introduce il cuneo)